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Pädagogik & Soziales

Sarah-Raphaela Schmid

Inklusion in der Jugendberufshilfe. Reine Definitionssache?

ISBN: 978-3-96146-991-8

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2025
AuflagenNr.: 1
Seiten: 60
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Inklusion – reine Definitionssache? Was bedeutet Inklusion von Jugendlichen mit Behinderung für die Jugendberufshilfe? Die vorliegende Studie versucht zu veranschaulichen, wie sich Teilsysteme bezüglich ihrer System-Umwelt-Differenz gemäß Niklas Luhmann ausdifferenzieren. Die Studie legt einen großen Wert darauf, die Phänomene Inklusion und Behinderung hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Entwicklung sowie Notwendigkeit zu beschreiben. Auf die Teilhabe von Jugendlichen mit Behinderung im allgemeinen Bildungs-, Ausbildungs- sowie Beschäftigungssystem wird explizit eingegangen. Dabei wird das System der Jugendberufshilfe hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Konstituierung beschrieben und mögliche Gründe sowie Wege für eine Neukonzipierung aufgezeigt. Als theoretische Brille dient die Systemtheorie nach Niklas Luhmann, welche sich durch die gesamte Studie zieht. Durch den systemischen Blick wird deutlich, wie die Systeme Politik, Rechtssystem, Bildungssystem, Soziale Arbeit, Pädagogik und Jugendberufshilfe durch ihre Systemlogik Inklusion und Behinderung weiterentwickeln sowie mitgestalten können. Abschließen wird anhand der Sozialraumorientierung mit einem Praxisbeispiel aufgezeigt, wie sich die Jugendberufshilfe – auch in Bezug auf Inklusion – weiterdenken kann.

Leseprobe

Textprobe: Eine kurze Einführung in die Grundgedanken der Systemtheorie nach Niklas Luhmann Bei der Systemtheorie von Niklas Luhmann handelt es sich um eine hochkomplexe Theorie, welche ich im Rahmen dieser Arbeit nur ansatzweise aufgreifen kann. Im Folgenden möchte ich versuchen, wichtige Grundgedanken sinngemäß darzustellen. Gezäß Berghaus versteht Luhmann in seiner Systemtheorie alle Bestandteile der Gesellschaft und somit die Gesellschaft an sich als ein System. Das System, welches aus Interaktionen, Organisationen und der Gesellschaft besteht, bezeichnet Luhmann als ein soziales System . Dieses wiederum enthält Teilsysteme wie zum Beispiel Familie, Schule, Pädagogik, Politik, Medizin und Wirtschaft. Die einzige Art und Weise, auf die soziale Systeme handeln, ist Kommunikation. Luhmann vertritt somit eine sogenannte antihumanistische Anschauung dessen, wie ein System operiert (vgl. Berghaus 2002,S.21). Der Mensch ist somit nicht in Position, zu kommunizieren - dies kann ausschließlich das System. Luhmann grenzt sich laut Berghaus von dem handelnden Individuum ab und fokussiert sich somit auf die gesamte Gesellschaft als soziales System, welches durch Kommunikation operiert (vgl. Berghaus 2002, S. 62 ff.). Der Mensch besteht gemäß Luhmann dabei aus Parallelsystemen wie biologischen und psychischen Systemen (vgl. Kleve 2005, S. 4 f.). Dabei operiert jedes System nach eigenen Grundsätzen: Biologische Systeme operieren durch Leben, Soziale Systeme operieren durch Kommunikation, Psychische Systeme operieren durch Bewusstseinsprozesse (Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Wollen, Aufmerksamkeit) (Berghaus 2002, S.62). Damit kommuniziert werden kann, wird die Beobachtung benötig, denn anhand dieser kann der Beobachtende die Realität