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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 01.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 100
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Auseinandersetzung mit einem der dramatischsten Schauplätze des Ersten Weltkriegs - der Völkermord an den Armeniern - gerät in vielerlei Hinsicht zu kurz. Nicht nur in der Türkei selbst, sondern auch in Deutschland besteht großer Bedarf an der Erforschung der historischen Umstände, die zum Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg führten. Der Deutsche Bundestag in seiner Gesamtheit ist bis heute nicht an einer umfassenden Aufarbeitung dieses Themas interessiert. Dieses Buch ist daher ein wichtiger Beitrag hin zu einer umfassenden Darstellung und Beurteilung der unrühmlichen Rolle , die das Deutsche Reich zur Armenischen Frage einnahm. Als Waffenbruder im Ersten Weltkrieg hatte die deutsche Führung wie kein anderer Staat die Möglichkeit, in das innenpolitische Geschehen des jungtürkischen Regimes einzugreifen. Mit der chronologischen Unterteilung in Vorkriegszeit, Erster Weltkrieg und Nachkriegszeit werden die verschiedenen deutschen Akteure und ihre Ansichten sichtbar. Dieses Buch versteht sich als ein erster Schritt hin zu aussagekräftigen Studien bzgl. der Rolle Deutschlands während, vor und nach dem Völkermord an den Armeniern.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Der Völkermord an den Armeniern 1915 bis 1917 und die Rolle des Deutschen Reiches: Durch die Unterscheidung zwischen Peripherie und Zentrum können die zentralen Positionen der Zivilbevölkerung (also christlicher Institutionen und von Personen aus Wirtschaft, Presse, und Wissenschaft), der politischen Vertretung im Osmanischen Reich sowie der politischen Führung in Berlin erarbeitet werden. Dabei stellt die politische Führung das Zentrum dar, da sich dort jegliche Informationen und Berichte sammelten und richtungsweisende Entscheidungen getroffen wurden. Der internationale Kontext wird - soweit relevant für die Fragestellung - innerhalb der einzelnen Unterkapitel berücksichtigt. Bei der Betrachtung der Rolle des Militärs kann die eben beschriebene Vorgehensweise nicht durchgeführt werden, da zwischen der militärischen Führung im osmanischen Gebiet und der Regierung in Berlin nur sehr spärlich Informationen und Handlungsanweisungen ausgetauscht wurden. 4.1, Historischer Abriss zum Hergang des Völkermordes: Die konkreten Hintergründe des Völkermordes an den Armeniern sind in den Balkankriegen, der damit verbundenen Gefährdung der Existenz der Türkei, einem sich radikalisierenden Nationalismus innerhalb der itthadistischen Bewegung sowie in der allgemeinen Kriegssituation zu verorten. Der Eintritt in den Ersten Weltkrieg verschärfte abermals den Hass gegen die armenischen Christen, denn sie galten der jungtürkischen Bewegung als fremdes Element im zu schaffenden türkischen Staat, dessen Kerngebiet in Ostanatolien liegen sollte. Das militärische Desaster des unter Enver Pascha geführten Kaukasus-Feldzugs im Winter 1914 sorgte dafür, dass den Armeniern ein genereller Aufstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen wurde. Im Rahmen dieser Schuldzuweisungen an die Armenier und der als Demütigung aufgefassten Kaukasus-Niederlage fiel die Entscheidung, alle Armenier ‚umzusiedeln‘, was im Ergebnis deren Vernichtung bedeutete. Bezeichnenderweise finden sich in den zur Verfügung stehenden Dokumenten und Quellen keine Befehle, keine Konferenzen oder Handlungen, die den Völkermord in Gang setzten. Präzise Daten zu dessen Beginn oder unzweifelhafte Initiativen zu seiner Ingangsetzung sind demnach auch schwer zu dokumentieren. Die Deportationen weisen insgesamt ein durchgängiges Muster auf, was auf einen zentral gesteuerten Plan schließen lässt. Zunächst wurde die armenische - zumeist männliche - Bevölkerung entwaffnet und in einem zweiten Schritt führende Persönlichkeiten wie Geistliche, Geschäftsleute und Ärzte festgenommen, inhaftiert, wochenlang gefoltert und deportiert oder getötet. Für die Deportationen wurden die Gefangenen aneinandergefesselt und unter Bewachung von Gendarmen und eigens