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Geisteswissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 02.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 64
Abb.: 11
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Verhungerte Pferde, Hunde und Katzen in vermüllten Wohnungen und Masthähnchen, die schon lange vor der Schlachtung nicht mehr laufen können - Tierschutzfälle erregen bei den Rezipienten und allgemein in der Bevölkerung schnell große Aufmerksamkeit. Das Mitgefühl mit dem Tier ist groß - und es steigt. Je weniger der Mensch in seinem Alltag mit dem Tier zu tun hat, desto mehr scheint er sich an Tierschutzvergehen zu empören. Viele Medien wissen dies zu nutzen und warten mit dramatischen Bildern und tragischen Schlagzeilen auf. Aber ist dies der Sache wirklich zuträglich? In dieser Arbeit wird aufgezeigt, wie es um den Tierschutz in Deutschland bestellt ist, wie Medien mit Tierschutzfällen umgehen, welche Dynamik zur medialen Verbreitung führt und was Fachmedien tun können und sollten.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2, Nachrichtenwerttheorie: Tiere sind niedlich: Schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts wird an Nachrichtenfaktoren und der so genannten Nachrichtenwerttheorie geforscht. Einer der Kernpunkte dabei ist: ‘Auswahlkriterien, wie sie von Redakteuren in der Regel angewandt werden, strukturieren und verzerren die Berichterstattung in den Medien’ (Mast 2008, S.58). Die von den Medien geschaffene Realität unterscheidet sich deshalb deutlich von der tatsächlichen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass eher über das Abweichende, als über das Normale und eher über neue Dinge als über bestehende berichtet wird. Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge entwickelten 1965 einen Katalog von zwölf Kriterien für den Nachrichtenwert. Diese Faktoren bestimmen häufig die Auswahl der Journalisten. Je mehr Nachrichtenfaktoren sich auf ein Ereignis beziehen lassen, desto größer ist die Chance, dass es medial beachtet wird (vgl. Mast 2008, S. 58 ff). Im Folgenden sollen nun die Nachrichtenfaktoren, die sich in Bezug auf den Tierschutz eignen analysiert werden und wenn möglich, Tierschutzfälle aus den Medien zu den verschiedenen Faktoren vorgestellt werden. Frequenz: Je mehr der zeitliche Ablauf eines Ereignisses der Erscheinungshäufigkeit der Medien entspricht, desto wahrscheinlicher wird das Ereignis zur Nachricht. (Mast 2008, S. 59). Dieser Faktor trifft vor allem dann auf Tierschutzfälle zu, wenn der Beschuldigte einer Straftat wiederholt vor Gericht erscheinen muss. So war es zum Beispiel im Fall von Christine W., der 2008 in Norderstedt vorgeworfen wurde, ihre Reitpferde während des Trainings zu misshandeln. Von diesem Fall soll allerdings später noch die Rede sein. Ein weiteres Beispiel für diesen Faktor war die in Linow beschlagnahmte Pferdeherde. Im März 2013 wurden, wie bereits erwähnt, in dem brandenburgischen Dorf 160 Pferde vom Amtstierarzt Rott beschlagnahmt, weil die Besitzer wiederholt nicht auf Auflagen zur Verbesserung der Tierhaltung eingegangen waren. In den folgenden Wochen mussten mehrere Pferde eingeschläfert werden. Die restlichen wurden entwurmt und geimpft, einige Stuten bekamen Fohlen, die Kennzeichnung der Tiere war ohne Pass nur mithilfe von Zuchtvereinen möglich und schließlich mussten die Pferde auch noch ein neues Zuhause finden (vgl. Stamer, 15.03.2013). All diese Punkte schufen eine Dynamik, die es den Medien ermöglichte, fast täglich eine neue Nachricht über den Fall zu bringen. Allerdings konnte man in vielen Medien - wie auch bei der Berliner Zeitung - feststellen, dass die Nachrichten, vor allem Online, direkt von der dpa übernommen wurden. Eigens nach Linow ins tiefste Brandenburg zu fahren und