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Geschichte


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 04.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Bücher und Untersuchungen zum Thema Opposition in der DDR gibt es viele. Jedoch gibt es bisher kaum ein Werk, das oppositionelle Verhaltensweisen innerhalb der sogenannten Bewaffneten Organe untersucht. Hierin besteht die Einzigartigkeit dieses Buches. Erstmals wird hier der Versuch unternommen, normabweichendes Verhalten von Angehörigen der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR in das von Detlev Peukert in Bezug auf den Nationalsozialismus entwickelte System der Formen abweichenden Verhaltens einzuordnen und somit dessen Übertragbarkeit auf die DDR im Allgemeinen und die NVA im Speziellen zu prüfen. Diese Formen gehen von Nonkonformität über Verweigerung bis hin zum Protest und schließlich zum Widerstand . Die Bedeutung dieser Begriffe sowie ihre Auswirkungen auf den Alltag in der NVA werden in diesem Buch genauer erklärt. Dabei wird auch auf die inneren Strukturen der NVA eingegangen. In dieser Hinsicht weist sie zwei Spezifika auf. Zum einen gab es innerhalb der Truppe eine inoffizielle Hierarchie, die den Kasernenalltag bestimmte und deren Ausprägungen und Auswüchse nicht einmal von der sonst allmächtigen Staatssicherheit zu kontrollieren waren: die EK-Bewegung. Zum Anderen gab es die im Ostblock einzigartige Besonderheit des Dienstes als Bausoldat, den Menschen antraten, die aus religiösen oder politischen Gründen den Dienst mit der Waffe verweigerten und daher einen waffenlosen Wehrdienst ableisten mussten.

