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Edition

Claudia Klank / Elsa von Bonin

Das Leben der Renée von Catte

Mit einem Nachwort herausgegeben von Claudia Klank

ISBN: 978-3-86815-721-5

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Produktart: Buch
Verlag: Igel Verlag
Erscheinungsdatum: 12.2017
AuflagenNr.: 1
Seiten: 228
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Renée ist nicht wie andere Mädchen. Sie würde lieber ein Junge sein, denn für Jungs gelten andere, bessere Regeln. Mädchen sollen nur hübsch, möglichst still und nicht zu klug sein, damit sie für zukünftige Männer attraktiv sind. Renée will weder einen Mann heiraten noch Kinder gebären. Sie entdeckt ihre Liebe zu Frauen und will selbstbestimmt leben. Doch sie kann es nicht, weil die Gesellschaft Homosexualität verschweigt oder nur oberflächlich duldet. Die Geschlechterrollenzwänge ihrer Zeit, im wilhelminischen Deutschland um 1900, lehnt sie ab. Elsa von Bonin stellt mit ihrem Roman Das Leben der Renée von Catte die allgegenwärtige Norm der Heterosexualität in die Kritik und mit ihr eine heteronormative Gesellschaftsordnung, in der Ehe, Familie und Reproduktion als Maßstab für ‚Normalität‘ statuiert sind. Damit hinterlässt sie einen äußerst wertvollen Beitrag aus der Literatur der Frühen Moderne, gegen Diskriminierung und für eine Gesellschaft der Akzeptanz. Eine Thematik, die auch 2017 nichts an Aktualität verloren hat.

