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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 126
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Zdenek Kalista (1900-1982) gehört zu den bedeutendsten tschechischen Historikern des 20. Jahrhunderts. Er war der Schüler von Josef Pekar (1870-1937), der großen Gestalt der tschechischen Historiographie, der auch im deutschsprachigen Raum bekannt ist. In seinem Werk konzentrierte er sich einerseits auf die Barockzeit, an die er sich bemühte, in geistesgeschichtlicher Weise heranzugehen. Andererseits verfasste er zwei Studien, die er explizit dem Versuch widmete, die Teildisziplin der Geistesgeschichte (auf Tschechisch duchové dejiny) methodologisch zu untermauern. An diesen Texten arbeitete er bereits seit dem Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die erste Übersetzung einer von diesen Studien mit dem Titel Dejiny duchové wird in die deutsche Sprache als Anhang in dieser Arbeit veröffentlicht. Das Thema dieser Monographie ist vor allem, die grundlegenden Züge der Methodologie der Geschichtswissenschaft bei Zdenek Kalista zu untersuchen, wie er sie vor allem für sein Konzept der Geistesgeschichte entworfen hat, die er als spezifischen Wissenschaftszweig im Rahmen der Geisteswissenschaften gründen wollte. Die Geistesgeschichte ist jedoch nichts, was Kalista auf der grünen Wiese gegründet hätte, sondern vor ihm wurde ab dem Ende des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten in Deutschland eine gleichnamige Richtung betrieben. Kalista selbst reflektierte seinen deutschen Vorgänger. Er wies allerdings darauf hin, dass seine Geistesgeschichte etwas anderes sein soll, als es die deutsche Geistesgeschichte sein wollte, als sie sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts im deutschen Raum konstituierte. Kalista warf der deutschen Geistesgeschichte vor, dass sie keine ausreichend ausgearbeitete Methode habe und dass ihr auch ein klarer Gegenstand fehle. Dass sie daher ihrem Anspruch, sich als selbst- und eigenständige Wissenschaft zu legitimieren, nicht genügen konnte. Kalista wollte diesen Mangel in seinem eigenen Konzept der dejiny duchové korrigieren und so die Gründung der Geistesgeschichte als selbständige Wissenschaft ermöglichen. Auch Kalistas Ausarbeitung der Methode der dejiny duchové bleibt nur umrisshaft. Dennoch stellt sein Versuch zur Gründung einer Methodologie der dejiny duchové einen bestimmten Beitrag dar, und zwar auch für die eigentliche deutsche Geistesgeschichte. Obgleich nämlich Kalista seinen Abstand von der traditionellen deutschen Geistesgeschichte deklarierte und annahm, die neue Richtung der dejiny duchové zu gründen, fällt sein Versuch jedoch in die Linie der bereits früher betriebenen deutschen Geistesgeschichte.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel e, Der Begriff der ‘Zeit’ bei Kalista und Pekar: Der Begriff der ‘Zeit’ auf der Ebene theoretischer Arbeiten: Wie wir gesehen haben, verglich Kalista seinen Begriff der ‘Zeitstruktur’ (‘struktura doby’) an mehreren Stellen mit Pekars ‘Zeitgeist’ (‘duch doby’). Der bedeutende tschechische Methodologe und Theoretiker der Geschichtswissenschaft Jan Horský versuchte im Almanach mit dem Titel ‘Kulturní a sociální skutecnost v dejezpytném myšlení’, das er redigierte und zu dem er gleichzeitig den Hauptteil beitrug, einen Vergleich des Begriffs ‘Zeitgeist’ bei Kalista und Pekar. Jan Horský geht in seinem Vergleich des Begriffs ‘Zeit’ oder ‘Zeitgeist’ bei Pekar und Kalista von der Frage aus: ‘Bis zu welchem Maße ist das Individuum und das (individuelle) Bewusstsein dem ‘Zeitgeist’, der ‘Zeit’ untergeordnet?’ Horský vertritt die These, dass es Kalista um das zeitliche Bewusstsein und keineswegs um den der Zeit selbst unbewussten Geist geht, während Pekars geistige Tendenz der Zeit selbst unbewusst ist. Horský interpretiert unmittelbar darauf Kalistas Konzept des ‘Wiederdurchlebens’, bei dem Kalista zweierlei – man könnte sagen – Arten des Durchlebens in Betracht zieht. Einerseits handelt es sich um das Durchleben auf einer zeitlichen Ebene, wo sich das erkennende Subjekt den individuellen Bedingungen anpassen muss, unter denen seine Quelle ihre Vorstellungen erlebte. Hier handelt es sich vor allem um das Verständnis eines konkreten Individuums durch ein anderes Individuum. Zum zweiten handelt es sich um das Durchleben auf zwei zeitlichen Ebenen, wo das erkennende Subjekt die allgemeinen Bedingungen der Zeit erkennen und sich ihnen beim ‘Wiederdurchleben’ anpassen muss. Nach Ansicht von Horský ‘setzt Kalista also als ursprüngliches und bedeutenderes Problem das Verständnis einer Zeit für die andere Zeit ein, erst als sekundär und untergeordneter sieht er das Problem des individuellen Verständnisses des einen Individuums durch ein anderes an.’ Daraus leitet Horský dann ab: ‘Selbst wenn Kalista über den Bedarf spricht, sich durch Forschung die Vorstellungen zugänglich zu machen, die der Inhalt des Bewusstseins der vergangenen Zeit waren, weist er jedoch in diesem Punkt, durch den Nachdruck, der auf die Versetzung des Historikers in die allgemeinen Stimmungen der studierten Zeit gelegt wird, einen beträchtlichen Einfluss – sagen wir – der Gollschen Denkart über den Charakter der ‘Zeit’ auf, der vor allem durch Pekar dargestellt wird.’ Kalista führt als eines der von ihm postulieren historischen Gesetze auf, dass ein ‘bestimmtes Werk, das in einer bestimmten Zeit geschaffen wurde, als Produkt des schöpferischen Wirkens des Einzelnen und des schöpferischen Wirkens dieser Zeit entsteht’. Horský schreibt dazu, dass ‘selbst wenn Kalista gleichzeitig sagt, dass ‘das ein Gedanke ist, zu dem sich auch Josef Pekar bekannte’, schließe ich doch,… dass Kalista – wenigstens auf der Ebene der theoretischen und methodischen Betrachtung – dem ‘Zeitgeist’ keine solche Dominanz zuerkennt wie Pekar.’ Daraus leitet Horský dann ab, dass Kalista in seinen theoretischen Arbeiten den Versuch unternimmt, die Bemühung Golls und Pekars, den ‘Zeitgeist’ zu finden, mit der Ansicht anderer Schulen, die das bewusste, individuelle Handeln des betreffenden Individuums bevorzugen, zu versöhnen. ii) Der Begriff der ‘Zeit’ auf der Ebene konkreter historischer Arbeiten: Ich nehme an, dass man Horskýs Standpunkt zustimmen kann, dass Kalista ‘auf der Ebene der theoretischen und methodischen Betrachtung dem ‘Zeitgeist’ keine solche Dominanz zuerkennt wie Pekar’. Meiner Ansicht nach muss jedoch betont werden, dass dies nur auf der Ebene der ‘theoretischen und methodischen Betrachtung’ gilt. Auf der Ebene von Kalistas nichttheoretischen Arbeiten erweist sich die Behauptung über den Maß des Einflusses des ‘Zeitgeistes’ auf das Handeln des Einzelnen bereits als schwieriger – und zwar sowohl bei Zdenek Kalista als auch bei Josef Pekar. Es handelt sich um ein Problem, das bei allen weiteren Themen zu beobachten ist, die von der historischen Methodologie Kalistas, aber auch der meisten übrigen Forscher berührt werden. Die Schwierigkeit beruht darin, dass es heikel ist, die methodologischen Prinzipien aus den theoretischen und methodologischen Arbeiten auf die nichtmethodologische, nichttheoretische Arbeit, also auf die ‘eigentliche’ historische Forschung anzuwenden. Auch wenn wir in Pekars theoretischen Erwägungen häufig eine größere Dominanz des Zeitgeistes über dem Handeln des Einzelnen beobachten können, als es bei Kalista der Fall ist, gehe ich davon aus, dass der genannte Vergleich auf der Ebene der ‘eigentlichen’ historischen Arbeiten bereits problematischer ist. Kein Historiker, weder Kalista noch Pekar, ist – zumindest in bestimmten Passagen seines Werks – vor einer Art der Schilderung gefeit, die ein handelndes Individuum mit seiner eigenen Aktivität voraussetzt. Ein solches Vorgehen wird immer in einer bestimmten Spannung zur theoretischen Voraussetzung stehen, dass der überindividuelle Zeitgeist über dem Handeln des Einzelnen dominieren sollte. Wenn wir die theoretischen Prämissen von Kalista und Pekar über das Maß des Übergewichts des überindividuellen Zeitgeistes in den konkreten