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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 80
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Antisemitismus und die Sozialdemokratie sind Erscheinungen, die im deutschen Kaiserreich eine rasante Entwicklung erfahren haben. Dieses Buch untersucht, wie sich die Sozialdemokratie im Zeitraum von 1890 bis 1914 zum Antisemitismus positioniert hat. Dabei werden einerseits theoretische Texte u. a. von August Bebel, Friedrich Engels und Eduard Bernstein sowie Beschlüsse der Partei analysiert. Außerdem wird anhand von Protokollen und Publikationen untersucht, wie die Partei in der praktischen Auseinandersetzung agierte. Der Spannungsbogen in der innerparteilichen Diskussion reicht dabei von klarer Ablehnung des Antisemitismus über das bereitwillige Gewährenlassen zur Erzeugung einer vorrevolutionären Stimmung bis hin zu der Auffassung, Antisemitismus sei tot. Dieses Buch widmet sich der Darstellung dieser Entwicklungslinien und dem daraus abgeleiteten strategischen Agieren der Partei.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2, Strategisches Herangehen der Sozialdemokratie: Die Sozialdemokratie hat sich natürlich nicht nur, wie im Kapitel zuvor dargelegt, theoretisch mit dem Phänomen des Antisemitismus befasst, sie hat sich ihm gegenüber auch verhalten und reagiert. Diese Entwicklung der Reaktion auf den Antisemitismus soll im Folgenden dargestellt werden. Zunächst ist festzustellen, dass die SPD nie eine explizite Strategie oder Kampagne zur Bekämpfung des Antisemitismus entwickelt oder beschlossen hat. Als Grundlage für die Verhaltensweise eines Großteils der Partei gegen antisemitische Aktionen dienten vor allem die Einschätzungen der Parteiführung, welche sich im Prinzip aus der Analyse Bebels in seiner Parteitagsrede ableiteten. Bereits in den 1880er Jahren hat sich die Sozialdemokratie mit dem (damals neuen) Phänomen des Antisemitismus auseinandergesetzt. Zu der Zeit – unter dem Sozialistengesetz in der Illegalität der Partei – reagierten die Genossen oft spontan, teilweise sogar tatkräftig und massiv (siehe Kapitel II.3.3). Das lässt sich vor allem mit dem Auftreten der antisemitischen Bewegung in den 1880er Jahren erklären. Diese war – zumindest politisch – dominiert von Stoeckers CSAP Deren erklärtes Ziel war es, auch unter der Arbeiterschaft um Stimmen zu werben, dafür hatte sie ein sozialreformerisches Programm entworfen und damit stellte sie eine unmittelbare Konkurrenz für sozialdemokratische Abgeordnete dar. Auch wenn sich Stoecker später von den Arbeitern abwandte und auch der Teil des Namens gestrichen wurde, so blieb die Bewegung doch eine Gefahr für die Sozialdemokratie. In ihrer Magisterarbeit schreibt Lauer dazu: ‘Der Instinkt zur Selbstverteidigung zwang die Partei, gezielte Abwehrmaßnahmen gegen Stoecker zu ergreifen.’ Daher erklären sich auch viele, oft spontane, Proteste aus der Zeit, die teilweise noch bis in die beginnenden 1890er Jahre reichen. Noch auf dem Parteitag 1890 in Halle hatte ein Delegierter aus Marburg (Hessen – dort war die antisemitische Agitation besonders stark) gefordert, dass sich die Parteiführung positioniert und die Partei sich deutlich stärker bezüglich der Agitation gegen den Antisemitismus der ländlichen Bevölkerung zuwendet. Der Antrag wurde allerdings zurückgestellt. Mit der zweiten ‘Welle’ des Antisemitismus seit Beginn der 1890er Jahre änderte sich allerdings das Verhalten der SPD. Sie wurde in ihrer Reaktion auf antisemitische Vorfälle zögernder, abwartender. Diese neue ‘Strategie’ hat ihre Ursache in der Analyse des Antisemitismus, welche von Bebel entscheidend