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Soziologie

Hermann Feichtenschlager

Der Landlatanz des Innviertels. Form und Funktion in Historie und Ethnomusikologie

ISBN: 978-3-69122-504-4

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2025
AuflagenNr.: 1
Seiten: 148
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Innviertler Landla, seit 2013 immaterielles Kulturerbe der UNESCO, ist ein Volkstanz mit einer wohl im Mittelalter wurzelnden Historie. Aus diesem Entwicklungsablauf ist ein Gruppenpaartanz hervorgegangen, der von den aktiven Tänzern selbst mit eigenem spontan mehrstimmigem Gesang, aber auch von Instrumentalisten begleitet wird. Jede dieser beiden Formen der Begleitung zeigen eine Eigentümlichkeit. Der im Alpenland mit Dreiklangsmelos assoziierte Gesang bildet einen ausgeprägt homophonen Satz und ist in seinen stufenmelodischen Stimmfortschreitungen weder als Satz festgelegt noch von den Sängern chorisch vorher einstudiert. Die Instrumentalstücke sind durchweg im 3/4tel-Takt notiert, zu hören ist dieser aber meistens nicht. Beide Phänomene bedürfen einer besonderen wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Dieses Buch will ein Beitrag mit diesem Anliegen sein und soll zur Fortführung anregen.

Leseprobe

Textprobe: 1Ergebnisse der Ländlerforschung mit besonderer Berücksichtigung Oberösterreichs und des Innviertels Die ausführliche Betrachtung der umfangreichen Literatur über den Untersuchungsgegenstand macht den ersten Teil der Arbeit umfangreicher, als es dem verständlichen Wunsche nach Knappheit entsprechen mag. Gerade für den nicht spezialisierten Fachmann müssen die literarischen Quellen in Kurzfassung erklärt und die Verfasserformulierungen, -behauptungen und -vermutungen reflektiert werden, um dem vielgestaltigen Phänomen Anschaulichkeit zu geben. Sie sind Voraussetzung und Maßstab zugleich für die vom speziellen Forschungsgebiet vorgenommenen Aufzeichnungen, Untersuchungen und Schlußfolgerungen. Und weil diese Quellenaussagen nicht vorbehaltlos und kritiklos hingenommen werden dürfen, ist es angebracht, erst einmal darzustellen, unter welchen Denkvoraussetzungen sie zustande kamen. Mit der bewußt gemachten Wiederentdeckung oder dem geglaubten Verlust der Natur, so darf man sagen, mußte sich (nicht nur) im Bereich der Musikkultur der sogenannte geniale Spielraum ausweiten. Von jener Zeit an, da man selbst im gemeinen Menschen ein Genie - mehr oder weniger verborgen - annahm, wurde auch das Geniale am Gemeinen privat und institutionell gesammelt, archiviert und auch ideologisiert. Die letzten hundert Jahre in etwa bilden nun jenen Zeitraum, in dem von der einfachen Beispielsbeschreibung ausgehend Methoden zur wissenschaftlichen Aufbereitung, Klassifizierung, Theoriebildung bis hin zur Theoriekritik entwickelt worden sind, und an den Begriffen Volksgut, Volksmusik, Volkstanz etc. rieben sich die kritischen Denker, weil dieses erste der zusammengesetzten Substantive sich jeweils eindeutiger Dfinition widersetzte. So bestanden während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im wesentlichen zwei konkurrierende Auffassungen, von denen die eine, durch John Meier (Kunstlied im Volksmund) vertreten, den Nachweis zu erbringen suchte, daß alles Volksgut aus dem Bereich der Hochkulturen in die Primitivschichten abgesunken sei 1, während die andere, an deren Verfechterspitze Josef Pommer stand, als Volksmusik nur gelten lassen wollte, was im Volke entstand und was sich im Volke weiter vererbte, wobei die produktive, schöpferische Kraft des Volkes gerechte Würdigung fand 2. Zu einer Zusammenführung dieser sich einander nicht ausschließenden