konstruieren, so Berghaus Luhmann-Interpretation (vgl. Berghaus 2002, S.44 f.). So ist lautdiesem Autor Luhmann in erster Linie als Systemtheoretiker zu verstehen, wobei die Realität mittels Beobachtung konstruiert wird, was das konstruktivistische Denken Luhmanns zeigt (vgl. ebd., S.26 f.). Mit Hilfe von Beobachtung werde versucht, die Realität zu erfassen (Beobachtung erster Ordnung). Dadurch entstehe Differenz, da der Beobachter die ihm gegebene Realität wahrnimmt und durch Kommunikation mitteilt, also weitergibt. Die Differenz beziehe sich auf die Umwelt und dem System. Es komme schließlich darauf an, wie ein weiterer Beobachter das Beobachtete des ersten Beobachtete des ersten Beobachters versteht und seine Information dadurch gewinnt und weitervermittelt (Beobachtung zweiter Ordnung) (vgl. Berghaus 2002, S. 49). Nach Dickmann hat Luhmann die Beobachtung zweiter Ordnung als wichtige Beobachtung für die Wissenschaft erachtet (vgl. Dickmann 2004, S .26): Wissenschaft ist Beobachten und Beschreiben (Dickmann 2004, S. 25). Es entstehe dadurch jedoch zwangsläufig ein blinder Fleck , da der Beobachter einen Teil der Beobachtung konstruiere und die Realität in ihrer Komplexität nicht lückenlos erfassen könne (vgl. Dickmann 2002, S.25). Demnach sei Differenz der Anfang aller Kommunikation. Kommunikation sei somit als ein unendlicher Ablauf zu verstehen. Das System beobachte seine Umwelt und diese Umwelt beschreibe jedes System auf seine spezielle Weise, da der Beobachtende seine Umwelt differenziert wahrnimmt. Ein System nehme die Veränderungen seiner Umwelt mittels Beobachtung wahr und reagiere mittels Ausdifferenzierung. Ein anderes System, welches auch in die veränderte Umwelt eingebunden ist, reagiere ebenfalls mit Ausdifferenzierung (vgl. Berghaus 2002 S. 58). Daraus folgt nach Wevelsiep, dass es unendlich viele Perspektiven der Beobachtung gibt, dass also jedes System seine Umwelt differenziert wahrnimmt (vgl. Wevelsiep 2000, S. 25). Demnach seien autopoietische Systeme in sich geschlossen, jedoch auf die Umwelt bezogen hin offen - aber auch nur, wenn das System dies auch zulassen kann und möchte (vgl. Berghaus 2002, S. 59). Hier greift ein weiterer Grundgedanken der Systemtheorie: die Autopoiesis. Laut Bergahaus ist bei Luhmann erst dann von einem System die Rede, wenn es autopietisch handelt. Das heißt, dass sich das System selbst konstruiert und rekonstruiert, es wird nicht von jemand anderem erzeugt wie etwa ein vom Menschen gestalteter Gegenstand (vgl. Berghaus 2002, S. 51f). Gemäß Berghaus lässt sich sagen, dass Luhmann die Systemeigenschaften nicht ohne Vorlage konstruiert hat, sondern dass er sie aus den Funktionsweisen des biologischen Systems abgeleitet hat (vgl. Berghaus 2002, S. 53). Biologische Systeme produzieren sich ebenfalls selbst, ein Leben besteht aus einem anderen Leben und so fort. Es handelt sich um einen Kreislauf. Und so habe Luhmann dies auf andere Systeme übertragen. Deshalb könne ein soziales System auch nur mittels Kommunikation entstehen und sich weiterentwickeln (vgl. ebd., S. 52 ff.). Soziale Systeme selektieren durch Kommunikation nach relevanten und irrelevanten Informationen. Nach Wevelsiep beobachten sie mittels eigener Codierung, das heißt, am Beispiel des Rechtssystems, das der binäre Code Recht oder Unrecht ist. Dabei würden nur die für das System relevanten Informationen berücksichtigt (vgl. Wevelsiep 2000, S. 33). Dieser Vorgang