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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Abb.: 23
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Jüdische Ärzte stellten neben dem Beruf des Geldverleihers den begehrtesten Beruf unter Juden des Hoch- und Spätmittelalters dar. Ihre Ausbildung und Erfahrungen waren einzigartig. Aufgrund ihres Wissens und ihrer Praxis war der jüdische Arzt bei Volk und Adel sehr gefragt, obwohl sie wie alle Juden in Europa stets Opfer von Ausbeutung, Isolation und Gewalt wurden. Dieses Buch strebt eine knappe Darstellung der mittelalterlichen Entwicklung im Bereich des Medizinwesens mit besonderer Fokussierung auf die jüdische Geschichte dar und beschäftigt sich mit dem Werdegang von jüdischen Ärzten, den Einfluss jener auf das Medizinwesen Europas und ihre Handlungsmöglichkeiten in der mittelalterlichen Gesellschaft. Im ersten Teil der mit Bildern illustrierten Studie finden sich aktuelle Thesen und Meinungen von Historikern und Forschern, die sich u.a. mit der Ausbildung, Praxis und Rezeption von jüdischen Heilkundigen im mittelalterlichen Kontext beschäftigen. Im zweiten Teil werden die Erkenntnisse in die Landesgeschichte Spaniens, Italiens und des Heiligen Römischen Reiches des ausgehenden Mittelalters geflochten, wo Quellenbelege versuchen, die Überlegungen entsprechend zu stützen oder zu widerlegen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.1, Jüdische Ärzte – Beruf aus Tradition? Diesem offensichtlichen Mangel von Ausbildungsmöglichkeiten für Juden und des damit verbundenen Praktizierens stehen evidente Fakten der Forschung gegenüber, die suggerieren, dass bereits im Mittelalter selbst eine feste Begriffskonnotation zwischen Judentum und Heilkunde entstand. Ab dem 13. Jahrhundert, im Zuge der Loslösung der Medizin von der Kirche, war der Arztberuf einer der renommiertesten Tätigkeiten unter Juden geworden und brachte Rabbis großes Prestige ein. Man kann es daher nur begrüßen, dass der Historiker Michael Toch in einem knappen Beitrag das allgegenwärtige Vorurteil beiseite räumt, Juden wären neben dem Geldverleih keiner nennenswerten Beschäftigung im Mittelalter nachgegangen und hätten zudem immer ein beachtliche Finanzkraft besessen. Diese Annahmen sind schlicht und ergreifend falsch, obschon Toch bezüglich der Tätigkeitsfelder eingesteht, dass Geldhandel durchaus der verbreitetste und vielleicht wichtigste Beruf für Juden im Mittelalter darstellte. Dennoch darf die Stellung des Medizinwesens innerhalb jüdischer Berufsgruppen auf gar keinen Fall unterschätzt werden: ‘From about 1250, medicine came to occupy a central place in the array of professions engaged in by medieval Jewry.’ Wo die Juden in im 13. Jahrhundert lediglich nur 1 % der Gesamtbevölkerung Europas ausmachten, so stellten sie doch in manchen Regionen Spaniens etwa 50 % aller Heilkundigen. Nun drängte sich vermutlich schon damals sehr schnell der Verdacht auf, der Arztberuf würde tief in der jüdischen Kultur wurzeln und wäre seit Jahrhunderten ein fester Bestandteil der jüdischen Geschichte gewesen. So auch der Zeitgenosse und Universitätsrektor von Leipzig, Petrus Mosellanus, welcher uns 1518 n. Chr. folgendes berichtet: ‘An non ut omnes alia et haec ars primum omnium a Iudaeis est percepta et hinc Iudaico sermone conscripta? Latet adeo in Hebraeorum bibliothecis rei medicae thesaurus ingens, ut nullius alterius linguae libris aequari posse videatur. Eum citra Hebraicae grammaticae cognitionem in lucem eruere poterit nemo‘. Petrus Mosellanus behauptet hier im Zusammenhang der Medizin-Kunst, dass eben jene Kunst zu aller erst von Juden sowohl erlernt als auch niedergeschrieben worden sei (haec ars […]a Iudaeis est percepta et […] conscripta). Es befände sich somit ein wahrer Schatz an Wissen in hebräischen Bibliotheken, dessen Umfang und Bedeutung sich nicht mit Büchern anderer Sprachen übertreffen ließe (nullius alterius linguae libris aequari posse videatur). Daher ließe sich der Schatz ohne Hebräisch-Kenntnisse von niemandem ergründen. Dem Auszug folgen schließlich noch Hinweise auf einflussreiche jüdische Ärzte, welche u.a. im Dienste des römisch-deutschen Kaisers und des Papstes standen. Ungeachtet dessen ging Mosellanus jedoch