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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2017
AuflagenNr.: 1
Seiten: 140
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Familienzentren entwickeln sich für Kinder, Eltern und Familien zunehmend zu der zentralen Anlaufstelle in ihrem Stadtteil. Sie bieten umfangreiche Unterstützung in Bildungs- und Erziehungsfragen, koordinieren Veranstaltungen und vernetzen unterschiedlichste professionelle und ehrenamtliche Beratungs- und Hilfsangebote. Die Organisation und das Management von Familienzentren wird im Wesentlichen durch engagierte Leitungskräfte geleistet. Die vorliegende qualitative Studie geht der Frage nach, welche persönlichen, politischen, finanziellen sowie pädagogischen Rahmenbedingungen und Kompetenzen Leitungskräfte benötigen, um den vielfältigen alltäglichen Anforderungen gerecht zu werden. Nach einführenden professionstheoretischen Überlegungen aus Sicht der Sozialen Arbeit und Kindheitspädagogik werden Interviews mit Familienzentrumsleitungen aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen geführt ergänzt werden diese Daten durch teilnehmende Beobachtungen in Coachingprozessen des Autors sowie durch studentische Beiträge aus dem Projektstudium Stadtteil- und Familienzentren an der Ostfalia Hochschule in Wolfenbüttel. Das Material wurde mit der Forschungsmethodik der Grounded Theory ausgewertet und bietet einen detaillierten Einblick in die Leitung eines Familienzentrums. Das Management von Komplexität kennzeichnet den Alltag der interviewten Leitungskräfte mit all seinen pädagogischen Chancen und Möglichkeiten, verdeutlicht aber auch strukturelle, organisatorische und persönliche Grenzen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3: Familienzentren in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen: 3.1 Nordrhein-Westfalen: Familienzentren sind keine neue Erfindung von Bildungspolitikerinnen oder Wissenschaftlerinnen als Vorbilder dienen die Early Excellence Centres in England. Das erste Early Excellence Centre wurde in den 80er Jahren in Corby durch Maggy Whalley gegründet mittlerweile sind sie dort weit verbreitet (Jares 2016, S. 66-69). In der Bundesrepublik existieren bereits vielfältige Formen von Familien- oder Eltern-Kind-Zentren, wie eine Forschungsübersicht des Deutschen Jugend Instituts zeigt (2004, 2005). Sie bieten bedarfsgerechte, integrierte Angebote, mit denen Bildungs- und Erziehungsprozesse von Kindern gefördert und Eltern/Familien unterstützt werden aus (DJI 2005, S. 3). Kindertageseinrichtungen werden zum Dreh- und Angelpunkt unterschiedlichster sozialräumlicher Angebote von Beratung, Familienbildung und Familienhilfe. Die leichte Erreichbarkeit und die Vernetzung unterschiedlicher Akteure vor Ort bilden eine neue Qualität sozialpädagogischer Praxis. Familien kennen viele Mitarbeiterinnen vor Ort bereits und nehmen Unterstützungsangebote dadurch leichter an. Mittlerweile sind in einigen Bundesländern Modellprojekte für Familienzentren entstanden, wobei das Landesprojekt Familienzentren Nordrhein-Westfalen sicherlich als das derzeit quantitativ ambitionierteste gelten kann. Es wurde auf Initiative der Landesregierung unter Federführung des zuständigen Ministers Armin Laschet (CDU) in den Jahren 2005/2006 angedacht und initiiert. Freie Träger und Jugendämter waren in der Planungsphase kaum beteiligt, ein Umstand, der in der Pilotphase zu heftigen Unmut seitens der Verbände und Kommunen führte. Das Ziel dieses Projektes war es, 3000 Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren bis zum Jahr 2012 auszubauen. In einer Pilotphase starteten 251 Piloteinrichtungen im Sommer 2006 mit dem Aufbau zum Familienzentrum. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt durch Wolfgang Tietze und sein wissenschaftliches Institut Pädagogische Qualitätsinformationssysteme (PädQUIS) an der Freien Universität Berlin. Das Projektmanagement erfolgt durch das Institut für Soziale Arbeit (ISA) in Münster. Jede Piloteinrichtung erhielt während der einjährigen Entwicklungsphase ein externes Coaching und hatte die Möglichkeit, an einem umfangreichen Fortbildungsprogramm teilzunehmen. Am Ende dieses Organisationsentwicklungsprozesses wird ein standardisiertes Gütesiegel verliehen (vgl. Ministerium für Generationen, Familien, Frauen und Integration NRW 2007) damit verbunden war zunächst eine jährliche Zuwendung von 12.000 €, mittlerweile wurde der Rahmen auf 13.000 bzw. 14.000 € erhöht. Familienzentren sind im Kinderbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen mittlerweile rechtlich fest verankert sie können sich alle vier Jahre re-zertifizieren lassen, um weiterhin gefördert zu werden. Die Erfahrungen von Leitungskräften im Landesprojekt hat Sybille Stöbe-Blossey gemeinsam mit Studierenden in einer kleinen qualitativen Studie untersucht (2011). Neben Ergebnissen zu einzelnen Aspekten des Gütesiegels konstatiert sie Ressourcenengpässe (S. 22) auf der Leitungsebene: Vielfach empfinden sie die Leitungsaufgabe für Kita und Familienzentrum als Doppelbelastung die neuen, auf das Familienzentrum bezogenen Aufgaben mussten in die vorhandene Arbeitszeit integriert werden, ohne dass es zu einer ergänzenden Entlastung (oder Vergütung) gekommen wäre (2011, S. 21). Verschärft wird die unzureichende personelle Ausstattung durch teilweise fehlende oder zu alte, ungeeignete Räumlichkeiten. Der Umfang des Landesprojektes Nordrhein-Westfalen sowie die mit dem Gütesiegel verbundenen inhaltlichen Kriterien lassen deutlich erkennen, dass sich die professionellen Anforderungen an die beteiligten Berufsgruppen fundamental wandeln. Handelt es sich dabei aber tatsächlich um einen Professionalisierungsschub im Bereich der Kindheitspädagogik oder muss nicht eher von einer politisch verordneten Pseudoprofessionalität (Harmsen 2016) ausgegangen werden? 3.2 Niedersachsen: Im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen sind Familienzentren in Niedersachsen kommunal organisiert und finanziert, wobei durchaus vergleichbare lokale Standards entwickelt wurden. So verzeichnet eine Bestandsaufnahme des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung (Nifbe) aus dem Jahre 2011 135 bestehende Familienzentren und 150 sich auf dem Weg zum Familienzentren befindliche Einrichtungen. Überregionale Bekanntheit haben die Zentren in Hannover durch ihr auf dem Early Excellence Ansatz basierendes Konzepts erlangt (zusammenfassend Drosten 2015, S. 65-67). Daneben gibt es aber einzelne Projekte, die durchaus Modellcharakter haben können und die regionalen Entwicklungen beeinflussen, wie beispielsweise das Kinder- und Familienzentrum Karlstraße in Wolfenbüttel, oder das Familienzentrum in Aurich, welches durch angemessene finanzielle und räumliche Ausstattung wegweisend für andere Kommunen sein könnte. Erwähnenswert sind weiterhin die Projekte in Osnabrück mit einem eigenen kommunalen Kriterienkatalog für Familienzentren sowie die im Emsland zusammengeschlossenen Familienzentren mit je eigenständigen pädagogischen Konzepten und Qualitätskriterien (vgl. Drosten 2015, S. 79-81). Das Osnabrücker Modell bedient sich dabei einer verkürzten Version des nordrhein-westfälischen Gütesiegels unter Berück-sichtigung der Besonderheiten im ländlichen Raum, während die Familienzentren im Emsland großen Wert auf die Koordination ihrer Angebote legen. 4 Die Anlage der Studie: 4.1 Methodik und Forschungsstil der Grounded Theory: Die Erforschung professionellen Handelns von Leitungskräften in Familienzentren erfolgt mit einem qualitativen Forschungsansatz, der Grounded Theory von Barney Glaser und Anselm Strauss (1967). Es handelt sich dabei um einen sehr offenen Forschungsstil, der es ermöglicht, in dem recht neuen Feld Familienzentren datenbasierte Theoriegenerierung zu ermöglichen. In der Sozialen Arbeit ist sie mittlerweile ein gängiges qualitatives Forschungsverfahren, das anschlussfähig an konstruktivistische und postmoderne Theorien Sozialer Arbeit ist, die Subjektgebundenheit von Wahrnehmung auch für Forschungsprojekte berücksichtigt. Ein konstruktivistisches Verständnis der Grounded Theory, das die subjektive Eingebundenheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Forschungsgegenstand und Forschungsprozess systematisch berücksichtigen will, bedarf einer (selbst-)reflexiven Grundhaltung, wie sie etwa Franz Breuer entwirft: Der Forscher bzw. die Forscherin kommt selbst als Subjekt und Person im Kontext der sozialwissenschaftlichen Erkenntnisarbeit vor. Das methodologische Postulat, das aus diesem Grundgedanken folgt, beinhaltet eine selbstreflexive Herangehensweise