sei nach Merten als Selbstrefenzialität zu bezeichnen (vgl. Merten 2005, S. 39). Ohne Code keine Autopoiesis, ohne Code kein System (Merten 2005, S.39). Dadurch entwickele jedes System seine eigene zu operierende Logik (vgl. Merten 2005, S. 39 f.) Ein System operiere, also produziere demnach an den Anforderungen der modernen Gesellschaft und sichere somit sein Fortbestehen (vgl. Berghaus 2002, S. 54). Nach Merten werde dieser Prozess als funktionale Differenzierung beschrieben: jedes System bilde seine Funktionssysteme (vgl. Merten 2005, S.39). Luhmann bezieht sich auf ältere soziologische Systemtheorien, z. B.: auf die Theorie des amerikanischen Soziologen Talcott Parsons (1902 – 1979), aber auch auf biologische, kybernetische und philosophische Erkenntnisse (Kleve 2005a, S.10). Jürgen Habermas, welcher mit Luhmann bezüglich der Lehre von Studierenden zusammengearbeitet habe, verwende den System- und Kommunikationsbegriff in seiner Gesellschaftstheorie anders: Er sei der Auffassung, dass das Subjekt mit Hilfe von Kommunikation handelt und somit eine gesellschaftliche Konsens bildet. Er unterteile die Gesellschaft in Systeme und Lebenswelt, wobei die Systeme durch Kritik und Moralvorstellungen verbessert werden könnten (vgl. Berghaus 2002, S. 21). Somit könne man Habermas als Kritiker und Luhmann als Beobachter der Gesellschaft ausmachen (vgl. ebd., S. 20). Diese beiden Positionen verdeutlichen, dass auch in der Soziologie ein kontroverser Diskurs vorherrscht, wie Gesellschaft zu beschreiben ist. Für die vorliegende Untersuchung ist die Systemtheorie nach Luhmann relevant, da sich durch sie die Frage klären lässt, nach welchen Kriterien eine moderne Gesellschaft beobachtet, wie sie funktional differenziert und sich diese Weise die blinden Flecken wechselseitig beheben lassen können (vgl. Wevelsiep 2000, S.40 f.). Zudem verzichtet sie laut Berghaus auf moralische Wertungen und Vorstellungen von Gesellschaft als übergeordnete allwissende Instanz und bedient sich lediglich der Beobachtung von Gesellschaft in ihrer Entwicklung, um die moderne Gesellschaft zu beschreiben (vgl. Berghaus 2002, S.21). Des Weiteren werde ich in meiner Studie grundlegende Begriffe der Systemtheorie Luhmanns verwenden, jedoch nicht immer ausdrücklich darauf verweisen. Werden diese jedoch im Zusammenhang einer anderen Gesellschaftstheorie verstanden, weise ich explizit darauf hin. Gesellschaftliche Konstruktion von Behinderung Im folgenden Kapitel möchte ich beschreiben, wie sich der Terminus Behinderung gesellschaftlich konstruiert hat, wie sich diesbezüglich die rechtlichen Rahmenbedingungen gestalten und welche Diskussionsansätze dabei entstehen, insbesondere im Zusammenhang mit Inklusion. Dass es sich beim Terminus Inklusion um einen weit gefassten und nicht leicht einzuordnenden Terminus handelt, werde ich anschließend zu veranschaulichen versuchen. 3.1 Dimensionen von Behinderung Im Folgenden möchte ich beschreiben, wie sich der Begriff Behinderung im gesellschaftlichen Kontext herausgebildet und entwickelt hat. Gemäß Mürner und Sierck handelt es sich bei dem Begriff der Behinderung um einen relativ neuen und ambivalenten, welcher im 20. Jahrhundert erstmals im deutschsprachigen Raum eingeführt wurde. Das Anderssein, das Abweichen von der gesellschaftlichen Norm werde als sogenannte Behinderung beschrieben. Jedoch werde Diversität nicht immer als negativ bzw. als defizitär wahrgenommen. Abweichungen