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Recht / Wirtschaft / Steuern

Stephan Bernau

Der ganz normale Reisewahnsinn: Wie Tourismus den Planeten abgrast

ISBN: 978-3-95425-990-8

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 03.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 180
Abb.: 7
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Urlaub und Reisen: für die Einen sind damit Träume von Freiheit und Abenteuer zu verwirklichen, für die Anderen Träume von der perfekten Entspannung. Fast immer spielt ein Entkommen aus der Tretmühle, in die sich so viele verrannt haben, eine Rolle. Viele hoffen, wenigstens in der Ferne einen kleinen Happen vom Geschmack des freien, selbstbestimmten Lebens zu erhaschen, dass sie insgeheim zwar für ihre eigentliche Bestimmung halten, aber dann doch lieber zugunsten all der schönen Sicherheits- und Komfortzonen unserer Gesellschaft links liegen lassen. Nicht selten stellt sich dann heraus, dass auch diese Wahl ihren Preis hat und der Alltag ziemlich anders aussieht als das erfüllte Wunschleben. Da kann man schnell zu der Überzeugung kommen, dass man sich ja wohl wenigstens diese paar kostbaren Urlaubswochen wahrlich verdient hat. Doch dann stellen sich Leute hin und fangen an, den Genuss der Urlaubsfreuden in Frage zu stellen oder gar für falsch und schädlich zu erklären. Was nun? Wer sind diese Miesmacher? Wollen die das Reisen verbieten? Was soll falsch daran sein, mit kühlem Drink den Sonnenuntergang am Tropenstrand zu bewundern und sich auf eine laue Nacht zu freuen? Dieses Buch soll einen Überblick verschaffen über die Kritik am Tourismusgeschehen in der wissenschaftlichen und teilweise auch journalistischen Literatur.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5, Protagonisten der Tourismuskritik: Freyer (1991, S.385) nennt als wichtigste Gruppe der Kritiker die Privilegierten und Ideologen . Bei ihnen sei es fast zu einem intellektuellen Hobby geworden, den Tourismus zu kritisieren. Die Neckermänner seien die ersten Buhmänner des heutigen Tourismus gewesen, dann sei es zu den Alternativ- und Rucksacktouristen übergegangen und schließlich zur Kritik an den Umweltauswirkungen. Sie erfolge dabei aus der Distanz und bleibe oft im Negieren stecken und hätte trotz gut gemeinter Grundlage nur wenig positive und realistische Vorschläge hervorbringen können. In dieser Gruppe seien vorwiegend Soziologen, Anthroposophen sowie Schriftsteller und Journalisten zu finden, die sich aus übergeordneter Warte mit dem Phänomen auseinandersetzten. Tourismuskritische Akteure treten als Einzelpersonen oder Gruppen auf. Die Einzelpersonen sind entweder Wissenschaftler oder Journalisten/Publizisten. Letztere operieren meist freischaffend, da feste in ihren Medien meist nicht den Spielraum haben, entsprechende Einsichten ungeschminkt zu publizieren (vgl. Stäbler/Kamp 1997, S.228). Personen: Die Publizisten haben in tourismuskritischen Debatten erstaunlich große Aufmerksamkeit erlangt. So wird der heutige Multimediakünstler André Heller häufig zitiert und fehlt selten, wenn bekannte Tourismuskritiker aufgezählt werden. Dabei besteht dessen tourismuskritischer Output lediglich aus einer Rede, gehalten in den 80er Jahren auf einem Schweizer Forum für Tourismus. Ähnliches gilt für Hans Magnus Enzensberger, dessen Beitrag zur Tourismuskritik lediglich ein Nebenkapitel in seiner Darstellung der Manipulation der Massen durch die Bewusstseinsindustrie war. Hier besteht offensichtlich eine Diskrepanz zwischen hoher Prominenz und quantitativ geringem Output. Die Eigenwilligkeit der Beiträge hat jedoch den jeweiligen Nerv der Zeit getroffen und rechtfertigt teilweise das große Echo. Weitere Beispiele für wichtige Einzelpersonen sind (bzw. waren) der Lyriker Cecil Rajendra aus Malaysia und der Schweizer Wissenschaftler Jost Krippendorf. Der eine lieferte Darstellungen der Erfahrungen, der andere glaubwürdige Begründungen sowie neue Perspektiven und