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Kunst & Kultur

Dietmar Mezler

Der Raumbegriff in der Malerei der Moderne

Exemplarische Untersuchung am Beispiel von Masaccio und Francis Bacon

ISBN: 978-3-8366-7505-5

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 05.2009
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Abb.: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Dieses Buch beschäftigt sich mit dem Phänomen des Raumes in der Kunstproduktion der Renaissance und der Moderne. Ausgehend von der Linearperspektive untersucht diese Arbeit die Entstehung und die Wirkung der pikturalen Räume. Stellvertretend für die Malerei der Renaissance wird das Trinitätsfresko (1428/1429) von Masaccio den Räumen in dem Œvre von Francis Bacon gegenübergestellt. Während die mittelalterliche Raumvorstellung von der Annahme ausging, dass der Raum, entsprechend der Göttlichen Omnipotenz und Omnipräsenz, an sich nicht nur unendlich ist, sondern drüber hinaus auch keinen Mittelpunkt besitzt, wird der mittelalterliche Raumbegriff mit dem Anbrechen der Neuzeit revidiert. Die Entdeckungen der Wissenschaft und der Philosophie verändern das Bild des Menschen ebenso wie seine Beziehung zur Welt. Als das erste Beispiel für die Berücksichtigung des gewandelten Raumbegriffes auf dem Gebiet der Malerei gilt Masaccios Trinita. Noch vor Leon Battista Albertis Traktat de pictura (1435) entwirft Masaccio einen linearperspektivischen Raum, der den Betrachterstandpunkt berücksichtigt und die Objekt-Raum Relation mit Hilfe mathematischer Konstruktion löst. Das bis dahin geltende linearperspektivische Modell wird von avantgardistischen Künstlern seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend in Frage gestellt. Das Problem des Raumes und das Verhältnis des künstlerischen Bildes zu der visuellen Realität werden in den Kunstdiskursen des angehenden 20. Jahrhundert zu einem wichtigen Thema. Insbesondere die Kunst des Kubismus setzt sich mit den Voraussetzungen der Malerei kritisch auseinander. Eine für die spätere Entwicklung der Kunst wichtige Neuerung ist die Aufsplitterung des Raumes. Der Raum ist nicht mehr quasi-objektiven naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten unterworfen, sondern berücksichtigt im hohen Maße die menschliche Raumerfahrung. Damit wird auch die Mimesis als Ziel und Funktion der Malerei negiert. Die Werke von Francis Bacon gehen von einem ähnlichen Standpunkt aus. Die Wirkung seiner Bilder beruht nicht auf den provokanten Deformationen der Figur und ihren nahezu anstößigen Freizügigkeit, die sich in der Nacktheit seiner Modelle und in der fleischlichen Struktur ihrer Körper manifestiert. Es ist auch nicht der voyeuristische Aspekt, der das Interesse des Betrachters weckt, wobei er sich durch die Distanz zum Bildgeschehen gleichzeitig in Sicherheit wiegen kann. Es sind die bildlichen Räume seiner Gemälde, die die Wirkung der Angst, der Klaustrophobie, der Schutzlosigkeit, des Ausgeliefertseins, aber auch der erotischen Begierde erzielen und somit, wie es Bacon selbst ausdrückt, direkt auf das Nervensystem einwirken.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.4.1, Distanzpunktverfahren: Durch die perspektivische Konstruktion involviert Masaccio den Betrachter in das Bild. Er erreicht es einerseits durch den alles ordnenden Augenpunkt und andererseits durch die Berücksichtigung der Distanz des Betrachters zum Bild, also des Betrachterstandpunktes. Bereits vor dem berühmten Traktat Albertis benutzt er das Distanzpunktverfahren für die Konstruktion der Perspektive. In der Masaccioforschung gibt es Uneinigkeiten sowohl bei der präzisen Bestimmung des Augenpunktes, wie auch des Betrachterstandortes. Während der Augenpunkt irgendwo knapp unter der Schwelle, auf der die Stifterfiguren knien, lokalisiert wird, schwankt die Meinung der Kunsthistoriker bei der Bestimmung des Betrachterstandortes zwischen 3,3m und 8,9m. Kapitel 3.4.2, Berücksichtigung