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Gesellschaft / Kultur

Jan Hendrik Schmidt

Der unterschätzte Krieg: Europa und der deutsch-französische Krieg von 1870/1871

ISBN: 978-3-95425-710-2

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 140
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Obwohl der Krieg von 1870/71 nur zwischen zwei Mächten ausgetragen wurde und seine Dauer verglichen mit anderen Kriegen recht kurz war, hatte er für ganz Europa Folgen, die auf kurze wie lange Sicht ungewöhnlich weitreichend waren. Vor allem wurde die Gründung des Deutschen Reiches ermöglicht, wodurch Deutschland Frankreich als führende Nation auf dem Kontinent ablöste und zwischen den beiden Staaten ein tiefer Bruch entstand. Der Krieg legte Grundsteine für Auslöser insbesondere des Ersten, aber auch des Zweiten Weltkrieges er förderte vor allem das übersteigerte Machtgefühl Deutschlands, das die deutsche Regierung veranlasste, sich 1914 drei europäische Großmächte auf einmal zu Feinden zu machen und diesen Fehler 1941 noch einmal zu wiederholen. Beide Weltkriege, ihre Ursachen, Ausbrüche, Friedensverhandlungen und Friedensverträge wurden also immer auch durch die Folgen des Krieges von 1870/71, den deutsch-französischen Gegensatz und das übergroße Potenzial geprägt, das Deutschland durch den Krieg und die Reichsgründung in Europa entfalten konnte. Diese Studie durchleuchtet deshalb die entscheidenden Phasen und Ereignisse des deutsch-französischen Krieges sowie seine Ursachen und Folgen im europäischen Kontext, um ein umfassendes Bild der oft unterschätzten Bedeutung dieses Krieges für Gesamteuropa zu entwickeln.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Europa und die Ursachen des Krieges: Als Ursachen des Krieges von 1870 werden in der Literatur zumeist die Kandidatur der Sigmaringer Hohenzollern für den spanischen Thron und die so genannte ‘Emser Depesche’ angeführt. Sicherlich sind diese beiden Ereignisse die Auslöser des Krieges gewesen und auch diese Studie wird sich kritisch mit ihnen auseinander setzen, doch sie sind lediglich die formalen, vordergründigen Ursachen. Hinter ihnen verbergen sich komplexe, nicht immer eindeutige Interessen, persönliche und nationale, die durchleuchtet und als mehr oder weniger kriegsverursachend eingeordnet werden müssen. Eine kurze Betrachtung der Lage, Ziele und Möglichkeiten der französischen wie auch der preußischen Politik und Diplomatie von 1866 bis 1870 führt zu einem besseren Verständnis. Frankreich hatte gehofft, dass ein langer zäher deutscher Krieg Preußen und Österreich so sehr schwächen würde, dass beide Nationen sich an Napoleon wenden müssten, er als überlegener arbiter mundi auftreten könnte, und die Dinge in Europa nach Frankreichs Vorstellungen geordnet würden. Doch durch den preußischen Sieg wurden diese Vorstellungen zunichte gemacht. Königgrätz/Sadowa war für Frankreich und Napoleon eine Niederlage und auch die öffentliche Meinung wertete den Sieg Preußens als Niederlage der Politik Napoleons. Der Verlust seiner Rolle als Schiedsrichter in Europa war eine Demütigung für Frankreich. Der mitteleuropäische Nachbar gewann an Stärke und allein schon der Norddeutsche Bund mit Preußen an seiner Spitze gefährdete die Vormachtstellung Frankreichs, von einem geeinten Deutschen Reich ganz zu schweigen. Die obersten außenpolitischen Ziele Frankreichs bis 1870 waren demnach die Verhinderung einer deutschen Reichseinigung sowie die Behauptung und Festigung seiner Vormachtstellung in Europa. Doch gerade die Gründung des Deutschen Reiches hatte nach 1866 für Preußen und Bismarck oberste Priorität. Die politischen Ziele Frankreichs und Preußens lagen deutlich auseinander. In diesem Konflikt hatte Preußen einen großen Vorteil: Bismarck. Jeder Versuch Frankreichs, in den Jahren von 1866 bis 1870 seine Ziele voranzutreiben, scheiterte letztlich am politischen Können Bismarcks. Dabei wurden