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Geisteswissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 44
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Seit der Mensch denken kann, existieren Vorstellungen über das ideale Menschentum. Das Menschheitsideal der Antike verschwand ein Jahrtausend in der imitatio christi und kam erst in Renaissance und Aufklärung wieder zur Blüte. Die Autoren der deutschen Klassik griffen es auf, verfeinerten es und verhalfen ihm zu neuem Glanz, der bis in die Postmoderne fortwirkt. Heute findet es sich im Zentrum moderner Diskurse um Anthropologie, Moral und Rechtswissenschaft wieder. Das Kalokagathie-Ideal als antiker Inbegriff für geistig-moralische Vervollkommnung und ‘Schönheit der Seele’ bildet einen in Vergessenheit geratenen Fixpunkt der antiken Philosophie, die unsere Kultur bis heute prägt und bestimmt. Greift Schiller es mit seinem Ideal der ‘schönen Seele’ auf? Ist seine Synthese des kantischen Dualismus von Geist und Materie Darstellung dieses Ideals? Sind Anmut und Würde Ausdruck der Kalokagathie in der Erscheinung? Anhand der Untersuchung der Schrift ‘Über Anmut und Würde’ und der ‘Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen’ soll die vorliegende Arbeit Antworten auf diese Fragen liefern.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3., Schillers Rezeption der Antike: Ein bestimmendes Merkmal für eine Epochenbeschreibung des 18. und frühen 19. Jahrhunderts ist, wie der Epochenbegriff Klassik bereits vermuten lässt, eine Hinwendung zur Kultur und Kunst der griechischen Antike. Einer der bedeutendsten Vertreter des so genannten ‘Philhellenismus’ war Johann Joachim Winckelmann (1717-1768), der die antike, bildende Kunst als Ausdruck eines höheren Menschentums verstand. Für ihn waren die nahezu perfekt gestalteten Körper Ausdruck des griechischen Seelengemüts. Besonders in Schillers Schrift ‘Bilder eines reisenden Dänen’, die eine Schilderung des Besuchs des Mannheimer Antikesaals und eine Beschreibung der darin befindlichen Skulpturen beinhaltet, wird die Orientierung an Winckelmanns idealisierender Kunstdarstellung deutlich. Allerdings ist auch anzumerken, dass es Gegenströmungen zur enthusiastischen Griechenverklärung gab. So schreibt Johann Gottfried Herder in seinem Aufsatz ‘Ist die Schönheit des Körpers ein Bote von der Schönheit der Seele’ eine etwas ironische Kritik der, der Kalokagathie schon recht nahekommenden, Winckelmannschen Sichtweise: ‘Wenn Winckelmann auf den Flügeln seiner Einbildungskraft [...] in dem Körper andrer so viel Geist, so viel Schönheit der Seele wahrnehmen kann, (so muss man ihm) Glück wünschen und ihn nicht irre machen’. Neben Winckelmann hatte auch Wilhelm von Humboldt großen Einfluss auf das Antikeverständnis Schillers. Seine neuhumanistische Bildungsidee gründete im humanistischen Gymnasium, das in der Erziehung des Bildungsbürgertums den Ton angab und als Sprachrohr der Altertumswissenschaften galt. Anzumerken ist dabei, dass Schiller ein solches Gymnasium nicht besuchte, sondern an der Hohen Karlsschule in Stuttgart kaum Kontakt zu antiken Quellen hatte. So beklagt er 1795 in einem Brief an Humboldt, dass er im entscheidenden Alter von 14 bis 24 ausschließlich moderne Quellen behandelt habe und zu griechischen Texten kaum Kontakt hatte. Jedoch betont er auch seine große Affinität zu den Griechen, die größer sei als die manches ausgewiesenen Experten. Wichtigen Einfluss auf Friedrich Schiller hatten zudem zeitgenössische Autoren wie Johann Gottfried Herder, Gotthold Ephraim Lessing, Christoph Martin Wieland, Anthony Ashley Cooper, der dritte Earl of Shaftesbury, und natürlich Johann Wolfgang von Goethe, mit dem Schiller regen Briefverkehr pflegte. Beide suchten im Hinblick auf eine Balladenkonzeption nach einer Möglichkeit, die Poetik des Aristoteles für die Moderne fruchtbar zu machen. Zudem war Goethes ‘Iphigenie auf Tauris’ für Schiller die ‘feinste edelste Blüte moralischer Verfeinerung mit der schönsten Blüte der Dichtkunst [...]’