Leseprobe

Textprobe: Die kleine Renée lag im Bett und horchte auf das Quaken der Frösche unten am See. Der Mond schien herein – jetzt war er aus ihrer Hand, nun auf der Erde. In der Zimmerdecke war auch ein Mond, ein gemalter mit gelben Strahlen – oder vielleicht war es eine Sonne. Er hatte ein Gesicht, und aus seinem Mund hing der Kronleuchter heraus mit sechs Kerzen. Die kleine Renée war ein wenig traurig. Es war, weil die Frösche quakten und weil Uncas nicht mehr lebte. Uncas war ein Hund, aber er hatte die schönsten Augen gehabt – gelb mit blau innen. Und Renée liebte niemanden mehr. Sie dachte daran, wie sie mit ihm auf Froschjagd gegangen war, und er hatte die Frösche in die Luft geworfen und wieder aufgefangen – so lustig, wie das aussah. – Wie Renée so nachdachte, wurde sie immer trauriger, dann fing sie an zu weinen. Montag vor vier Wochen war Uncas gestorben. Sie sagten: »Er hat sich heiß gelaufen, und dann ist er ins Wasser und hat den Schlag bekommen.« Sie sagten: »Du weißt doch, Renée, Menschen sterben auch davon.« Renées Papa kam und streichelte sie und sagte: »Weine nicht, mein Kind,« und Papa sah ganz verstört aus. Und ihre große Schwester nahm sie auf den Schoß. Ja – sie waren alle freundlich zu Renée, als es geschehen war. Ihr fiel ein, wie sie damals geweint hatte den ganzen Tag und ein bißchen in der Nacht. Es war anders gewesen als gewöhnliches Weinen, es hatte wehe getan nahe am Herzen. – Renée dachte: Hätte Papa mich nur mitgenommen auf Jagd, dann hätt’ ich den Uncas schon weggeholt vom Wasser. Nun gab es niemanden mehr. Der Mond kroch über die Bettdecke und kam auf den großen Tisch. Renée lag wieder im Dunkeln und sah etwas stehn hinter dem Tisch, das lang und schwarz aussah es pendelte hin und her mit einem weißen Ding, und das Ding war eine Hand. Renée schrie. – Es war doch nichts. Es war nur, weil der Mond gerade durch den Ahorn schien, und dann wippten die Blätter hin und her – das weiße Ding war gar nichts –. Renées Erzieherin konnte nicht ordentlich rechnen. Renée hatte gehört, wie Papa es zu ihrer großen Schwester sagte. Darum kam heute der Kantor. Der Kantor hatte ein fettiges Gesicht und gräßlich viel Pickel. Seine Manschetten rutschten aus dem Ärmel und waren von Gummi. Er nannte Renée ›na kleines Fräulein‹ und grinste dabei. Fräulein von Altmann saß am Fenster und häkelte. »Also was macht das nun, ein Halb mal ein Viertel?« frug der Kantor. Renée sagte: »Zwei.« Der Kantor grinste und wartete. Es schien also falsch zu sein. Renée sah heimlich nach Fräulein von Altmann, ob die es wohl wußte. »Nun – nun?« Renée sagte: es wäre wohl vier! »In Groß-Gehren macht es ein Achtel,« antwortete der Kantor. Fräulein von Altmann lachte, und dabei wußte sie es doch auch nicht und konnte nicht mal ordentlich rechnen. – Manchmal war der Kantor ganz nett. Renée hätte überhaupt lieber ihn gehabt als die Altmann. Renée wäre überhaupt lieber ein Junge gewesen. Und Jungs hatten immer Hauslehrer. Es gab eine Photographie, auf der Renée aussah wie ein Junge. Sie hatte ihres großen Bruders Kürassiermütze auf und eine Matrosenjacke. Sie zeigte das Bild und sagte: »Es ist mein Vetter Eberhard.« – Renée hatte sich den Vetter Eberhard ausgedacht. Sie war es selber. Ganz für sich allein. Wenn Papa sie mit dem Ponywagen nach Haus schickte. Sie dachte: Papa setzt Vertrauen in mich. Sie durfte fahren, wenn Papa drin saß Das war auch Vertrauen. Dann vermied Renée sorgfältig die Steine und Baumwurzeln, und wenn Papa ausgestiegen war, unternahm sie Wegebesserung. Sie schleppte Steine zusammen und tat sie in die Löcher und Wagenspuren, und dann kam Sand und Lehm darauf. Wenn sie fuhren, guckte Renée nach dem Wild. Einmal war ein Bock. Renée sah ihn zuerst. Renée zupfte Papa am Ärmel und hielt vor Schreck das Pony an. »Da ist ein Bock!« – »Fahr weiter – langsam,« befahl Papa. Dann spannte er den Hahn, kletterte ganz vorsichtig aus dem fahrenden Wagen und stapfte hinterher. – Renée zitterte vor Aufregung, sie hielt den Kopf geradeaus und schielte so gut es ging schräg nach dem Bock hinüber – Herrgott, wenn Papa schoß, wenn der Pony – bumm – Renée fuhr zusammen und riß den Pony ins Maul. Der machte drei Sprünge, schlug einmal seitwärts aus, dann blieb er stehen. »Schöner Blattschuß,« rief Papa, dann schleppte er den Bock heran. Renée freute sich, ja aber eigentlich tat es ihr doch gräßlich leid.

Über den Autor

Claudia Klank ist Doktorandin der Universität Stuttgart. Ihr Fachgebiet ist Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt Gender-Queer-Forschung. Bereits während ihres Masterstudiums erhält sie ein Stipendium (Starting Grants) für eine erste eigene Projektidee zu Forschungen im Archiv. Ihre Abschlussarbeiten zu Heteronormativität und weiblicher Homosexualität absolviert sie mit Bestnoten. Sie ist Visiting Fellow am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG), der Graduate School Gender Studies Universität Bern, in Kooperation mit den Universitäten Basel und Zürich. In ihrer Forschungsarbeit setzt sie sich mit der Korrelation von Literatur und Gesellschaft auseinander, insbesondere mit Heteronormativität, Heterosexismus, postheterosexuellen Konzepten, (Ent)Tabuisierung und Othering. Sie fordert zur Akzeptanz von LSBTTIQA ohne das Ehekonzept auf und zur Gleichberechtigung durch Auflösung der Eheprivilegien.

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