dessen Siege zum Teil erst durch diplomatische Ungeschicktheiten der Franzosen möglich, sei es bei der Gründung des Norddeutschen Bundes, der Luxemburgkrise, dem Abschluss der Schutz- und Trutzbündnisse mit den süddeutschen Staaten oder eben auch in der Frage der spanischen Thronkandidatur. In den Jahren von 1866 bis 1870 fand ein ungleich anmutender Kampf statt: Auf der einen Seite Napoleon III., dessen Stellung durch die 1866 verpasste Gelegenheit, durch militärische Intervention der deutschen Einigung energisch entgegen zu treten, erschüttert und dessen Politik von Unentschlossenheit gekennzeichnet und von der öffentlichen Meinung abhängig war auf der anderen Seite Bismarck, dessen Politik nach 1866 zielstrebig auf die Gründung des Deutschen Reiches ausgerichtet war, und der mit dem französischen Kaiser, betrachtet man beispielsweise die Fragen um Belgien und Luxemburg, mehrfach Katz und Maus spielen konnte. Napoleon brauchte einen diplomatischen oder militärischen Erfolg, um seine Stellung zu verbessern und um Frankreich wieder in die ihm, der eigenen Meinung nach, zustehende Vorreiterposition in Europa zu bringen. Bismarck wiederum konnte seinen Traum von einem vereinten Deutschland nicht verwirklichen, solange Napoleon an der Macht war und mit Hilfe Österreichs die süddeutschen Staaten erfolgreich vom Norddeutschen Bund fern hielt. Er wusste aber auch, dass er auf den geeigneten Moment warten musste. Im Februar 1869 schrieb er an den Gesandten in München, Freiherr von Werthern: ‘Dass die deutsche Einheit durch gewaltsame Ereignisse gefördert werden würde, halte auch ich für wahrscheinlich. Aber eine ganz andere Frage ist der Beruf, eine gewaltsame Katastrophe herbeizuführen und die Verantwortlichkeit für die Wahl des Zeitpunktes. Ein willkürliches, nur nach subjektiven Gründen bestimmtes Eingreifen in die Entwicklung der Geschichte hat immer nur das Abschlagen unreifer Früchte zur Folge gehabt und dass die deutsche Einheit in diesem Augenblicke keine reife Frucht ist, fällt meines Erachtens in die Augen. […] Wir können die Uhr vorstellen, die Zeit geht aber deshalb nicht rascher, und die Fähigkeit zu warten, während die Verhältnisse sich entwickeln [ursprünglich: bis der Augenblick raschen Handelns eintritt], ist eine Vorbedingung praktischer Politik’. In den Jahren von 1866 bis 1870 waren die politischen Verhältnisse also ungeklärt und mussten auf die eine oder andere Art zwingend geklärt werden. Außerdem war die Empfindlichkeit bei Fragen des Prestige und der nationalen Ehre extrem hoch. Nur unter diesem Eindruck kann verstanden werden, warum die politischen Machtspiele bei der Frage um die spanische Thronkandidatur von so hoher Bedeutung waren, die Positionen der Gegner sich so sehr verhärteten, dass ein diplomatischer Sieg nicht ausreichte bzw. eine diplomatische Niederlage keinesfalls hingenommen werden konnte und ein Krieg so schließlich unausweichlich wurde, obwohl ihn zu diesem Zeitpunkt eigentlich niemand wirklich wollte. 2.1, Spanien und die Kandidatur der Hohenzollern für den spanischen Thron: Im September 1868 wurde Königin Isabella II. von Spanien durch einen Militärputsch gestürzt und musste aus Spanien fliehen. Bald darauf begann unter Führung des Präsidenten des Ministerrats, General Juan Prim, die Suche nach einem geeigneten Thronnachfolger. Auch die Möglichkeit, Spanien könnte in eine Republik umgeformt werden, wurde in Europa erwogen, doch diese Lösung kam für Prim selbst nicht in Frage und wäre auch unter keinen Umständen von Napoleon III. gebilligt worden, von dessen Gunst Spanien zu dieser Zeit abhängig war. Doch wollte Spanien sich auch von eben dieser französischen Übermacht lösen, die nicht nur die Außenpolitik, sondern auch die Innen- und Wirtschaftspolitik Spaniens bestimmte. Früher hatte Spanien sich auf England verlassen können, das gerne die Rolle des Beschützers vor Frankreich übernommen hatte, doch seit dem