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Politik


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 12.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Abb.: 7
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Im politischen System der BRD kommt dem Bundesverfassungsgericht die Aufgabe zu, über die Einhaltung des Grundgesetzes zu wachen und konstitutionellen Grenzüberschreitungen des Gesetzgebers mit den Mitteln des Verfassungsrechts entgegenzutreten. Da hierzulande die richterlichen Möglichkeiten zur Normenkontrolle besonders stark ausgeprägt sind, steht das Karlsruher Gericht traditionell in einem ständigen Konkurrenzverhältnis zur Legislative. Doch gilt dieser Befund auch für die Zeiten einer Großen Koalition? Oder verkleinert sich in diesem koalitionspolitischen Sonderfall der verfassungsgerichtliche Wirkungskreis, sodass das Bundesverfassungsgericht sein Machtpotenzial nicht mehr vollumfänglich abrufen kann? Schließlich nimmt in Zeiten einer Großen Koalition die Zahl potenzieller Antragsteller ab, sodass die konstitutionell verbrieften Normenkontrollrechte der Karlsruher Richterschaft den Regierenden weniger Schmerzen bereiten dürften. Wird das Bundesverfassungsgericht für die Dauer einer Großen Koalition also zu einem kaltgestellten Vetospieler?

Leseprobe

Textprobe: Kapitel III, Das Bundesverfassungsgericht als Vetospieler? – Zur verfassungsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Stellung eines Staatsorgans: Die vorangegangenen Untersuchungen haben gezeigt, dass auch Verfassungsgerichte über weitreichende Blockademacht im legislativen Prozess verfügen können. Gleichwohl fristen diese in der ursprünglichen Vetospieler-Konzeption eher ein Stiefmütterchendasein und werden in ihrem Einfluss auf das Policy-Making nur unzureichend erfasst. Durch das Konstrukt des bedingten Vetospielers erfährt der Ansatz von Tsebelis eine entscheidende Erweiterung, welche es erlaubt, die Verfassungsgerichtsbarkeit in sein Theoriegebäude zu integrieren und so deren Vetopotenzial adäquat abzubilden. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese theoretischen Annahmen auch auf das deutsche Verfassungsgericht zutreffen. Inwiefern diesem die Rolle eines Vetospielers im politischen System der Bundesrepublik Deutschland zukommt, soll daher im nachfolgenden Kapitel näher beleuchtet werden. Dazu müssen zum einen die staatsrechtlichen Grundlagen des Bundesverfassungsgerichts sowie seine verfassungsgerichtlichen Einflussmöglichkeiten zur Sprache kommen, zum anderen aber auch die kolportierte Zwitterstellung des Karlsruher Gerichts thematisiert werden, da sich dieses aufgrund seiner Funktionslogik im Spannungsfeld zwischen Recht und Politik bewegt. Letztlich soll in diesem Analyseabschnitt das Blockadepotenzial des Bundesverfassungsgerichts untersucht werden, um den Grad seiner Einflussmacht mit Hilfe der Vetospieler-Theorie einordnen und bewerten zu können. 1, Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im politischen System: Das Bundesverfassungsgericht nimmt im deutschen politischen System die Rolle des obersten Verfassungshüters ein und gilt aufgrund dieser herausgehobenen Stellung gemeinhin als ‘Schlussstein und Krönung des Verfassungsstaates.’ So bildet das Grundgesetz (GG) den für die Verfassungsrechtsprechung einzig gültigen Prüfungsmaßstab, nur auf die darin enthaltenen Normen kann sich das Karlsruher Gericht bei seiner Urteilsbegründung stützen. Allerdings unterscheidet sich Verfassungsrecht essentiell von einfachem Recht, das in der Rangfolge unterhalb der verfassungsrechtlichen Ebene liegt und sehr detailreich ausgestaltet ist. Verfassungstexte hingegen beinhalten kaum justiziell anwendbare Rechtsvorschriften und bedürfen stets einer weiteren Konkretisierung, was Verfassungsgerichten natürlich einen großen Interpretationsspielraum einräumt, der darüber hinaus auch zur eigenständigen Rechtsfortbildung genutzt werden kann. Mit seiner Befugnis zur Letztinterpretation des Grundgesetzes ist dem Bundesverfassungsgericht also die Auslegung ebenjener Fundamentalnorm anvertraut, die allem staatlichen Handeln als Grundlage, aber auch als Grenze dient. Schließlich verläuft der Rahmen für jeden Rechtsetzungsprozess entlang der roten Linie der Grundrechte, die der Gesetzgeber zu keiner Zeit überschreiten darf. Den