formuliert wurde. Die unter Böckel und Ahlwardt entstandene antisemitische Bewegung war nicht nur stärker völkisch und rassistisch geprägt, sie schlug auch deutliche antikapitalistische Töne an. Sie wandte sich vor allem gegen ‘Junker’ und den Landadel, gab sich antiklerikal, antikonservativ, machte sich vor allem für die Kleinbauern stark (darum wird auch häufig von agrarischen Antisemitismus gesprochen) und musste sich die Verwendung ‘sozialdemokratische Agitationsmethoden’ vorwerfen lassen. Diese neue Variante des politischen Antisemitismus brachte die Konservativen ernsthaft in Bedrängnis. Ideologisch kam diese Form des Antisemitismus den Sozialdemokraten entgegen. Daher ist Bebels Resümee, dass die Kleinbürger und Kleinbauern den Irrweg der antisemitischen Bewegung erkennen und sich dann der SPD zuwenden würden (siehe oben ausführlich). Diese Auffassung wurde zentrale Parteilinie – mit seiner (wenn auch widerwilligen) revolutionären Wirkung sei der Antisemitismus nur ein Durchlauferhitzer zur Sozialdemokratie und in seiner Anhängerschaft wurde ein Reservoir für zukünftige sozialdemokratische Wähler entdeckt. Auch Bernstein sieht dies so, wenn er in seinem Artikel ‘Das Schlagwort und der Antisemitismus’ meint, der Antisemitismus sei ‘[...] das Zwischenglied, das sich zwischen den Sozialismus und die reaktionären Parteien schiebt – scheinbar als Damm gegen die Ersteren thatsächlich als Vorstufe für denselben.’ Und besonders deutlich wird diese Haltung bei Wilhelm Liebknecht, der seine Rede auf dem Parteitag 1893 mit den Worten beendete: ‘Ja, die Herren Antisemiten ackern und säen und wir Sozialdemokraten werden ernten, Ihre Erfolge sind uns also keineswegs unwillkommen. Daraus ergab sich eine abwartende Haltung und eine Passivität, welche die Parteispitze gegenüber dem Antisemitismus an den Tag legte – und diese Haltung drang weit in die Partei ein. Massing spricht gar von einer ‘Nichteinmischungspolitik’ und vermutet, dass die ‘[...] Hoffnung auf eine Proletarisierung der unteren Mittelschichten und auf einen baldigen Sieg des Sozialismus [...]’ die Entschuldigung und Entschädigung für die empfohlene Passivität war. Pulzer attestiert der Sozialdemokratie zwar einen guten Einblick in die Ursachen des Antisemitismus, bewertet deren Aussagen zur Zukunft aber als falsch. Er meint, dass in ‘[...] ihren dialektischen Einstellungen zum Antisemitismus sowohl die Stärken als auch die Schwächen der sozialdemokratischen Einschätzung dieser Erscheinung [...]’ lagen. Auch Haury sieht Schwächen und Fehler in der Analyse, er verweist darauf, dass mit der vorgelegten Analyse weder der Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Nationalismus noch seine Dynamik, Integrationskraft und Gefährlichkeit in den Blick genommen werden konnten. Diese Einschätzung Bebels wirkte sich entsprechend auf die praktische Arbeit der Sozialdemokratie bezüglich des Antisemitismus aus. Sie engagierte sich vor allem in theoretischen Debatten und organisierte eine breite Bildungsarbeit für Arbeiter und Genossen. Aber ein aktives Eintreten einzelner Sozialdemokraten oder der Gesamtpartei gegen den Antisemitismus ist laut Leuschen-Seppel nicht dokumentiert.

Über den Autor

Peer Jürgens (M.A.) wurde 1980 in Berlin geboren und studierte nach dem Abitur in Potsdam Jüdische Studien und Politikwissenschaften. Sowohl im Rahmen des Studiums als auch darüber hinaus beschäftigte er sich mit unterschiedlichen Formen des Antisemitismus. Dabei wirkte er z.B. am Moses-Mendelssohn-Zentrum und im Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin bei verschiedenen Projekten mit.

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