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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Abb.: 18
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Beginn der ‘ersten Urkatastrophe’ des 20. Jh., die weite Teile der Erde traf und viele Landstriche völlig verwüstet hinterließ, jährt sich dieser Tage zum 100. Mal - eine Gelegenheit, Revue passieren zu lassen und sich noch einmal mit dem Ersten Weltkrieg auseinanderzusetzen. Obwohl die Welle an öffentlichen Gedenkfeiern und wissenschaftlichen Publikationen zum Ersten Weltkrieg noch längst nicht abgeklungen ist, bleiben viele Facetten und Bereiche dieses Konflikts weiterhin gänzlich unbeachtet oder stehen zumindest im Schatten bestimmter Ereignisse und Meistererzählungen. Ein solcher blinder Fleck in der öffentlichen Wahrnehmung des Krieges stellt hierzulande das Schicksal der etwa 2 Millionen Kolonialsoldaten, die auf der Seite der Entente kämpften, dar. Abgesehen von deren konkretem Beitrag am Krieg liegt die besondere Brisanz des Themas in der Frage, inwiefern der Einsatz solcher Truppen von ‘zivilisierten’ Völkern gegen ihresgleichen rechtmäßig und legitim sei. Diese auf den ersten Blick rechtliche und politische Frage ermöglicht einen tiefen Einblick in die europäischen Gesellschaften während des ‘Fin de Siècle’ (1880-1914).

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.3.1, Rheinlandbesatzung durch Frankreich - Ursache, Verlauf, Auswirkungen: Im Versailler Vertrag wurde Frankreich das Recht zugesprochen, für einen Zeitraum von fünfzehn Jahren die linksrheinischen Gebieten Deutschlands zu besetzen sowie einige Brückenköpfe auf der rechten Seite des Rheins zu etablieren. Diese besetzten Gebiete dienten den Franzosen als Pfand, um Druck hinsichtlich der weiteren Vertragsbestimmungen auf die Deutschen ausüben zu können. Bestimmend bei der Rheinland- und Ruhrbesetzung waren sowohl wirtschaftliche als auch sicherheitspolitische Überlegungen: nie wieder sollte ein Krieg von deutschem Boden ausgehen. Obwohl eine Abspaltung des Rheinlands vom Rest Deutschlands als autonomer, neutraler Staat sicher gern gesehen wurde, hat Frankreich dennoch, entgegen den deutschen Behauptungen, nie ernsthaft versucht das Rheinland zu annektieren. Gemäß dem Versailler Vertrag rückte die Rheinarmee am 10. Januar 1920 in die zu besetzten deutschen Gebiete ein. Sie besetzte nicht nur die entsprechenden Regierungsbezirke, sondern sämtliche Landkreise, so dass es sowohl in den Städten als auch im ländlichen Raum zu direktem Kontakt zwischen der Bevölkerung und den Besatzungstruppen kam. Der koloniale Anteil der Rheinarmee machte mit etwa 25.000 Soldaten 30% der gesamten Besatzungsarmee aus. Schon früh hatten die französischen Generäle Angst vor möglichen Übergriffen ihrer Soldaten auf die einheimische Bevölkerung. Um dem vorzubeugen, wurden umfangreiche Bildungsangebote für die Rheinarmee konzipiert, damit sich die Soldaten als würdige Repräsentanten der ‘grande nation’ verhalten konnten. Übergriffe aller Arten, von Raub über Vergewaltigung bis zum Mord, wurden außerdem von der französischen Justiz streng geahndet. Trotz aller Voraussicht und Zuversicht der französischen Besatzungsleitung unter dem Vorsitz von Paul Tirard, der in der Haute Commission interalliée des territoires rhénans, noch am Vorabend der Besatzung verkündete: ‘La Haute Commission espère que le contact entre les troupes des nations alliées et les populations rhénanes sera, non une cause de friction, mais un moyen pour les peuples de mieux se connaître et de s’acheminer […] vers l’avenir d’une humanité meilleure’, lief das Zusammenleben der Besatzer und Besetzten alles andere als harmonisch, wenn man die Entfachung der heftigen antifranzösischen Propagandakampagne der ‘Schwarze Schande’ gegen die stationierten kolonialen Soldaten betrachtet. Wer rief aber diese Propagandakampagne ins Leben? 