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  • Friedrich Adler und die verborgenen Jahre der österreichischen Sozialdemokratie: Die austromarxistische Exilpolitik 1938 bis 1945 im Spiegel Amsterdamer Archive

Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 240
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Programm, das die Führung der Auslandsorganisation der österreichischen Sozialisten (AVOES) am 1.April 1938 in Brüssel einstimmig beschließt ist radikal. In die Auseinandersetzung der westlichen Demokratien mit dem Hitlerregime will man auch nach Kriegsausbruch nicht eingreifen, weil ein ‘ Krieg zur Verteidigung bzw. zur Wiedererrichtung geschlagener Demokratien ausgeschlossen’ wird. Auch im Land selbst soll der Kampf gegen Hitler nicht forciert werden, man hofft vielmehr auf eine völlig autonome gesamtdeutsche Revolution nach Hitler. Da deshalb am Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland nicht gerüttelt werden soll wird auch jegliche Zusammenarbeit mit anderen österreichaffinen Kräften ausgeschlossen. Obwohl diese Politik bei der Masse der Exilanten und den Gastländern auf wenig Verständnis stößt wird sie bis Kriegsende durchgezogen. Sie wird auch die Nachkriegsgeschichte entscheidend prägen, erstaunlicherweise zum Vorteil des Landes. Ohne österreichische Auslandsvertretung ist nämlich Platz für eine von der Sowjetunion ohne Absprache mit den Westalliierten eingesetzten provisorischen Regierung unter Karl Renner. Die diesem Gremium auferlegten raschen landesweiten Wahlen führen allerdings nicht zu der vom Kreml erhofften kommunistisch dominierten Volksfront, sondern zu einer Regierung unter der Dominanz demokratischer Kräfte. Diese Regierung konnte nicht nur eine Teilung des Landes verhindern, es gelang ihr auch die Voraussetzungen für den ‘Sonderfall Österreich’ mit der frühzeitigen Entlassung des Landes in die Freiheit zu schaffen. Auf Basis der bislang unveröffentlichten Sitzungsprotokolle und Dokumente der AVOES und deren Nachfolgeorganisationen werden dem Leser die Motive und Handlungsmuster des sozialdemokratischen Exils erstmals zusammenhängend und nachvollziehbar dargestellt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Die Zeit der Zweifel (Juni 1940 bis Juni 1941): Die internationale Lage bis Juni 1941: Geht man wie Bruno Kreisky vom Axiom aus, dass Stalin den Kriegsausbruch in Europa begrüßt hat, weil er ihn als wichtigen Schritt in Richtung Sozialisierung Europas betrachtete, so ist auch klar, dass Stalin nun alle Kräfte für den entscheidenden Auftritt der Sowjetunion auf der europäischen Bühne anspannt. Hitler hingegen steht nach dem für ihn völlig überraschenden Eingreifen der Briten und Franzosen bereits am 3. September 1939 vor den Scherben seiner Strategie, die ihm den ominösen ‘Lebensraum im Osten’ ohne Eingreifen des Westens bringen sollte. Seine Führungstätigkeit wird sich bis zu seinem gewaltsamen Tod in einer durch die Umstände erzwungenen Abfolge militärischer Operationen erschöpfen, eine kohärente, realistische Gesamt-strategie ist nicht erkennbar. Was die strategische Initiative betrifft, so geht sie ihm bereits im Herbst 1940 nach dem Debakel seiner Luftwaffe in der ‘Battle of Britain’ verloren. Während er sich nun zu Vorkehrungen gegen ein mögliches Eingreifen der USA zu Gunsten der Briten gezwungen sieht, rückt die einzige Macht, gegen die er eigentlich Krieg führen wollte, mit der Besetzung Bessarabiens und der Bukowina den für die deutsche Kriegsführung essentiellen Ölfeldern Rumäniens dramatisch näher. 