Leseprobe

Textprobe: 2.3.4, Unterschiede bei der Äußerung von Protest: Was die Formen der Äußerung des Protestes angeht, so sind zwischen den Bausoldaten und den anderen Armeeangehörigen durchaus Unterschiede auszumachen. Während die Bausoldaten in der Regel eher durch Eingaben oder, soweit dies kontextuell als Protest erkennbar ist, durch Gelöbnis- oder Befehlsverweigerungen auffielen, lag der Schwerpunkt bei den waffentragenden Soldaten meist bei Parteiaustritten oder negativen bzw. rechtsradikalen Äußerungen. Hier zeigt sich wieder einmal, dass die Bausoldaten offensichtlich eine eigene Gruppe bildeten, was unter Anderem dadurch deutlich wird, dass die Forderung nach einem sozialen Friedensdienst, also einem zivilen Ersatzdienst, fast ausschließlich aus dieser Gruppe kam. Dies hängt offensichtlich mit der Sozialisation der Bausoldaten zusammen, die bekanntermaßen aus einem eher pazifistischen Umfeld stammten und der Friedensbewegung meistens sehr nahe standen. 2.4, Formen des Widerstands: Die am schwierigsten zu definierende und am seltensten vorkommende Form des politisch gegnerischen Verhaltens ist der direkte Widerstand. Wie eingangs bereits erwähnt wurde, definiert Peukert dabei jene Verhaltensform als Widerstand, in der das (NS-)Regime als Ganzes abgelehnt wurde und Maßnahmen zur Vorbereitung des Sturzes dieses Regimes im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten des jeweils einzelnen Subjektes getroffen wurden. Auf die zweite deutsche Diktatur bezogen hieße das, dass die Ablehnung als Ganzes dem SED-Regime gegolten haben muss. Genau hierin liegt für die aktuelle historische Forschung die Schwierigkeit. War es bis hierhin möglich, zu begründen, warum ein bestimmtes Verhalten im Peukert'schen Sinne als Nonkonformität, Verweigerung oder Protest einzustufen ist, so ist dies im Falle des Widerstands sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Es ist anhand der Unterlagen der Staatssicherheit, die hier Verwendung fanden, kaum nachweisbar, dass eine bestimmte Handlung eines Soldaten den Sturz des SED-Regimes zum Ziel hatte. 2.4.1, Fahnenflucht: Für die Staatssicherheit war jedes in irgendeiner Form von den Vorschriften abweichende Verhalten des Widerstands verdächtig und musste dahingehend geprüft werden. Schließlich war es laut Jens Gieseke die Hauptaufgabe des MfS, »jegliche Regung von Widerspruch und Aufbegehren gegen die SED-Herrschaft [auch in den Streitkräften, d. Autor] frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen«. Ebenso war jede Form der Wehrdienstverweigerung, sei es die so genannte ‘Totalverweigerung’ oder die Flucht in die Bundesrepublik, für die Staatssicherheit ein politisches Verbrechen. Wenzke folgend machte die SED dies bereits im Rahmen des Aufbaus der NVA folgendermaßen deutlich: »Schließlich muss, um die Kampfkraft der Einheiten der Volksarmee zu festigen, jeder Angehörige der Armee begreifen, dass der ehrloseste, schändlichste und folgenschwerste Schritt, den ein Soldat tun kann, die Desertierung [sic!] ist. Sie bedeutet Landesverrat, Vaterlandsverrat, und ist das Schwerste aller Verbrechen. Jedes andere Vergehen kann gesühnt werden – die Desertierung nicht und niemals. Sie zeugt von politisch-moralischer Verkommenheit und von tiefem Unglauben an die Sache des Volkes. Jeder Schritt zu ihr hin – und schon die Ausgangsüberschreitung ist ein solcher Schritt – stellt Handlangerdienste für die imperialistischen Feinde des Volkes dar und öffnet ihnen Tür und Tor für weiteres Eindringen. Darum wirft ein solches Verbrechen nicht nur einen unauslöschlichen Makel auf den Deserteur selbst, sondern auch auf seine Familie, für die aus diesem Verbrechen schwerste Folgen entstehen. Das Verbrechen der Desertierung wirft einen Makel auf den Betrieb, aus dem der Betreffende kommt, und vor allen Dingen auf seine Einheit, die zu schwach war, um ihn zurückzuhalten und zu einem treuen Kämpfer für die Sache des Friedens, die Sache der Republik und seine eigene Sache zu erziehen. Dazu kommt, dass das Schicksal aller Deserteure der vollständige physische und moralische Untergang ist. Schließlich steht außer Zweifel, dass der mit gesetzmäßiger Notwendigkeit eintretende Sieg des deutschen Volkes im Kampf um seine Einheit alle Deserteure ihrer gerechten und unbarmherzigen Bestrafung zuführen wird. Diese Überzeugung muss allen Angehörigen der Volksarmee tief ins Bewusstsein dringen und sie zur höchsten revolutionären Wachsamkeit gegen feindliche Einflüsse zur entschlossenen Bekämpfung auch einer falsch verstandenen Kameradschaft befähigen.