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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 112
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Mit dem 1. Mai 2011 erreichte die europäische Einigung einen neuen Meilenstein. Die Übergangsbestimmungen des Jahres 2004, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit der Bürger der mittel- und osteuropäischen Neumitglieder einschränkten, traten mit Deutschland und Österreich in den letzten beiden Ländern der Alt-EU außer Kraft. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt ergaben sich daraus bisher keine gravierenden Negativentwicklungen. Die Zuwanderungszahlen stiegen an, aber nicht in dem Maße, wie es Prognosen und Befürchtungen im vergangenen Jahrzehnt prophezeit hatten. Arbeitsuchende hatten sich auf die früher geöffneten Arbeitsmärkte, vor allem Großbritanniens und Irlands, konzentriert. Sie konnten dort bestehende Arbeitskräftelücken ausfüllen und zu mitunter überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstumsraten beitragen. Es ergaben sich Umlenkungseffekte weg von Deutschland, die durch die entstandenen Migrantennetzwerke nachhaltige Bedeutung haben könnten. Deutschland wollte seinen Arbeitsmarkt 2004 zunächst vor unkontrollierter Zuwanderung schützen, da die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch war. Die Entwicklungen der Weltwirtschaft hatten jedoch viel größeren Einfluss auf die Arbeitsmärkte und das Wirtschaftswachstum als auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach der EU-Osterweiterung. Daher sind die Jahre 2008 und 2009 statistisch besonders auffällig. Dabei wird auch deutlich, dass die deutsche Volkswirtschaft durch eine weltweite Vernetzung geprägt ist. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit bietet dafür eine Chance, um zielgerichteter auf konjunkturelle Entwicklungen reagieren zu können. Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich von 2004 bis 2011 sichtlich verändert. Die Arbeitslosenquoten konnten deutlich reduziert werden, allerdings gewannen atypische Beschäftigungsverhältnisse eine zunehmende Bedeutung. Diese dürften künftig für viele Berufsgruppen aus Mittel- und Osteuropa trotz weiterhin bestehender Lohngefälle nicht sehr attraktiv sein. In Deutschland werden verstärkt Stimmen laut, die auf einen Fachkräftemangel verweisen. Bisher ist das nur in wenigen Berufen nachvollziehbar, doch das Arbeitskräftepotenzial wird in den kommenden Jahrzehnten durch die demografische Entwicklung sinken. Dabei erscheint es fraglich, ob Fachkräfte dann bereit sind, nach Deutschland zu kommen, zumal Wirtschaft und Einkommen auch in Mittel- und Osteuropa wachsen und die Auswanderungsmotivation senken dürften. Die deutschen Bundesregierungen und die Vertreter der deutschen Wirtschaft werden in den nächsten Jahrzehnten gesellschaftlich akzeptierte Konzepte entwickeln müssen, wie Bevölkerungsrückgang, Prosperität und Arbeitskräftebedarf aufeinander abgestimmt werden können. Die Anwerbung von mittel- und osteuropäischen Bürgern könnte dazu nur einen Baustein von vielen liefern

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 6, Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung: 6.1, Erfahrungswerte aus der vorangegangenen EG-Süderweiterung: Bereits in der Vergangenheit war ein teilweise vergleichbares Modell zur Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit entwickelt worden. In den 80er-Jahren des 20. Jh. war es vor allem das Wirtschaftskraftgefälle der Süderweiterungsstaaten Griechenland, Portugal und Spanien, das die damaligen EG-Staaten unter Zugzwang setzte. Deutschland war damals weniger betroffen. Geografisch und sprachlich galt Frankreich für Spanier und Portugiesen als das attraktivere Ziel und bestand auf einer zwölf- statt siebenjährigen Übergangszeit. Luxemburg vereinbarte gleichfalls längere Übergangsphasen. Dieser