4.1, Österreichische Flüchtlinge in Übersee: Österreicher und die USA: Im Zuge der wirtschaftlichen Rezession der 30er Jahre hat man in den USA -wie in vielen anderen Ländern auch- die Einwanderungsrichtlinien verschärft und sie auch angesichts des jüdischen Flüchtlingsstromes weder vor noch nach Kriegs-beginn wesentlich gelockert. Dies ist zumindest in den USA nicht zuletzt auf die Uneinigkeit innerhalb der jüdischen Organisationen zurückzuführen. Manche Gruppierungen befürworten eine verstärkte Zuwanderung, andere wieder fürchten, ein neuer Massenexodus aus Europa könnte die auch in den USA laten-ten antijüdischen Ressentiments verschärfen. Die Zionisten sind grundsätzlich nicht an großzügigen Einreisebestimmungen interessiert, sie wollen den Flüchtlingsstrom vor allem in das britische Mandatsgebiet Palästina lenken, um die historische Chance zu nützen, im Gelobten Land einen Staat mit jüdischer Mehrheit zu konstituieren. Die Lage der geflüchteten Sozialdemokraten in den USA charakterisiert Friedrich Adler in einem Brief an Marmorek und Genossen wie folgt: ‘Es ist nicht meine Aufgabe, und vor allem nicht im Rahmen dieses Briefes, Urteile über die sozialistische Bewegung in Amerika abzugeben. Aber feststellen muss man in diesem Zusammenhang, dass die größte Schwierigkeit, in der wir uns befinden, die ist, dass die Partei im Lande, an die wir uns naturgemäß anzulehnen hätten, nicht existiert. Gegenüber beiden Flügeln, die nach der letzten Spaltung übrig geblieben sind, gegenüber der Socialist Party um Norman Thomas, und gegenüber der Social Democratic Federation müssen, meines Erachtens nach, wir österreichische Sozialisten politisch gleichermaßen Abstand halten. In beiden Gruppierungen gibt es Genossen, die als Menschen außerordentlich sympathisch und hochstehend sind, mit denen man über einzelne Probleme sehr interessant diskutieren kann, aber politisch müssen wir jede Form von Bindung an ihre Organisation vermeiden. Die Gruppe um Norman Thomas schneidet mit ihrem Ultrapazifismus und Isolationismus allem wahren Internationalismus die Lebensbasis ab. In der Social Democratic Federation, in der Genossen eine Rolle spielten, die auf den Marxismus stolz waren, und sein konnten, ist vom Sozialismus bloß ein bisschen ‘Laborismus’ übrig geblieben, das Einzige, was sie noch von der Phraseologie einer bürgerlich – demokratischen Partei unterscheidet. Die Genossen in der Federation haben allen Grund zu Ressentiments gegen die Kommunisten, deren Spaltungstätigkeit eine Hauptursache der Decadence der sozialistischen Bewegung in Amerika war. Aber in ihrer Empörung über die Kommunisten verschwinden die elementarsten Regeln dialektischen Denkens, alle marxistische Einsicht in die wirklichen Probleme der Klassenkämpfe unserer Zeit und damit in die eigentlich sozialistische Aufgabe.’ Durch das Fehlen befreundeter Organisationen, durch topographische und ideologische Aufsplitterung wird das österreichische Exil in den USA zunächst kaum wahrgenommen. Erst als Otto Habsburg und die Legitimisten bei Präsident Roosevelt Gehör finden, gelingt es den Sozialdemokraten Journalisten zu mobilisieren, die bezüglich dieser Achse Bedenken einbringen. Ihre Artikel werden entscheidend dazu beitragen, dass die Meinungen des AVOES bzw. des ALC sowohl von der Öffentlichkeit als auch von der Administration wahr-genommen werden. Österreicher und Großbritannien: Die grundsätzliche Einstellung des Foreign Office zu den Österreichern und zum Anschluss wurde sehr stark von den einschlägigen Bemühungen des Staatskanzler Renners wie auch des Staatssekretärs Otto Bauer geprägt, die vor allem mit dem Argument der wirtschaftlichen Lebensunfähigkeit des Klein-staates Österreich operierten, und dabei von der britischen Schwesterpartei, der Labour Party, unterstützt wurden. Als nun im März 1938 deutsche Truppen in Österreich einmarschieren und das Verhalten der Österreicher als weitgehende Zustimmung gedeutet werden kann, zeigt man sich in Regierungskreisen zunächst zufrieden damit, ein weiteres europäisches Problem gelöst zu haben und dabei auch dem Ziel des General Settlement, der friedliche Integration Hitlers in Europa, ein Stück näher gerückt zu sein. Selbst nach Kriegsbeginn wird man den Anschluss nicht grundsätzlich in Frage stellen, die Labour Party wird noch am 9.Februar 1940 die Forderung in ihr Parteiprogramm aufnehmen, die Österreicher mögen selbst entscheiden können, ob sie innerhalb des deutschen Reiches verbleiben wollen oder nicht. Wie in den USA steht auch in Großbritannien die