. Im Werk verkörpert das Handeln der Hauptfigur die Harmonie zwischen Pflicht und Neigung, welche zu einer Humanisierung der Menschheit führt. Folglich entwickelt diese Epoche einen völlig neuen Humanismus. Winckelmann gilt ihm als ‘sein Schöpfer, Goethe [als] sein Vollender, Wilhelm von Humboldt in seinen sprachwissenschaftliche, historischen und pädagogischen Schriften [als] sein Theoretiker’. Ein weiterer Einfluss im Hinblick auf die Überhöhung der griechischen Kultur und seiner Kunst geht vom dritten Earl of Shaftesbury (1671-1713) gerade hinsichtlich des Konzepts der Kalokagathie aus. Seine Philosophie ist eine Sozialethik, ‘die zum Hintergrund die Idee eines wohlgeordneten, harmonisch funktionierenden Gesellschaftsganzen hat’. Er geht auch von einer physischen und moralischen Harmonie, einem Zusammenhang von Schönheit und Tugend in einem idealen, ethisch-ästhetischen Menschentum aus. Wie Schiller diesen, am antiken Kalokagathie-Begriff orientierten, Gedankenkomplex Shaftesburys aufgreift, wird unten noch genauer erläutert. Um einen wissenschaftlichen Bezug und korrektes Verständnis herzustellen, sei am Rande erwähnt, dass diese Idealisierung der Antike etwa ein Jahrhundert später unter anderem von Jacob Burckhardt in seiner ‘Griechischen Culturgeschichte’ kritisiert wurde. Er bezeichnete das Griechenbild der Goethezeit als ‘eine der allergrößten Fälschungen des geschichtlichen Urteils, welche jemals vorgekommen, und umso unwiderstehlicher, je unschuldiger und überzeugter sie auftrat’. Auch wenn dieses Zitat aus dem Zusammenhang herausgerissen wurde, verdeutlicht es doch, dass die Kultur der Antike in der deutschen Klassik mitunter sehr euphorisch ausgelegt wurde und dieses Verständnis durch historische Forschung nur unzureichend belegt ist. Als Beweis, dass auch Schiller sich dem zu seiner Zeit üblichen Griechenbild anschloss, gilt das Gedicht ‘Die Götter Griechenlands’. In diesem wird eine verlorengegangene Lebensfülle, eine schöne Welt, in der Sterbliche mit Göttern und Heroen zusammenleben, einer entgötterten Natur entgegengestellt. Die Antike wird besungen, die Gegenwart beklagt. Als Leitmotiv liegt dem Gedicht die Ablösung des polytheistischen Weltbildes zu Grunde, das einen geschlossenen und diesseitigen Lebenskreis von Menschen, Natur und Göttern evoziert, durch den christlichen Monotheismus, der den Menschen und vor allem den Künstler einem abstrakt gewordenen Gott und der Natur entfremdet. Kombiniert wird die Diffamierung des Christentums im Gegensatz zum Polytheismus der Antike mit einer Kritik am mechanischen Weltbild der Naturwissenschaft. Im Zentrum stehen also die Aufwertung der Antike und die Abwertung der Moderne. Das Gedicht ist Ergebnis der Zusammenarbeit mit Christoph Martin Wieland, der ebenfalls maßgeblichen Einfluss auf Schillers Rezeption der Antike ausübte. Er wies Schiller und genauso Goethe ‘immer wieder auf die antiken Schriftsteller als die maßgeblichen ästhetischen Muster’ der Kunst hin. Durch die Aneignung der Antike versuchte Schiller, seine Kunst aus dem Schatten des Genius Goethe heraustreten zu lassen. So wird die Orientierung an der antiken Kunst zum Leitmotiv seines Schaffens. Das antike Griechenland wird dem Dichter nicht mehr nur zu einer Angelegenheit der gelehrten Bildung, sondern zu einer Aufgabe der Erziehung seines Zeitalters. Von Wiese (1978) bringt es auf den Punkt: Der Gedanke der ´höheren Schönheit´, der idealischen Menschendarstellung und Menschendeutung, wie er in Griechenland vom Glauben eines Volkes getragen und verwirklicht wurde, verbindet sich […] mit der immer wieder neu erhobenen Forderung der ´Simplicität´ und ´Classicität´ für sein eigenes Schaffen, die er im Umgang mit antiker Dichtung zu gewinnen hofft. Denn für Friedrich Schiller hat die Kunst die Funktion der Bildung. Das Ideal der Bildung ist für ihn im antiken Griechenland bereits verwirklicht worden: Das Ideal des Einklangs zwischen Natur und Vernunft. Für Schiller war der Kantische Dualismus zwischen Natur und Vernunft, Sinnlichkeit und Sittlichkeit, Körper und Geist in der Antike aufgehoben. Dem Griechen ist die Natur nie bloß Natur, darum darf er auch nicht erröten, sie zu ehren ihm ist die Vernunft niemals bloß Vernunft, darum darf er auch nicht zittern, unter ihren Maßstab zu treten. Natur und Sittlichkeit, Materie und Geist, Erde und Himmel fließen wunderbar schön in seinen Dichtungen zusammen. 