an die Forschungsarbeit, an ihre physischen, kulturellen, sozialen, persönlichen Ressourcen … (2009, S. 115). Der gewählte Forschungsansatz eignet sich für die vorliegende Forschungsarbeit insofern besonders gut, als er ausdrücklich davon ausgeht, dass der Forscher, der sich in dem Feld bewegt, auf umfangreiches Kontextwissen zurückgreifen kann. Im vorliegenden Fall ist der Autor in unterschiedlichen Rollen mit dem Thema befasst: Als Coach, Wissenschaftler, Hochschullehrer und Vater. Aus diesen unterschiedlichen Perspektiven ist es möglich, verschiedene Datenquellen miteinander in Verbindung zu bringen und zu analysieren. Sie werden in Relation zu theoretischen Vorkenntnissen, Fachliteratur oder Kontextwissen des Forschenden gesetzt und systematisiert. Letztendlich entsteht eine konzeptionell dichte Theorie über Familienzentren. Deren Gütekriterien lassen sich allgemein als Signifikanz, Vereinbarkeit von Theorie und Beobachtung, Verallgemeinerbarkeit, Reproduzierbarkeit, Präzision, Regelgeleitetheit und Verifizierbarkeit bestimmen (Corbin/Strauss 1996, S. 18). Einige wenige zentrale Leitsätze sind - trotz aller Offenheit der Methodik - für die praktische Forschungsarbeit unumgänglich, da sie das Besondere dieses Forschungsstils ausmachen: -Daten können sehr unterschiedliche Formen haben. Im Prinzip sind alle relevanten Informationen zu einem bestimmten Gegenstandsbereich als Datenquellen denkbar. -Daten sind beispielsweise Interviews, Beobachtungen, Dokumentationen, Filme, Internetquellen. -Datensammlung und Dateninterpretation erfolgen nicht nacheinander, sondern zeitgleich. -Es ist jederzeit möglich, auf alte Daten zurückzugreifen und sie neu in Beziehung zu anderen Quellen zu setzen. Dieses zirkuläre Verfahren ermöglicht eine analytische Dichte, die bei der Integration der kodierten Daten hilfreich ist. Der Prozess der Datensammlung und Dateninterpretation ist nie endgültig abgeschlossen. Selbst bei der Formulierung des Forschungsberichtes kann theoretisch noch auf neue Daten eingegangen werden, die wiederum der Kodierung zugeführt werden. Die Grounded Theory ist grundsätzlich prozesshaft-zirkulär angelegt. Geordnet wird dieses Verfahren durch ein permanentes Verfassen von Memos, die in Theoriememos, Prozessmemos oder methodische Memos unterschieden werden. Die Organisation unterschiedlicher Daten und Memos führt zu komplexen Verknüpfungen, die in die Theoriebildung einfließen. Im Wesentlichen beruht die Datenerhebung auf einem Konzept-Indikator-Modell: Alltagsweltliche Phänomene in Form empirischer Daten werden als Indikatoren, als Anzeichen für etwas Allgemeineres, Grundlegenderes verstanden” (Breuer 2009, S. 71). Zentral ist der Prozess des Kodierens. Dieses Verfahren bildet den Kern der Entwicklung einer gegenstandsbezogenen Theorie. Kodieren ist ein allgemeiner Begriff für den Prozess der Datenanalyse. Er bedeutet, dass man über Kategorien und deren Zusammenhänge Fragen stellt und vorläufige Antworten (Hypothesen) darauf gibt. Ein Kode ist ein Ergebnis dieser Analyse” (Strauss 1994, S. 48). Erleichtert wird die Kodiertätigkeit durch ein Kodierparadigma. Es beinhaltet in seiner ursprünglichen Form vier Reflexionsebenen (vgl. Strauss 1994, S. 57): -Bedingungen, die auf ein Phänomen hinweisen. -Interaktionen zwischen den Akteuren. -Strategien und Taktiken. -Konsequenzen.

Über den Autor

Professor Dr. phil. Thomas Harmsen studierte Sozialarbeit, Sozialwissenschaften, Erziehungswissenschaft, Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie in Münster und Hagen. Er ist nicht nur Diplom-Sozialarbeiter, sondern auch Supervisor (Systemische Gesellschaft) und systemischer Familienberater. Seit 2008 ist der Autor Professor für Sozialarbeitswissenschaft an der Ostfalia Hochschule in Wolfenbüttel, nachdem er zuvor 21 Jahre als Sozialarbeiter in unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe tätig war. Im Zuge seiner Lehre an der Fakultät für Soziale Arbeit hat er seit 2012 einen zweisemestrigen Projektstudienschwerpunkt Stadtteil- und Familienzentren aufgebaut und etabliert. Harmsen arbeitet außerdem als Coach für über 40 Familienzentren in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, u.a. in der Pilotphase des Landesprojektes Familienzentren in NRW.

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