der lokalen Licht- und Raumsituation: Eine weitere, bereits benannte, Methode, die Masaccio benutzt, um den Betrachter in das Bildgeschehen zu involvieren, ist die Anpassung des Bildlichtes an das Standortlicht. Das von oben links einfallende Licht im Bild entspricht den realen Lichtverhältnissen. An der gegenüberliegenden Wand befindet sich eine Fensterreihe, durch welche Sonnenlicht ins Kircheninnere fließt. Besonders deutlich wird dieser Lichtverlauf im Fresko am Schlagschatten der Stufe, auf der die Stifter knien, am Schatten in der Skelettnische und an der Beleuchtung des Stifters, dessen Kinn und Hals beschattet ist und unter dessen Nase sich ein Schlagschatten abzeichnet. Demgegenüber geht die Lichtführung in der Kapelle von einer anderen Quelle aus. Das übernatürliche, nicht den lokalen Bedingungen entsprechende Licht geht von der Taube aus, wie es am Nimbus Christi, dem Schlagschatten des Halses und des oberen Brustbereichs zu erkennen ist. Helle Lichtstrahlen visualisieren in diesem Fall die Ausgießung des Heiligen Geistes. Standortlicht und das innerbildliche Licht verschmelzen somit zu einer Einheit, die einerseits die plastische Wirkung der Architektur und einzelner Figuren betont, andererseits den im Realraum sich befindenden Betrachter stärker in das Bild integriert. Masaccio entwirft eine Symbiose zwischen der gemalten Architektur und den lokalen Verhältnissen in der S. Maria Novella, um somit dem Betrachter die Künstlichkeit des Bildes vergessen zu machen. Kapitel 3.4.3, Das Bild als Fenster?: Mit der Entdeckung der perspektivischen Konstruktion und der immer stärkeren Tendenz der Malerei in Richtung einer mimetischen Wirklichkeitsdarstellung, verändert sich das Selbstverständnis der Künstler. Sie wollen nicht mehr als Handwerker gelten, sondern als Intellektuelle akzeptiert werden, die in der Lage sind die visuelle Wirklichkeit mit den Mitteln der Malerei zu erfassen, sie festzuhalten. Auf dem Weg zu diesem Ziel muss folgerichtig alles Handwerkliche und Künstliche aus dem fertigen Bild verschwinden. Die Willkürlichkeit der Raumdarstellung, wie sie im Kunsthandwerk des Mittelalters noch üblich war, wird durch das rational-logische Modell der Linearperspektive in die Schranken gewiesen. Seit Alberti, wird das Bild mit dem Fenster verglichen. Diese Metapher führt zu der Vorstellung einer immateriellen und durchsichtigen, ja gar nicht mehr existenten Bildoberfläche. Die Wirklichkeit eines Gemäldes als Objekt wird nur in dessen Begrenzung durch die schwere Rahmung erfahrbar, so wie uns ein Fensterrahmen an den Gegensatz zwischen Außen und Innen, zwischen Hier und Da erinnert. Im Unterschied zum Fenster hat das Gemälde, über die Eigenschaft einen hinter der Bildoberfläche liegenden Raum vorzutäuschen hinaus, die besondere Fähigkeit einen Ausschnitt der visuellen Wirklichkeit zu fixieren. Zurück zu dem Trinitätsfresko. Hier negiert der Künstler die Wandoberfläche und lässt uns diese beim Betrachten durchlässig erscheinen. Die meisterhafte Verwendung der Perspektive, die Anpassung der Lichtverhältnisse und die theoretische Möglichkeit einer tatsächlichen Platzierung eines Kapellenraumes in das Kircheninnere lassen es beinahe vergessen, dass es sich um ein gemaltes, handwerklich hergestelltes Bild handelt. Darüber hinaus fehlt eine Rahmung, die die Objekthaftigkeit des Freskos akzentuieren könnte. Stattdessen fügen sich die als Rahmung vorgesehenen architektonischen Elemente nahezu übergangslos in den baulichen Kontext der Kirche ein. Doch im Gegensatz zu den späteren linearperspektivisch konstruierten Werken Masaccios in der Brancacci-Kapelle (Abb.17) geht das Trinitätsfresko über die Vorstellung des Bildes als Fenster hinaus. Während die freskierten Wände der Brancacci-Kapelle ein hinter der Wand liegendes Dahinter vermuten lassen, öffnet sich die Wandoberfläche der Trinitätsfreskos nicht nur nach hinten, in den Kapelleninnenraum, sondern dringt in den unmittelbaren