Krimkrieg verlegte sich England immer mehr auf seine Politik des Non-Interventionismus und überließ damit zugleich das kontinentaleuropäische Feld weitgehend dem Ehrgeiz Napoleons. Spanien musste sich also nicht nur im Inneren neu orientieren, es bestand auch kein geringes Interesse daran, sich in Europa neu zu definieren und aus dem Schatten des übermächtigen Frankreichs herauszutreten, aber möglichst ohne es vor den Kopf zu stoßen. Prim wollte sein Land in eine konstitutionelle Monarchie umwandeln und für diese bedurfte es nun eines Thronkandidaten, der allerdings hohen Ansprüchen genügen musste: Er durfte die Septemberrevolution nicht ad absurdum führen, wie es Isabellas Sohn getan hätte, sondern sollte vielmehr deren krönender Abschluss sein er sollte innenpolitisch einen Kompromiss zwischen den Parteien ermöglichen, die die Revolution trugen er sollte einer europäischen Dynastie entstammen, die der stolzen Geschichte Spaniens würdig war er musste national wie international eine starke Position haben, um zum einen die Mehrheit in den Cortes zu erreichen und zum anderen die Rückendeckung der großen internationalen Politik zu haben er durfte Napoleon nicht provozieren, oder, falls dies doch der Fall gewesen wäre, eine national wie international umso gefestigtere Stellung besitzen müssen er sollte einer europäischen Großmacht so sehr verbunden sein, dass Spanien durch seinen König auch deren Gunst erwerben würde. Nur wenige genügten diesen hohen Anforderungen. Einer war der Herzog von Montpensier, Antoine Marie Philippe Louis de Orléans, der aber von Napoleon entschieden abgelehnt wurde, da er befürchten musste, dass das Haus Orléans durch den spanischen Thron derart an Macht gewinnen könnte, dass sein eigener Thron durch diese Familie gefährdet würde. Im Falle einer Wahl des Herzogs von Montpensier hatte Napoleon sogar mit Intervention gedroht. Spätestens nach einem Duell im März 1870, in dem Montpensier seinen Gegner tötete, war seine Kandidatur aber endgültig vom Tisch, wenngleich sie immer noch benutzt wurde, um Napoleon zur Annahme einer Alternative zu bewegen. Ein anderer war der Herzog von Genua, der aber erst 18 Jahre alt war und somit, was seine nationale wie internationale Stärke betraf, einigen Zweifeln unterlag. Nur drei Kandidaten kamen letztlich so ernsthaft in Frage, dass mit ihnen Verhandlungen aufgenommen wurden: Der erste war der Herzog Amadeo von Aosta aus dem Hause Savoyen, Sohn des Königs von Italien, Viktor Emanuel II. der zweite Ferdinand II., Stammvater des Hauses Sachsen-Coburg-Braganza und Ehemann der Königin von Portugal, Maria II. da Gloria der dritte eben Prinz Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen. Die aktuelle Forschung sieht allerdings Portugal und Hohenzollern-Sigmaringen als ‘Doppelkandidatur’ an. Vor allem die geplante Bindung einer europäischen Großmacht an Spanien und der Wille, die französische Übermacht dadurch abzuschütteln, werden bei diesen drei Kandidaten deutlich: Über Portugal hätte man England, die traditionelle Schutzmacht Portugals, wieder an sich gebunden und so war es auch sicherlich kein Zufall, dass während der Verhandlungen mit Ferdinand von spanischer Seite aus die Gibraltarfrage wieder aufgeworfen wurde, um Englands Aufmerksamkeit zu erregen. Des Weiteren hätte durch diese Lösung auch der Plan einer ‘Iberischen Union’ verwirklicht werden können, die im europäischen Konzert fraglos mehr Stärke erlangt hätte als Spanien allein. Mit dem Herzog von Aosta hätte man sich Italien ins Boot geholt, wodurch Frankreich seine Politik hätte überdenken müssen, da es ja Italien als Dreibundpartner gewinnen wollte und mit Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen hätte Preußen ein starker Verbündeter für Spanien werden können. Das auf diese Sortierung der möglichen Kandidaten folgende Vorgehen war keineswegs konfus oder planlos. Zuerst kontaktierte man im Herbst 1868 die italienische