2.3.2, Die Akteure der ‘Schwarze Schande’: Der Kreis der Akteure lässt sich zunächst in eine offizielle und eine inoffizielle Ebene teilen. Obwohl alle Akteure die Anprangerung der Besatzung durch Kolonialsoldaten als Ziel hatten, gab es einige taktisch begründete inhaltliche Unterschiede. Während die offizielle Propaganda den Afrikanern das Menschsein zugestand und deren Verbrechen lediglich auf ihr niedriges zivilisatorisches Niveau zurückführte, griff die inoffizielle Propaganda das schon aus der Kriegspublizistik bekannte Muster der Animalisierung und Brutalisierung nichtweißer Soldaten auf und radikalisierte diese Darstellung. Auf offizieller Seite wirkten vor allem verschiedene Ebenen der deutschen Verwaltung, vom Landkreis über den Bezirk bis zu den höchsten Stellen der Weimarer Republik. Federführend blieben aber das Auswärtige Amt und das Reichsministerium des Innern. Die Kolonialtruppen betreffendes Aktenmaterial der preußischen Rheinprovinz von Mai 1920 bis Februar 1926 umfasste allein 4.699 Seiten, wobei der größte Teil von dem, den Kolonialsoldaten zur Last gelegten Gewalttätigkeiten handelte. Dieses Material wurde von den Behörden gezielt gesammelt und anderen Gruppierung zu Verfügung gestellt, die gegen die Stationierung ‘fremdrassiger Truppen’ protestieren wollten. Den deutschen Behörden fehlte es aber noch bis zum Frühjahr 1920 an beweiskräftigem Material bezüglich der zahlreichen Vergehen der Kolonialtruppen. Der Vertreter des Innenministeriums in dem besetzten Gebiete meldete sogar am 06.05.1920 an die Zentrale zurück: ‘D’après les informations dont je dispose, les troupes noires et de couleur ne sont pas aussi nuisibles qu’elles ont pu le paraître, et elles participent moins que les troupes blanches francaises au harcèlement des femmes allemandes’. Diese Tatsache deutet auf eine Eigendynamik der Propagandakampagne hin die Anprangerung von angeblichen Verbrechen der kolonialen Soldaten in der Presse führte zu einer Welle von neuen Anzeigen, die dann ihrerseits wieder selbst von der Propaganda verwertet wurden. Dies führte laut französischen Quellen dazu, dass die angeblichen Opfer von den offiziellen deutschen Stellen regelrecht zu Falschaussagen gedrängt wurden. Beteiligt an der Aktion waren staatliche Organisationen wie der ‘Reichsheimatdienst’ oder die ‘Rheinische Volkspflege’ . Schließlich wurden sowohl im Reichstag als auch in zahlreichen Landtagen, wie dem Württembergischen, Debatten und Resolutionen bezüglich der Verwendung von Kolonialsoldaten als Besatzungstruppe gehalten beziehungsweise beschlossen. Mit Ausnahme der USPD und der Kommunisten blieben alle deutschen Parteien in der Frage der Kolonialsoldaten einig, indem sie geschlossen dagegen protestierten. So kam es beispielsweise am 19. Mai 1920 zu einer gemeinsamen Anfrage aller Parteien an die deutsche Regierung, in dem die Stationierung der Kolonialtruppen in den besetzten Gebieten als Schmach angeprangert und als ‘schauerliche Gefahr’ bezeichnet wurde. Der Reichspräsident Friedrich Ebert selbst ließ sich in einer Rede in Darmstadt zu einer Äußerung über die Kolonialtruppen hinreißen, die dem allgemeinen Geist der ‘Schwarze Schande’ Ausdruck verlieh: ‘Daß die Verwendung farbiger Truppen niederster Kultur als Aufsicht über eine Bevölkerung von der hohen geistigen und wirtschaftlichen Bedeutung der Rheinländer eine herausfordernde Verletzung der Gesetze europäischer Zivilisation ist, sei hier erneut in die Welt hinaus gerufen’. Einen gewissen Endstand der offiziellen Ermittlungen gegen die kolonialen Truppen in dem besetzten Gebiete lieferte das Reichsministerium des Innern mit seiner Publikation vom Dezember 1922 ‘Die Ausschreitungen der Besatzungstruppen im besetzten rheinischen Gebiet’. Die Hauptträger der Kampagne über die ‘Schwarze Schmach am