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Sozialwissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 03.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 48
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Körper- und Selbstwahrnehmung werden in der Schule marginalisiert. Ziel des Unterrichts ist es, den Geist zu prägen, die konkreten SchülerInnenkörper werden dabei nicht berücksichtigt, ja sogar als hinderlich empfunden. Demgegenüber untersucht dieses Buch das Potenzial des Körpers für wahrnehmungs- und bewusstseinsverändernde Prozesse und plädiert dafür, diese in den Schulalltag zu integrieren. Es zeigt, wie ein erweitertes Körperverständnis Schülerinnen und Schülern mit Hilfe der Kunstpädagogik vermittelt werden kann. Dabei werden die Perfomances der Künstlerin Marina Abramovic für den Kunstunterricht fruchtbar gemacht. Auf die kunstwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Werken Abramovics folgen angelehnt an kunstpädagogische Konzepte von Marie Luise Lange, Hanne Seitz und Gert Selle konkrete Beispiele, wie eine körperorientierte Arbeit im Kunstunterricht umgesetzt werden kann.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.1, Performance: Kunstpädagogische Konzepte aus dem Bereich Performance eignen sich hervorragend, um sich Abramovics Kunst zu nähern und ihrem Impuls nachzugehen, mit Körpererfahrungen und Wahrnehmungsweisen zu experimentieren. Dies gilt auch für Schülerinnen und Schüler. In dem Artikel ‘Über Lebendigkeit oder die Präsenz des Unsichtbaren’ in dem von ihr herausgegebenen Buch ‘Performativität erfahren. Aktionskunst lehren – Aktionskunst lernen’ schreibt Marie Luise Lange: ‘Für die ästhetische Bildung von Heranwachsenden in und außerhalb der Schule [...] bergen performative Kunstverfahren revolutionäre phantasiefördernde Potenziale.’ Durch sie ‘aktivieren die Heranwachsenden, ihre oft durch Mode, Outfit oder Extrem- oder Modesport zwar gestylten, aber was das wirkliche Spüren von Körperaußen- und Innenräumen angeht, vernachlässigten Körperwahrnehmungspotenziale. Spiel und Ausdauer, skurrile Figuren und ungewöhnliche Gesten, Laufen, Sich-Wahrnehmen mobilisieren eingeschlafene oder unabgerufene Körperempfindungen und sensibilisieren für räumliche Atmosphären’ (Lange 2006b, 103). Dabei orientiert sich auch die pädagogische Performancearbeit an Grundsätzen der Performance-Art, die in intensiver Form in Abramovics Arbeiten zu finden sind. Hierbei handelt es sich um: ‘1) die Präsenz des handelnden Körpers und die leibhaftige Faktizität des Da-Seins [...]. 2) das ‚Sich-aufs-Spiel-Setzen’ des Künstlers und das Geschehenlassen des Ereignisses. 3) das physische und psychische Durchlaufen eines Transformationsprozesses, an dem das Publikum sinnlich-mimetisch beteiligt ist. 4) die Bildung einer spontanen Gemeinschaft zwischen Künstler und Publikum, in welcher ein energetischer Raum entstehen kann, der ‚zwischen allen Zeiten und Orten’ liegt. In ihm wachsen endlose Vorstellungen, Sinnentwürfe und Bedeutungen, die bereits während des Entstehens verschoben und durch sichtbar werdende Risse verändert werden. 5) der ‘Künstlerkörper ist das Werkagens und das räumliche Umfeld wird mit seinen Geräuschen, Bewegungen, Energien, Gerüchen, allen Gegenständen und Medien zu einer Art sinnlich-ästhetisch ‚mit’-verkörpernden Atmosphäre’ (ebd. S. 105). Performative Prozesse irritieren eingeschleifte Wahrnehmungsweisen. Indem die Performenden neue, ungewohnte Handlungen (eventuell unter Einbezug ungewöhnlicher Materialkombinationen) ausführen, verschiebt sich das Sinngefüge und bringt neue Erfahrungen hervor. ‘Als Bricolage aus unterschiedlichen Kunst-, Sprach- und Medienbezügen und den Dingen des Alltags bringen die bilderzeugenden Prozesse des Performativen eingespielte Wahrnehmungsgewohnheiten zum Kippen. Für Momente wird Wirklichkeit durch die eigene Anstrengung im Tun oder auf seiten [sic] der Zuschauenden, im Rezipieren, als Schaffen eines eigenen Sinns, neu, und damit anders