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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 04.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Abb.: 11
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Gewerkschaften sind primär als Produzenten von Kollektivgütern tätig, denn ihre ausgehandelten tarifvertraglichen Standards kommen nicht nur den Mitgliedern zugute, sondern wirken auch in die Arbeitsverhältnisse von Nicht-Mitgliedern ein. Vor dem Hintergrund einer anhaltenden Erosion der gewerkschaftlichen Mitgliederbasis wird in dieser Arbeit der Frage nachgegangen, warum Arbeitnehmer sich trotz der Möglichkeit zum Trittbrettfahren organisieren. Die Arbeit fokussiert dazu die direkte Entscheidungssituation einer Gewerkschaftsmitgliedschaft. Anhand einer qualitativen Befragung von zwanzig IG Metall-Mitgliedern werden Anreize der Mitgliedschaft identifiziert und auf tiefere Wirkungszusammenhänge hingewiesen. Als theoretischer Rahmen dienen verschiedene Ansätze aus dem Rational Choice-Paradigma. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf einer streng ökonomischen Theorievariante nach Mancur Olson sowie dem weiten und empirisch ausgerichteten Ansatz Karl-Dieter Opps. Im Zusammenspiel zwischen den theoretischen Ansätzen und dem empirischen Material wird ein Modell entwickelt, das mithilfe von Annahmen zur Anreizstruktur einer Gewerkschaftsmitgliedschaft die Entscheidungssituation des Einzelnen näher beleuchtet und gemäß des methodologischen Individualismus erste Schritte für einen Mehrebenenansatz zur Erklärung der Mitgliederentwicklung deutscher Gewerkschaften liefert.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.3.1, Einordnung der Gewerkschaften in die Logik kollektiven Handelns: Olson selbst ordnet Gewerkschaften als große Organisationen ein, die Vorteile für die latente Gruppe der Arbeitnehmer erstreben (vgl. Olson 2004 [1965], S. 75). Sowohl in ihrer politischen als auch in ihrer Markt- und Kartellfunktion agieren sie als Vertreter der Arbeitnehmer und setzen sich somit primär für die Erzielung kollektiver Güter ein (vgl. Kapitel 2.2.2 sowie 2.2.3). Die gewerkschaftlichen Funktionen richten sich zumeist auf Ziele, die (1) sich direkt auf die Interessen der Gruppe der Arbeitnehmer beziehen, und (2) das Merkmal der Nicht-Ausschlussfähigkeit aufweisen. Die meisten potentiellen Erfolge einer Gewerkschaft, wie etwa das Erwirken einer arbeitnehmerfreundlichen Gesetzgebung, bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne, kommen allen Arbeitnehmern zugute (vgl. ebda.) und stellen, der Logik Olsons folgend, demgemäß auch keinen Anreiz dar, einer Gewerkschaft beizutreten (vgl. ebda Kapitel 4.2.1). Als Trittbrettfahrer können also alle Arbeitnehmer gelten, die zwar von den Erfolgen gewerkschaftlicher Arbeit profitieren, aber keine Mitgliedsbeiträge abführen. Die Unterscheidung zwischen einer aktiven und passiven Mitgliedschaft ist zwar für die Kosten-Nutzen-Kalkulation des rationalen Akteurs unumgänglich, für die Erreichung der gewerkschaftlichen Kollektivgüter treten jedoch beide Mitgliedertypen ein. So gehören die Mitgliedsbeiträge zu den wichtigsten Finanzquellen der Gewerkschaften. Der rein monetäre Beitrag einer passiven Mitgliedschaft ist demgemäß bereits entscheidend für die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaft und damit auch für die Erzeugung der Kollektivgüter (vgl. Kapitel 2.3). 