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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Diese motivgeschichtliche Analyse vergleicht Männlichkeitsentwürfe in der Literatur zum Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die Hauptthese lautet, dass zentrale literarische Motive, die Männlichkeit in Werken zum Ersten Weltkrieg konstruieren, auch in der Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegriffen werden. Die untersuchten Primärtexte für die Zeitperiode Erster Weltkrieg (Walter Flex, Ernst Jünger, Erich Maria Remarque) können entweder als Kriegs- oder als Antikriegsliteratur interpretiert werden. Die Texte aus der Zeit nach 1945 (Heinrich Böll, Alfred Andersch, Franz Fühmann) gelten durchweg als Antikriegsliteratur. Welchem Wandel sind die literarischen Motive unterworfen, so dass sie auch nach diesem Bewertungswechsel wieder Eingang in die Literatur finden? Handelt es sich dabei um eine innovative Strategie der Autoren? Ein ganzer Komplex von Motiven dient der Inszenierung männlicher Identitäten. Der einsame Soldat auf Wacht, der charismatische (An-)Führer oder der sich aufopfernde Held, zählen dazu. Die sozialen Beziehungen des Mannes lassen sich in unterschiedlichen Varianten thematisieren: Wird Sexualität exzessiv praktiziert oder verdrängt in anderer Form ausgelebt? Wie fügt sich der Mann in eine Gemeinschaft, hier besonders die Kameradschaft und Hierarchie unter Soldaten, ein? Im ersten theoretischen Großkapitel dieser Arbeit werden die für die Themenstellung wichtigsten Ansätze aus der Soziologie, der Geschichtswissenschaft und Klaus Theweleits zweibändige Arbeit ‘Männerphantasien’ in ihren Grundzügen vorgestellt. Die grundlegenden Gemeinsamkeiten dieser diversen Perspektiven auf die Konstruktion von Männlichkeit liegen in ihrer Fokussierung, auf den Gegensatz vom Mann zur Frau und die ‘Medien’ der Männlichkeit, von der Gewalt oder Sexualität im weiteren Verständnis bis zur Literatur im eingeengten Sinne des Begriffs. Zum Zeitpunkt der Abfassung ihrer Werke traten alle Autoren der Primärliteratur als Agenten diverser Deutungs- oder Legitimierungsversuche auf. Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs hat in der Literatur zu einer radikalen Umdeutung des Kameradschaftsgedankens und des Feindbilds geführt. Dass gebrochene oder schuldige Helden keinen Führungsanspruch und das Kollektiv der Kameradschaft die unbedingte Hingabe des Individuums nicht mehr verdienen, stellt eine Innovation der Autoren dar, die sich seit Remarque gegen die kriegsverantwortlichen Autoritäten oder die Väter zu emanzipieren versuchen. Höchster Ausdruck der Abkehr ist die mit der Todesstrafe sanktionierte Desertion. Der verbrecherische Krieg des Jahres 1939 setzt in sowohl pervertierter Form als auch unter einem von den Nationalsozialisten proklamierten Sukzessionsanspruch den Krieg von 1914 fort. Die literarischen Annäherungen an den ersten Weltkrieg verlieren damit die Basis ihrer Legimitierungsfunktion im Diskurs.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Wann ist der Mann ein Mann? - Definitionen von Männlichkeit: Wann ist der Mann ein Mann? Der Refrain aus dem von Herbert Grönemeyer interpretierten ‘Männersong’ wird nicht von ungefähr in der deutschsprachigen Männerforschung - egal ob von literaturwissenschaftlicher, psychologischer, soziologischer oder anderer Provenienz - gerne in einer Einleitung zitiert. Dahinter steht der Versuch, für die Gleichung ‘Mann ist gleich x’ den möglichen Inhalt der Variable zu erfassen. So klingt gleichzeitig die Reihung der männlichen Stereotypen und Inszenierungen (führen Kriege, sind schon als Baby blau, rauchen Pfeife) dieses populären Songs an. 2.1, Soziologische Ansätze: ‘Die männliche Herrschaft’, wie sie im kultursoziologischen Ansatz von Pierre Bourdieu interpretiert wird, konstruiere sich aus den Schemata des Habitus, in dem das bipolare Verhältnis von Mann und Frau im Patriarchat eingeschrieben ist. Bourdieu versteht unter dem soziologischen Begriff des Habitus ein im Individuum angesiedeltes ‘System von Dispositionen, unbewussten Denk-, Wahrnehmungs- u[nd] Handlungsmustern’. Diese Vorstellung eines männlichen