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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 04.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 72
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Sowohl die Literatur der Neuen Sachlichkeit, die sich in der Zeit der Weimarer Republik konstituierte, als auch die seit Ende der sechziger Jahre als Pop-Literatur bekannte Strömung ist seit ihrer jeweiligen Entstehung massiver Kritik ausgesetzt. Technik-, Zerstreuungs- und Massenkult sowie eine affirmative, den Faschismus fördernde Tendenz werden der Neuen Sachlichkeit - ähnliches ebenso der Pop-Literatur - vorgeworfen. Viele Kritikpunkte werden dabei aufgrund einer ähnlichen Programmatik und Ästhetik an beide Bewegungen gerichtet. So wird u.a. der Habitus der in den jeweiligen Romanen auftretenden Protagonisten kontrovers diskutiert: Sowohl der kalten Persona der neusachlichen Literatur als auch dem arroganten Pop-Enzyklopädisten der Pop-Literatur wird eine eklatante Gefühlskälte vorgeworfen. Es wird sogar der Boykott des Gefühls unterstellt. Dass das klassische romantische Liebesideal weder in der Literatur der einen noch in der der anderen proklamiert wird, ist tatsächlich augenscheinlich und soll auch gar nicht zur Debatte stehen. Dass aber die Liebe trotz Versachlichung und Entsentimentalisierung nach wie vor thematisiert wird, soll anhand der ausgewählten Romanbeispiele Gilgi - Eine von uns (1931) von Irmgard Keun, Soloalbum (1998) von Benjamin von Stuckrad-Barre und Busfahrt mit Kuhn (2004) von Tamara Bach gezeigt werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob man auch in den Romanen der Neuen Sachlichkeit und der Pop-Literatur, deren Wirklichkeit sich schließlich an einer modernen und sich zunehmend medialisierenden Wirklichkeit orientiert, Perfect lovers findet - nur eben nicht im Sinne eines der Romantik entsprechenden Ideals oder ob der Liebe durch die Topoi der Kälte jegliche Basis entzogen wird und sich somit nur noch two alien bodies gegenüber stehen, die eine rein sachliche, körperbezogene Sexualität einem tieferen Gefühl vorziehen. Weiterhin soll der Konstruktion von Identität - inmitten der Allgegenwärtigkeit von Medien und Massenkultur - und der Funktion von Musik im literarischen Text nachgegangen werden. Überdies wird zu untersuchen sein, inwieweit sich Parallelen zwischen der Literatur der Neuen Sachlichkeit und jener des Pop finden lassen, und ob man gar bei der Pop-Literatur von einer Neuauflage der Neuen Sachlichkeit sprechen kann. Dieser Vergleich soll nicht nur literaturhistorisch erfolgen, sondern auch in den verschiedenen Teilen dieser Arbeit fortgeführt werden. Die Untersuchung wird sich daher sowohl auf die Identitätsentwicklung der Protagonisten und den Einfluss von Medien und Gesellschaft auf deren Entwicklung als auch auf die Darstellung von Liebe und der Funktion der vielfältig auftretenden Musikbezüge konzentrieren.