Ansichten gelangten schließlich Erich Seemann und Walter Wiora, der diese Gedanken so in Worte fasste: Doch ist nicht alle volkstümliche, laientümliche, leicht verständliche Musik im eigentlichen Sinne Volksmusik zu nennen. Mit diesem Wort bezeichnen wir vielmehr nur, was zum Volk als geistiges Eigengut gehört. Dabei ist ‚Volk’ als Inbegriff der seelisch-gesellschaftlichen Grundschichten der Bevölkerung gemeint, als Gesamtheit der Bauern, Hirten, Bergleute, Volksmusikanten und so fort, aber auch als die Allgemeinheit, soweit sie sich von diesen Schichten nicht wesentlich unterscheidet. Die Volksmusik ist ‚Eigengut’ der Grundschaften in dem doppelten Sinn, daß sie entweder aus ihnen stammt oder bei ihnen heimisch ist beide Seiten, die genuine und die possessive Zugehörigkeit, können zusammenfallen. 3 Beim der dieser Arbeit zugrunde liegenden Sekundärliteratur aus dieser ersten Jahrhunderthälfte handelt es sich meist um Beschreibungen volkskundlicher Beobachtungen. 1.1Umgrenzende Darstellung des Phänomens Ländle Der Ländler ist als musikalische Erscheinungsform und als ein Produkt abendländischer Musikkultur zu interkontinentaler Bekanntheit avanciert. Gewiss hat er das in erster Linie einer speziellen Form seiner reichhaltigen Garderobe, der des Wiener Walzers , zu verdanken und in zweiter Linie seinem Einfluss auf die großen Komponisten seit Joseph Haydn. Was in der Fachwelt allgemein unter dem hier definierten Begriff Ländler gelten darf, hat Felix Hoerburger in MGG beschrieben: Ländler, auch Landler, ist für Hoerburger der Sammelname für die in Österreich, Süddeutschland und auch darüber hinaus verbreiteten Volkstänze im langsamen 3/4 –Takt, und er leitet den Namen vom oberösterreichischen Kernland (Landl = Land ob der Enns) ab, was mit einer einzigen Ausnahme erst um 1800 zu belegen ist . Zuvor waren Bezeichnungen wie Wickler (in Salzburg), Scheiben (in Niederösterreich), Bayr. oder Deutscher Dreher (in Nordbayern) gebräuchlich4. Über die Herkunft des Namens gibt es also keine sicheren Belege, wohl aber diverse Versuche, mögliche Herleitungen zu entwickeln, auf die aber hier nicht eingegangen werden soll. Die Dokumente zur Überlieferung sind mehr choreographischer als mus. Natur . Bildliche Belege über dieses Tanzen reichen allerdings weiter zurück. Hans Commenda 5 beschrieb u.a. ein in der Musikaliensammlung des Linzer Landesmuseums ausgestelltes Ölbild von 1538 darauf sind Tanzbewegungen abgebildet, wie sie in den heutigen oberösterreichischen Landlatänzen vorkommen und als solche Rundtanzfigurationen entwicklungsgeschichtlich wohl aus den mittelalterlichen Werbetänzen hervorgegangen sind6, in skandinavischen Parallelen eine Entsprechung finden und in Sprachinseln (Waldkarpaten, Siebenbürgen) fortbestehen. Wir dürfen also davon ausgehen, dass deren Merkmale große Übereinstimmungen mit jenen aufweisen, die im Oberösterreich des 18. Jahrhunderts verbreitet waren. Wichtige Kenntnisse darüber sind u.a. bei Richard Wolfram zu entnehmen7. Die folgenden regionaltypischen Ausprägungen haben sich offenbar aus solchen Vorformen entwickelt. Hoerburger wandte in seinen weiteren Ausführungen die nachstehende Dreiteilung des Sammelnamens Ländler an, in der Steirische, Landler und Schuhplattler voneinander abgegrenzt werden. Jeweils unterschiedliche charakteristische Elemente sind dabei betont: das Werben der Burschen, d.h. die aus dem einfachen ’Wickeln’ hervorgegangenen Fassungsvarianten des tanzenden Paares , das Paschen (rhythmisiertes Klatschen der Hände) und das Singen von Liedern während des Tanzens. Während in den Steirischen die filigranen Figurationen der Tänzer, in den Schuhplattlern