Betrachterraum, vor die Wandfläche. Sie ist membranartig zu beiden Seiten hin geöffnet. Nicht der Sarkophag mit dem Skelett liegt auf einer Ebene mit der Wandfläche, sondern die Kappellenfront mit den kannelierten korinthischen Pilaster und dem sie abschließenden Gebälk (Abb.18). So entsteht der Eindruck, dass der untere Abschnitt des Freskos und die kniende Stifterfiguren sich vor der Kirchenwand befinden müssen. Masaccio kannte noch nicht die Fenstermetapher Albertis und lotet mit seiner ersten linearperspektivischen Konstruktion die Möglichkeiten der neuen Darstellungsform aus. Daher kann die Vorstellung des Fensters auf dieses Werk nur unter Einschränkungen übertragen werden, da das Fresko sich nicht in eine Richtung öffnet, sondern das Vor und Dahinter (ausgehend von der Wandebene) für sich beansprucht. Nichtsdestotrotz verwendet Masaccio alle ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, um die Künstlichkeit seines Werkes in Vergessenheit geraten zu lassen. Kapitel 3.4.4, Distanz / Nähe: Über die bereits benannten Eigenschaften des Freskos, wie die Negation der Künstlichkeit, die linearperspektivische Konstruktion, die streng symmetrische Komposition und die integrierte Zahlen- und Formsymbolik hinaus muss im Folgenden auf das Problem der Distanz bzw. Nähe näher eingegangen werden. Zunächst braucht Masaccios Fresko die Distanz, als Abstand zwischen der Wand und dem Betrachter, damit die Linearperspektive ihre volle Wirkung entfalten kann. Denn in der Nahansicht entpuppt sich das Fresko als nur ein Gemälde und die Illusion des Kapelleninnenraumes geht endgültig verloren. Um den Grat zwischen der Künstlichkeit und Realität so schmal wie möglich zu halten, wird eine gewisse Entfernung zum Bild vorausgesetzt. Im nächsten Augenblick soll der Betrachter diese Distanz überwinden, doch nicht physisch, sondern lediglich mit der Hilfe seiner Vorstellungskraft. Das Bild ermöglicht diese Einbeziehung des Betrachters in das Bildgeschehen in zweifacher Hinsicht. Es ist einerseits der Augenpunkt, der das Bild nach dem Standpunkt des Betrachters ausrichtet, und andererseits ist es der Bildraum selbst, der die Wandfläche in die Tiefe und in den Raum des Betrachters durchstößt. Die Distanz, die für die Raumwirkung von entscheidender Bedeutung ist, steht in diesem Zusammenhang im Dienste der Illusion. Diese Vorstellung vom Bild prägt seit diesem bedeutenden Werk der Renaissance die künstlerische Produktion bis zum Zeitalter der Moderne. Erst ab ca. 1880er Jahren beginnen die Künstler das Modell der Linearperspektive zu hinterfragen: Wieso muss die Kunst sich selbst negieren? Welche sind die ursprünglichen Eigenschaften der Kunst? In welcher Relation kann die Kunst zu der Realität stehen? Francis Bacon setzt sich ebenfalls mit einem solchen Bild- und Malereiverständnis kritisch auseinander. Dementsprechend dient die Distanz bei Bacon nicht zur Überwindung der Künstlichkeit oder der Integration des Betrachters, sondern erzielt eine diametral entgegengesetzte Wirkung. Kapitel 3.5, conclusio: Masaccio schafft es mit den Mitteln der Perspektive, sich im mittelalterlichen Kontext der S. Maria Novella durchzusetzen. Durch den festen Betrachterstandpunkt, der den Gläubigen vor dem Fresko fixiert, durch die vorgetäuschte Tiefe und architektonischen Elemente sichert er sich die Aufmerksamkeit des Betrachters. Einerseits stellt er sich medial in die Tradition der Halbciborien, die als raumplastische Elemente nicht nur den dargestellten Inhalt, sondern auch die Prominenz der Stifter betonten. Gleichzeitig verzichtet er bewusst auf übliche raumplastische Hervorhebungen und bleibt im Medium der Freskomalerei. Neben den daraus erwachsenen finanziellen Vorteilen (denn der Maler braucht keinen Bildhauer mehr, der den plastischen Teil ausführt und somit einen Teil des Geldes für sich beansprucht), erreicht Masaccio, unabhängig von den Maltraditionen des Mittelalters, eine Räumlichkeit mit malerischen Mitteln. Diese