historischen Arbeiten der genannten Autoren würden beweisen wollen, ließe sich der Fakt nicht so einfach betätigen, dass Pekar dem überindividuellen Zeitgeist einen größeren Einfluss auf das Individuum zugestanden hätte als Kalista. Dieser legte zwar in seinen theoretisch-methodologischen Studien eines seiner historischen Gesetze vor, welches das resultierende Werk aus der Verbindung der ‘Aktion des Einzelnen’ und der ‘Potenz der Zeit’ interpretiert, also aus dem Zusammenwirken zwischen Aspekten der eigenen Tätigkeit des Individuums und dem Einfluss, den die Zeit auf den Einzelnen ausübt, das Maß allerdings, in welchem die Zeit ihr Wirken auf den Einzelnen projiziert, kann nicht unterschätzt werden, wie es an den übrigen historischen Werken Kalistas gut zu beobachten ist. Ein sehr anschauliches Beispiel ist Kalistas Vorgehen im Buch ‘Blahoslavená Zdislava z Lemberka’. Kalistas Ziel in diesem Buch ist es, Zdislava tiefer in den zeitgenössischen Zusammenhängen zu verankern und sie aus ihnen heraus zu interpretieren. Kalista findet, genau gemäß seiner methodologischen Haltung, für das 13. Jahrhundert in Böhmen die grundlegende geistige Tendenz dieser Zeit – und zwar im Begriff des ‘christlichen Realismus’. Zdislava wird dann von Kalista in den Rahmen des christlichen Realismus als der grundlegenden geistigen Tendenz der Zeit, in der Zdislava lebte, eingesetzt. Er beschreibt Zdislava als Repräsentantin dieser geistigen Tendenz, also als eine Art Exponent des Zeitgeistes. Im ganzen Buch überwiegt deutlich das Vorgehen der Interpretation, die von der Zeit, von der grundlegenden geistigen Tendenz der Zeit oder allgemeinen Phänomenen überhaupt ausgeht, aus denen Kalista den die Charakterformung von Zdislavas Persönlichkeit ableitet. Und dementsprechend verfolgt Kalista dann in seiner Gebenedeiten Zdislava nur minimal die Linie, die von Zdislava als aktiv handelndem Individuum ausgeht, das sich an der Bewegung der Geschichte beteiligt und selbst seine Tätigkeit bestimmt. Möglicherweise könnte der Einwand vorgebracht werden, dass Kalista zu einem solchen Vorgehen gezwungen war, weil es äußerst wenig Quellendokumente über die Person der Zdislava gibt. Auf einen solchen Einwand gibt es jedoch eine einfache Antwort – Kalista wählte das Thema der Zdislava aus eigenem Willen und offenbar auch gezielt. Und zwar gerade aus dem Grund, weil er daran das Vorgehen seiner ‘Geistesgeschichte’ gut anwenden konnte, für das es nicht notwendig war, ausreichend schriftliches Material zur Tätigkeit des betreffenden Individuums zur Verfügung zu haben. Kalista musste zu Beginn seiner Entscheidung, ein Buch über die gebenedeite Zdislava von Lämberg zu schreiben, gut wissen, wie viel Quellenmaterial ihm zur Verfügung stehen wird und welcher Raum sich ihm dadurch für seine historische Arbeit eröffnet.

Über den Autor

Mikuláš Ctvrtník, Studium der Geschichte und Philosophie an der Karlsuniversität in Prag in der Tschechischen Republik. Während seines Studiums spezialisierte er sich auf die Methodologie und Theorie der Geschichtswissenschaft vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts mit besonderem Fokus auf die Zusammenhänge zwischen der europäischen und tschechischen Geschichtswissenschaft. Erfolgreicher Abschluss 2008. Thema seiner Magisterarbeit lautete: Der tschechische Historiker Zdenek Kalista und die Tradition der deutschen Geistesgeschichte. Die darauf basierte Monographie wurde im Rahmen eines Stipendienaufenthaltes (KAAD - Katholischer Akademischer Ausländer-Dienst) in Leipzig in 2007-2008 fertig gestellt. Seit 2008 verfolgt er an der Karlsuniversität in Prag sein Dissertationsprojekt zum Thema der Geistesgeschichte und der verwandten Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft (Ideengeschichte, intellectual history, Begriffsgeschichte, Kulturgeschichte, Mentalitätengeschichte). Seit 2010 lehrt er an der Technischen Universität in Liberec in der Tschechischen Republik Geschichte der Geschichtswissenschaft.

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