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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 01.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 148
Abb.: 18
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Geschichte des Hansekaufmanns Hildebrand Veckinchusen ist uns aus über 500 Briefen aus den Jahren 1398-1428 überliefert. Diese geben Auskunft über seine geschäftlichen Erfolge, seine weitläufigen Unternehmungen, den geschäftlichen Bankrott und privaten Zusammenbruch. In dieser Arbeit werden erstmals Hildebrand Veckinchusens letzte Lebensjahre (1417-1428) unter spezifischen Fragestellungen detailgenau untersucht: Welche Beziehung hatte Hildebrand zu Kaiser Sigmund und dem Konstanzer Konzil? Welche gesellschaftlich-historischen Bedingungen hatten Einfluss auf Hildebrands Geschäfte, z.B. den Venedighandel? Welche seiner Entscheidungen und die seiner Geschäftspartner führten Krise und Ruin herbei? Und welche Folgen hatte dies für seine Beziehungsnetzwerke in Brügge, Lübeck und anderen Hansestädten? Die Beantwortung all dieser Fragen fördert interessante und neue Erkenntnisse zutage.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Handelsgesellschaften - Netzwerke Hildebrand Veckinchusens als Krisenherde: 3.1, Darstellung der üblichen Handelstätigkeit: Hildebrand Veckinchusen lebt seit 1402/1403 in Brügge. Er arbeitet als Handelskaufmann der Deutschen Hanse am dortigen Außenhandelsplatz und ist an einem weitverzweigten Handelsnetz beteiligt, das er mit seinem Bruder Sivert aufbaut und nutzt. Er versendet und verkauft Handelswaren wie Wolle, Tuche, Pelze, Salz, Fische, Wachs, Asche, Gewürze, Feigen, Reis und andere gefragte Güter nach dem gesamten Ostseeraum, die über Lübeck und Brügge transferiert werden. Sivert bleibt dafür zunächst in Lübeck. Beide Brüder besuchen von ihren Standorten aus nahegelegene Messen z. B. in Antwerpen und Gent bzw. Köln und Frankfurt. Familienmitglieder, die ebenfalls Kaufleute der Hanse sind, bilden an den Standorten die jeweiligen Knotenpunkte des gemeinsam betriebenen Handels. So arbeiten der Onkel Series und der Bruder Johan in Dorpat, Bruder Series in Riga, der Schwiegervater und der Schwager Hildebrands, beide heißen Engelbrecht Witte, ebenfalls in Riga. Der Neffe Hildebrand van dem Bokele (Brief Nr. 122) arbeitet in Reval und Schwager Gotschalk van dem Bokele in Preußen (Brief Nr. 22). Der Neffe Gerwin Marschede befindet sich in Danzig (Brief Nr. 274), Neffe Johan van dem Bokele wohnt in Dortmund, später in Lübeck (Brief Nr. 227, 228, 239) und Neffe Reynolt Swarte in Köln. Neffe Johann Swarte lebt in London, Schwiegersohn Peter van Allebeke auch genannt Peter van (dem) Damme in Brügge. Das Handelsnetz basiert vorwiegend auf gegenseitigem Vertrauen (ere und loven). Absprachen über mögliche Lieferungen sowie Rechenschaftsberichte werden erwartet, wenn nötig angemahnt und ausgetauscht, ohne dass feste Verträge nachweisbar sind. Handelsgesellschaften sind überwiegend Familiengesellschaften, aber zu Beginn des 15. Jahrhunderts findet verstärkt auch Gesellschaftshandel mit Nicht-Familienmitgliedern statt, wie es die Veckinchusen tun. Relativ kleine Gesellschaften (sellschap, selscap oder selschop genannt) bestehen aus Kaufmanns-Freunden und Familienangehörigen im norddeutschen und westdeutschen Raum und bleiben meist auf wenige Jahre befristet. Größere Familiengesellschaften können sogar lebenslang bestehen. Üblicherweise sind die älteren Hanse-Kaufleute wie Hildebrand