Rhein’ blieben aber die zahlreichen nationalistischen und konservativen Verbände. Mit den Worten Peter Martins waren es vor allem die ‘national-völkisch gesinnten mittleren und unteren Schichten des Bürgertums und gewisse akademische Kreise’, die am stärksten gegen die ‘Schwarze Schmach’ agitierten. Der Deutsche Fichte-Bund (Hamburg), dem nationalistisch-völkischen Lager klar zugeordnet, spielte eine wichtige Rolle in der Verbreitung des Propagandamaterials im Ausland. Kirchliche Träger waren auch an der Protestaktion beteiligt, wie aus einer Resolution des Deutschen Evangelischen Kirchenbunds vom 23./24. Juni 1920 ersichtlich ist: ‘Von Hunger und Armut bedrückt […] muss unser Volk es mit Grauen ansehen, wie seine Frauen und Kinder […] geschändet und misshandelt werden. Keine […] ist imstande, die wilden Instinkte dieser […] christlicher Erziehung entbehrenden […] Leute in Schranken zu halten’. Etliche Verbände, wie der ‘Deutsche Notbund gegen die Schwarze Schmach’, ‘Rettet die Ehre’ (Bremen) oder der ‘Heimatbund’ (Hamburg) wurden eigens für die Proteste gegründet. Nicht auf den ersten Blick ersichtlich war der Grund für die Teilnahme vieler antisemitischer Vereinigungen an der Kampagne: sie sahen nämlich in den Juden die eigentlichen ‘Nutznießer’ der ‘Verkafferung’ der Deutschen. So unterstellte beispielsweise der ‘Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes’ in seiner Schrift von 1921 Eine unbewußte Blutschande den Juden: ‘sie wissen sehr wohl, daß jede Vergewaltigung deutscher Frauen durch diese schwarzen Bestien […] uns dem rassigen Untergang näher bringt. […] Also wird Deutschland dem rassigen Untergang immer näher gebracht und Juda sieht mit jeder neuen Blutschändung die Morgenröte seiner Weltherrschaft aufgehen’. Eine besondere Beachtung verdienen schließlich die zahlreichen Frauenzusammenschlüsse, die sich den ‘Schutz des Körpers und der Ehre’ der deutschen Frauen in den besetzten Gebieten auf die Fahnen geschrieben hatten. Zu nennen wäre unter anderem die ‘Rheinische Frauenliga’ (RFL), deren Mitglieder im Wesentlichen aus der bürgerlichen und konfessionellen Frauenbewegungen kamen und das politische Spektrum der frühen Weimarer Republik von der DNVP (Deutschnationale Volkspartei) bis zur SPD repräsentierten, oder der ‘Bund pfälzischer, saarländischer und rheinisch-westfälischer Frauenvereine’. Die RFL war der Dachverband zahlreicher kleinerer Frauenverbände wie das ‘Bund Deutscher Frauenvereine’, das ‘Katholische Frauenbund Deutschlands’ oder das ‘Deutsch-Evangelische Frauenbund’. Im Dezember 1922 nutzten einige deutsche Delegierte den Kongress der ‘Women’s International League for Peace and Freedom’ als Plattform für ihren Protest gegen die Stationierung der Kolonialtruppen in Deutschland. Wie schon oben kurz angesprochen, gehörten vor allem Kommunisten und Sozialisten der USPD zu denjenigen, die die ‘Schwarze Schande’ als Propagandakampagne entlarvten und kritisierten. Stellvertretend für die Sozialisten sei hier die Abgeordnete Luise Zietz zu nennen, die am 20.05.1920 in einer Rede sagte: ‘Wie stark die dunkelsten Leidenschaften zu politischen Zwecken ausgenutzt werden, führen die Methoden der Völkerverhetzung uns täglich vor Augen. Welch grauenerregender Unfug wurde (und wird) nicht allein mit der ‘Schwarzen Schmach’ getrieben’. Neben diesen beiden Gruppen beteiligten sich aber auch Menschen aus pazifistischen und antirassistischen Kreisen an einer ‘Gegenpropaganda’ zur ‘Schwarzen Schande’. So warnte im November 1920 die Pazifistin Lilli Jannasch: ‘Und die Schwarze Schande? […] Aus der Bevölkerung hörte ich die gleichen Urteile. […] Dass es sich bei den Überfällen der Schwarzen nicht um Massenerscheinungen, sondern um Einzelfälle handelt, geht aus allen Mitteilungen hervor, die man von Leuten erhält, die nicht durch die alldeutsche Brille sehen’. Schließlich seien auch rheinische Separatisten erwähnt, denen die antifranzösische Ausrichtung der Kampagne missfiel. So stellte die Zeitung Rheinische Republik im Oktober 1920 die Frage, was besser für die Rheinländer sei: ‘der gedemütigte Neger, der doch auch ein Mensch ist, oder der hinterlistige, von jenseits des Rheines eingedrungene Schnapspreusse’. Andere Rheinländer, die sich gegen die Propagandakampagne stellten, fürchteten sich vor den Auswirkungen, die die Gräulgeschichten für den heimischen Tourismus bedeuten könnten. 