fest davon aus, dass es bereits zu den Anfängen der jüdischen Kultur einen beachtlichen Wissensschatz und eine große Menge an medizinisches Schriftmaterial gegeben haben müsse. In seinem Schriftzug fordert er Gelehrte regelrecht auf, Hebräisch zu lernen, um sich des ungeheuren Wissens bemächtigen zu können. Hebräisch mag durchaus eine wichtige Rolle gespielt haben was den Wissenstransfer von Orient nach Okzident betrifft, denn tatsächlich löst es im 12. Jahrhundert Arabisch als Wissenschaftssprache ab. Aber war die Medizin wirklich seit der Genese des Judentums ein fest verankerter Part der hebräischen Sprache und Kultur? Lassen sich im frühesten jüdischen Schriftzeugnis, dem Talmud, bereits Belege für eine Verknüpfung von Medizin und Judentum finden? 3.1.1, Spurensuche: Wie bereits im Zusammenhang des Christus-Medicus-Motivs erwähnt, wäre unter christlichem Aspekt der Gedanke durchaus plausibel, die Anfänge des Medizinwesens in der Bibel zu sehen. So heißt es schließlich in 2. Buch Mose: ‘Ich der Herr bin euer Arzt!’ Im Talmud hingegen lesen wir: ‘Der beste Arzt ist für die Hölle bestimmt.’ Dieser schon fast zynisch anmutende Kommentar lässt zunächst nicht vermuten, dass jüdische Glaubensgrundsätze mit der Medizin harmonieren. Bezüglich des Selbstverständnisses jüdischer Ärzte hat Allan Berger allerdings Überlegungen angestellt, die einen Eindruck vermitteln, Arzt im Auftrag Gottes zu sein: Demzufolge stellt der menschliche Körper den Tempel der Seele dar und gewinnt dadurch sakrale Bedeutung. Aufgrund dessen wird der Aufgabe, jenen Seelentempel instand zu halten, durchaus eine gewisse Importanz zugesprochen, sodass die Tätigkeit des Arztes eine wertvolle Dienstleistung darstellt, die es angemessen zu belohnen gilt. Dies hat zur Folge, dass Arzt und Priester oft als gleiches Individuum angesehen wurden, da letztendlich nicht der Arzt, sondern Gott durch die Hände des Arztes den Kranken heilt. Hier lassen sich eindeutig Parallelen zu den christlichen Heils-Motiven herstellen und auch erklären, weshalb der Beruf des Arztes für Rabbis oftmals so großes Prestige mit sich brachte. Ärztliches Handeln bedeutet also letzten Endes nichts anderes als das Imitieren Gottes, sein Heilungswerkzeug zu sein. In Bezug auf das vorangestellte Zitat würde es folglich anmaßende Häresie bedeuten, sollte sich ein Arzt qualifizierter und kompetenter betrachten als der höchste aller Ärzte, Gott selbst. Trotz dieser Hinweise und der Tatsache, dass sich im Talmud durchaus Anleitung bzw. Ratschläge bezüglich Hygiene und menschlicher Anatomie finden lassen, sieht John Efron keinen Grund, deswegen von einer spezifisch jüdischen Medizin sprechen zu können. Insofern erscheinen Petrus Mosellanus Annahmen irrig, denn es gibt keine Anzeichen von jüdischen Medizinbüchern während der Talmud-Ära. Offensichtlich warnte sogar der berühmte Talmudist Jakob ben Moses Möllin im 14./15. Jahrhundert ausdrücklich davor, man solle keine medizinischen Lehren aus dem Talmud ziehen. Jankrift verweist zwar auf eine Talmud-Stelle, welche empfiehlt, sich nicht in einer Stadt ohne Arzt niederzulassen, kommt jedoch auch zu einem Umkehrschluss: Auch wenn der Talmud Informationen zu Heilmittel und Behandlungsmöglichkeiten preisgibt, so erweist sich der Talmud als Quelle zu unsicher. Auch der Gaon von Babylon, die religiöse Autorität der mittelalterlichen Juden, machte bereits im 10. Jahrhundert deutlich, dass die Lehren der Talmudliteratur nicht als Maxime der Medizinwissenschaft zu werten sind. Trotz allem war z.B. im Reichsgebiet der Autoritäts- und Einflusszuwachses eines jüdischen Arztes noch größer, wenn er neben seiner Ärztetätigkeit auch noch das Amt des Gemeindevorstehers oder Rabbiners besetzte. Die neuere Forschung kommt also zu dem Schluss, dass es a) keine Hinweise auf jüdische Traditionen im Bereich Medizin belegt sind und es b) keinerlei jüdische Medizinfachliteratur – weder auf Hebräisch, Griechisch oder Arabisch, usw. – gab. Dies wirft natürlich die Frage auf, woher jüdische Ärzte ihr Wissen bezogen bzw. wie sie ihr medizinisches Wissen tradierten. Schließlich wird Mosellanus nicht ohne Grund die üppige Bandbreite an hebräischer Literatur erwähnt haben.

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