Einwanderungspolitik der 30er Jahre unter dem Eindruck der hohen Arbeitslosigkeit, sie ist also restriktiv. Im Bestreben die Beziehungen zu Hitlerdeutschland nicht zu belasten, werden die fast ausschließlich jüdischen Flüchtlinge zunächst auch nicht als Political Refugees anerkannt und daher abgewiesen. Wer dennoch den Weg auf die Insel findet, muss sich im Regelfall als Transemigrant verpflichten, Großbritannien so rasch als möglich in Richtung eines Drittlandes zu verlassen. Dies führt dazu, dass zwischen 1934 und 1938 lediglich an die 10.000 österreichische und deutsche Flüchtlinge ständig bzw. vorübergehend Aufnahme finden. Die Wende in der britischen Flüchtlingspolitik bringt das deutsche Novemberpogrom des Jahres 1938. Es bringt die öffentliche Meinung gegen Hitler auf und macht die Unterstützung der Flüchtlinge erstmals zum öffentlichen Anliegen. Lag die finanzielle und organisatorische Abwicklung der Flüchtlingshilfe bis dahin in Händen von privaten jüdischen Hilfsorganisationen wie dem Jewish Refugee Commitee und dem Council of German Jewry, so schaltet sich nun der Staat ein. Er wird bis Kriegsausbruch 3500 österreichische, deutsche und tschechoslowakische Flüchtlinge als Refugees from Nazi-Persecution aufnehmen, die ab Februar 1940 die Möglichkeit erhalten in den unbewaffneten Arbeitsdienst der Armee, dem Pioneer Korps, einzutreten. Von dieser Möglichkeit werden 1500 Ex-Österreicher Ge-brauch machen, die übrigen werden zumeist Hilfstätigkeiten in den Lagern annehmen. Im Oktober 1941 hat sich die Zahl auf 27.000 österreichische, 32.000 deutsche, 19.000 italienische und 8000 tschechoslowakische Flüchtlinge erhöht. Unter ihnen befindet sich auch ein für die österreichische Exilpolitik in Großbritannien besonders bedeutsames Kontingent. Es besteht aus 475 Exilanten, die sich teilweise bereits seit 1933 in der Tschechoslowakei aufgehalten haben und mit Unterstützung des British Commitee for Refugees from Czechoslovakia im Jahr 1938 nach England gelangt sind. Es handelt sich dabei durchwegs um politisch geschulte und engagierte Sozialdemokraten, Kommunisten und Zionisten, unter ihnen die Gruppe Svitanics (156 Mitglieder österreichische Sozialisten und Gewerkschafter) und die Gruppe Winterberg (80 Kommunisten). Die Lebensbedingungen der Flüchtlinge sind zunächst schwierig, da die restriktiven Beschäftigungsrichtlinien den Aufbau einer neuen Existenz behin-dern. Der Kriegsausbruch bringt durch die Einstufung aller Deutschsprachigen als ‘enemy aliens’ eine Verschärfung der Lage. Um die ,Spreu vom Weizen’ zu trennen erfolgt eine Überprüfung durch Fremdentribunalen, die eine Einteilung in drei Kategorien vornehmen. Man unterscheidet zwischen den Internierungs-fällen (Kategorie A), jenen denen gewisse Beschränkungen auferlegt werden (Kategorie B) und dem Rest, der nur jene Auflagen zu erfüllen hat, die für alle Ausländer verbindlich sind. Von den 71.200 überprüften Deutschen, Öster-reichern und Sudetendeutschen - dazu gehören auch 18.000 in Großbritannien lebende Alteingesessene mit deutscher Staatsbürgerschaft- werden ca. 55.400 Personen als Refugee from Nazi-Opression anerkannt, lediglich 600 werden interniert. Diese großzügige Regelung hält nur bis zum Beginn des Jahres 1940. Die zu dieser Zeit vor allem von der britischen Presse geschürte Furcht vor einer deutschen ,5.Kolonne’ führt zu einem rapiden Sympathieverlust gegenüber dem deutsch-österreichischen Exil, was vielfach zum Verlust der Arbeit bzw. zu Delogierungen führt und die Hilfsorganisationen vor kaum lösbare Probleme stellt. Parallel dazu werden ab 23.April 1940 2800 Personen, die in militärischen Schutzgebieten wohnhaft sind interniert, bald danach folgen ihnen auch die Minderbelasteten der Kategorie B in die Lager, die sich vor allem auf der Isle of Man befinden. In ihnen sind Mitte Juni 1940 neben 11.000 Deutschsprachigen auch 4000 Italiener untergebracht, von denen ein Gutteil Anfang Juli nach Kanada und Australien abgeschoben wird. Als die tristen Lebensumstände der restlichen Internierten in den Medien