2.3.3, Die ‘Schwarze Schande’: Ein Vorfall und eine Publikation wurden schließlich sprichwörtlich zum Funken, der das Pulverfass zum Explodieren brachte. Nach einem erfolglosen Putschversuch gegen die deutsche Regierung Anfang 1920 wurde die Reichswehr ins Ruhrgebiet geschickt, um die Ordnung wiederherzustellen. Für die französische Seite wiederum bedeutete dies einen klaren Bruch mit dem Versailler Vertrag. Französische Truppen wurden dann Anfang April 1920 nach Frankfurt und Darmstadt geschickt. Am 7. April 1920 geriet eine Truppe marokkanischer Soldaten in ein Handgemenge mit der deutschen Bevölkerung und schoss in die Menge, um sich und ihre französischen Offiziere zu retten. Einige Deutsche wurden dabei getötet, andere verletzt. Während die Franzosen von einem Hinterhalt sprachen, bezeichneten württembergische Delegierte in einer Resolution vom 10. April 1920 den Vorfall als eine ‘Hinmordung wehrloser Frauen und Kinder durch schwarze Truppen’. Diese ‘unerhörte Kulturschande’ stieß noch am gleichen Tag in vielen regionalen und überregionalen deutschen Zeitungen auf große Resonanz. Der 10. April kann als Geburtsstunde der ‘Schwarze Schmach an der Rhein’ gelten, die ihren Höhepunkt eindeutig zwischen April 1920 und Dezember 1922 hatte, aber dennoch mindestens bis zum Jahr 1925, mit der Verlegung der nordafrikanischen Truppen oder sogar bis 1930, als die Rheinarmee sich endgültig aus dem Rheinland zurückzog, andauerte. Im Zuge der ersten publizistischen Kampagne gegen den Einsatz nichtweißer Besatzungstruppen im Rheinland erschien mit Edmund D. Morels Black Horror on the Rhine ein Werk, das zur Internationalisierung der Propaganda erheblich beitrug. Der britische Abgeordnete und Journalist Morel, einer der bekanntesten Kritiker des Versailler Vertrags und des französischen Militarismus, hielt die Stationierung von Schwarzen in Deutschland als das größte und skandalösestes Verbrechen Frankreichs, das an ‘den Frauen, der weißen Rasse und der Zivilisation’ begangen worden sei. Überzeugt vom übersteigerten sexuellen Trieb der Afrikaner, sprach er gar von einer mit der Besatzung einhergehenden ‘Prostitution des Rheinlandes’. Morels Pamphlet erschien in acht Auflagen, wurde in viele Sprachen übersetzt und wurde zu einem nationalen wie internationalen Kassenschlager binnen dreißig Tagen wurden schon 10.000 Stück verkauft. Das Gefühl, dass ein ‘neutraler’ Mensch, vielmehr ein Brite, als ehemaliger Feind, Partei für Deutschlands Position ergriff, bestärkte die deutsche Bevölkerung in ihre Überzeugung, gegen die Stationierung von Kolonialsoldaten protestieren zu müssen.

Über den Autor

Mohamet Traore, B.A., wurde 1985 in Niono (Mali) geboren. Sein Studium der Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart schloss der Autor im Jahre 2013 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts erfolgreich ab. Bereits während des Studiums eignete der Autor sich umfangreiches Wissen sowohl der deutschen bzw. europäischen Geschichte als auch der außereuropäischen Geschichte an. Sein besonderes Interesse an transnationalen und transkulturellen Fragen - vor allem vor dem Hintergrund der Mentalitäts- und Alltagsgeschichte - motivierte ihn, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.

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