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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 04.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 124
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24.03.1933 wurde die Weimarer Reichsverfassung faktisch außer Kraft gesetzt. Das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich - so der offizielle Titel des Ermächtigungsgesetzes – bereitete scheinbar ganz legal die Willkür- und Terrorherrschaft des NS-Regimes vor, die im Holocaust kulminierte und erst mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 endete. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates um eine neue verfassungsrechtliche Grundlage für ein vorläufiges Nachkriegsdeutschland, das aus den drei westlichen Besatzungszonen bestehen sollte, dominierten deshalb die traumatischen Erfahrungen mit dem Ende der Weimarer Republik und ihren verfassungsrechtlichen Ursachen. Wesentliche Bestimmungen des Grundgesetzes sind nur vor diesem verfassungshistorischen Hintergrund zu verstehen. Das vorliegende Buch analysiert deshalb das Zustandekommen des Ermächtigungsgesetzes sowie die mit diesem Gesetzesvorhaben verbundenen, grundlegenden Schwächen der Weimarer Reichsverfassung und zeigt die weitreichenden Folgen des Gesetzes bis zum Ende des nationalsozialistischen Regimes auf. Sodann werden die Konsequenzen des Grundgesetzes zur Vermeidung eines neuerlichen Zusammenbruchs des Verfassungszustandes dargestellt und interpretiert.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.3, Die wertorientierte und wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes: Der demokratische Staat des Grundgesetzes sollte eine ‘kämpferische Demokratie’ werden und im Gegensatz zur Weimarer Republik über das nötige Rüstzeug verfügen, um sich gegen Angriffe auf seine Wertentscheidungen verteidigen zu können: ‘Gleichsam als Negativfolie hatte sich in den Köpfen der Mitglieder des Parlamentarischen Rates das Bild festgesetzt, dass die Weimarer Reichsverfassung den antidemokratischen Kräften ihrer Zeit wehrlos gegenüberstanden und deshalb hilflos hatte zusehen müssen, wie diese Kräfte ihre demokratischen Freiheiten nutzten, um schließlich den demokratischen Staat mittels seiner selbst zu vernichten’. Die Weimarer Reichsverfassung eröffnete zum Schutz der Verfassung lediglich zwei Wege: Das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten nach Art 48 Abs. 2 WRV und die einfache Gesetzgebung. Die begrenzte Handlungsfähigkeit des parlamentarischen Systems der Weimarer Republik zeigte sich bereits in den existenzbedrohlichen Situationen in den Anfangsjahren. So musste zunächst Reichspräsident Ebert nach der Ermordung von Außenminister Rathenau durch die rechtsradikale ‘Organisation Consul’ am 24. Juni 1922 mittels Notverordnungen die nötigen Maßnahmen zum Schutz der Republik treffen. Der Reichstag reagierte erst am 21. Juli mit einem Republikschutz. Gänzlich hilflos zeigte sich die Republik, als die Verfassungsfeinde ihre Taktik änderten: Die Weimarer Republik erwies sich als wehrlos gegenüber Hitlers Legalitätstaktik, die auf offenen Umsturz verzichtete und auf einen Marsch durch die Institutionen setzte. Die Folge war ein handlungsunfähiges Parlament, da die Verfassungsfeinde von links und rechts über eine Mehrheit im Reichstag verfügten. Gegen einen Feind, der sich auf die Verfassung beruft und seine verfassungsmäßigen Rechte einfordert, konnte die Weimarer Republik lediglich mit den unzureichenden Mitteln des Art. 48 Abs. 2 WRV vorgehen, vorausgesetzt der Amtsinhaber war zum Handeln bereit. Die Unzulänglichkeit des Republikschutzes offenbarte sich in ihrer ganzen Tragik nach der Auslieferung des Staates an die Verfassungsfeinde: Nach dem 30. Januar 1933 diente Art. 48 WRV nicht mehr zum Schutz der Staatsordnung, sondern