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Gesellschaft / Kultur

Sebastian Schauberger

Jetzt war immer schon. Studien zum Theater von Botho Strauß

ISBN: 978-3-95935-202-4

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 284
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Theaterstücke von Botho Strauß gehören über den deutschsprachigen Raum hinaus zu den meist gespielten Theatertexten der Gegenwart. Dennoch gibt es in den Stücken von Botho Strauß archaische Themen und Bezüge, die so quer zur Gegenwart stehen, dass sie in der Kritik und beim Publikum als 'schwierig' abgetan oder irgendwie 'rückwärtsgewandt' angefeindet werden. Dieses Buch möchte durch genaue analytische Blicke auf diese Anspielungsebenen in den Theaterstücken das Provokante und Reizvolle solcher scheinbar aus der Zeit gefallenen Einwürfe und Motive zeigen, die mythologische und biblische Stoffe in Gegenwartsdiskurse einfließen lassen und sie subversiv aktualisieren.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3 Biblische Anspielungen: Anspielungen auf biblische Themen und Bilder waren im dramatischen Werk von Botho Strauß bis in die neunziger Jahre eher dünn gesät. Schon seit den Siebziger-Jahren hat Strauß in seiner Arbeit für das Theater immer wieder literarische Vorlagen bearbeitet, sei es, dass er sie neu übersetzte, wie Das Sparschwein von Eugène LabichE oder Molières Misanthrop oder für die Bühne neu konzipierte, wie Gorkijs Sommergäste . Mitte der Neunziger-Jahre bearbeitete er aus der Odyssee die Geschichte der Heimkehr des Odysseus, einen der Grundlagentexte der Weltliteratur mit ausgesprochen narrativem Charakter für die Bühne. Für die Literaturkritik war dieses Unternehmen hinsichtlich seiner Absicht und Aktualität äußerst problematisch. Als Botho Strauß 1999, drei Jahre nach der Homer-Adaptation in Ithaka mit der Adaptation einer biblischen Geschichte in Lotphantasie überraschte, fiel die aktualisierende Deutung so leicht, dass sich kaum jemand zu einer gründlicheren Befragung des Stoffes und seiner Bearbeitung veranlasst sah. Die Geschichte der Heimkehr des Odysseus hatte drei Jahre nach den turbulenten Feuilletondebatten um den provokanten Bocksgesang-Essay vor allem den Verdacht hervorgerufen, nun wolle Strauß auf dem Theater als dem anerkannten Podium seiner Schreibkunst versuchen, was in der Essayform in Anschwellender Bocksgesang großen Widerstand hervorrief. Gerade gegenüber der Kritik aus dem SPIEGEL, in dem der Bocksgesang-Essay zuerst erschienen war, musste sich Strauß brieflich um eine falsche Interpretation seiner Homer-Adaptation bemühen und Stellung gegen den Vorwurf beziehen, er wolle nun die ihm unterstellten politisch fragwürdigen Ideen unter dem Deckmantel antiker Heldenkostüme verbreiten. So schrieb Strauß zur Richtigstellung: Der SPIEGEL hat sich zu einem noch unveröffentlichten Stück von mir geäußert und behauptet, es handle ‘von den mächtigen Fremden’ in einem ‘von Überfremdung bedrohten Land’. Dies kann unmöglich auf Ithaka zutreffen. Ganz im Gegenteil sind es dort, getreu dem Homer, die fürstlichen Freier der Penelope, die gegen den ‘Fremden’ stänkern und auch dem unerkannten Heimkehrer Odysseus das Gastrecht verweigern wollen /.../ Es verhält sich alles ein wenig paradoxer als es zu meiner Verleumdung taugt. Im Drama vertreten mehrere Personen unterschiedliche Positionen - Jede ist ein Sprachrohr des Autors. Es spielt auch nicht heute, sondern bietet unverfälscht das Finalabenteuer unserer Urdichtung, in deren Mittelpunkt bekanntlich eine unfaßliche Liebesgeschichte steht. Wie im Buch so auf der Bühne . Wie im Himmel so auf Erden ‘Wie im Buch so auf der Bühne’ diese fast fromme Werktreue zum Vorbild bei Homer, die Ithaka aus dem Bereich der Anspielungen herausfallen ließ und die in der Münchner