von der sogenannten Norm könnten auch als positiv empfunden werden, da Vielfalt in unserer Gesellschaft durchaus gewollt werde und in einigen Bewegungen, wie zum Beispiel in der Arbeiterbewegung, Frauenbewegung und Homosexuellenbewegung zum Ausdruck gebracht werde. Jedoch sei diese positive oder negative Zuschreibung keineswegs festgelegt, sondern kontextabhängig (vgl. Mürner/ Sierck 2012, S. 9). Bei dem Terminus Behinderung handele es sich nicht um einen festen, sondern um einen im gesellschaftlichen Zusammenhang wandelbaren Terminus - wie dessen im Folgenden dargestellte Entwicklung zeigt (vgl. ebd., S. 11). Anfangs des 20. Jahrhunderts hat es Mürner und Sierck zufolge keinen Terminus gegeben, welcher die Behinderungen in einem umfassenden Begriff hätte beschreiben können. So habe man die von der gesellschaftlichen Norm Abweichenden zum Beispiel als Krüppel , Irre oder Missgeburten bezeichnet (vgl. ebd., S. 12). Laut Mürner und Sierck gilt gemäß Krüppelfürsorgesetz § 9 aus dem Jahr 1920 jeder als Krüppel, der eine angeborene oder langfristige körperliche Schädigung hat. Eine kurzweilige Erkrankung mache demnach noch keinen Krüppel aus. Ein Krüppel sei damals jener gewesen, welcher durch sein körperliches Leiden als unbrauchbar für die Gesellschaft angesehen wurde - unbrauchbar im Sinne dessen, dass nicht am allgemeinem Arbeitsmarkt teilnehmen zu könne (vgl. ebd., S. 38 f.). Der damals so genannte Krüppel galt in einem eigens dafür eingerichteten Krüppelheimen zur Erwerbstätigkeit und somit zur wirtschaftlicher Autonomie erzogen und sollte auf diese Weise brauchbar gemacht zu werden (vgl. ebd., S. 17). Laut Mürner und Sierck bestand das eigentliche Ziel darin, die Menschen mittels Arbeit gesellschaftlich zu heilen. Arbeit hätte demnach nicht der Verwirklichung eigener Ziele und Interessen gedient, sondern eigens der Anpassung an die gesellschaftliche Norm (vgl. ebd., S. 37 f.). Eine große Anzahl an Menschen sei damals auch durch den Ersten Weltkrieg verkrüppelt worden (vgl. ebd., S. 20). Aufgrund dessen wurde am 06. Mai. 1920 das Krüppelfürsorgegesetz ins Leben gerufen, das die Gesellschaft erstmals zur Fürsorge körperlich beeinträchtigter Menschen verpflichtete. Menschen mit anderen Behinderungen seien zu dieser Zeit gemäß ihrer Beeinträchtigung bezeichnet worden, wie zum Beispiel Schwachsinnige oder Taubstumme (vgl. ebd., S. 39). Heutzutage werden diese Ausdrucksweisen in der Medizin, Psychiatrie und Pädagogik nicht mehr verwendet. In der Rechtswissenschaft sind diese Ausdrucksformen zum Teil jedoch noch allgegenwärtig. So bezeichnet das Strafgesetzbuch (STGB) in § 20 für schuldunfähig […] wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (Stand 10. Mai. 2014). Erstmals wurde das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich am 15. Mai 1871 verfasst. Der § 20 stammt noch aus dem Jahr 1975. Gemäß Duden bezeichnet Schwachsinn eine frühere medizinische Bezeichnung für eine geistige Behinderung (vgl. Duden (a)). Als seelische Abartigkeit werden nach dem Rechtswörterbuch uni- und bipolare Störungen bezeichnet (vgl. Rechtswörterbuch). Die oben angesprochenen Krüppelheime sind gemäß Mürner und Sierck jedoch nicht aus uneigennütziger Wohltätigkeit entstanden. Sie seien eigens ein Produkt der Ausdifferenzierung gewesen, indem Systeme auf ihre Umwelt in der Form einer solchen Ausdifferenzierung reagiert hätten (vgl. Mürner/ Sierck 2012, S. 19). So