politischen Gewalten der Exekutive und Legislative sind demnach Regeln auferlegt, die sie in ihrem Gestaltungsspielraum bewusst hemmen und über deren Einhaltung allein die Karlsruher Richterschaft wacht. In Deutschland ist damit – im Gegensatz zu anderen Nationen – die verfassungsgerichtliche Zähmung der Politik besonders stark ausgeprägt, was sich begrifflich im Primat der Verfassungssouveränität manifestiert. Neben diesem Souveränitätsverständnis, das der Verfassung den absoluten Vorrang einräumt, existieren noch zwei weitere Modelle, die als Legitimationsgrundlage staatlichen Handels herangezogen werden können. So gilt das politische System Großbritanniens als Beispiel für die Parlamentssouveränität, da die Exekutive traditionell keinen konstitutionellen Zwängen unterworfen ist und sich lediglich gegenüber der Abgeordnetenkammer zu verantworten hat. Mangels festgeschriebener Verfassungsnormen kann der Premierminister – solange er über eine Parlamentsmehrheit verfügt – seine Politik ohne Rücksichtnahme auf etwaige Kontrollmechanismen durchsetzen, was manchen Beobachter im britischen Fall gar von einer elective dictatorship sprechen lässt. Die Schweiz wiederum dient als Beispiel eines dritten Souveränitätsmodells, da dort die Bürgerschaft durch fakultative Referenden und die Möglichkeit zur Volksinitiative vergleichsweise stark in das politische Geschehen eingebunden ist. Verfassungsrechtliche Fragen müssen zudem stets zur Abstimmung gestellt werden, so dass das konstitutionelle Letztentscheidungsrecht immer in den Händen des Volkes verbleibt. Da die Revision der Verfassung somit allein an den Mehrheitswillen gekoppelt ist, kann im schweizerischen Fall von weitreichender Volkssouveränität gesprochen werden. Bei der Bundesrepublik Deutschland handelt es sich indessen um einen klassischen Verfassungsstaat – das geflügelte Wort des ehemaligen Präsidenten des US-amerikanischen Supreme Court Charles E. Hughes gilt hierzulande also in besonderem Maße: ‘We are under a constitution, but the constitution is, what the judges say it is.’ Die mit diesem Ausspruch postulierte konstitutionelle Interpretationshoheit der Verfassungsgerichtsbarkeit hat gerade in Deutschland immer wieder zu kontroversen Diskussionen über den Einfluss des Bundesverfassungsgerichts und dessen Rolle im politischen System geführt. So sahen sich die Karlsruher Richter im Hinblick auf ihre Urteile teilweise erheblicher Kritik ausgesetzt. In kumulierter Form war dies zuletzt Mitte der 1990er Jahre der Fall, als eine Reihe von Entscheidungen erheblichen Widerspruch hervorriefen und das Bundesverfassungsgericht gar als ein aus dem Ruder gelaufener Gerichtshof bezeichnet wurde. Darüber hinaus wurde insbesondere die Karlsruher Rechtsprechung zu Fragen der Sozial- und Steuerpolitik scharf angegriffen, da das Bundesverfassungsgericht in den Augen einiger Kritiker mehr und mehr zu einem ‘Wohlfahrtsausschuss’ mutiere, der durch überbordende Urteile den Handlungsspielraum der Exekutive sowie das Haushaltsrecht des Parlaments beschränken würde. Gleichzeitig fanden sich jedoch auch Stimmen, die das Karlsruher Gericht zum ‘Areopag der Unbeirrbaren und Unbestechlichen’ stilisierten und damit eine starke Rolle des Verfassungsgerichts geradezu anmahnten. Selbst wenn die Wahrheit wie so oft zwischen diesen beiden extremen Polen liegen dürfte, unterstreicht die Intensität der Auseinandersetzung um das Bundesverfassungsgericht noch einmal dessen hohen Stellenwert im politischen System Deutschlands und bestätigt damit weiterhin, dass eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Themenkomplex der Verfassungsgerichtsbarkeit durchaus lohnenswert ist.

Über den Autor

Florian Rühmann wurde 1982 in Basel geboren. Sein Studium der Politischen Wissenschaft, der Neueren Geschichte und des Völkerrechts an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn schloss der Autor im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad des Magister Artium erfolgreich ab. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit bewegte er sich stets an der Schnittstelle zwischen Recht und Politik und ging schwerpunktmäßig der Frage nach, was die zunehmende Justizialisierung politischer Prozesse für das traditionelle Demokratieverständnis bedeutet.

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