Wege (vgl. Stäbler/ Kamp 1997, S.228). Viele Kritiker aus dem Bereich der Wissenschaften kommen aus kultur- und sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen (Soziologie, Konfliktforschung, Kulturgeschichte,…). Genuine Tourismuswissenschaftler finden sich selten. Dies kann sowohl als Hinweis auf die vorherrschende Wirtschaftsausrichtung der Tourismuswissenschaften, als auch auf die breite Vernetzung des Themenfeldes Tourismus in andere Wissensbereiche interpretiert werden. Gruppen: Die wichtigste Form der Gruppierungen sind die NGOs, welche zunehmend die Funktion übernommen haben, Anliegen der Zivilgesellschaft öffentlich zu vertreten und über Lobbyarbeit bei politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern geltend zu machen (vgl. akte, Akteure im Netzwerk, S.5). Auch unter Tourismuskritikern besteht weder Klarheit noch Einigkeit darüber, wie die tourismuskritische Bewegung genau beschaffen ist. Sie ist kein definierter Bereich, weder inhaltlich noch strukturell. Die NGO-Szene in Europa umfasst etwa die Liste der TEN-Mitglieder und 10 weitere. Darüber hinaus gibt es Consultance-Organisationen mit ähnlichen Wurzeln, Einzelpersonen, Uniinstitute, ... (Dr. C. Baumgartner, respect, vgl. Interview Anhang A). (Im Anhang D der Studie findet sich eine Auflistung zahlreicher tourismuskritischer Organisationen und Initiativen.). Auch besteht innerhalb der tourismuskritischen Bewegung eine gewisse Spaltung hinsichtlich der Ansichten über erstrebenswerte und erreichbare Ziele für den globalen Tourismus: Die Pragmatiker versuchen weitgehend ideologiefrei zu bleiben und möglichst wertneutral aufzutreten, Grundsatzdiskussionen halten sie für schädlichen Dogmatismus, weshalb sie sich radikaler Systemkritik in der Regel enthalten. Inhaltlich neigen sie tendenziell zu ökoalternativen Nachhaltigkeitskonzepten , die sich durch leichtere Machbarkeit auszeichnen und weniger darauf abzielen, grundlegende Tourismusstrukturen zu verändern. Innerhalb des gegebenen Systems sollen positive Effekte maximiert, negative Effekte minimiert werden. Insbesondere wird darauf gehofft, dass das Individuum (der Reisende, der Touristiker, etc.) auch innerhalb der bestehenden Gesellschaftsstrukturen durch Vermittlung von Wissen und Einsicht zu verantwortlichem, ethisch höherwertigem Verhalten in der Lage ist. Die Fundamentalkritiker stehen dieser (versuchten) Neutralität skeptisch gegenüber: Gefragt ist das Machbare, nicht die Utopie. Dem halten wir entgegen: nur wer in Utopien denkt, sich zu träumen traut, ausspricht was ist und keine Angst davor hat, auch über radikale Lösungen nachzudenken, wird etwas bewegen, verändern, verbessern - … (Kreib 1997, S.9). Scherrer (1983 Bd. I, Vorwort) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass touristische Ideologien nur teilweise immanent diskutiert werden können, da sie auf tiefere gesellschaftliche Zusammenhänge verweisen, wofür oft kein oder nur ein unterdrücktes Erkenntnisinteresse vorhanden sei. Die beiden angeführten Autoren können als Beispiele für Vertreter der kultur- und gesellschaftskritischen Perspektive gesehen werden. In diesem Lager der Tourismuskritik dürfte häufig eine auch politisch linksalternative Gesinnung vorzufinden sein. Inhaltlich besteht bei diesen Vertretern eine größere Neigung zu soziokulturellen Themen, die verstärkt nach Lösungsansätzen für systembedingte Probleme wie der Benachteiligung sozial Schwacher insbesondere in Entwicklungsländern sucht. Die Zugehörigkeit zu einem Lager ist jedoch keineswegs als statischer Zustand zu betrachten, viele Tourismuskritiker haben im Laufe der Zeit ihre Einschätzungen geändert oder die Seiten gewechselt . Der Weg vom Fundi zum Realo wird dabei wesentlich häufiger eingeschlagen als der umgekehrte Weg, was nicht zuletzt an zunehmender Aufreibung und Ernüchterung an der touristischen Wirklichkeit mit zunehmender Arbeitspraxis der Akteure liegen dürfte. Grundsätzlich begründen sich die