Primats, das sich selbst reproduziert, ist wegen seiner Selbstreferenz (‘Es ist, weil es so ist.’) zu hinterfragen, weil bei Bourdieu die Entstehung der Geschlechterdifferenz in den gesellschaftlichen Strukturen als vorhistorisch gegeben erscheint und auch Formen eines Matriarchats in seiner Theorie ausgeblendet werden. Dennoch fußt die Theorie Bourdieus auf der historisch allgemein anerkannten Annahme, die den Mann vor allem dem Menschen gleichsetzt: ‘Der Mann (vir) ist ein besonders Wesen, das sich als allgemeines Wesen (homo) erlebt, das faktisch und rechtlich das Monopol auf das Menschliche, d.h. das Allgemeine, hat das gesellschaftlich autorisiert ist, sich als Träger des menschlichen Daseins schlechthin zu fühlen.’. Diese ‘herrschende Sichtweise der Geschlechtertrennung’ ist für Bourdieu in allem greifbar, was den Menschen materiell oder immateriell umgibt, seien es ‘technische Gegenstände oder Praktiken’, beispielsweise die innere Gestaltung des Hauses, sowie Diskurse, Redensarten oder Lieder. Da auch die Beherrschten, in diesem Fall die Frauen, auf alle Sachverhalte der Welt diese ‘nicht reflektierte[n] Denkschemata’, in die die Machtbeziehungen ‘inkorporiert’ seien, anwenden, würden diese unbewusst den Herrschaftsstrukturen ihre Zustimmung geben. Selbst die Körper von Mann oder Frau werden von der Gemeinschaft ‘als vergeschlechtlichte Wirklichkeit’ und ‘Speicher von vergeschlechtlichenden Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien’ betrachtet, die ‘auf den Körper in seiner biologischen Realität angewendet werden.’ Was für den Körper als Ganzes gelte, gelte auch ganz besonders für die Geschlechtsteile, die dafür prädestiniert seien, die beiden Geschlechter und ihren gegenseitigen Verweis aufeinander symbolisch zu repräsentieren. Die Vormachtstellung des Mannes sei dabei willkürlich auf eine ‘androzentrische[…] Vorstellung von der biologischen und sozialen Reproduktion’ gegründet. Bourdieu stützt sich in seinem Aufsatz zwar auf eigene Beobachtungen von einer ethnologischen Expedition zu dem Berbervolk der Kabylen, allerdings werde auch der Geschlechtsakt als der einprägsamste Vorgang, an dem der Geschlechtsunterschied aufgezeigt werden kann, in zahlreichen Kulturen als männlich dominiert konstruiert. Als Beispiele nennt er Bilder von ‘Pflugschar und Furche’ oder ‘Himmel und Erde’, die negative Bewertung der weiblichen Vagina als umgekehrter Phallus oder das weit verbreitete Verbot von Geschlechtsverkehr, bei dem die Frau die obere Position einnimmt. Der Anspruch auf die männliche Vorherrschaft sei aber nicht nur ein Privileg, sondern auch eine aufgezwungene Last, die nicht nur Gewaltanwendung legitimiere, sondern auch einfordere: ‘Die Männlichkeit […] als Bereitschaft zum Kampf und zur Ausübung von Gewalt (namentlich bei der Rache), ist vor allem eine Bürde.’ Frauen könnten ihre Ehre in Form jungfräulicher Keuschheit und ehelicher Treue nur verlieren. Männer müssen sich öffentlich vor ihren Geschlechtsgenossen beweisen und ihre Ehre erst erwerben - oder in der Angst leben, als Versager ausgeschlossen zu werden. Was im Jugendalter bei Dumme-Jungen-Streichen als Mutprobe beginnt, kann sich über den gemeinsamen Bordellbesuch, wie er bei Soldaten durchaus üblich war und ist, bis zu Vergewaltigungs- und Tötungsorgien radikal steigern. Der Versuch, Männlichkeit über eine Variable x zu definieren, ist gemäß der Theorie des Soziologen Robert W. Connell zum Scheitern verurteilt, weil man Männlichkeit nicht als ein ‘isoliertes Objekt’ betrachten könne. Sigmund Freud habe eingestanden, dass die Zuschreibung von Aktivität für das männliche Geschlecht und die weibliche Passivität als ihr Gegenstück das Gesamtbild zu sehr vereinfachen. Normative Definitionen von der männlichen Härte, die Schauspieler wie Humphrey Bogart oder John Wayne gezeigt hätten, führen zu dem Eingeständnis, dass viele Männer des realen, täglichen Lebens als unmännlich durchfallen würden. Die Relationalität der Geschlechter ist für Connell der Schlüssel, wenn er fordert, ‘unsere Aufmerksamkeit auf die Prozesse und Beziehungen [zu] richten, die Männer und Frauen ein vergeschlechtliches Leben führen lassen.’ Was das jeweilige soziale Geschlecht ausmache, lasse sich in einem mindestens dreistufigen Modell erklären, das die Macht- und Produktionsbeziehungen sowie die emotionale Bindungsstruktur zwischen Mann und Frau darstelle. Für die westlichen Gesellschaften dominiere der Mann diese Beziehungen, obwohl seit dem Zweiten Weltkrieg das Patriarchat in eine Krise geraten sei, wenn Frauen rechtlich und ökonomisch unabhängiger geworden sind oder über ihren Körper sexuell selbst bestimmen können. Gegen die von Connell postulierte Notwendigkeit der drei Stufen in diesem Modell lässt sich sicherlich einwenden, dass diese Dimensionen immer noch reduzierbar sind. Dass Männer die Produktionsbeziehungen beherrschen, wenn sie die besser bezahlten, prestige- und einflussreicheren Positionen in Unternehmenshierarchien einnehmen, lässt sich pointierter betrachtet auch auf die männliche Dominanz in den Machtbeziehungen zurückführen. Connells Theorie bietet allerdings mehr als die intersexuelle Relationalität der Geschlechter. Verschiedene Formen von Männlichkeit stehen auch in einem intrasexuellen Beziehungsgeflecht zueinander: Hegemonie, Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung. ‘Hegemoniale Männlichkeit’ sei eine historisch bewegliche Relation und könne ‘man als jene Konfiguration geschlechtsbezogener Praxis definieren, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll).’ Drei korporative Führungsebenen - Wirtschaft, Politik und eben auch das Militär - inszenierten in überzeugender Form dieses Konzept von Männlichkeit durch einen Anspruch auf Autorität. Bestimmte Gruppen von Männern sähen sich einem Zwang zur ‘Unterordnung’ ausgesetzt. Für die westliche Welt seien das homosexuelle Männer, die von heterosexuellen Männern dominiert werden. Aber auch Andere, die eher eine ‘symbolische Nähe zum Weiblichen’ offenbaren, fallen darunter. Connell nennt eine ganze Liste von passenden Schimpfwörtern wie ‘Schwächling, Schlappschwanz, Muttersöhnchen, Waschlappen, Feigling, Hosenscheißer […].’ Unter die dritte Kategorie ‘Komplizenschaft’ fallen die Teilhaber an der ‘patriarchalen Dividende’, die nicht dem Ideal der Hegemonie entsprechen, diese in der Demokratie aber mit ihrer Zustimmung legitimieren. Als Beispiel gilt ein Footballfan, der die Spiele am heimischen Fernseher betrachtet, aber nicht selbst auf das Feld zieht, seine Frau achtet und sich sogar an der Hausarbeit beteiligt. Die vierte Beziehungsvariante ‘Marginalisierung’ betrifft untergeordnete Klassen oder ethnische Gruppen. Vorbild ist die Lage der schwarzen Bevölkerung in den USA. Ein erfolgreicher Sportler mit dunkler Hautfarbe kann, sofern eine ‘Ermächtigung’ von oben vorliegt, zwar als Muster für hegemoniale Männlichkeit gelten. Allerdings bedeutet das nicht, dass die Gesamtheit aller Schwarzen in den USA dadurch aufgewertet würde. Die grundlegenden Parallelen bei Bourdieu und Connell liegen auf der Hand. Männlichkeit lässt sich nur in Relation zur Weiblichkeit erfassen und bedarf einer öffentlichen Zurschaustellung vor anderen Männern. Für unsere motivgeschichtliche Untersuchung des Mannes als Soldat ist es darüber hinaus wichtig, welche Funktion der Gewalt zugeschrieben wird. Es ist nicht zwingend notwendig, dass ein Mann sich der Gewalt im Kampf oder der Sexualität bedient, um seine Ziele durchzusetzen und eine männliche Identität zu inszenieren. Dennoch bringt es Vorteile mit sich, auf die eindrucksvollsten Handlungsskripte und Requisiten zuzugreifen, um in Rangordnungen höhere Positionen einzunehmen und als ganzer Kerl anerkannt zu werden.

Über den Autor

Michael Offizier, Magister Artium, wurde 1982 in Frechen bei Köln geboren. Neben seiner Tätigkeit als freier Journalist und Fotoreporter studierte er an der Universität zu Köln die Fächer Deutsche Philologie, Mittlere und Neuere Geschichte sowie Soziologie. Das vorliegende Buch geht auf seine Magisterarbeit zurück, für die der Literaturwissenschaftler einen historisch geprägten Untersuchungsgegenstand gewählt hat. Die motivgeschichtliche Studie beschäftigt sich mit Mustern von Männlichkeitsentwürfen und ihrem Wandel in der deutschen Kriegsliteratur.

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