effektvolle körperliche Affekte betont werden, ist beim Landler des im dichter besiedelten Nordösterr. Alpenvorland das Paschen und Singen vordergründig. Hier werden die Paare auch zu einer Gruppe zusammengefasst und die Tanzausführungen synchron ausgeführt. Auch eine metrisch-rhythmische Eigenart des oberösterreichischen Landlers wird von Hoerburger hervorgehoben: Der Takt schwebt zwischen gerade und ungerade und es entsteht zeitweise der Eindruck des Taktwechsels . In der Ausbildung zur geradtaktigen Form sieht er eine Stabilisierung und Erstarrung der metrischen Verhälnisse und legt einen verwandtschaftlichen Bezug zu den Zwiefachen in Nordbayern und Böhmen nahe. Es kommt nicht von ungefähr, dass Hoerburger auf diese Besonderheit hinweist, der Erforschung der Zwiefachen, bei denen innerhalb der achttaktigen Perioden die Takte konsequent wechseln, hat er ein gewichtiges Ausmaß seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zugedacht.8 Und was unter Stabilisierung und Erstarrung zu verstehen möglich ist, davon wird an späterer Stelle nachzudenken sein. Wieweit die historischen Wurzeln reichen, kann bei fehlenden Dokumenten nicht diskutiert werden. Einige Sätze von Curt Sachs über die allgemeinen Züge bildfreier Tänze mögen hier beispielhaft helfen, in welchen historischen wie funktionalen Zusammenhang das Phänomen Ländler überhaupt und mithin dem des Landlatanzes im Innviertel und insbesondere im Kobernauser Gebiet mit den alten Reigentänzen gebracht werden kann: Der bildfreie Tanz ist sowenig wie der ebenbildliche an eine besondere Form gebunden. Aber in der erdrückenden Mehrheit der Fälle geht er im Kreise vor sich - sei es, daß in seinem Zentrum ein Mensch oder ein Gegenstand steht, dessen Kraft auf die Kreisenden ausstrahlen soll, oder der umgekehrt von den Kreisenden die Kraft herübernimmt... ... Und wie am Anfang, so am Ende der Entwicklung ... So gleichförmig bleibt der bildfreie Tanz, bis er entkultet und abgewertet zu den Jüngsten kommt, bis ein Kind im Kinderkreis erscheint und der alte Reigen zweckbefreit in der Heiterkeit reiner Daseins- und Bewegungslust aufgeht. 9 Es kommt nicht von ungefähr, daß gerade Hoerburger wiederholt auf das Verwandtschaftsverhältnis von Ländler und Zwiefachem hinweist, hat er sich doch in der Erforschung letzterer verdient gemacht. Und wenn er weiter unten noch einmal schreibt: Eine Stabilisierung und Erstarrung dieser Verhältnisse führt in einzelnen Landschaften zu dem geradtaktigen Ländler, der jedoch, wie jeder andere, im Gegensatz zu dem mit dem Ländler verwandten Zwiefachen von den Bauernmusikanten stets im ¾-Takt geschrieben wird 10, so klingt damit schon ein Charakteristikum ethnospezifischer Ländler im heutigen Oberösterreich an, das Bestehen von metrischer Drei- und Zweigliedrigkeit nebeneinander, also anders als bei dem Nacheinander in den sogenannten Zwiefachen im benachbarten Bayern, bei denen innerhalb eines Achttakters klare Taktwechsel und innerhalb der einzelnen Takte eindeutige rhythmisch-metrische Ordnung herrschen. Worin er die Erstarrung festmachen will, lässt er uns nicht direkt wissen, aber erstarren kann nur etwas, das zuvor nicht fest war, in diesem Fall keinen eindeutigen Takt hatte, welchen auch immer. Ernst Hamza 11 hatte in dem Bestreben, den Formenreichtum, um nicht zu sagen Wirrwarr in und um den Begriff Ländler sowohl in tänzerischer, wie in musikalischer Hinsicht, ... zu lichten, eine neue Klassifizierung vorgenommen. Er gliederte in Landlarische, Almerische und Bayerische (als Sonderformen). Dabei ließ er sich möglicherweise von der Erkenntnis leiten, dass Merkmale, welche in starkem Maße der Tradierung ausgesetzt