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  • Flaneure in Berlin und Frankfurt am Main. Urbane Müßiggänger in „Spazieren in Berlin“ und „Tarzan am Main“

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2016
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In der Studie geht es um die literarische Flanerie in den Städten Berlin und Frankfurt am Main. Seit Mitte der achtziger Jahre ist eine Textform wiederentdeckt worden, die den Spaziergang als Medium der Großstadterfahrung betrachtet. Zu finden war die literarische Flanerie als Kleine Form in den Feuilletons der überregionalen Presse. Viele Berlin-Flaneure werden heute wiederentdeckt, ihre Texte werden gesammelt und publiziert. In den achtziger Jahren erschienen erste Doktorarbeiten, die sich wissenschaftlich mit der Flanerie als literarischer Form einer Stadterfahrung auseinandersetzen. Das Ziel dieser Untersuchung ist es, die Wahrnehmung des Flaneurs anhand der Werke Spazieren in Berlin von Franz Hessel und Tarzan am Main von Wilhelm Genazino zu vergleichen. Das Buch besteht aus einem Theorieteil zum Thema Flanerie und einer Untersuchung der Wahrnehmung der Flaneure anhand ausgewählter Episoden. Die Fragestellungen lauten: Was sehen die Flaneure während ihrer Müßiggänge? Und wie wird dies beschrieben? Welchen Zweck verfolgen die Flaneure? Was sind die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der ausgesuchten Flaneure beim Anblick der Großstadt?