und Sivert Veckinchusen in Städten angesiedelt, besitzen Häuser, haben Bürgerrechte erworben und betreiben von ihrer Niederlassung aus den Fernhandel. Die Begleitung der Waren innerhalb ihres Handelsnetzes überlassen sie Bevollmächtigten auf Reisen, meist Gesellen oder jüngeren Familienangehörigen in Ausbildung. Als ‘Netzwerk’ definieren z. B. Selzer und Ewert (2010) eine auf mehr als zwei Personen bezogene und von diesen getragenen Verflechtung bzw. deren Beziehungen oder Kontakte zueinander gemeint. Es handelt sich dabei um die Beschreibung eines Ordnungsgefüges von Personen, Orten oder Firmen. Diese einfache Definition eignet sich zur Beschreibung einiger wirtschaftlicher und familiärer Netzwerke von Hildebrand Veckinchusen. Aufgrund des Briefwechsels (und vergleichend der von Lesnikov edierten und von Stark untersuchten Handelsbücher) Hildebrand Veckinchusens liegen Angaben über verschiedene Handelsgesellschaften bzw. Handels-Netzwerke vor. Dieser Handel ist in hohem Maße auf Kredit aufgebaut, der Verkauf gegen bar gilt als Ausnahme. Lediglich im Nowgoroder Bereich muss gegen Barzahlung oder im Tausch gegen andere Ware verkauft werden. Üblicherweise wird eingekaufte Ware erst nach ihrer Weiterverwertung bezahlt. Der Bargeld- und Edelmetall- (Kapital-)mangel zu Beginn des 15. Jahrhunderts und Gefahren beim Geldtransport führen zur Vermeidung von Geldzahlungen. Die Geschäfte laufen teils als Gesellschaftshandel, teils als Einzelunternehmung in Kommission und als Einheit von Hin- und Rückgeschäft. Widerlegung, Gesellschaft mit einseitiger Kapitaleinlage, Sendegutgeschäft/Kommissionsgeschäft und allmählich offener Gesellschaftshandel sind möglich, wobei es vorwiegend dauerhafte Gesellschaften mit unregelmäßiger Abrechnung nach längeren Zeiträumen gibt. Geld gilt als ‘Wertmaß in der Preisbestimmung der Ware’, als ‘ideelles Kaufmittel’. Leihen bzw. Kreditgeschäfte gegen Zins sind zwar verboten, aber unerlässlich und üblich für das Handelsgeschäft. Mit Beutkauf (Ware gegen Ware) wird das Verbot umgangen oder durch Borgkauf bzw. Wechselgeschäfte mit Kauf und Verkauf fremder Währungen verborgen. Da der Handel zu dieser Zeit immer risikobehaftet ist, muss in diesem Zusammenhang auch der Veckinchusenhandel als ‘Risiko-’ oder ‘Krisenhandel’ bezeichnet werden. Dies ist jedoch die ‚normale‘ Geschäftspraxis. Davon unabhängig kann auch nicht durchgängig von einer Krise des Veckinchusenhandels ausgegangen werden, da Hildebrand Veckinchusens Unternehmungen zwischenzeitlich sehr profitabel sind. Nicht umsonst ist er bis 1419 ein angesehener und gefragter Handelspartner. Die nachfolgend aufgeführten Gesellschaften bzw. Netzwerke zeigen exemplarisch, welchen Umfang das Handelsgeschäft von Hildebrand und Sivert Veckinchusen bis 1417/18 hat und wo sich Krisen abzeichnen. Alle Gesellschaften können nicht aufgeführt werden, da dies die Untersuchung sprengen würde. Es ist insgesamt auch sehr schwierig, alle Mitglieder seiner Gesellschaften oder Netzwerke genau zuzuordnen. Es werden deshalb nur die als wichtig erscheinenden Gesellschaften und Netzwerke auf Grundlage einzelner Briefabrechnungen erfasst und unter Anhang 4 visualisiert. Relationen zwischen Handelspartnern in den Netzwerken werden ohne Pfeilrichtung dargestellt, da davon auszugehen ist, dass es sich i.d.R. um gegenseitige Geschäftsbeziehungen handelt. Wegen der Größe der Gesellschaften und zur Übersichtlichkeit muss dabei auf eine geografische Hintergrundkarte verzichtet werden. Historische Karten sind deshalb extra in Anhang 2. 