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Gesundheitswesen


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 01.2018
AuflagenNr.: 1
Seiten: 140
Abb.: 19
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Schaffung und Sicherstellung eines bedarfsgerechten Versorgungsangebotes für alle Bürgerinnen und Bürger sollte zentrales Ziel eines patientenorientierten Gesundheitssystems sein. Die Erreichung dieses Ziels wird allerdings durch die strikte Trennung der Sektoren und eine daraus resultierende unterschiedliche Sicherstellungs- bzw. Versorgungsverantwortung vielfach gefährdet. Deshalb erscheint eine Überwindung der Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung durch eine integrierte Versorgung und Lösung von Schnittstellenproblemen durchaus sinnvoll. Vor dem Hintergrund zukünftiger Herausforderungen für das deutsche Gesundheitssystem sind innovative Modelle gefragt, um die Gesundheitsversorgung – insbesondere in ländlichen Regionen – langfristig zu sichern. International sind sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen bereits erfolgreich etabliert. In Deutschland ist mit dem Gesundheitszentrum Glantal in Rheinland-Pfalz im Jahr 2015 das erste klinikgestützte sektorenübergreifende lokale Gesundheitszentrum entstanden. Das vorliegende Buch berichtet von ersten Erfahrungen und untersucht potenzielle Erfolgsfaktoren sektorenübergreifender Gesundheitsmodelle. Darüber hinaus werden Wege aufgezeigt, wie Krankenhäuser gemeinsam mit weiteren Gesundheitsakteuren der Region als Knotenpunkte regionaler Versorgungsstrukturen agieren können.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3. Nationale Ansätze gegen regionale Unterversorgung Nachdem im vorangegangenen Kapitel ausführlich auf die Probleme in den einzelnen Sektoren eingegangen wurde, sollen nun erste, bereits existierende Lösungsansätze vorgestellt werden. Mögliche Maßnahmen werden eingeteilt in solche, die beabsichtigen, die Versorgung innerhalb der Grenzen des ambulanten oder stationären Sektors zu optimieren, und solche, die mithilfe von sektorenübergreifenden Neustrukturierungen versuchen, eine tragbare Versorgungssituation zu erreichen (vgl. SVR, 2014, S. 347). Dem Autor ist dabei durchaus bewusst, dass auch außerhalb Deutschlands bereits viele Maßnahmen erfolgreich etabliert sind. Da sich jedoch die Ausgangslage dieser Länder hinsichtlich ihrer Gesundheitssysteme, Wohlfahrtskultur und Siedlungsstruktur von den hierzulande vorherrschenden Problemlagen unterscheidet, bleiben diese Modelle hier ungenannt (vgl. Schaeffer et al., 2015, S. 12). Bei der Auswahl der folgenden Modelle wurde darauf geachtet, dass sie Merkmale enthalten, die für eine Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in ländlichen strukturschwachen Räumen von Bedeutung sein können. Dabei sind die genannten Beispiele nicht als Empfehlung zu verstehen, noch soll die Nicht-Nennung von Projekten oder Initiativen als Abwertung verstanden werden. Die Inhalte dieses Kapitels entstammen dem Projekt Innovative Gesundheitsmodelle (InGe), welches 2012 am Institut für Allgemeinmedizin (IfA) der Goethe-Universität Frankfurt (unter Förderung der Robert Bosch Stiftung) entstand. Ziel dieses Projektes ist es, die nationalen innovativen Gesundheitsmodelle zu identifizieren, ihre Besonderheiten, sowie Erfolgsfaktoren und Barrieren bei der praktischen Umsetzung zu beschreiben und zu veröffentlichen (IfA, 2015). 3.1 Praxisgestützte, primär ambulante Modelle Um bestehende Lösungsansätze transparent zu machen, wurde vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt mit Unterstützung der Robert Bosch Stiftung das Projekt Innovative Gesundheitsmodelle ins Leben gerufen. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, Ideen und Erfahrungen erfolgreicher Modelle zu veröffentlichen, um Unentschlossene zur Nachahmung zu ermutigen. Dazu wurden bundesweit Interviews mit innovativen Gesundheitsmodellen geführt und für jedes Modell Ausgangssituation, Konzept, Organisationsform, Finanzierung und innovative Elemente dargestellt (IfA, 2015). Im Rahmen dieser Untersuchung ist es allerdings nur möglich, Auszüge aus der umfangreichen Datenbank zu präsentieren. Bei der Auswahl wurde Wert darauf gelegt, die Unterschiede der verschiedenen Ansätze darzustellen und mittels eines Beispiels zu beschreiben. Bei der Analyse der koordinierenden Versorgungsmodelle fällt auf, dass praxisgestützte, primär ambulante Formen von Gesundheitsmodellen bislang am verbreitesten sind. Insbesondere die Weiterentwicklung von Berufsausübungsgemeinschaften, Praxisgemeinschaften bzw. Ärztehäusern und Medizinischen Versorgungszentren sind hier ausschlaggebend. 