Prozess mündete unerwartet in die Erkenntnis, dass erste Befürchtungen und Prognosen einer massiven Bevölkerungszuwanderung von der Iberischen Halbinsel nicht eintrafen. Spanisch-, portugiesisch- und griechischstämmigen Personen kann jeder fast überall in Westeuropa begegnen. Wobei die Zuwanderung - aus wirtschaftlichen, wie auch aus politischen Gründen - bereits lange vor dem EG-Beitritt einsetzte. Deutschland hatte 1960 mit Spanien und Griechenland und 1964 mit Portugal Gastarbeiteranwerbevereinbarungen abgeschlossen, so dass Spanier und Griechen in den späten 1960er-Jahren zeitweise mit zu den größten Migrantengruppen in Deutschland gehörten. In Luxemburg mit seinem Ausländeranteil von mehr als 43 % der Gesamtbevölkerung stellen portugiesische Staatsbürger noch heute mit 37 % der ausländischen Population die größte Gruppierung dar. Insgesamt hatten sich die Entwicklungen aus der Süderweiterung als so positiv herausgestellt, dass die für die meisten Länder vereinbarte siebenjährige Dauer der Übergangsregelungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit um ein Jahr verkürzt wurde. Frankreich halbierte den Aufschub, nur das Großherzogtum Luxemburg schöpfte das Moratorium aus. 6.2, Einschränkungsmodell 2+3+2: 6.2.1, Verhandlungsdifferenzen und Verhandlungsergebnis: Ab 1998 begannen die konkreten bilateralen Aufnahmeverhandlungen. Von beiden Seiten - Alt-EU und MOE-Ländern - bestand der Wunsch nach einer Vielzahl von Übergangsregelungen. Hatten einige Länder, wie Tschechien oder Polen, starke Bedenken in Fragen des Grundstückserwerbs oder der Umweltschutzvorschriften etc., so war für die Alt-EU der beschränkte Zugang zu den Arbeitsmärkten von größter Bedeutung. Diese Aussetzung einer der Grundfreiheiten wurde in den Beitrittskandidatenländern vielfach kritisiert und als unbegründet zunächst abgelehnt. Als Verhandlungsergebnis im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit einigten sich die Unterhändler auf eine maximal siebenjährige Übergangsregelung, von der lediglich Malta und Zypern ausgenommen waren. Um eine Flexibilität zu ermöglichen, wurden im Gegensatz zur Süderweiterung drei Phasen vereinbart: das so genannte 2+3+2-Modell. Das bedeutet, dass für die ersten beiden Jahre (1. Mai 2004 - 30. April 2006) die Arbeitsmärkte ohne Begründung geschlossen bleiben konnten. Dem folgte ein Bericht der Europäischen Kommission, der Empfehlungen für die folgenden drei Jahre aussprach (Zeitraum 1. Mai 2006 - 30. April 2009). Im Falle schwerwiegender Störungen der Arbeitsmarktsituation oder absehbarer Beeinträchtigungen konnten die national geregelten Arbeitsmarktzugangssteuerungen nochmals um zwei Jahre (1. Mai 2009 - 30. April 2011) verlängert werden. Die Übergangsbestimmungen zur Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit wurden in die für jedes Beitrittsland separat erstellten Anhänge zum Beitrittsvertrag aufgenommen. Dabei handelte es sich um eine temporäre Aussetzung von allgemein geltendem Gemeinschaftsrecht und auch um einen Eingriff in die Grundprinzipien des Binnenmarktes und der Union insgesamt. Jedes der Alt-EU-Länder konnte allein entscheiden, ob es diese Steuerungsinstrumente anwenden wollte. Die Regierungen konnten damit verhältnismäßig flexibel die Gegebenheiten der nationalen Arbeitsmärkte einbeziehen. 