unterschiedlichen Sichtweisen von nachhaltigem Tourismus nach Baumgartner (1998, S. 41 ff.) auf unterschiedliche philosophische und/oder politische Zugänge: Es könne zwischen einer Denkweise des Ökozentrismus und des Technozentrismus unterschieden werden. Aus ökozentristischer Sicht werde Marktwirtschaft als Basis für soziale Beziehungen abgelehnt, während die technozentristische Sicht nach Modifikationen und nicht nach Alternativen zur Marktwirtschaft suche. Beim Technozentrismus sei Vertrauen in Wissenschaft und Management die Basis, um negative Umwelteinflüsse zu minimieren. Bei diesem Ansatz stehe Marktwirtschaft und Managementphilosophie im Vordergrund, die Operationalisierung sei hier einfacher als in anderen Ansätzen, weshalb dieser Ansatz auf relativ breites Echo stoße. Das Wachstumsdiktat werde nicht hinterfragt, es gehe lediglich um die Frage, ob das Wachstum quantitativ oder qualitativ ausfallen soll. Die Vorwürfe der radikalen Kritik, dass die meisten bisherigen Ansätze von sozial- und umweltverträglichem Tourismus schlichtweg neue Marktnischen für mittelständische Unternehmen geöffnet und die extreme globale Ungleichheit kaum in Frage gestellt hätten, sind jedenfalls nicht einfach von der Hand zu weisen. Andererseits verschiebt der alleinige Rückzug in Grundsatzkritik konkrete Verbesserungen auf den St. Nimmerleinstag. Die Grenze zwischen faulem Kompromiss und Feigenblattfunktion auf der einen Seite und sinnvollen emanzipatorischen Ansätzen im Tourismus auf der anderen Seite auszutarieren, bleibt eine sich immer wieder neu stellende Herausforderung (Stock, C. 1999, S.27). 5.1, Kritiker in den Herkunftsländern: Erste Ansätze einer Institutionalisierung der Tourismuskritik erfolgten in der solidarischen Dritte- Welt - Bewegung. 1967 wurde das Manifest Erklärung von Bern , in welchem protestantische Theologen zur Solidarität mit der Dritten Welt aufrufen, von 11 000 Personen unterschrieben (vgl. Tüting 1990, S.64). Die spätere gleichnamige Organisation EvB gab dann den Anstoß für die 1977 erfolgte Gründung des akte in Basel, dessen Leiter bis 1988 der Soziologe und Journalist Ueli Mäder war. Er war Teil einer Viererbande , wie die Störenfriede Armin Vielhaber (Referat Ferntourismus im Studienkreis für Tourismus), Georg Friedrich Pfäfflin (Pastor, damals Fachstelle Ferntourismus des Zentrums für entwicklungsbezogene Bildung), Regula Renschler (Journalistin) und Mäder selbst von einigen Veranstaltern genannt wurden (vgl. ebd. 1990, S.64). Sie tasteten die heilige Kuh Urlaub an. Ihre Arbeit blieb der breiten Öffentlichkeit weitgehend verborgen, trotz begonnener internationaler Vernetzung. Bis heute setzt sich der Arbeitskreis (akte) vor allem mit dem Drittwelt -Tourismus aus entwicklungspolitischer Sicht auseinander. Dominierte anfänglich eine eher unrealistische Null-Tourismus-Position bezüglich der Dritten Welt , so setzte sich in den 80er Jahren eine positive Grundeinstellung zum Tourismus durch. Reisen galt auch als Chance zur Begegnung und Auseinandersetzung. Heute versucht akte zu einer Qualifizierung der Drittweltreisen beizutragen. Dies geschieht durch Ausbildungskurse, Lehrerfortbildung und Erwachsenenbildung, durch Materialien und Entscheidungshilfen für Touristen, Reiseleiter, Schüler und Unternehmen. Die Philosophie spiegelt sich in der Vorstellung, dass viele Menschen wenig reisen und dass diese wenigen Reisen bleibende Erinnerungen und Anstöße zur Veränderung sind. (Renschler 1985, zit. n. Krippendorf, Kramer, Müller 1989, S.157).

Über den Autor

Der Autor arbeitet als freier Redakteur und bekam durch Geographiestudium und eigene Reiseträume-Reiseschäume umfangreiches Wissen und zahllose Eindrücke von der Tourismuswelt. Seine aktuellen inhaltlichen Schwerpunkte sind der individuelle und gesellschaftliche Bewusstseinswandel in Theorie und Praxis sowie die Bergwelt. Und das Nachdenken darüber, wie das zusammenpassen soll.

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