als im alltäglichen Kontext erfahren’ (Lange, 2006a, S. 11). Hierbei entsteht keine eindeutige Wahrheit, sondern vielmehr Ahnungen von möglichen Seinsweisen, die jedoch nur für den Moment real sind und stets neue Verbindungen eingehen. Performer und Zuschauer lernen so ihre Wahrnehmung zu öffnen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. In diesem Sinne ist Performance-Arbeit ein Experimentierraum für Erfahrungen und Erkenntnisse abseits vom Logozentrismus. Im Gegensatz zu diesem geht es bei der pädagogischen performativen Arbeit um die Entwicklung eines ganzheitlichen Wissens durch Erfahrungen, welche mit Hilfe von Körperbeobachtung und die Wahrnehmung von raum-, bild-, klang- und energetischen Atmosphären entsteht (vgl. Lange, 2006b, S. 105). In diesem Sinne beschreibt Lange Performance-Arbeit als eine Form, den Körper als ‘Körperwerkstatt’ (ebd. S. 107) zu begreifen. Sie lehrt, die Energie- und Bewegungsflüsse sowohl im Körper, als auch im Raum wahrzunehmen. Durch die Arbeit an und mit Performance soll die Wahrnehmung für Habitus und Handlung wie für vergehende Zeit und die Aura des Raumes entwickelt und sensibilisiert werden (vgl. Lange, 2006a, S. 14). 2.1.1, Beispiel: Arbeit am Körpergedächtnis: Durch Performance-Arbeit kann das Körpergedächtnis als Speicher konditionierter Wahrnehmung und Verhaltensweisen bewusst gemacht und versuchsweise verändert werden. Das scheinbar feststehende System unseres Bezugs zur Welt kann auf Irritationen und Unsicherheiten hin untersucht werden und in Spiel und Experiment neue Sinngefüge entstehen. Ein solches Vorhaben kann bei Alltagshandlungen ansetzen, die wir scheinbar selbstverständlich ausführen, welche jedoch stets gesellschaftlich und historisch vorgegeben sind. Einfache Beispiele hierfür finden sich schon in der Art und Weise wie wir uns im Restaurant oder im Bus verhalten oder welche Sprache wir in bestimmten Situationen verwenden. In ihrem Text ‘Ergebnisse im Quadrat. Matrix für Perfomances an der Schnittstelle zum Tanztheater’ schlägt Hanne Seitz vor, durch Wiederholungen und Variationen dieser alltäglichen Handlungen die Eigenart dieser Verhaltensweisen bewusst werden und neue, experimentelle Handlungen erproben zu lassen. ‘Es sind durch Wiederholungen ausgeprägte Muster, mit denen individuelle oder kulturelle Identitäten ausgebildet werden. Was dabei zur Aufführung gelangt, ist zunächst weder gewählt noch selbst erfunden, sondern im Verlauf unzähliger performativer Akte übernommen, geronnen und quasi ‚eingespurt’. [...] Und gerade diese Wiederholungen sind Chance für Wandel und Variation – nicht nur im individuellen Leben, sondern auch für die Kultur mitsamt ihrer tradierten Werte und Ordnungen, die sich allein dadurch erneuern können. [...] Was auf performativem Weg zur Verkörperung gelangen konnte, kann auf performativem Weg natürlich auch bearbeitet, variiert, überschrieben, umgestellt und neuer Bedeutung zugeführt werden’ (Seitz, 2006, S. 34). Im performativen Prozess erlebt dabei nicht nur der oder die Agierende selbst eine Verschiebung der Sinnzusammenhänge, auch in der Beobachtung der Performance können sich neue Formen der Wahrnehmung entwickeln. Durch die Realität dessen, was vor den Augen der Zuschauenden passiert, reagieren diese zudem unmittelbar auf körperlicher Ebene. Ebenso kann sich der Ansatz eines Energiefeldes aufbauen, beispielsweise wenn die besondere Situation der ersten Aufführung einer Performance vor der Gruppe alle Beteiligten gespannt sein lässt.

Über den Autor

Berit Eichler, 1976 in Scherzingen/Schweiz geboren, ist Kulturwissenschaftlerin und Lehrerin für die Fächer Bildende Kunst und Deutsch in Hamburg. Schwerpunkt ihres wissenschaftlichen Interesses ist die Verknüpfung von Geist und Leiblichkeit. Die Infragestellung dieser kulturell bedingten Dualität ist auch für ihre Tätigkeit in der Bildung von entscheidender Bedeutung und motivierte sie zu dem vorliegenden Buch.

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