4, Über Anmut und Würde: Diese Aufhebung der strikten Trennlinie von Sinnlichkeit und Vernunft bildet ein Leitmotiv der Abhandlung ‘Über Anmut und Würde’. Sie entstand in nur sechs Wochen, von Mai bis Juni 1793, was vermuten lässt, dass Schiller die behandelten moralphilosophischen und ästhetischen Fragen schon lange beschäftigten. Er greift darin eine Diskussion seiner Epoche über Ästhetik und Vernunft auf und orientiert sich dabei begrifflich an dem philosophischen System Immanuel Kants, welchem er allerdings teilweise widerspricht. In der ‘Kritik der Urteilskraft’ legt dieser fest, dass den Ideen der Vernunft in der dinglichen Welt keine Anschauung gegeben werden kann. Dem widerspricht Schiller jedoch. Die Funktion der Anschauungsgebung der Ideen der Vernunft in der physischen Welt erfüllt für Schiller die Schönheit. Damit stellt Schiller die Verbindung zwischen Materie und Metaphysik her, was noch für Kant undenkbar war. In dieser Übertragung ist deutlich eine Nähe zum Gedanken der Kalokagathie zu entdecken. Damit ihm diese Verbindung gelingt, führt Schiller die Anmut ein, die bei ihm oft mit ‘Grazie’ synonym gebraucht wird. Eine Orientierung an der Antike wird hier besonders deutlich, da sich Schiller für die Skizzierung der Anmut aus dem antiken Göttermythos bedient. Mit dem Bild der Schönheitsgöttin Venus, die durch ihren Gürtel zusätzlich zu ihrer Schönheit Anmut erhält, wird ganz in griechischer Tradition die Schönheit von der Anmut unterschieden. Die Venus kann den Gürtel, welcher symbolisch für die Anmut steht, abnehmen und verleihen, in Schillers Beispiel an die Himmelsgöttin Juno. Sie erhält dadurch Anmut, welche zu einer ‘beweglichen Schönheit’ wird. Damit ist zum einen gemeint, dass sie an einem Menschen erscheinen und wieder verschwinden kann. Also auch auf ‘das Minderschöne, ja selbst auf das Nichtschöne, übergehen’ kann. Zum anderen meint die Anmut eine Schönheit der Bewegungen. Dadurch unterscheidet sie sich von der ‘fixen Schönheit’, die dem Körper mit der Geburt durch die Natur gegeben ist und die nur von den Sinnen, auf subjektive Weise, wahrgenommen werden kann. Sie untergliedert sich in die architektonische Schönheit und die technische Schönheit, unter der man ‘das System der Zwecke selbst’ zu verstehen hat, die also auf Nützlichkeitserwägungen des Körpers ausgerichtet ist. Dagegen ist die Anmut eine ‘objektive Eigenschaft’. Sie ist ‘eine Schönheit, die nicht von der Natur gegeben, sondern von dem Subjekte selbst, hervorgebracht wird’. Da anmutige Bewegungen ein ‘persönliches Verdienst’ darstellen, werden ihnen die willkürlichen, also vom Willen der Person gesteuerten, Handlungen zugeordnet. Diese stehen im Gegensatz zu den Bewegungen, die der Naturtrieb verrichtet. ‘[...] Denn der Naturtrieb ist kein freies Prinzip, und was er verrichtet, das ist keine Handlung der Person’. Neben den willkürlichen Handlungen kann eine anmutige Bewegung allerdings auch durch eine ‘sympathetische Bewegung’ erfolgen. Diese sind unabhängig vom freien Willen durch eine Empfindung ausgelöst und stehen bei Schiller eher für den Begriff der ‘Grazie’. Sie werden unbewusst ausgeführt und offenbaren die Gesinnung des Menschen.

Über den Autor

Fabian Gorris wurde 1990 in Wesel am Niederrhein geboren. 2010 trat er das das Studium der Germanistik und der Sportwissenschaft an der Wilhelms-Universität Münster an und erreichte im Jahr 2013 den akademischen Grad des Bachelor of Science. Durch die Beschäftigung mit dem antiken Olympia, der Spieltheorie Johan Huizingas und der Anthropologie der Aufklärung wurde der Autor zum Versuch einer Synthese zwischen Sportwissenschaft und klassischem Menschenbild motiviert.

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