Regierung, ‘was insofern nahe lag, als die Geburt der Thronfrage aus der Revolution und die Ungewissheit ihres Ausgangs die Großmächte zu einer äußerst reservierten Haltung gegenüber Spanien veranlasst hatte, außer Italien, wo die Septemberrevolution in brüderlichem Geiste begrüßt worden war’ . Nachdem die Kandidatur des Herzogs von Aosta von italienischer Seite wegen seiner persönlichen Abneigung und der Kinderlosigkeit des italienischen Kronprinzen Umberto, die Amadeo zum Stammhalter Viktor Emanuels machte, abgelehnt worden war , ermunterten Frankreich, Österreich und England Spanien zu Verhandlungen mit Ferdinand von Portugal. Doch auch dieser lehnte ab und so blieb der Hohenzollern-prinz als letzter Kandidat übrig. Doch man irrte, würde man denken, Leopold wäre eine Verlegenheitslösung gewesen. Er war nur fraglos die schwierigste der drei denkbaren Lösungen. Mit ihm als Thronkandidat war eine Konfrontation mit Napoleon sicher, trotz seiner Verwandtschaft mit Leopold, die sogar enger war als die zwischen Leopold und Wilhelm I. Nur zu deutlich musste Napoleon die Konsequenzen eines Hohenzollernprinzen auf dem spanischen Thron vor Augen haben, hatte er doch noch 1866, vor dem deutschen Krieg, maßgeblich geholfen, Leopolds Bruder Karl auf den rumänischen Fürstenthron zu bringen, wodurch Preußen im Krieg mit Österreich einen Verbündeten im Rücken der Habsburger Monarchie hatte. Die gleiche Situation drohte ihm nun durch einen spanischen König aus dem Hause Hohenzollern für sein eigenes Land. Natürlich wusste auch Bismarck von dieser Möglichkeit, Frankreich unter Druck zu setzen. Er trieb deshalb die Kandidatur Leopolds voran, gleichwohl gerade dieser gegen Frankreich gerichtete Aspekt der Thronkandidatur Leopolds für Spanien eine untergeordnete Rolle spielte, da man dort keineswegs einen Bruch mit Frankreich wünschte, sondern lediglich aus dessen Schatten treten wollte. Sollte Bismarck also wirklich in Spanien einen Verbündeten gegen Frankreich gesehen haben, so wäre ihm ‘eine glatte Fehleinschätzung der spanischen Politik unterlaufen’ , doch die Tatsache, dass er die Kandidatur im Geheimen und so schnell wie irgend möglich durch die Wahl Leopolds zum König zum Abschluss bringen wollte, um Frankreich vor ein fait accompli zu stellen, legt die Annahme nahe, dass er sich der tatsächlichen Lage durchaus bewusst war. Jedenfalls steht zweifellos fest, dass die Idee der Hohenzollernkandidatur allein von Spanien ausging und nicht, wie vor allem französische Historiker nach dem Krieg gerne behaupteten, von Bismarck, zumal der Hohenzollernprinz für die spanischen Interessen einen geradezu idealen Kandidaten darstellte. Nachdem die beiden anderen Kandidaten also ausgeschieden waren, kontaktierte der spanische Gesandte Don Eusebio Salazar y Mazarredo am 17. September 1869 zum ersten Mal Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen und dessen Sohn Leopold. Noch zwei weitere Anfragen sollten folgen. Zwar hatte Spanien schon im Mai 1869 in Berlin seine Fühler in Richtung Leopold ausgestreckt und die Lage sondiert, doch war dies die erste direkte Aufforderung, die spanische Krone anzunehmen. Aus diesem Grund wird in der Literatur teils von drei, teils von vier Anfragen bei Leopold gesprochen. Jedenfalls erhielt Salazar bei seinem ersten Besuch auf der Weinburg eine abschlägige Antwort, die einem Brief Karl Antons an Bismarck vom 25. Februar 1870 zufolge gelautet hatte: ‘Wenn Sie den Kaiser Napoleon dazu bringen, dass er an meinen König sich wendet und diesem auseinandersetzt, dass die Gründung einer Hohenzollern-spanischen Dynastie eine Gewährschaft des europäischen Friedens und der europäischen Ruhe ist, und wenn dann mein König für eine solche Lösung dieser Frage im günstigen Sinne sich ausgesprochen haben wird, dann erst wäre für uns der Moment gekommen, überhaupt zu erwägen, ob unsere Familieninteressen die Annahme gestatten oder ob sie die Ablehnung zur Pflicht machen’. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Antwort so lautete, dennoch scheint es, dass die Hohenzollern sich doch nicht ganz so ablehnend verhalten hatten. Denn sonst wäre nicht zu erklären, wie Salazar nach seinem Besuch an Werthern, der ihn auf der Weinburg eingeführt hatte, schreiben konnte, ‘je suis assez satisfait de mon voyage’ . Die Aussicht auf die spanische Krone hatte für die Hohenzollern durchaus ihren Reiz. Am 25. Februar 1870 unternahm Salazar den zweiten Versuch, die Hohenzollern zur Annahme der Kandidatur zu bewegen, diesmal in offiziellem Auftrag und mit der Befugnis, mit der preußischen Regierung zu verhandeln. So wurde die Thronkandidatur der Hohenzollern in diesem Moment auch zu einer politischen Angelegenheit. Bismarck begann nun, die Kandidatur auch im antifranzösischen Sinne voranzutreiben. Dafür musste es ihm gelingen, die Sorgen der Hohenzollern zu zerstreuen und ihnen verständlich zu machen, dass die Kandidatur von preußischem Interesse sei. Letzteres war auch die Hürde, die Bismarck bei König Wilhelm nehmen musste, denn auch dieser war gegen eine Hohenzollernkandidatur in Spanien. Am 15. März fand im Berliner Schloss ein Herrendiner und im Anschluss eine vertrauliche Beratung über die Frage der Kandidatur statt. Geladen waren neben dem König und Bismarck selbst der Kronprinz, die Hohenzollern Karl Anton und Leopold sowie die Minister Schleinitz, Roon, Moltke und Delbrück und der Unterstaatssekretär Thile. Salazar war zuvor abgereist, da man befürchtete, die Zeitungen – und somit Frankreich – könnten Verdacht schöpfen, was die von Spanien unbedingt gewünschte Geheimhaltung der Verhandlungen gefährdet hätte. Am Ende der Beratung schlossen sich die Minister alle vorbehaltlos Bismarcks Standpunkt an, die Kandidatur müsse unbedingt angenommen werden, bis auf Schleinitz, der sich aber wohl eher wegen seiner persönlichen Gegnerschaft zu Bismarck enthielt. Auch Wilhelm und Karl Anton enthielten sich einer Meinungsäußerung und nur der Kronprinz und Leopold selbst sprachen sich gegen die Kandidatur aus, womit auch dieser zweite Anlauf mit der Ablehnung der Kandidatur endete. Schließlich wollte der Kandidat nun selbst nicht mehr. Mitte April schrieb Karl Anton nochmals an Bismarck, dass eine Kandidatur nicht in Frage käme. Bismarck konnte zu dieser Zeit nicht in das Geschehen eingreifen, da ihn eine schwere Gelbsucht ans Bett fesselte und so wurde am 4. Mai abermals eine abschlägige Antwort nach Madrid gesandt. Doch bis Ende Mai änderten die Hohenzollern ihre Meinung und der wieder genesene Bismarck handelte sofort. Er wusste zu dieser Zeit, dass man in Frankreich Verdacht schöpfte und bei dessen Bestätigung zum Krieg bereit war. Er wusste weiter, dass in Spanien die Königswahl für den 9. Juni geplant war. Eile tat Not. Geschickt entlockte er seinem König, für den die Kandidatur längst erledigt war und den Bismarck ganz bewusst im Unklaren über die neue Lage ließ, die Zusage, sich bei einem erneuten Aufleben der Kandidatur nicht mehr gegen sie zu stellen. Anschließend wurde er in Spanien tätig, damit von dort nochmals eine Anfrage an Leopold gerichtet würde. Die Hohenzollern setzte er damit unter Druck, dass eine Alternative zu ihrem Haus ein Habsburger oder Wittelsbacher sein könnte, was für Karl Anton den Ausschlag gab.

Über den Autor

Jan Hendrik Schmidt wurde 1980 in Marburg geboren. 1999 legte er in Schweinfurt sein Abitur ab und studierte anschließend Deutsch, Geschichte und Sozialkunde an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Aus seiner schwerpunktmäßigen Beschäftigung mit der Geschichte des ‘langen 19. Jahrhunderts’ entstand die vorliegende Studie. Sein Studium schloss er 2005 mit dem Ersten Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien erfolgreich ab. Heute arbeitet er als Lehrer an einem bayerischen Gymnasium.

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