zu diesem Zweck gebildeten ‚Spezialorganisationen’ ins Exil getrieben. Sehr häufig wurden sie nach kurzer Strecke außerhalb der Stadt erschlagen oder erschossen, auch fanden Massenexekutionen statt. Die kurdische Bevölkerung wurde dazu aufgerufen, die Wertsachen der Armenier in Besitz zu nehmen und beim Vorgehen gegen die armenische Bevölkerung ‚Hilfe’ zu leisten. Zunächst wurde die männliche Bevölkerung aus den Siedlungsgebieten deportiert, in einer späteren Phase dann Frauen, Kinder und Alte. Der Transport erfolgte entweder über Eisenbahntrecks oder zu Fuß, wobei nach Augenzeugenberichten etwa 15 % den Weg über den Euphrat überlebten. In der Wüste Mesopotamiens waren keinerlei Vorsorgemaßnahmen für die deportierten Armenier getroffen worden, was nur den Schluss zulässt, dass die Behörden kein Interesse am Leben oder Überleben der Armenier hatten. Versuche und Initiativen zu Hilfestellung von Missionaren wurden gänzlich von der türkischen Führung abgelehnt. Für die Hauptzeit des Völkermordes werden in den meisten hier vorliegenden Sekundärquellen die Jahre 1915 bis 1917 angegeben. Für die Fragestellung dieses Buchs eignet sich diese Einteilung ebenfalls, da sich die hier benutzten Quellen mit einigen Ausnahmen auf die Jahre 1915 bis 1917 konzentrieren. In diesen beiden Jahren erfolgte auch die meiste Korrespondenz zwischen den deutschen Behörden in Berlin und Konstantinopel und die wichtigsten Entscheidungen, die die Rolle des Deutschen Reiches bezüglich der ‚armenischen Tragödie‘ spielten, wurden in dieser Zeit getroffen. 4.2, Die Rolle des Militärs: Die Frage nach der Rolle des Militärs während des Genozids an den Armeniern im Ersten Weltkrieg wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Die Standpunkte reichen dabei von Nachweisen über einzelne Mittäter bis hin zu dem Vorwurf, die deutschen Militärs hätten den Genozid initiiert und der jungtürkischen Regierung angeraten. Allgemein ist die Quellenlage zur Rolle des deutschen Militärs nicht eindeutig und beruht in vielen Fällen auf Spekulationen, da entsprechende Hinweise bezüglich einer direkten Anordnung von Deportationsbefehlen von ‚ganz oben’ schlichtweg nicht vom Quellenmaterial gedeckt werden. Dennoch soll hier mit einigen der vorhandenen Quellen versucht werden, einen Eindruck über die Rolle des Militärs zu vermitteln. Personen, die im unmittelbaren Umfeld der jungtürkischen Führung standen wie Militärattaché Hans Humann oder Generalmajor Fritz Bronsart von Schellendorf werden in diesem Teil der Untersuchung nicht berücksichtigt, da aufgrund der fehlenden Quellenbasis an dieser Stelle keine eindeutige Bestimmung der Rolle dieser beiden ranghohen Militärs möglich ist. Insgesamt stießen bis zum Kriegsende ca. 800 Offiziere sowie 12.000 Soldaten zur türkischen Armee. Deren Haupteinsatzgebiet befand sich in den Dardanellen, an der Palästinafront und in Mesopotamien. Damit waren deutsche Militärs genau in den Gebieten stationiert, in die die Armenier deportiert wurden und kamen sehr viel mehr mit dem Völkermord in Berührung als etwa Konsuln, denen Reisen in die für die Armenier vorgesehenen Zielorte verwehrt wurden. Trotzdem versuchte die türkische Regierung, die Deportationstrecks vor den deutschen Militärs zu verstecken. In einem Bericht des Oberlehrers Dr. Niepage beschreibt er die Reise des General-Feldmarschalls von der Goltz nach Bagdad, während dieser er an einem Lager von deportierten Armeniern vorbeikam: ‘Als der General-Feldmarschall von der Goltz nach Bagdad reiste und bei Djerablus den Euphrat passieren musste, war dort ein grosses [sic!] Lager von halbverhungerten deportierten Armeniern. Kurz vor der Ankunft des Feldmarschalls trieb man die Unglücklichen, so erfuhr ich in Djerablus, samt Kranken und Sterbenden mit Peitschenhieben ein paar Kilometer über den nächsten Hügel. Als von der Goltz durchkam, war von dem widrigen Anblick nichts mehr zu sehen. Als wir bald darauf mit ein paar Kollegen den Platz besuchten, fanden wir noch Männer- und Kinderleichen, Kleiderreste und Schädel und Knochen, von denen Schakale und Raubvögel das Fleisch erst teilweise abgefressen hatten‘. Dennoch wüssten laut Niepage die deutschen Offiziere mehr als sie zugeben wollten, da sie ‘fatales Stillschweigen oder krampfhaftes Bemühen’ zeigten ‘das Thema zu wechseln […], wenn ein lebhaft fühlender Deutscher mit selbständigem Urteil auf das fürchterliche Elend der Armenier zu sprechen kam.’ Somit war auch Außenstehenden klar, dass die deutschen Offiziere in der Türkei wohl viel mehr wussten als es den Anschein hatte. Ein Bericht über den General-Feldmarschall von der Goltz, der in einem Fall den Befehl erteilt hatte, ‘Truppen zur Unterdrückung des Aufstandes nach Midiat zu entsenden,’ da die unter türkischer Führung stehenden Truppen zu weit vom Aufstandsgebiet entfernt seien, zeigt dessen direkte Beteiligung an der Verfolgung und Ermordung von Armeniern. Tatsächlich hatte er, laut Militärattaché Lossow Order gegeben, ‘die Ordnung wiederherzustellen’, um im selben Atemzug aber darum zu bitten, ‘eine Abschrift der an die Konsuln ergangenen Instruktion’ zu erhalten, um zu wissen, ‘wie überhaupt der Standpunkt des deutschen Auswärtigen Amtes und der Botschaft zu dieser Frage ist.’ Von der Goltz gab also an, keinerlei Kenntnisse über die offizielle Haltung der deutschen Politik zu besitzen und handelte deshalb zunächst im Rahmen der Befehle der türkischen Armee. Ob und inwieweit von der Goltz von der Ausrottungspolitik wusste, bleibt aufgrund fehlender Quellenbelege spekulativ. Der Chef des Verkehrswesens der Eisenbahnabteilung, Oberstleutnant Böttrich, unterzeichnete im Oktober 1915 einen Deportationsbefehl, der armenische Angestellte der Bagdadbahn betraf. Darin hieß es, dass er den Entschluss der türkischen Regierung zur Deportation unterstütze, in der Frage der Umsetzung für die Eisenbahngesellschaft jedoch gesonderte Regelungen getroffen werden müssten, um die Arbeit an der Bagdadbahn nicht allzu sehr zu behindern. Daher sei es unerlässlich, ‘die [die Armenier zu ersetzenden] Männer - natürlich muslimischer Religion oder anderer Völker, in die Vertrauen gesetzt werden kann - zu benennen und die Sache immer im Griff zu haben.’ Mit diesem Befehl hatte sich ein hoher Militär direkt an der Vernichtung der Armenier beteiligt. Dieses Dokument sollte später wichtig für die türkische Politik bei den Schuldzuweisungen an die Deutschen sein. Dies wurde bereits wenige Tage später in einer Nachricht an den Verwaltungsrat der Anatolischen Eisenbahn-Gesellschaft Berlin deutlich ausgesprochen: ‘Denn auch für die Türken ist die Tatsache kostbar, daß dieses Dokument, von dem noch viel die Rede sein wird, eine deutsche und nicht eine türkische Unterschrift trägt.’ Der Wert dieses Dokumentes mit der Unterschrift eines ranghohen deutschen Militärs war angesichts des Fehlens von Dokumenten, die direkte Befehle von türkischer Seite beweisen konnten und könnten, umso bedeutender sowohl für die Deutschen, als auch für die türkische Regierung. Eine dritte und letzte eindeutig belegte Involvierung des Militärs in den Völkermord an den Armeniern besteht in der Person Otto Liman von Sanders, der General und Leiter der Militärmission in der Türkei war. Von Sanders verhinderte die Deportation der Armenier aus der Stadt Smyrna Ende 1916, dem heutigen Izmir. Nachdem von Sanders von den Übergriffen in Smyrna erfuhr und diese laut seiner eigenen Stellungnahme ‘in das militärische Gebiet hinübergreifen […], so hatte ich den Vali benachrichtigt, daß ohne meine Genehmigung derartige Massen-Verhaftungen und -Deportationen nicht mehr stattfinden dürften. Ich verständigte den Vali, daß ich sie im Wiederholungsfalle mit Waffengewalt verhindern lassen würde. Daraufhin hat der Vali nachgegeben und mir gesagt, daß sie unterbleiben würden‘. Der eben dargestellte Fall des Einschreitens des höchsten deutschen Militär zeigt zwei Dinge: zum einen, dass durchaus Handlungsoptionen und -alternativen für das deutsche Militär existierten, die Massendeportationen und Massenmorde verhindern konnten. Gleichzeitig zeigt dieser Fall, dass der militärischen Führung des Deutschen Reiches nicht die Initiierung für den Völkermord zugewiesen werden kann, da das Einschreiten direkt vom Leiter der deutschen Militärmission in der Türkei erfolgte.

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