6.2.2, Vergleich der nationalen Inanspruchnahmen des 2+3+2-Modells: Die übergangsweise vereinbarten Möglichkeiten der Arbeitnehmerfreizügigkeitsaussetzung wurden von den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich angewandt. Dabei lassen sich vier Gruppen unterscheiden. Finnland, Deutschland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Spanien und Griechenland behielten in der ersten Phase die Systematik bei, die bei der Einwanderung von Nicht-EU-Bürgern zum Tragen kam: es war eine Arbeitsgenehmigung erforderlich, die nur nach einer Vorrangprüfung ausgesprochen werden konnte, wenn keine Inländer oder andere Alt-EU-Bürger für die Stelle in Betracht kamen. Berufssektorale Sonderregelungen waren möglich. In der dritten Phase hatte aus dieser Gruppe nur Deutschland diese Übergangsbestimmungen beibehalten. Eine zweite Gruppe begrenzte den Arbeitsmarktzugang ebenfalls sehr stark, gewährte jedoch eine Zugangsquotenregelung. Zu Beginn wurde diese Konstellation von Österreich, Italien und Portugal angewendet. Österreich verblieb hier wiederum als einziges Land während der dritten Phase bis 2011. Gruppe drei öffnete den Arbeitsmarktzugang weitestgehend und machte lediglich eine förmliche Anmeldung zur Bedingung. Das war anfänglich in Dänemark der Fall, wobei bei der Registrierung eine Vollzeitbeschäftigung und die Anwendung des geltenden Tarifvertrages nachgewiesen werden mussten. In Großbritannien war die Registrierung lediglich eine Formalität, aus der sich keine Einschränkungen oder Nachweispflichten ergaben. Sie wurde bis April 2011 beibehalten. Faktisch handelte es sich dabei um eine vollständige Freizügigkeit. Die vierte Gruppe, bestehend aus Schweden und Irland, verzichtete von vornherein auf jegliche Einschränkungen und wendete die vorübergehende Suspendierung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht an. Die meisten Alt-EU-Länder hatten, ohne en détail darauf einzugehen, zu Beginn oder während der zweiten Phase zwischen dem 1. Mai 2006 und dem 30. April 2009 ihre Arbeitsmärkte geöffnet. Es werden zwei Gegenpole sichtbar. Einerseits Schweden, Großbritannien und Irland, die keine oder nahezu keine Einschränkungen in Anspruch genommen hatten, so dass bereits seit dem 1. Mai 2004 ein Zugang zu den Arbeitsmärkten bestand. Für das Gegenmodell standen andererseits Deutschland und Österreich. Sie waren die beiden einzigen Staaten, die die dritte Phase nutzten, so dass hier die allgemeine Freizügigkeit erst zum 1. Mai 2011 eintrat. In den MOE-Staaten wurden vorübergehende Arbeitsmarktzugangsbeschränkungen von Polen, Ungarn und Slowenien reziprok angewendet. Auf Malta bestanden Ausnahmebestimmungen, obwohl Malteser nicht von der Freizügigkeitsaussetzung in der Alt-EU betroffen waren. Das 2+3+2-Modell wurde ebenso auf die beiden Staaten der zweiten Beitrittsrunde (Rumänien und Bulgarien) übertragen. Durch den drei Jahre späteren Beitritt werden sie von der allgemeinen Arbeitsmarktöffnung noch nicht erfasst. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit besteht für Bürger dieser beiden Länder allerdings bereits schon in Finnland, Schweden, Dänemark, Portugal und Griechenland. Bis in den Sommer 2011 war das auch in Spanien der Fall. Bis voraussichtlich 31. Dezember 2012 haben dort rumänische Arbeitnehmer vorübergehend keinen uneingeschränkten Zugang mehr (siehe auch Kapitel 10.2). In einigen Alt-EU-Ländern besteht eine berufsgruppenbezogene Freizügigkeit. Ob es zu weiteren früheren Arbeitsmarktöffnungen kommt, liegt wiederum im Ermessen und in der Entscheidungsgewalt der nationalen Regierungen. Für die am 1. Januar 2012 beginnende dritte Phase bedarf es indessen erneut begründeter Arbeitsmarktrisiken. Das deutsche Bundeskabinett hat am 7. Dezember 2011 beschlossen, dass die dritte Restriktionsphase in Anspruch genommen wird. Für Rumänien und Bulgarien wird somit voraussichtlich erst am 1. Januar 2014 die allgemeine Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland bestehen.

Über den Autor

Frank Riemer, wurde 1972 in Meißen geboren und lebt heute in Aachen. Er studierte u. a. Wirtschaftsrecht und Betriebswirtschaft in Weißenfels, Potsdam und Bonn. Seine wissenschaftlichen Arbeiten und Publikationen sind davon geprägt, kulturelle (insbesondere kulturhistorische) Themen und Zusammenhänge unter rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fragestellungen zu betrachten.

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