Inszenierung von Dieter Dorn und Jürgen Rose grundsätzlich berücksichtigte Maxime, dass für den Autor die Geschichte von der Heimkehr des Odysseus nicht heute spielt, unterscheidet die wenigen biblischen Anspielungen und die Adaptation des biblischen Stoffes in Lotphantasie von der Adaptation des Homerstoffes in Ithaka . Der Exodus von Lot aus Sodom und die Heimkehr des Odysseus nach Ithaka könnten stofflich kontrastreicher nicht sein: Auszug und Heimkehr, Flucht in die Fremde und Eroberung der Heimat stehen in vielen Details und im Plot der Handlung einander gegenüber. Lot verliert nicht nur seine Heimat, sondern auch seine Frau. Und Odysseus muss sich nicht nur seine Frau zurückerobern, sondern auch Heimat und Herrschaftsanspruch. Außerhalb dieser stofflichen Ebene liegt der stärkste Gegensatz zwischen der Bearbeitung des griechischen und des biblischen Stoffes in ihrem jeweiligen Bezug zur Gegenwart. Während das Ende der Odyssee ausdrücklich in die archaische Vorvergangenheit entrückt bleibt, beginnt Lotphantasie in einem Buswartehäuschen am Rande einer Großstadt . Die Ebene des biblischen Stoffes entsteht erst durch die Rahmenhandlung, in der ein wartendes Mädchen mit der Röhre , der Neonbeleuchtung des Wartehäuschens, ein seltsames Gespräch beginnt. Anläßlich seiner Homer-Adaptation in Ithaka hatte Strauß vorformuliert, was ihn an der Entrücktheit der alten Stoffe interessiert. Und schon in dieser Reflexion über die Affinität zum Stoff der Odyssee geriet Strauß unversehens auf biblische Kategorien, wie etwa auf den Begriff der Verheißung - in spätjüdischer Tradition , so dass nach Ithaka die Hinwendung zu einem biblischen Thema nur konsequent erscheint: Ithaka ist der Ort der Wiederkehr /…/ Wiederkehren findet nicht in der Geschichte statt, sondern vor ihr. Oder in ihrem Ende. Der Weltfriede, das Verheißungsland, das davidische Königtum, die alte Stammesgliederung des Volkes, die heilige Stadt, der Tempel, der Kult: Wiederherstellung von allem, die Endzeit wird in die Urzeit münden, so verkündet es die religiöse Erwartung in spätjüdischer Tradition . Im Vergleich zu dieser überzeitlichen Zuordnung der Stoffe, die in der Gegenwart nicht mehr darstellen will als das was dem Zeitalter an ‘Utopie’ verloren ging und dagegen Möglichkeiten der Apokatastasis, Wiederherstellung aufzeigt, wurde Lotphantasie fast schon zu selbstverständlich als zynischer Zeitkommentar oder ‘metapolitische’ Strafpredigt verstanden und abgetan. Tatsächlich dient der Gebrauch der biblischen Sprache über einen kleinen Vorrat plakativer Zeichen hinaus nicht ohne weiteres als Verständnishilfe, weil sie ein Vorwissen über Herkunft und Kontext erfordert, das beschleunigt im Schwinden begriffen ist. Am deutlichsten wird der Verständnis-Konflikt zwischen biblischem Bild und konventionellem Jargon, wo Strauß die biblische Sprache auf höchstem Abstraktionsniveau im zeitgenössischen Feuilleton gebraucht. Als Frank Schirrmacher im November 1999 damit begann, anlässlich der Zeitmauer des Jahrtausendwechsels , als Beitrag zur Jahrtausendwende Schriftsteller und Philosophen im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Schreiben einzuladen und als Thema das Altern vorgab, hatte er mit Moses- Projekt schon im Titel der Unternehmung die biblische Sprache angeschlagen, die Botho Strauß in seinem Beitrag, dem ersten der Serie, mit ungewöhnlicher Konsequenz aufgriff.

Über den Autor

Sebastian Schauberger, geboren 1968 in München, studierte in Bielefeld, Paderborn und München Kunstgeschichte, Theaterwissenschaften, Germanistik, Geschichte und Theologie. Im Jahr 2000 schloss der Autor sein Studium mit einer Promotion im Fachbereich der Komparatistik ab und arbeitet als Lehrer, unter anderem auch für Theater.

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