über den Fall zu berichten, war in vielen Redaktionen offenbar nicht möglich. Vielleicht war auch das Interesse nicht groß genug, denn auch für die Berliner Zeitung wurde das Thema erst interessant als ich erwähnte, wie viel Geld die Aktion den Landkreis kostete. Schwellenfaktor (absolute Intensität, Intensitätszunahme): Es gibt einen bestimmten Schwellenwert der Auffälligkeit, den ein Ereignis überschreiten muss, damit es registriert wird. (Mast 2008, S.59). Dieser Schwellenwert der Auffälligkeit war gegeben, als ein 59-jähriger Landwirt aus Frauenhagen Ende 2011 in Brandenburg seine Pferde und Rinder so schlecht versorgte, dass einige auf der Weide verendeten. Doch selbst die toten Tiere ließ er nicht entsorgen. Sie lagen somit im Schmutz und verwesten unter den Hufen der anderen (Schwers, 29.11.2011). Die besondere Schwere des Falls mit 150 Tieren und die ekelerregenden Bilder der verwesenden Tierkadaver überschritten den Schwellenwert und wurden registriert. Neben der BILD berichteten unter anderem der Berliner Kurier, die Morgenpost, die Märkische Oderzeitung und nordkurier.de über Monate, da es lange dauerte, bis der Betrieb geschlossen werden konnte. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass einige Pferde, sowie ihr Besitzer, Landwirt Peter S, der unter anderem ein Tierhaltungsverbot erhalten hatte, auf dem Hof in Linow aus dem vorherigen Fall Unterschlupf fanden. Dort wurden die Tiere, wie bekannt, weiter vernachlässigt. Bedeutsamkeit (kulturelle Nähe/Betroffenheit, Relevanz): Je größer die Tragweite eines Ereignisses ist, je mehr Betroffenheit es auslöst, desto eher wird es zur Nachricht. (Mast 2008, S.59). Eines haben Tierschutzfälle bei den meisten Menschen sicher: Sie lösen Betroffenheit aus. Welcher, einem Tier freundlich zugewandte, Mensch würde von verwesenden Tierkadavern und blutig gerittenen Pferden nicht betroffen? Allerdings ist festzustellen, dass sich die Berichterstattung über Tierschutzfälle häufig zu sehr auf die Betroffenheit an sich stützt. Diese Art der Anteilnahme werde häufig missbraucht um die Bevölkerung mit Bildern von leidenden Tieren emotional zu beeinflussen, schreibt Alexandra Kraemer in ihrer Arbeit über Tierschutz und Strafrecht. Sie befürchtet, dass die Berichterstattung durch zu viele Emotionen an Sachlichkeit verliert: ‘Die PR-Industrie verwendet ebenfalls bevorzugt Abbildungen von ‘süßen’ Tieren, um ihre Verkaufszahlen zu steigern (sog. Bambi-Effekt). Nur auf den ersten Blick ist dies dem Tierschutz förderlich. Bei näherer Betrachtung kann diese Art der Aufbereitung aber dem Tierschutzgedanken schaden, da sie einer sachlichen Diskussion abträglich ist und auf eine Begründung der These verzichtet.’ (Kraemer 2009, S. 30/31). Konsonanz (Erwartung, Wünschbarkeit): Je mehr ein Ereignis mit vorhandenen Vorstellungen und Erwartungen übereinstimmt, desto eher wird es zur Nachricht. (Mast 2008, S.59). Erwartbarkeit lässt sich bei Tierschutzfällen in Medien nur selten voraussetzen. Lediglich im so genannten Wiesenhof-Skandal 2011, als durch Recherchen der ARD und der Tierrechtsorganisation PeTA, sowie einer ehemaligen Pächterin des Wiesenhofes, die schlechten Haltungsbedingungen in Anlagen des Geflügelfleischherstellers Wiesenhof bekannt wurden, war Konsonanz gegeben (vgl. PeTA 2011). Hier konnten Tierliebhaber und Verbraucher sagen: ‘Das habe ich doch schon immer gewusst. So günstig kann man keinen Hähnchenschenkel herstellen.’ Dass viele ihn trotzdem gekauft haben, und immer noch kaufen, ist wohl auf Verdrängung zurückzuführen. Die PHW Gruppe, zur der auch Wiesenhof gehört, konnte seinen Gesamtumsatz im Geschäftsjahr 2011/2012 um 5,2 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro steigern (agrarheute, 14.02.2013). Da, nachdem die allgemeine Empörung etwas abgeebbt war, nur noch selten berichtet wurde, konnten sich offensichtlich viele Verbraucher wieder schnell mit dem Wiesenhofgeflügel anfreunden. Kontinuität: Ein Ereignis, das bereits als Nachricht definiert ist, hat eine hohe Chance, von den Medien auch weiterhin beachtet zu werden. (Mast 2008, S. 59). Als Nachricht definiert war ebenfalls der Wiesenhof-Skandal. Vorgegeben von der ARD, dem öffentlich-rechtlichen Sender mit großem Vertrauensvorschuss, konnten alle Medien aufspringen und in die Empörung einstimmen. Auch die großen Lebensmittelhändler und Discounter sahen sich unter Druck, bessere Haltungsbedingungen von Wiesenhof zu fordern oder den Verkauf der Produkte einzustellen (vgl. fleischskandale.de, 25.09.2011). Personalisierung: Je mehr ein Ereignis personalisiert ist, sich im Handeln oder Schicksal von Personen darstellt, desto eher wird es zur Nachricht. (Mast 2008, S. 59). Der Faktor Personalisierung ist vor allem dort zu beobachten, wo ein Vergehen gegen den Tierschutz genau auf eine Person bezogen werden kann. Dies war der Fall bei Christine W.. Als Reiterin war sie direkt für die Pferde verantwortlich und musste vor Gericht zu ihren Taten aussagen. Auch in dem, noch im Folgenden analysierten, Fall des Ponyhof Staaken, konnten die Missstände direkt auf die Halter der Tiere zurückgeführt werden. Bezug auf Elite-Personen: Ereignisse, die (…) mächtige Nationen betreffen, haben einen überproportional hohen Nachrichtenwert. Entsprechendes gilt für Elite-Personen, d.h. prominente und/oder mächtige, einflussreiche Personen. (Mast 2008, S. 59). Dies ist häufig im Pferdesport zu beobachten, wo sich - auch weil der Sport nicht billig ist - wohlhabende und somit auch für die Allgemeinheit bekannte Personen finden. Beispiele sind Zara Phillips, Vielseitigkeitsreiterin und als Tochter von Prinzessin Anne an vierzehnter Stelle der britischen Thronfolge, oder auch die jordanische Prinzessin Haya Bint Al Hussain, die Präsidentin der Internationalen Reiterlichen Vereinigung (FEI). Auch in dem Fall um das Millionenpferd Totilas waren Elite-Personen in den Medien. So zeigte PeTA 2012 die Halter des Pferdes, Paul Schockemöhle und Ann Kathrin Linsenhoff, sowie den Trainer Klaus Martin Rath und den Reiter Matthias Rath wegen tierquälerischer Trainingsmethoden und nicht pferdegerechter Haltung an (vgl. Pochammer 2012, S. 26ff.). Etliche regionale und überregionale Medien wie Die Welt, Der Spiegel, der Focus, N24 und das Hamburger Abendblatt berichteten über den Fall. Negativismus: Je >>negativer<< ein Ereignis, je mehr es auf Konflikt, Kontroverse, Aggression, Zerstörung oder Tod bezogen ist, desto stärker wird es von den Medien beachtet. (Mast 2008, S. 59). Negativismus ist der Faktor, der garantiert von allen Tierschutzfällen bedient wird. Das Quälen und der Tod von Tieren werden von nahezu allen Rezipienten als negativ empfunden. Unterstützt wird dies meist noch von der dramatischen Bebilderung der Berichte. Nicht direkt auf Tierschutzfälle zu beziehen sind die Nachrichtenfaktoren Eindeutigkeit, Überraschung, Variation und Bezug auf Elite-Nationen. Acht von zwölf Faktoren treffen also auf die meisten Fälle zu.

Über den Autor

Kirsten Stamer wurde 1986 in Hamburg geboren. Nach einer Lehre zur Pferdewirtin mit Schwerpunkt Zucht und Haltung und einiger Erfahrung in diesem Beruf, beschloss sie, ihr Abitur nachzuholen. Ihr anschließendes Studium in Journalismus und Unternehmenskommunikation schloss die Autorin 2013 in Berlin ab. Bereits während des Studiums sammelte sie Erfahrungen bei der Berliner Zeitung und bei Fachzeitschriften wie der GEO und der St. GEORG. Ihre journalistischen Recherchen in mehreren Tierschutzfällen motivierten sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.

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