konnte vorher nur von architektonischen Objekten erlangt werden. Masaccio konstruiert das Bild aus sich heraus. Das Fresko schafft sich selber Raum, lässt ihn für sich entstehen. Es verneint die Flächigkeit der Wand und erhebt die Räumlichkeit und die Tiefendimension zu einer neuen Qualität. Durch die Imitation von Pilastern als Rahmung des Freskos wird der vorherrschende Gebrauch von Rahmen überwunden, der ausschließlich zur Abgrenzung von angrenzenden Fresken diente. Nun wird der Rahmen zu einem festen Bestandteil des Gesamtkunstwerks und somit ein Bestandteil des entstandenen Systemraums. Auch die Lichtführung im Fresko, die auf die reale Standortsituation Bezug nimmt, zeugt nicht nur von der konsequenten Umsetzung der Idee eines Systemraumes, sondern zeigt vielmehr, dass die Wirklichkeit zu einer bedeutenden Bezugsgröße und die Mimesis zum Ziel der Kunst erhoben wird. Dass Masaccio die Raumillusion nur durch das Medium der Malerei als ein Künstler vermitteln kann, zeichnet ihn als einen Renaissancekünstler aus. Denn ein wesentlicher Charakterzug dieser Epoche war der Glaube an die Genialität eines unterschiedliche Fähigkeiten in sich vereinenden uomo universalis. Bei dem Bildaufbau überlässt Masaccio nichts dem Zufall. Die in die Tiefe verlaufenden Linien sind Teil eines räumlichen Koordinatensystems, der geometrischen und optischen Gesetzen folgt. Die symmetrische Komposition ordnet die Figuren in ein hierarchisches Schema ein, das dem gläubigen Renaissancemenschen durch die Identifikationsfiguren der Stifter einen Platz in der Weltordnung zwischen dem irdischen Tod und dem ewigen Leben zuweist. Die Untersuchung von Florian Huber zu Masaccios Form- und Zahlensymbolik hat gezeigt, dass Masaccio die Perspektive nicht nur als ein bloß räumliches Konstrukt, sondern, nach Erwin Panofsky, als eine symbolische Form verwendet. D.h. die Linearperspektive stellt in der historischen Realität der Renaissancegesellschaft eine adäquate Repräsentationsform geistiger Inhalte dar. In diesem frühen Beispiel der mimetischen Darstellung finden wir die Einflüsse der neu aufkommenden humanistischen Elite, die eine harmonievolle Verbindung zwischen den Werten der Antike, zeitgenössischen Naturwissenschaften, Natur und Religion in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft anstreben. Diese Tendenz der Theoretisierung (um nicht zu sagen Instrumentalisierung) der Kunst durch unterschiedliche Instanzen und Interessengruppen hat jedoch zur Folge, dass die Aufgabenbereiche und Möglichkeiten der Kunst von vornherein festgelegt und somit sehr statisch sind. Diese Rationalität der Kunst wird später zum Kritikpunkt der Moderne, die die Kunst aus ihren Zwängen und Vorschriften befreien will und die Mittel für diese Befreiung im Medium der Kunst selbst findet. Die Modernisten wollen zeigen, dass die Kunst nicht figurativ, erzählerisch oder illusionistisch sein muss, um als Kunst anerkannt zu werden, und dass die Erweiterung der Ausdrucksmittel sich im positiven Sinne auf die Kunsterfahrung auswirken kann. Im nächsten Abschnitt werden die Voraussetzungen der Moderne und der damit zusammenhängenden Veränderung des Kunst- und Raumbegriffes behandelt. Diese Entwicklung ist für die Auseinandersetzung mit dem Werk Francis Bacons von entscheidender Bedeutung, denn nur aus den durch die Moderne geschaffenen Voraussetzungen heraus lässt sich sein bildlicher Raum und sein Kunstverständnis erklären.

Über den Autor

Dietmar Mezler, Magister Artium. Magisterstudium der Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Kassel. Abschluss 2008 als Magister Artium der Fächer Kunstgeschichte und Geschichte. Derzeit tätig als Praktikant an der Platform Garanti Contemporary Art Center in Istanbul im Bereich der Recherche und Koordination von Ausstellungen, Vorträgen und Projekten mit dem Schwerpunkt auf die Tendenzen und Diskurse zeitgenössischer Kunstproduktion.

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