« In den Anfangsjahren der Kasernierten Volkspolizei, dem Vorläufer der NVA, gab es in der DDR noch kein Militärstrafrecht. Eine Fahnenflucht konnte somit nur disziplinarisch geahndet werden, da die DDR offiziell keine regulären Streitkräfte besaß. Jedoch war es eine übliche Praxis, in die DDR zurückkehrende Deserteure beispielsweise wegen Spionage anzuklagen. Erst mit der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht wurde ein spezielles Militärstrafgesetz erlassen, welches 1968 weitgehend in das StGB der DDR aufgenommen wurde. Die Fahnenflucht in den Westen als Widerstand im Peukert'schen Sinne einzuordnen, scheint schwierig. Zwar geht auch Wenzke davon aus, dass nach dem Mauerbau jede Flucht in den Westen über einen längeren Zeitraum vorbereitet werden musste und der Deserteur für seine Entscheidung in der Regel auch einen politischen Hintergrund hatte. Dieser lässt sich aber anhand der vorliegenden Akten des MfS kaum nachweisen. In einem Fernsehbeitrag des ARD-Magazins ‘Kontraste’ zur Problematik der strafrechtlichen Rehabilitierung von Deserteuren vom 10. September 1998 stellte der Professor für Straf- und Ostrecht Friedrich Christian Schroeder diese Problematik mit folgenden Worten dar: »Natürlich haben damals die Fahnenflüchtigen nicht ihre politischen Hintergründe dargelegt, das hätte ja zu einer erheblichen Strafverschärfung geführt. Außerdem hatten auch die Richter kein Interesse daran, irgendwelche Widerstandsmotive in dem Urteil zum Ausdruck kommen zu lassen, sondern sie wollten die Fahnenflüchtigen eben als gemeine Kriminelle darstellen.« Die aufgeworfene Kritik stellt für den Historiker eine starke Herausforderung im Umgang mit den Quellen dar. Es ist wahrscheinlich, dass die Soldaten, die beim Fluchtversuch gefasst wurden, bei den Verhören durch die Staatssicherheit nicht die Wahrheit über ihre Motive preisgaben, weil sie eine Verschärfung der Strafe befürchten mussten. Ähnlich groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine eventuell vorhandene Ablehnung des SED-Regimes nicht protokolliert wurde. Gelang die Flucht, stand der Fahnenflüchtige für eine Befragung durch DDR-Strafverfolgungsorgane nicht zur Verfügung. Insofern ergibt sich sowohl für die heutige Rechtsprechung als auch für die Wissenschaft die Problematik der Nachweisbarkeit hinsichtlich der Fluchtmotive. Die Unterlagen der BStU zeigen in den meisten Fällen, dass die Staatssicherheit zwar Kenntnisse darüber erhielt, dass ein Soldat in den Westen geflohen war. Die Frage des ‘Warum’ konnte das MfS allerdings nur selten klären, denn wie bereits erwähnt wurde, standen die Betroffenen im Falle einer geglückten Flucht in der Regel nicht für eine Befragung zur Verfügung. In diesem Fall konnten nur Untersuchungen im ehemaligen Umfeld des Fahnenflüchtigen durchgeführt werden, bei denen im Ergebnis oftmals ermittelt wurde, dass dieser im Vorfeld nicht aufgefallen war und niemand eine Erklärung für diesen Schritt hatte. So konnte beispielsweise im Falle der Fahnenflucht eines Soldaten des Grenzregiments 10 aus Plauen vom Mai 1988 »ein Motiv […] nicht ermittelt werden«. Wenn ein Soldat bei einem Fluchtversuch verhaftet und einem Verhör durch die ‘Verwaltung 2000’, wie die Staatssicherheit Armee-intern genannt wurde, zugeführt wurde, ist zu hinterfragen, ob die protokollierten Antworten tatsächlich die wahren Gründe für seinen Fluchtversuch darstellten. Dass die Betroffenen versucht haben könnten, eine eventuell vorhandene politische Motivation für diesen Schritt zu vertuschen, ist wahrscheinlich, denn sie wollten ihr Strafmaß mindern. Es ist auch vorgekommen, dass bestimmte Aussagen in Vernehmungsprotokollen nicht vom Betroffenen selbst kamen, sondern von den Ermittlern des MfS formuliert wurden. In beiderlei Hinsicht ist eine Überprüfung der Angaben heute nahezu unmöglich. Eisenfeld gibt im Zusammenhang seiner Untersuchung von Gründen und Motiven von Flüchtigen und Ausreisewilligen zu recht zu bedenken, dass der quellenkritische Ansatz hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der Unterlagen des MfS hier nicht außer Acht gelassen werden darf, denn: »Sowohl die Erkenntnisse der Täter als auch die Aussagen der Opfer unterlagen außergewöhnlichen Bedingungen. Die Täter hatten der Apologie des Systems zu folgen, wonach unangepasstes und/oder widerständiges Verhalten der Bürger nicht primär der Sozialisation im real existierenden Sozialismus, sondern äußeren, vom westlichen Klassenfeind inspirierten und gelenkten Einflüssen angelastet werden musste. Bei den Opfern spielten taktische Erwägungen und direkte Zwangslagen eine wesentliche Rolle.«

Über den Autor

Michael Breska, M.A., wurde im Jahre 1980 in Hamburg geboren. Sein Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Polonistik schloss der Autor im Jahre 2013 mit dem akademischen Grad des Magister Artium erfolgreich ab. Bereits während des Studiums entwickelte sich sein besonderes Interesse für zeithistorische und militärgeschichtliche Themen.

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