hätte sich ein neuer Zweig der Sonderanstalten herausbilden können. Das Krüppelheim hätte demnach als allumfassende Institution dazu gedient, Menschen mit Beeinträchtigungen zu beschulen und medizinisch zu versorgen, sie auszubilden und für sie Arbeit sicherzustellen. Da die Gesellschaft zum Beispiel auf dem normalen Arbeitsmarkt nicht die Notwendigkeit gesehen hätte, diese Menschen zu integrieren, ihnen Teilhabe zu gewähren, wäre ein neuer Berufszweig entstanden - die Fürsorgepflege. Diese sei von der Gesellschaft dankbar angenommen worden, da der Krüppel auf diese Weise nicht als eigenständiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt worden wäre und einer übergeordneten Person, dem Erzieher, bedurft hätte, um sich in der Gesellschaft behaupten zu können (vgl. Mürner/ Sierck 20f.). Dadurch hätte sich das Bild der Fürsorge als Wohlfahrtsprinzip in der Gesellschaft manifestiert (vgl. ebd., S. 21f.). Erstmals sei im Nationalsozialismus zwischen Krüppeln und Körperbehinderten unterschieden worden, um die Differenzierung zwischen angeborener und nicht angeborener Behinderung aufzuzeigen. 1957 wurde das Krüppelfürsorgesetz ins Körperbehindertenfürsorgesetz geändert (vgl. Mürner/ Sierck 2012, S. 40f.). Daraus wird nach Mürner und Sierck ersichtlich, dass der Terminus Behinderung erstmals im Zusammenhang mit dem Terminus Körperbehinderung auftauchte und sich in den 1960er-Jahren sich zu einem eigenständigen Begriff herausbildete (vgl. ebd., S. 60). Einhergehe damit auch der Gedanke und die Forderung des Normalisierungsprinzips, welches Menschen mit geistiger Behinderung eine bestmögliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen solle. 1986 wurde diese Forderung erweitert durch die Forderung, alle Menschen in die sozialen Systeme mit aufzunehmen. Anklang fand in diesem Zusammenhang auch die Beschäftigung mit der Thematik der Sozialraumorientierung. Hilfen haben sich diesem Ansatz zufolge an der gegenwärtigen Lebenswelt der Menschen und ihren Lebenszusammenhängen zu orientieren. Denn Separation und Segregation würden die Systeme betreiben, nicht die Menschen selbst (vgl. ebd., S. 70f.). Damit wird die Verantwortung des Einzelnen an die gesamte Gesellschaft übertragen. Darum sei es sinnvoll, das Bewusstsein der Menschen in den Systemen für ein stärkeres Miteinander zu sensibilisieren, um somit Vorurteile abzubauen und Informationslücken zu füllen. Eine reflektierte Herangehensweise sei demnach unabdingbar, um ein Leben für jeden Menschen ohne Einschränkungen in der Gesellschaft zu ermöglichen (vgl. ebd., S. 81). Hierbei handelt es sich auch bereits um den, in dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (abgekürzt UN-BRK) thematisierten Grundgedanken der Inklusion geht. Auch wenn er anders beschrieben wird und eher als Integration verstanden wird, ist der Grundgedanke der Sozialraumorientierung derselbe: Menschen nicht auszuschließen und sie ihrer Separation sowie Segregation zu überlassen. Auch der Artikel 8 der UN- BRK findet hier Relevanz, nämlich die Bewusstseinsstärkung als Ziel für ein uneingeschränktes Leben miteinander. Eine weitere Entwicklung, um Behinderung zu beschreiben, stellt nach Pauls das bio- psycho-soziale Modell dar. Bei dem bio-psycho-sozialen Modell handele es sich um eine medizinische Beschreibung von Behinderung nach den Grundgedanken der Systemtheorie von Luhmann. Dieses Modell beschreibe den Zusammenhang von