1 - 4 aufgeführt. Die Brief-Quellen und die genannten Gesellschaften werden jeweils vorab angegeben, und, soweit notwendig, interpretiert. 3.2, Gesellschaft zwischen Hildebrand und Sivert Veckinchusen: Hildebrand und Sivert Veckinchusen betreiben ab März 1401 eine Handelsgesellschaft, in die jeder 150 lb.gr. einlegt. Johannes van den Bokel tritt zeitweise als Kommissionär in Lübeck mit den Brüdern zusammen auf. Hildebrand und Sivert beteiligen sich in der Folge häufig gemeinsam als Gesellschafter an verschiedenen anderen Gesellschaften oder in Eigen- (Proper)Geschäften. Jeder von ihnen hat dafür sein eigenes Handelsbuch und gleicht seine Einnahmen und Ausgaben mit dem Bruder ab (slecht machen). In den Jahren 1409 bis 1415 muss Sivert häufig auf Hildebrands finanzielle Unterstützung zurückgreifen. Er hat selber kaum eigenes Geld, weil er in Köln nicht auf sein Lübecker Eigentum zurückgreifen kann und sich zudem in der Venedischen Gesellschaft verschuldet. Deshalb befindet er sich fast ständig in einer prekären Krise. Er versucht durch Pfandeinlöse, Wechsel oder Kredit bei Hildebrand, Freunden und beim Lombarden liquide zu bleiben, um seinen loven nicht zu verlieren. Das führt zu Vorwürfen Hildebrands und zu einer schweren Krise in den Beziehungen der Brüder, so dass am 16.7.1414 sogar Siverts Frau bei Hildebrand interveniert. Am 7. Juni 1415 schreibt Hildebrand an Sivert in einer Abrechnung, dass Siverts Rechenschaftsbericht sehr unterschiedlich zu seinem eigenen und nicht stimmig sei. Sievert könne deshalb von ihm selber kaum Schuldenrückzahlungen erwarten. Interessant im Zusammenhang mit der späteren Krise Hildebrands ist hier zu erwähnen, dass Sivert die Klaviatur des appellativen Lamento in seinen Klagebriefen an Hildebrand vorzüglich beherrscht. Möglicherweise wird ihm deshalb die Unterstützung durch Hildebrand weiterhin gewährt. Gegen 1418 gibt es diese Brüder-Gesellschaft aber nicht mehr. Hildebrand hat nun vorwiegend Schulden bei Sivert und rechnet selber wohl nicht ordentlich ab, weshalb Sivert keine vertrauensvolle Handlungsbasis mehr sieht. Er zieht, ganz im Gegenteil zu Hildebrand vorher, andere Konsequenzen und kündigt den gemeinsamen Gesellschaftshandel vorläufig auf. In der Forschung wird dieser Vorfall jedoch nicht als Kündigung interpretiert. Ab diesem Zeitpunkt finden sich aber fast nur noch Auseinandersetzungen zwischen Sivert und Hildebrand über die steigenden Schulden und ständigen Wechsel, die Hildebrand weiterhin auf Sivert zieht. Der Kontakt bricht sogar zeitweise ab. Weitere Abrechnungen zwischen den beiden Brüdern fehlen im Briefwechsel. Hildebrand tätigt nun ohne Sivert als Gesellschafter mit anderen Partnern seine Geschäfte, nutzt aber weiterhin dessen finanziellen Rahmen und Reputation (loven) für Wechselgeschäfte. Margarete übernimmt, entsprechend der Anweisungen Hildebrands, die Geschäfte in Lübeck. Nur noch vereinzelt sind bis 1422 Kommissionsgeschäfte oder Eigenhandel zwischen den Brüdern nachweisbar.

Über den Autor

Angela Lorenz-Ridderbecks wurde 1959 in Bochum geboren. Ihr Studium der Geschichte, Germanistik und Politik schloss sie 2013 mit dem Ersten Staatsexamen ab. Ihr besonderes Interesse gilt historischen Studien, die sich mit Menschen in Krisensituationen beschäftigen. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei von ihren vier erwachsenen Söhnen in der Eifel.

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