vielmehr zur Festigung der nationalsozialistischen Diktatur. Die Weimarer Republik hatte ihren eigenen Feinden die Waffen geliefert, die sie benötigten, um sie zu zerstören. Ein zweites Mal wollte man nicht Opfer dieses ‘grandiosen Irrtums’ werden: ‘Nun erhebt sich eine Frage: Soll diese Gleichheit und Freiheit völlig uneingeschränkt und absolut sein, soll sie auch denen eingeräumt werden, deren Streben ausschließlich darauf ausgeht, nach der Ergreifung der Macht die Freiheit selbst auszurotten? Also: Soll man sich auch künftig so verhalten, wie man sich zur Zeit der Weimarer Republik zum Beispiel den Nationalsozialisten gegenüber verhalten hat? Auch diese Frage wird in diesem Hohen Hause beraten und entschieden werden müssen. Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass es nicht zum Begriff der Demokratie gehört, dass sie selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft’. Der Abgeordnete Josef Schwalber (CSU) argumentierte ähnlich, wenn auch deutlich pointierter: ‘Die Weimarer Verfassung war schon lange vor 1933 weithin als unzulänglich empfunden worden. Ich verweise nur auf die bereits im Jahre 1924 einsetzenden Reichsreformbestrebungen und auf die Länderkonferenzen mit dem Ziel einer grundlegenden Verfassungsänderung. Die unentwegten Anhänger der Weimarer Verfassung schmeichelten sich zwar mit der Behauptung, die beste und demokratischste Verfassung der Welt zu besitzen. Sie war so demokratisch, dass sie sogar den Feinden des Staates die gleichen, wenn nicht mehr Rechte einräumte als den Freunden der Verfassung. Sie war so freiheitlich, dass sie den Gegnern der Freiheit und der Demokratie die Plattform bot, um auf legalem Wege beide zu vernichten’. Die Lösung lag für ihn wie Schmid darin, Vorkehrungen in die Verfassung aufzunehmen, um neuerlichen Gefahren für die Demokratie wirksam begegnen zu können. Der Parlamentarische Rat übernahm deshalb die Forderung des Herrenchiemseer Verfassungskonvents, eine Änderung von Bestimmungen des Grundgesetzes, die den materialen Kern der Verfassung ausmachen, für unzulässig zu erklären. Art 79 Abs 3 GG verbietet deshalb, eine Änderung des Grundgesetzes, welche ‘die geltende Verfassungsordnung in ihrer Substanz, in ihren Grundlagen […] beseitigt’. An die Stelle der Unbegrenztheit des demokratischen Prozesses der Weimarer Reichsverfassung traten somit im Bonner Grundgesetz mit Art. 1 GG und Art. 20 GG Wertentscheidungen, die durch Art. 79 Abs. 3 GG der Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers ausdrücklich entzogen wurden und gegen den Zugriff von Gegnern aus der Gesellschaft von der Staatsgewalt verteidigt werden sollen : ‘Diese Bestimmung soll zum Ausdruck bringen, dass dieses Grundgesetz nicht die Hand bieten darf zu seiner eigenen Totalbeseitigung oder –vernichtung, insbesondere dazu, dass ggf. eine revolutionäre antidemokratische Bewegung mit demokratischen Mitteln auf scheinbar ‚legalem’ Wege die hier normierte demokratisch-rechtsstaatliche Grundordnung ins Gegenteil verkehrt’. Dem Parlamentarischen Rat war bewusst, dass durch die Inkorporierung von Bestimmungen, die der institutionellen Sicherung des Bestandes der Verfassung dienen, eine Umwälzung der Verfassungsordnung nicht verhindert werden kann, doch wollte er mit den in Art 79 GG enthaltenen Bestimmungen eine Barriere errichten, ‘nicht in dem Glauben, dass wir dadurch einer Revolution begegnen können, aber doch in dem Willen, einer Revolution die Maske der Legalität zu nehmen’ . Zumindest eine scheinlegale Umwälzung der Staatsordnung sollte jedoch ein zweites Mal unmöglich, die Verfassungswidrigkeit einer solchen Aushöhlung des Verfassungszustandes auch dem juristischen Laien unübersehbar sein: ‘Es ist schon ein Unterschied, ob jemand gezwungen ist, offen Revolution zu machen, oder ob man ihm die Möglichkeit gibt, unter dem