biologischen, psychischen und sozialen Systemen im Zusammenhang von biologischen, psychischen und sozialen Systemen im Zusammenhang mit deren Umwelt (vgl. Pauls 2012, S.2f.). Das bio-psycho-soziale Modell richte sich nach den Richtlinien der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) gemäß der World Health Organisation (WHO) (vgl. Preißler 2014, S.16). An dieser Stelle möchte ich die klassische medizinische Beschreibung von Behinderung erwähnen - das biomedizinische Modell, welches gemäß dem International Classifacation of Diseases (ICD) eher defektorientiert agiere, das heiße, dass es sich an den gegenwärtigen gesundheitlichen Problemen der Menschen orientiere und die Lebenswelt der Menschen nicht mit einbeziehe (vgl. ebd., S. 16). Eine Erweiterung des Modells stelle das Modell der International Classification of Impairments Dishabilities and Handicaps (ICIDH) dar, welches die Folgen von Krankheiten im Blick auf die strukturelle Schädigung (Erbkrankheit oder Unfall), funktionale Beeinträchtigung (in Alltagssituationen) und die soziale Schädigung (in Bezug auf die gesellschaftliche Partizipation) beschreibt. Dieses Modell beschreibt, so Preißler, lediglich die Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf die Lebenswelt, jedoch vernachlässigt es deren Wechselwirkungen (vgl. ebd., S. 16f.). Das bio-psycho-soziale Modell hingegen klassifiziere die Gesundheit in Beziehung zu den Umweltfaktoren. Das Modell könne man demzufolge als universell bezeichnen, da es an den Potenzialen aller Menschen interessiert sei (vgl. Deutschlands Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI). Der ICF orientiert sich an der Lebenswelt der Menschen, um festzustellen, wie sich eine Krankheit auf die Lebenswelt der Betroffenen auswirke und umgekehrt. Wichtig sei bei diesem Modell, dass es sich nicht primär an der Krankheit oder Behinderung, sondern an der Gesundheit der Menschen orientiere. Jedoch könne dieses Modell noch nicht als ganz ausgereift angesehen werden, da es in seiner Entwicklung noch am Anfang (vgl. Pauls 2012, S.12). Dieses Modell verdeutlicht, dass Behinderung nicht nur eine Krankheit ist, welche einschränkt, sondern dass sie auch in der Wechselwirkung mit anderen Systemen und deren Umwelt steht und dass diesem in der Lage sind zu behindern. Darauf wird, wie Banafsche anmerkt, auch in der UN-BRK eingegangen, weshalb die Beschreibung von Behinderung ihm zufolge beinhaltet, dass es sich um eine Einschränkung handelt, die sich in der Gesellschaft stetig wandelt und die durch die sozial herbeigeführte Barrieren entsteht, welche die gesellschaftliche Teilhabe behindern (vgl. Banafasche 2013, S. 44). Gemäß Schulze hebt das bio-soziale Modell hervor, dass durch Inklusion soziale Barrieren abgebaut werden können. Es verdeutliche ebenfalls, dass dazu die Anpassung von Strukturen in mehreren Stufen notwendig sei (vgl. Schulze 2011, S. 16).

Über den Autor

Sarah-Raphaela Schmid (M.M.), geboren 1983, Systemische Beraterin und Systemische Therapeutin. Absolvierte erfolgreich ihr Bachelorstudium in Erziehungswissenschaften an der Eberhard Karls Universität Tübingen und ihr Studium im Fach Mediation an der FernUniversität Hagen. Während des Studiums setzte sich die Autorin praktisch wie theoretisch intensiv mit dem Phänomen Inklusion auseinander. Was sie dazu motivierte sich der Thematik der vorliegenden Studie zu widmen.

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