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Flaneure ab 1980 in Deutschland: 4.1, Tendenzen des urbanen Müßiggangs: Die literarische Flanerie in Deutschland kam vermehrt in den 80er Jahren wieder auf, denn in den zerstörten Städten der Nachkriegszeit war es unmöglich gewesen, zu flanieren, und die Menschen waren mit der Sicherung ihrer Existenz beschäftigt. Schon in den 70er Jahren flanierten die deutschen Autoren in Metropolen wie Paris oder Rom. Auch die wissenschaftlichen Arbeiten handeln meistens von den Flaneuren bis 1933. Die von Matthias Keidel vorgestellten Flaneure beziehen sich auf die traditionelle literarische Flanerie, doch sind neuere Texte variationsreicher, verspielter und reflektierter geworden. Das Leben des Flaneurs wird oft in den Mittelpunkt gestellt, was den Texten eine autobiografische Note verleiht. Die typischen Phänomene wie Medien, Entfremdungserlebnisse in der Stadt und die dadurch entstehende Melancholie spielen auch heute eine wichtige Rolle. Des Weiteren erkennt man die Verfallserscheinungen, Verschlechterung und Verwahrlosung der Großstädte und Menschen in den gegenwärtigen Texten, wie Wilhelm Genazino es in seinen Texten exemplarisch aufzeigt (Keidel 2006: 101). Keidel betont in seinen Textanalysen, dass der Flaneur als Funktionsform begriffen wird, da es den Flaneur als Sozialfigur in Deutschland nie gegeben hat. Die Autoren der Flaneurtexte haben jeweils andere inhaltliche Schwerpunkte, doch alle haben eine ähnliche Fragestellung und Thematik. Keidel erkennt in seinen Analysen unterschiedliche emotionale Färbungen, die jedes Jahrzehnt (70er, 80er und 90er Jahre) aufweist. Im Folgenden werden einige Flaneurtexte, die Keidel analysiert, vorgestellt, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den traditionellen und den neueren Feuilletons aufzuzeigen. Die Texte aus den Flaneurbüchern von Botho Strauß, Bodo Morshäuser, Richard Wagner und Jochen Schimmang werden kurz vorgestellt (ebd.). 4.2, Urbane Müßiggänger in Berlin: Botho Strauß´ Paare, Passanten, das 1981 erschienen ist, gewinnt seine Erkenntnis vom besonderen Detail, um dann ins Allgemeine zu weisen. Er konzentriert sich auf die für ihn stärksten Herausforderungen der menschlichen Existenz. Dazu zählen die Liebe und der Tod (ebd.). In seinen Prosastücken übt Strauß Medienkritik und beschreibt ein grundlegendes Entfremdungsgefühl. Er beklagt sich über den Geschichtsverlust und Gegenwartshörigkeiten im Stadtraum Berlins, was ihn mit Kracauer und Benjamin verbindet. Seine Analyse der deutschen Gegenwart, die Entfremdungsgefühle auslöst, fällt pessimistisch aus (ebd. 102). Der Autor stellt die Gegenwartsanalysen der mechanisierten Welt der Remythisierung des Alltags gegenüber, was möglich macht, die in Paare, Passanten erscheinenden Figuren auf existenzielle Fragen zu beziehen (ebd. 103). Bodo Morshäusers Erzählung Die Berliner Simulation von 1983 kann man als ein Zeitdokument begreifen, das sich der Bewahrung des jüngst Vergangenen widmet, was eine klassische Aufgabe der Flanerie darstellt. Es werden Brücken in die Vergangenheit geschlagen. Genauso wie Botho Strauß kritisiert Morshäuser die inszenierten Geschichtsshows. Darüber hinaus gehören zu Morshäusers Themen die Ausländer, wobei sie das Fremde repräsentieren und den Eindruck von Internationalität vermitteln (ebd. 123). Der literarische Tonfall unterscheidet sich von dem der 70er Jahre, dennoch sind die Spuren der Entfremdung im Stadtbild vorhanden. Der Umgang mit dieser Fremde hat sich in den 80er Jahren verändert. An die Stelle der Klage ist die anarchische Selbstinszenierung getreten, wobei nicht um jeden Preis inszeniert wird, sodass es sich nicht um eine mediale Inszenierung geht. Der Umgang mit Entfremdungserscheinungen ist selbstbewusster und verspielter geworden und es gibt eine größere Variationsbreite an Erzählformen. Des Weiteren zeichnen sich die Texte durch eine ironische Herangehensweise und einen größeren Raum für die Handlungselemente aus, was sie weniger tiefsinnig erscheinen lässt. Außerdem weisen Morshäusers Texte eine Vielzahl an thematischen Konstanten und formalen Rahmenkriterien auf (ebd. 123-124). Jochen Schimmangs Flaneurbuch Vertrautes Gelände, besetzte Stadt vom 1998 bezieht sich auf die klassischen Feuilletons von Hessel und Benjamin sowie auf die französischen Flaneure. Die 90er Jahre ermöglichen verschiedene Variationen der literarischen Flanerie. Schimmang wechselt zwischen unterschiedlichen Spielformen wie essayistischen Ausführungen zur Urbanität, Detailbeobachtungen eines nicht lokalisierten Erzählers und einem direkten Bericht des Flaneurs. Die Spannung des Buchs entsteht durch eine kritisch-reflektierte Sprache und naive Begeisterung. Die Texte zeichnen sich durch melancholische Erinnerungen, Empathie und Identifikation mit den beschriebenen Figuren sowie durch die häufige kindliche Perspektive und deren Reflexion aus. Jedoch bedauert der Erzähler nicht die großen Veränderungen im städtischen Kontext. Ihm geht es vielmehr und das Lebensgefühl der neusten Urbanitätsformen wie Shopping-Malls, Mediaparks und andere Konsumwelten. Des Weiteren reflektiert er über Film sowie die Wahrnehmung als Passant und als Autor. Dank Jochen Schimmang wird der Begriff des Flaneurs in reflektierter Form im Feuilleton gebraucht und nicht nur oberflächlich als ein konsumwilliger Passant verstanden (Keidel 2006: 168). Richard Wagner, der sich selbst als Flaneur bezeichnet und auch von den Kritikern so genannt wird, bezieht sich in seinen Büchern In der Hand der Frauen und Giancarlos Koffer auch auf die thematischen und formalen Traditionen der Flaneurtexte. Er führt einige Neuerungen in seinen Texten ein, wechselt zwischen dem spezifisch hedonistischen und dem naiv-ironischen Literaturstil der 90er Jahre und verbindet dies mit seiner flanierenden Wahrnehmung. Aufgrund seiner Biografie – Wagner stammt aus Rumänien – besitzt er einen doppelten Blick, welcher die Gegenwart der westlichen Großstädte unterschwellig mit den Erfahrungen in einem totalitären System vergleicht. Seine Perspektive ist durch den doppelten Blick tiefsinnig, aber nicht schwermütig. Zudem vermeidet er spielerisch eine moralisierende Haltung. Ganz innovativ ist seine häufige Vorgehensweise, die Deutung des Geschehens anderen Figuren, meist Frauen, zu überlassen oder ganz auf diese zu verzichten. Er verlässt die bewährte Methode des souveränen Ich-Erzählers, der sich mehr auf Interpretation als auf Beschreibung konzentriert (ebd. 148). Bei Wagner treten keine Entfremdungsgefühle auf, da es bei ihm keinen Sinn als Denkkategorie gibt und weil er nur ästhetische Probleme bewertet. Da Wagner kein Einheimischer in Berlin und einem totalitären System entkommen ist, konnte er sich schriftstellerisch entfalten und die erwähnte Entfremdung tritt bei ihm nicht auf. Sein naiver Schreibstil gilt als Vorbild für die 90er Jahre. Der Autor vermeidet einen wissenschaftlichen Diskurs über Urbanitätsformen und die verbliebenen Möglichkeiten von Stadtwahrnehmung. Keidel betont, dass er sich vielmehr auf sein biografisches und episodisches Erzählen als Flaneur konzentriert und dies literarisch überzeugend umsetzt. Neu bei Wagner ist auch die Identifikation des Flaneurs mit der Alltagswirklichkeit der Passanten (ebd.).

Über den Autor

Nelly Bachmann, M.A., wurde 1987 geboren. Nach ihrem Bachelor-Studium im Fach Deutsch als Fremdsprache, nahm sie ein Masterstudium im Fach DaF und Germanistik auf. Ihr Studium hat sie 2016 erfolgreich abgeschlossen. Ihr Interesse gilt der Literatur, der Kultur und dem Film. Der Schwerpunkt ihres Studiums lag in der Germanistischen Literaturwissenschaft. Daher beschäftigte sie sich in dieser Untersuchung mit dem Phänomen des Flaneurs.

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