4.3.2, Die ökonomische Anreizstruktur einer Gewerkschaftsmitgliedschaft: Wie stellt sich die Anreizstruktur für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft in Deutschland nun genau dar? Das bedeutendste Gut, das Gewerkschaften bereitstellen, ist wohl die Aushandlung von Tarifverträgen. Wie in Kapitel 2.2.3 dargestellt, gelten die durch die Tarifparteien ausgehandelten Konditionen zwar formal nur für organisierte Arbeitnehmer, faktisch stellen Arbeitgeber die unorganisierten mit den organisierten Arbeitnehmern jedoch in der Regel gleich, um selbst keinen Anreiz für einen Gewerkschaftsbeitritt zu setzen. Eine Ungleichbehandlung durch die tariflichen Normen ist indes unzulässig. Darüber hinaus gelten Tariflöhne auch in nicht-tarifgebundenen Unternehmen häufig als Richtlinie zur Lohnsetzung. Damit profitieren Arbeitnehmer von der gewerkschaftlichen Arbeit auch ohne den Mitgliedsbeitrag von üblicherweise einem Prozent des Bruttolohns erbringen zu müssen (vgl. ausführlich hierzu Kapitel 2.2.3). Als theorie-immanente Lösungsvorschläge für die bereits diskutierte Trittbrettfahrer-Problematik benennt Olson für latente Gruppen zum einen die Setzung selektiver ökonomischer Anreize und zum anderen die Ausübung von Zwang. In seinen Ausführungen betont er besonders die Bedeutung der Möglichkeit von Zwangsmitgliedschaften für die Entwicklung und das Bestehen der US-amerikanischen und britischen Gewerkschaften: So seien 95 Prozent der hier organisierten Arbeiter von irgendeiner Form der Zwangsmitgliedschaft betroffen (vgl. Olson 2004 [1965], S. 65ff). Das deutsche Grundgesetz schließt jedoch jegliche Formen der Zwangsmitgliedschaft über Art. 9 Abs. 3 aus (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 2.2.3), so dass den ‘[…] Arbeitnehmern durch die Gesetzgebung dezidiert die Möglichkeit der Einnahme der Free-rider-Position bei den Tarifverhandlungen zugesprochen’ wird (Winkelhake 1997, S. 200). Nach Olson muss die Logik der Situation für die Akteure demnach durch die selektive Setzung ökonomischer Anreize beeinflusst werden. Man kann konstatieren, dass die deutschen Gewerkschaften kaum (ökonomische) nicht-kollektive Vorteile anbieten (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 2.2.1). So sind die Versicherungs-, Beratungs- und Schulungsangebote in der Regel kostengünstiger über privatwirtschaftliche Anbieter zu beziehen eine Monopolstellung besitzen die Gewerkschaften lediglich mit der Verwaltung des Streikgeldes (vgl. Keller 1988, S. 394). Durch das geringe Streikaufkommen in Deutschland steht jedoch auch diese Leistung in keinem positiven Kosten-Nutzen-Verhältnis zu einem Prozent des Bruttogehalts. Als Reaktion auf den anhaltenden Mitgliederschwund wird das Trittbrettfahrer-Problem gerade in jüngster Zeit auch innerhalb der Gewerkschaften stark diskutiert. Ganz im Sinne Olsons und entgegen der bisher gängigen inklusiven Praxis versuchen die Gewerkschaften immer häufiger mithilfe einer ‘Club Gut’-Politik (Brinkmann/Nachtwey 2010, S. 27) die Kosten-Nutzen-Kalkulation der Akteure zugunsten einer Mitgliedschaft zu beeinflussen. Trotz der ausführlich diskutierten gesetzlichen Schranken konnten die Gewerkschaften in einigen Firmen Bonusregelungen oder eine höhere Beschäftigungssicherheit für ihre Mitglieder erwirken (vgl. Schnabel 2005, S. 183). Darüber hinaus wird verstärkt darauf geachtet, dass wichtige Informationen nur noch an Mitglieder weitergegeben werden (vgl. Brinkmann/Nachtwey 2010, S. 28). Die Gewerkschaften folgen somit der Olson’schen Logik und versuchen durch die Setzung selektiver ökonomischer Anreize dem Trittbrettfahrer-Problem entgegen zu wirken. Nichtsdestotrotz kann der vorgestellte Ansatz unter den gegebenen Strukturen keinen ausreichenden Erklärungshintergrund liefern. Die geldwerten Vorteile einer Gewerkschaftsmitgliedschaft sind weiterhin marginal und in den entscheidenden Bereichen durch gesetzliche Rahmenvorgaben stark begrenzt. Olson geht von egoistischen Akteuren aus, die unter der Bedingung voller Informiertheit nach dem Prinzip der (ökonomischen) Nutzenmaximierung handeln. Vor diesem Hintergrund lässt sich kaum erklären, warum die deutschen Gewerkschaften in der heutigen Form überhaupt (noch) existieren. Der Anreiz zum Trittbrettfahren besteht schließlich nicht erst seit den 1990er Jahren.

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