sind, sich zu übergeordneter Klassenbildung wenig eignen. In diesem Sinne suchte er sich vielleicht auch von lokalen und letztlich sogar von überregionalen Bezeichnungen wie, Steirer und bei entsprechender Auslegung auch Landla zu befreien, ohne aber die Herkunftsproblematik wirklich überwunden zu haben. Die Ableitung Landla von Landl = Österreich ab der Enns, wie sie neben Hoerburger u.a. von Hans Commenda 12 vertreten wurde, ging von der Hypothese aus, daß der Landler erst durch die Linzer Geiger - so sind die Musikanten der Donauschiffer vor 1830 bezeichnet worden - nach Wien gekommen ist. Diese Annahme gilt inzwischen auch als eindeutig widerlegt 13 / 14. Überzeugender ist auch, ..., daß diese Bezeichnungen nicht von den Trägern des Tanzes selbst verwendet wurden (was bei einem selbstverständlichen Besitz naheliegt: hier genügt einfach ‚Tanz’), sondern von ‚anderer’ Seite aufgebracht wurden: offensichtlich von der Wiener bürgerlichen oder adeligen Gesellschaft, die damit in gleicher Weise die Herkunft dieses Tanzes bezeichnete, wie den Unterschied zum eigenen Tanzgut (insbesondere das höfische Menuett und seine Ableger) betonte. 15 Sprachlich steht der Zusammenhang von Landla mit Land fest. Neben der widerlegten Deutung nach einem bestimmten Land sind aber theoretisch 16 noch andere und plausibler erscheinende möglich, nämlich nach dem Gegensatz von Land zu Gebirge, wie sie Hamza vornahm und schließlich nach dem Gegensatz von Land zu Stadt, womit auch die soziale Statusproblematik implizit ist. Semantisch kann wohl keiner der Möglichkeiten die historische Existenz aberkannt werden. Der Landlarische nach Hamzas Klassifizierungsversuch ist nur in Oberösterreich heimisch besondere Ausprägung haben dabei der ’Traunviertler’ und der ‚Innviertler’ erlangt, wobei die Tanzausführung fast nichts von einem Liebes-Werbetanz zeigt. Er ist heute nur Gruppentanz 17. Weil dieser Klassifizierungsversuch in umfangreicher Arbeit auch aufliegt, wird hier eine kurze Zusammenstellung daraus wiedergegeben18: Ländlarischer: Findet sich nur innerhalb Oberösterreichs und - von dort eingewandert - im Salzkammergut. Typische und berühmte Sondergruppen, die wieder in zahlreiche Abänderungen zerfallen, sind der ‚Traunviertler’ und der ‚Innviertler’. Eine jüngere Sondergruppe bilden die Formen des Salzkammergutes. Über die Grenzen des Traun-, Hausruck- und Innviertels hinausreichende Formen sind Kleinformen, die vielleicht ursprünglicher, nach dem heutigen Stande aber nicht ‚typisch’ sind, da sie z.B. Tanzbewegungen landlarischer Art zeigen, die Begleitmusik aber ‚almerisch’ spielt u.a.m. Die Tanzausführung zeigt fast nichts von einem ‚Liebes-Werbetanz’. Das Musikstück besteht aus zwei Teilen zu je 8 Takten. Ursprünglich nur den ¾-Takt kennend, wird heute ein und dasselbe Musikstück sowohl im ungeraden, wie im geraden Takt gespielt, am richtigsten zwischen diesen Taktarten liegend, um ‚spielend’ sowohl in den einen, wie in den anderen Takt einschwenken zu können, wenn es die Tanzart der Tänzer, die innerhalb ein und desselben Tanzes mehrmals wechselt, erfordert. Heute nur Gruppentanz. Almerischer: Alle Tanzformen im übrigen Österreich, Südtirol eingeschlossen. Zahllose Formen, vom einfachsten Sich bei den Händenhalten und ‚Armschwingen’ zu solchen, die nur aus 3 bis 4 Figuren bestehen, in welchen sich Tänzer und Tänzerin in Armverschlingungen, am Platze bleibend, drehen - diese Formen zeigen keine ‚Werbung’ - bis zu in vielen Figuren ausgebauten Liebes-Werbetänzen. … Einzelpaar- wie Gruppentanz. Bayerischer Ländler: Sonderformen sind der Schuhplattler (Oberbayern, ein Liebeswerbetanz) und der Landla (Niederbayern, heute