thematisiert werden setzt ein neuer Stimmungsumschwung ein und es beginnen sich Kirchen und Politiker für das Schicksal der Exilanten zu interessieren. Am 31. Juli 1940 wird die Sistierung der Internierung für die Kategorie C, im September auch für jene der Kategorie B verfügt. Die bedeutet aber noch keineswegs Freiheit, da der Entlassung erst nach einer erneuten, sehr genauen Überprüfung stattfindet, was für viele Internierte weitere Monate Lagerleben bedeutet. So etwas wie Normalität tritt also grundsätzlich erst mit Ende 1940 ein, was einerseits mit dem Ende der Invasionsangst nach dem Sieg in der Luftschlacht um England und anderseits mit dem steigenden Bedarf an Arbeitskräften in Zusammenhang steht. Die überprüften und arbeitswilligen Ausländer werden ab Oktober 1940 zentral erfasst und vermittelt. Schließlich werden an 70.000 Flüchtlingen entweder in der Industrie, im ‘Royal Pioneer Corps’ oder im ‘Women’s Auxiliary Territorial Service of the Army’ (ATS) tätig sein. Von der ab 1942 bestehenden Möglichkeit in britischen Kampfeinheiten zu dienen werden 3500 Österreicher Gebrauch machen. Österreicher und Schweden: Das schwedische Ausländerrecht der frühen Dreißigerjahre war ebenfalls vordringlich am Schutz des schwedischen Arbeitsmarktes orientiert, daneben spielte auch die Angst vor Überfremdung eine Rolle. Sonderregelungen für politische Flüchtlinge gab es anfänglich nicht, die Provinzbehörden entschieden daher unterschiedlich, jedoch überwiegend restriktiv. Mit Jahresbeginn 1938 wird für Asylsuchende eine zentrale Sozialbehörde eingerichtet, die bei politischer Verfolgung Schutz gewähren soll. Obwohl das Gesetz die Beweislast bei der Behörde ansiedelt, wird zunächst auch bei triftigen Gründen immer wieder gegen den Asylwerber entschieden. Eine weitere Verschärfung erfährt die Asylpraxis nach der Annexion Österreichs. Da die österreichischen Pässe mit 1. Jänner 1939 ihre Gültigkeit verlieren und man –wie zumindest informell zu hören war- das ‘Judenproblem’ nicht importieren will, fordert man gemeinsam mit der Schweiz die NS-Regierung auf, einen Sichtvermerk für Juden einzuführen, dem die deutschen Behörden mit dem ‘J’ Stempel entsprechen. Da Juden in Schweden nicht als politische Flüchtlinge anerkannt werden und Einreisewilligen die Garantie abverlangt wird in Schweden niemandem zur Last zu fallen, ist Schweden ein recht ungünstiger Boden für jüdische Asylwerber ohne Beziehun-gen. Mit Kriegsausbruch wird die Visapflicht für nichtnordische Staatsangehörige und die Internierung für Personen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen angeordnet, eine Maßnahme, von der besonders Kommunisten und ehemalige Spanienkämpfern betroffen sind. Zahlenmäßig wird das deutschsprachige Exil schließlich auf 4.000 – 5.000 Personen anwachsen, von denen 70% Juden sind. Der Anteil an Exilanten und damit an politischen Aktivisten ist in Schweden mit 25% überdurchschnittlich hoch. Da die Tagsätze der staatlichen Flüchtlingshilfe nicht ausreichen, beginnt sich die Arbetarrörelsens flyktingshjälp (ARFH), die Flüchtlingshilfe der Arbeiterbewegung, für bedürftige Mitglieder sozialde-mokratischer Parteien bzw. sozialdemokratischer Gewerkschaftsorganisationen zu engagieren. Von ihr werden ca. 900 Flüchtlinge betreut.

Über den Autor

Hans-Christian Egger wurde 1940 in Wien geboren. Im Zuge seiner Laufbahn als österreichischer Berufsoffizier im Schatten des kalten Krieges entwickelte sich ein besonderes Interesse an Zeitgeschichte, was seinen Niederschlag in Kolumnen und Artikeln in Fachzeitschriften sowie in einem Buch über die Kriegsereignisse 1945 in Österreich fand. Als Brigadekommandeur in den Ruhestand getreten widmete er sich an der Universität Wien vorwiegend historischen Studien und schloss sie bislang mit Doktoraten in Geschichte, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte ab. Im Fokus seines Interesses stehen die Geschichte des 20.Jahrhunderts und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart.

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