Leseprobe

Kapitel 2.3, Vergleichsaspekte: Vergleicht man die Neue Sachlichkeit mit dem Phänomen der Pop-Literatur, fällt zunächst auf, dass sich die gegen die jeweilige Strömung gerichteten kritischen Stimmen in vielen Punkten ähneln. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass diese literarischen Erscheinungsformen über ein hohes Provokationspotential verfügen. Beiden gemeinsam sind der Bruch mit der traditionellen Erzählweise und dem klassischen Literaturbegriff, die Orientierung an Aktualität und Authentizität, die Synthese verschiedener Genres und der Einbezug von Techniken und Zitaten aus Massenmedien und Konsumwelt. Überdies konstituierten sich beide Formen infolge der ablehnenden Haltung gegenüber ihrer Vorgängergeneration. Beide Strömungen reagieren auf eine Zeit, die durch Widersprüchlichkeiten, Oberflächenkultur und massenmediale Innovationen geprägt ist. Was Dandjinou über die Bewegung der Neuen Sachlichkeit feststellt, trifft ebenso auf die Pop-Literatur zu, denn beide haben ‘sich auf die Herausforderung dieser Gesellschaft eingelassen, in der Massenmedien und Massenkultur eine zentrale Rolle spielen’, und konnten erfolgreich den ‘gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen synchrone literarische Produktions- und Rezeptionsformen […] entwickeln’. Forschungsarbeiten, die sich direkt auf den Vergleich zwischen Neuer Sachlichkeit und Pop-Literatur beziehen und meine These einer Neuauflage der Neuen Sachlichkeit in der Pop-Literatur unterstützen, sind eher spärlich zu finden. Jedoch erwähnt Jung, dass es zwei unterschiedliche Ansätze zur Ursprungsdefinition der Pop-Literatur gibt. Dabei sieht ein Großteil der Forschung die kultur- und literaturhistorischen Wurzeln der Pop-Literatur in ‘der Nachkriegszeit und dem zumindest für Westdeutschland damit einhergehenden Einfluss der US-amerikanischen Populärkultur’. Er verweist aber auch auf die Arbeit von Thomas Ernst, der dahin geht, die mit der Entstehung der Massenliteratur und der Kulturindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, genauer gesagt mit der Dada-Bewegung der zwanziger Jahre, aufkommende(n) Gegenströmung(en) zur etablierten Hochkultur, die für die großen Romanciers der Jahrhundertwende und die Avantgardeschübe der Vor- und Zwischenkriegszeit benannt werden, als historischen Ausgangspunkt für die populäre und schließlich die Pop-Literatur zu proklamieren. Des Weiteren verweist Jung auf Jost Hermand, der in seiner Arbeit ebenfalls die ‘Traditionen der Popliteratur bis zum Dada zurückverfolgt’. Da auch Sabina Becker auf die enge Beziehung zwischen Dadaismus und Neuer Sachlichkeit hinweist kann so zumindest ein gemeinsamer historischer Bezugspunkt zwischen Neuer Sachlichkeit und Pop-Literatur belegt werden. Einen konkreten Bezug zwischen Neuer Sachlichkeit und Pop-Literatur findet sich in einem Aufsatz Moritz Baßlers. Darin bemerkt er zunächst, dass ‘Phasen emphatisch autonomer, selbstbezüglicher und formalistischer Literatur offenbar unweigerlich das Bedürfnis nach einer darstellungstechnisch vielleicht naiveren, aber als sach- und welthaltiger empfundenen Literatur hervorrufen’. Weiterhin konkretisiert er diese Phasen in Bezug auf die Neue Sachlichkeit und Pop-Literatur und spricht davon, dass ‘[seit] in Deutschland Mitte der 1990er Jahre eine junge Pop-Literatur Forderungen nach neuer literarischer Sinnlichkeit, Lebensbezug und Welthaltigkeit eingelöst hat, […] man sich wieder besser vorstellen [kann], wie befreiend in den 1920er Jahren die ersten Texte der Neuen Sachlichkeit über das Boxen, Schwimmen und Sporteln gewirkt haben müssen’. Trotz des Mangels an forschungsliterarisch konkreten Bezügen zwischen beiden Bewegungen lassen sich, ungeachtet einiger Unterschiede, erhebliche Gemeinsamkeiten ausmachen. So fällt bei beiden die starke Verschränkung zwischen Publizistik und Belletristik auf, wobei sich in der Pop-Literatur darüber hinaus eine starke Affinität zu Methoden des Musikjournalismus ausmachen lässt. Dadurch ergibt sich ein Effekt der Unmittelbarkeit, was hiermit dem Streben beider nach einem Aktualitäts- und Gegenwartsanspruch gerecht wird. Gleichzeitig wird durch die Montage literaturfremden Materials (Montage-Technik), z.B. durch Liedtexte, Werbesprüche oder Filmzitate und die Einbeziehung von realen Orts-, Straßen-, Personennamen und aktuellen Ereignissen, ein authentischer Charakter der Texte erreicht. Diese Methoden lösen das ein, was innerhalb der neusachlichen Programmatik eingefordert wurde um die ‘Demokratisierung der Literatur’ zu erreichen und führte daher schon zu jener Zeit - lange vor Fiedlers Aufsatz - dazu, dass die Grenzen zwischen vermeintlich ‚hoher‘ und Trivialliteratur zumindest neu bestimmt werden mussten. Die Entwicklung, die dadurch (freilich nicht nur allein durch die neusachliche Bewegung) angestoßen wurde, ebnete den Weg zur Weiterentwicklung von unkonventionellen Texten, wie z.B. der Pop-Literatur bzw. die mehr oder weniger große Anerkennung jener. Durch die literarische Verarbeitung alltagspopulären Materials, tragen beide Strömungen dazu bei, als ‘Chronisten’ die von Baßler konstatierte ‘Enzyklopädie’ aufzufüllen bzw., mit Boris Groys gesprochen, die Transformation von Elementen des ‘profanen Raums’ in das ‘kulturelle Archiv’ zu gewährleisten und dadurch eine Valorisierung der zeitgenössischen populären Kultur zu erreichen. Weiterhin sind die Texte durch den Modus der Momentaufnahme gekennzeichnet – sie stellen weder Entwicklungen dar, noch beabsichtigen sie ein vollständiges Bild der gesellschaftlichen Zustände zu zeichnen. Sie sind jeweils nur fragmentarische Ausschnitte, die stationenartig aneinander gereiht werden. Sabina Becker bezeichnet dies bei der Neuen Sachlichkeit als ‘fotografisches Verfahren’ oder spricht von einer ‘filmischen Schreibweise’. Auch bei Jörgen Schäfer findet man den Verweis auf die Fotografie – er zitiert den Pop-Literaten Benjamin von Stuckrad-Barre mit den Worten, dass die Texte der Pop-Literatur ‚sehr konkret, jetztzeitgebunden auf die Welt reagieren‘ und ‚Text gewordenen Polaroids‘ gleichen, ‚die mit der Zeit verblassen und ersetzt werden müssen‘. Eine derartige Herangehensweise zeugt nicht nur von der ‘Entwicklung einer neuen nicht mehr an Literatur orientierten Literatur’, sondern zeigt auch eine ‘neue Art und Weise der Welterfassung’, die der veränderten Wahrnehmung der Gesellschaft gerecht wird, indem sie die durch die mediale Allgegenwärtigkeit erzeugten zerstückelten Sinneseindrücke auf die Literatur überträgt.

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