ein Rundtanz). Beide zeigen eine größere Verwandtschaft zum Almerischen wie zum Landlerischen ... . In anderen Arbeiten setzte sich Hamza speziell mit dem Ländler im Innviertel auseinander in seiner letzten bringt er auch Beschreibungen der verschiedenen Figurationen mit entsprechenden Zeichnungen der agierenden Personen sowie Zeichnungen der dabei vollzogenen Fußspuren Abbn. 18a und 18b.19 . Auch eine Tanzbeschreibung eines Stoanlandlas (= Steinländlers) als mutmaßliche Vorform des heutigen Innviertler Zettellandla, wie es bereits Commenda20 als eine Möglichkeit erwogen hatte, wird von ihm anschaulich beschrieben, wie er sie aus Informationen seiner Kontaktpersonen in Vorstellung setzte. Dieses mehrfach mündlich überlieferte Gebilde bezeichnete Hamza als Freitanzländler , weil die Belege zum Ausdruck bringen, dass die Elemente Kreisaufstellung, Anordnung der Tanzpaare, einfache Tanzfigurationen und Tanzabwicklung mit den Vergütungsmodalitäten für die Tanzmusik (siehe a.a.O.) bereits gegeben sind: den einzelnen Tanzpaaren war ein großer Spielraum belassen. Insbesondere der Tänzer improvisierte ständig.21 Jedes Paar tanzte für sich, machte, was ihm gerade einfiel, denn es bestand keine geregelte Figurenfolge Während des Tanzens sang einer einen Vierzeiligen, ein Tanzl, dann sang wieder ein anderer, … wenn sie es grade freute, … mehrstimmig 22. Es fehlen lediglich die Institutionalisierung für die klar begrenzte Gruppe und die festgelegte Figuration im synchronen Ablauf, Bedingungen, welche die Grenze zwischen Paar- und Gruppenpaartanz markieren und im Landl schon vor dem endgültigen Anschluss des Innviertels an Österreich im Jahre 1816 gegeben waren. Halten wir fest, daß es sich demnach zunächst formal um Figurentänze als Einzelpaartänze handelte, bei denen die verschiedenen getanzten Figuren gleichzeitig zu sehen waren. Erst unter den regional spezifischen Funktions- und Entwicklungsbedingungen im Land ob der Enns (Landl) und eben auch im Innviertel haben sie sich zum Gruppenpaartanz gewandelt. Als Gruppenpaartanz im Innviertel bildete nun jede Zech aus dem Vorrat des bereits in den Paartanzformen gebräuchlichen Figurenkatalogs eine individuelle Figurenabfolge in standardisierter Länge, die auf einem Zettel als Gruppencharakteristikum dokumentiert wurde23. Hamza ging in seiner ethnischen Betrachtung nun auch auf die soziospezifischen Bedingtheiten dieser Tanz-, Sing- und Spieltradition ein. In wenigen Zügen beschrieb er den Zusammenhang, wie die Personengruppen als Träger mehr oder weniger feste Aufgaben erfüllen24 und so als peer groups, oder auch Institutionen - mit festen rituellen Regeln ausgestattet und via Initiation begrenzt - sozialisiert werden und die Dorfgemeinschaft festigen: Auf den. Schultern junger, lediger Männer ruhten in jedem bäuerlichen Kreis die Aufgaben des Schutzes der Gemeinschaft, also auch des Ortsschutzes vor Feuer, Wasser, tierischen und menschlichen Feinden ... Am stärksten ist diese Erscheinung in Oberösterreich. Im Traunviertel heißt eine solche Burschenschaft eine ‚Rud’, im Hausruckviertel und Salzkammergut sagt man ‚Paß’, im Mühlviertel ist es die ‚Bursch’ und im Innviertel die ‚Zech’. Die Mitglieder pflegen den Gesang und den figurenreichen Ländlertanz … Ausdrücklich sei bemerkt, daß es sich bei diesen Jungmännerbünden um keine Vereine handelt, ... Heiratet einer, so tritt er automatisch aus der Zech aus. Aufgenommen wird nur der, von dem man voraussetzt, daß er die folgenden verlangten Eigenschaften besitzt: unbedingte Verschwiegenheit über alle Vorgänge innerhalb der Zech, Mannesmut, Pflege und Vertretung der Kameradschaft gegenüber jedem Angriff ‚bis zum Letzten’. Erwünscht sind außerdem Begabung in Gesang, Tanz, Musik … Eine Betonung verschiedener politischer Einstellungen kann in einer Zech keinen Platz haben, sonst wäre ihr Zusammenhalt von Haus aus unmöglich. Die Zech ist also eine Gruppierung des jugendlichen Dorfnachwuchses, die in auf den Ort begrenzte Gemeinwohlaufgaben eingebunden und an diesen Ort gebunden ist. Die subjektive Weltanschauung ist hierbei nicht vorrangig. Auch ein Fußballclub tut gut daran, private von clubeigenen Interessen zu scheiden. Auch Hans Commenda hat in seinen Aufsätzen Tanzbrauchtum um den Landla 25 und Der Landla 26 die gegebene Formenvielfalt, die Einbettungen in das regionale Brauchtum und die entsprechenden musikalischen Ausprägungen dieses Tanzes in Oberösterreich sowie in Die Solinger 27 im Innviertel umfangreich und nicht divergierend beschrieben. 1.2Die musikalische Komponente des Ländlers in ihrer Einbettung in den Ländlertanz Zwei Autoren sind hier zunächst in den Vordergrund gerückt, weil sie in ihren Darstellungen des Phänomens die musikstrukturalen Gegebenheiten so ausführlich behandelten, dass im Rahmen dieser Arbeit ihre Analysen als repeäsentativ gelten dürfen. Es sind Hans Commenda und Ernst Hamza. Bei einem Gruppentanz von solch komplexem Gefüge sind ordnende Elemente keine außergewöhnliche Erscheinung. Musikspezifische Mittel eignen sich dabei in vielfältiger Weise, zumal sie auch noch durch den Tanz begleitenden Gruppengesang von den Tänzern selbst produziert werden können dazu aber mehr an anderen Stellen. Diese hier benutzten Gesänge waren – und sind es zum Teil auch noch – in Europa weit verbreitet und werden im deutschen Sprachraum als Schnaderhüpfl bezeichnet. Die Singweise des Schnaderhüpfls als Urländler ist die Konstatierung Ernst Hamzas. Er formulierte sie im Zusammenhang mit der Entwicklungsfolge: Singtanz-Springtanz zu Landlatanz. So schrieb er: Der Tanz war vorerst Singtanz, d.h. nicht von Musikinstrumenten, sondern bloß von Gesang begleitet, so wie heute noch der Kinderreigen. 28 Durch den Fortschritt im Instrumentenbau wurde dem Spielmann schon im frühen Mittelalter die Möglichkeit gegeben, die Melodie der Tanzgesänge mitzuspielen. Fortan wurde die Weise der Gesänge auf die Instrumente übertragen, was den wichtigsten Schritt der Rhythmik und Melodik in der Tanzmusik vorstellt. Aus der ursprünglich einstimmigen Begleitung entwickelte sich eine solche in Zwei- und Mehrstimmigkeit, so daß nun noch die einfache Harmonie hinzutritt. Das ist nicht ohne Einfluß auf die ländliche Tanzmusik geblieben. Diese Abfolge beschreibt ja eine musikgeschichtliche Möglichkeit sie trifft nur im konkreten Fall höchstwahrscheinlich nicht zu. Sicher wird die beschriebene Colla parte-Praxis auch bis ins Dorf gedrungen und dort nicht ohne Einfluß geblieben sein und ohne Zweifel gelten das Kopieren und das Nachahmen als in uns tief verankerte allgemeine kulturale Verhaltensweisen und werden in solchen Zusammenhängen mit entsprechenden akkulturativen Folgen verknüpft sein. Wenn für die heutigen hier gemeinten Singweisen dieser Schnaderhüpfl aus dieser Singtanzzeit und dieser Singtanzregion aber keine historisch akzeptablen Dokumente vorliegen, bleibt eine solche Ursprünglichkeit dennoch in der subjektiven Mutmaßung stecken. Ob Hamza der Sachverhalt bewusst war, dass es erst deutlich nach dem Beginn der sich verselbständigenden Instrumentalmusik seit etwa der letzten Jahrtausendmitte zu einer instrumentalen Tanzbegleitung in den dörflichen Siedlungen kommen konnte, und demnach vorher eine instrumentelle musikalische Begleitung nur mittels der natürlichen Instrumente, über die jeder Tänzer