Schutz der Scheinlegalität effektiv Revolution zu machen. Er wird in diesem Fall die Dummen im Volk eher hinter sich bekommen, als wenn er von vornherein klipp und klar sagen muss: Ich will eine Tyrannei errichten und die Demokratie abschaffen’. Neben diesen konstruktiven Sicherungselementen wurden zudem präventive bzw. repressive Mittel des Verfassungsschutzes, wie die Verwirkung von Grundrechten oder das Verbot politischer Parteien, vom Parlamentarischen Rat in das Grundgesetz aufgenommen, um verfassungsfeindlichen Bestrebungen bereits vor ihrer Eskalation wirksam begegnen zu können. Intensiv erörtert wurde im Parlamentarischen Rat auch die Frage, ob ein Widerstandrecht der Bevölkerung bei missbräuchlicher Ausübung von Staatsgewalt in das Grundgesetz aufgenommen werden solle teilweise wurde zumindest eine Widerstandspflicht des Beamtentums im Falle von Verfassungsstörungen von oben erwogen. So sah der von Ludwig Bergsträsser im Ausschuss für Grundsatzfragen vorgelegte Entwurf eines Katalogs der Grundrechte in Art. 28 ausdrücklich das Recht vor, ‘einzeln oder in Verbindung mit anderen der Unterdrückung und Tyrannei Widerstand zu leisten’. Bergsträsser und Hans Wunderlich begründeten die Notwendigkeit eines positivierten Widerstandsrechts mit der paradoxen Situation nach dem Kapp-Putsch im März 1920. Denn einerseits wurden damals jene, unter ihnen auch Wunderlich, welche die Republik gegen die Putschisten verteidigten wegen Landfriedensbruchs oder Aufruhrs strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen, andererseits wurden den Putschisten Papst und Erhard durch Gerichtsurteile staatliche Pensionen zuerkannt. Dergleichen staatsschädliche Urteile, so Bergsträsser, dürften mit dem Grundgesetz nicht mehr möglich sein. Der Parlamentarische Rat schloss sich jedoch der negativen Einschätzung des Herrenchiemseer Verfassungskonvents an, der von einem positiviertem Widerstandsrecht wegen dessen unabsehbarer Tragweite ausdrücklich abriet und lehnte ein Widerstandsrecht mit der Begründung ab, es könnte als Aufforderung zum Bürgerkrieg missverstanden werden: ‘Auf der anderen Seite muss man berücksichtigen, dass jeder Querulant dann dauernd vom Widerstandsrecht unter voller Berufung auf die Verfassung sprechen wird. Wenn wir auf der anderen Seite an den Mannesmut vor Königsthronen denken oder auch vor anderen behördlichen Organen, den wir in jüngster Vergangenheit erlebt haben, so wird wahrscheinlich im großen Durchschnitt aus diesem Widerstandsrecht doch nicht viel Vernünftiges herauswachsen, denn diese Krankheit hat sich nicht geändert’. Dem Staatsvolk erging es somit nicht besser als der Staatsgewalt: ‘Die Weimarer Erfahrungen schlugen sich in Bindungen des Gesetzgebers und Einschränkungen des Wählerwillens nieder, wie sie es wohl in keiner anderen demokratischen Verfassung gibt. Mehrheiten dadurch vor sich selber zu schützen, dass bestimmte unveräußerliche Werte und freiheitssichernde Institutionen ihrem Willen entzogen werden: diese Entscheidung des Verfassungsgebers setzte die Erfahrung voraus, dass Mehrheiten so fundamental irren können, wie die Deutschen sich geirrt hatten, als sie 1932 mehrheitlich für Parteien stimmten, die ihre Demokratiefeindlichkeit offen zur Schau trugen’.

Über den Autor

Der Politikwissenschaftler Stephan P. Rieker, M.A. studierte in München, Wien und Mainz Politikwissenschaft, Geschichte und Rechtswissenschaft. Zurzeit schreibt er seine Dissertation über die Geschichte der Notstandsgesetzgebung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Beruflich ist Rieker als Journalist und Dozent tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind neben der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die Staatsphilosophie und der internationale Terrorismus.

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