selbst verfügte, bewerkstelligt wurde, d.h. mit dem eigenen Gesang, konnte ich seinen Darlegungen nicht entnehmen. Das Volk tanzt seit Urzeiten, höchstwahrscheinlich auch Paartänze. Seit dem 12. Jh. sondiert sich ein Gesellschaftstanz und so auch der bigeschlechtliche Paartanz des Adels in den Formen von Schreit- und Springtänzen ab das entsprechende Tanzen der allgemeinen Bevölkerung vollzog keine Geschlechter trennende Stilisierung, blieb urtümlich direkt und nahm zusehends sittlichen Anstoss vorwiegend aus geistlichen Kreisen ausführliche Beschreibungen hierzu sind im Tantzteuffel 29 dokumentiert. Es sieht nicht so aus, dass dieses urtümliche Tanzen eine exakte metrische Ordnung erfordert hätte, und dieser Sachverhalt legt auch keinen gesicherten ¾-Takte vor der Barockzeit nahe, in der sich diese feste Taktordnung notwendigerweise erst gebildet hat. Welches Instrumentarium im Verlauf der Entwicklung verfügbar und brauchbar war, darüber sind die schriftlichen Angaben nicht ausführlich. Vorwiegend ist von Landlageigern und vom Landlageigen die Rede der Sachverhalt deckt sich mit der verbreiteten Ansicht, dass früher bei größeren Anlässen hautsächlich Streichinstrumente in Gebrauch waren. Auffällig oft sind Notenbilder gezeigt und auch Bauweisen beschrieben, über das Instrument und dessen reale Handhabung finden sich aber nicht viele Auslassungen. Bei Commenda30/31, der sich mehrmals kurz in folgender Weise über das Landlageigen äußerte, lesen wir u.a.: Die innere Fläche der linken Hand ist gegen den Hals gepreßt, dieser selbst auf das Pult aufgelegt, oder zumindest der linke Arm und Ellenbogen fest auf Brust und Oberschenkel gestützt. Wer könnte aber auch die sonst vorgeschriebene, freie Geigenhaltung 12 Stunden ununterbrochen aushalten! ...… Es wird … nur mit der Mitte des Bogens gespielt … . 32 Er führte dann auch aus, dass für das Spiel der einzelnen Geigenstücke keine Lagenwechsel notwendig seien und auch, für welche Lagen die Stücke überhaupt gesetzt sind. Ähnliches wird auch in einem Beitrag von Erwin Schaller33 formuliert. Während die Zither und auch die Mundharmonika für die kleinen Anlässe (z.B. Treffen der Zechmitglieder im Stammwirtshaus oder in der elterlichen Stube bei einem Zechkameraden) Verwendung fanden und finden, waren größere Besetzungen schon immer auch den größeren Veranstaltungen (Hochzeiten, Kirchtage etc.) vorbehalten. Mit der Ziehharmonika bzw. dem Akkordeon sind im 20. Jahrhundert den Geigen eine erfolgreiche Konkurrenz erwachsen, weil das Erlernen und das Ausführen des Spiels als leichter zu bewältigen empfunden wurde und – so darf man mutmaßen - weil ihre Beherrschung wohl zu wachsender Akzeptanz bei den angehenden Spielern selbst und zunehmender Anerkennung in der dörflichen Gemeinschaft geführt haben muß. Blechblasinstrumente sind ohnehin nicht für das erforderliche unentwegte Spiel geeignet sie wurden immer als klangbereichernde Einlagen und nur bei den größeren Festen verwendet. Und hier zeigen sich tatsächlich formgebende Strukturen, die sich funktional herleiten lassen. Dazu aber später mehr.

Über den Autor

Der Autor ist Oberstudienrat a.D., gebürtiger Innviertler und von Kindheit an dort in diesem typischen Singen, Tanzen und Musizieren enkultiviert er hat den Tanz selbst getanzt und zum Landlatanz aufgespielt . Ein umfangreiches Musikstudium machte ihn zunächst zu einem Orchestermusiker und dann für Jahrzehnte zu einem Oberstudienrat im höheren Lehramt. Schon während seiner Hochschulausbildung schärfte sich sein fachlicher Blick für die ethnomusikologische Bedeutsamkeit des Innviertler Landla.

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