3.1.1 Arzt- und Gesundheitsnetze Praxis-, Arzt- oder Gesundheitsnetze sind i.d.R. kooperative Zusammenschlüsse von niedergelassenen Haus- und Fachärzten, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Durch die Vernetzung der Akteure wird eine gezielte Lenkung von Leistungen mit effizientem Ressourceneinsatz verwirklicht, wodurch das Ziel einer koordinierten Gesundheitsversorgung auf örtlicher und regionaler Ebene realisiert werden soll. Auch wenn die Mehrzahl der regionalen Arztnetze Schwerpunkte in der wohnortnahen und fachgebietsübergreifenden Versorgung setzt, kann die Zusammenarbeit innerhalb der Netze generell betriebswirtschaftlich, interessenpolitisch oder fachlich ausgerichtet sein (vgl. SVR, 2014, S. 567 f.). Das Gesundheitsnetz Qualität und Effizienz (QuE) ist ein solches arztbezogenes Modell, welches 2005 in Nürnberg (Bayern) gegründet wurde bzw. aus dem Praxisnetz Nürnberg-Nord hervorging und insgesamt 130 Haus- und Fachärzte vereint. Hierzu schlossen die 70 Mitgliedspraxen Verträge mit der AOK Bayern, der Techniker Krankenkasse und BARMER GEK, die für definierte Netzleistungen eine sog. Add-on-Vergütung erhalten. Eingeschriebene Patienten dieser Krankenversicherungen können sich einen Koordinationsarzt auswählen, der zum Facharzt überweist und die Patienten als Lotse im Gesundheitswesen begleitet. Dabei profitiert der Patient nicht nur von der koordinierten Versorgung durch den Hausarzt, sondern auch von zusätzlichen Präventionsleistungen. Aus unterschiedlichen Umfragen wird deutlich, dass die teilnehmenden Patienten überdurchschnittlich zufrieden mit den QuE-Praxen sind. Der Koordinationsarzt erhält eine zusätzliche Vergütung beim Erreichen von definierten Qualitätsindikatoren ( pay for performance ) und nimmt an themen- und projektbezogenen Qualitätszirkeln teil. Diese und weitere innovative Elemente führten schließlich dazu, dass das QuE zum ersten nach § 87 b SGB V (KV-Anerkennung) anerkannten Praxisnetz Bayerns wurde (vgl. IfA, 2015). 3.1.2 Ländliche Medizinische Versorgungszentren Medizinische Versorgungszentren (nach § 95 SGB V) sind fachübergreifende, ärztlich geleitete Einrichtungen, die über die strukturierte Zusammenarbeit mindestens zweier Ärzte mit unterschiedlichen Facharzt- oder Schwerpunktbezeichnungen eine interdisziplinäre Versorgung aus einer Hand gewährleisten sollen. Auch wenn die Neuzulassungen der MVZ pro Jahr wieder abnehmen, so sind seit der gesetzlichen Etablierung im Jahr 2004 bereits über 2.000 solcher Einrichtungen gegründet worden (vgl. BMVZ, 2015, S.1). Für die Versorgung auf dem Land lebender Patienten wird dieses Versorgungsmodell immer interessanter. Im Landkreis Oberspreewald-Lausitz konnte durch die Zusammenarbeit von Stadt und Landkreis unter Zuhilfenahme des § 311 SGB V (Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern) eine Poliklinik aus den 1960er Jahren erhalten werden. Im Medizinischen Zentrum Lübbenau (MZL) ermöglichen 15 angestellte Fachärztinnen und -ärzte aus zehn unterschiedlichen Fachrichtungen zusammen mit Angehörigen weiterer Gesundheitsberufe eine umfassende Gesundheitsversorgung unter einem Dach. Neben umfassenden therapeutischen Angeboten (Rehasport sowie Physiotherapie und Logopädie) vereinigt das MZL auch Labor, Apotheke, Fußpflege, Hörgeräteakustiker und Orthopädieschuhtechnik. Durch diese unmittelbare Vernetzung werden den unterschiedlichsten Kunden (ca. 13.000 Patienten pro Quartal) kurze Wege und Wartezeiten ermöglicht (vgl. IfA, 2015). 3.1.3 Zweigpraxenmodelle Mit dem Inkrafttreten des Vertragsarztänderungsgesetzes (VÄndG) im Jahr 2007 haben Vertragsärzte das Recht erhalten, eine oder mehrere Zweigpraxen (auch Praxisfilialen) zu eröffnen. Bedingung dafür ist, dass die Versorgung der Patienten an dem neuen Standort verbessert und am ursprünglichen Praxissitz nicht beeinträchtigt wird. Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) ermöglicht zudem seit 2012 die Förderung von Zweigpraxen in unterversorgten Gebieten aus einem von den Krankenkassen und der KV finanzierten Strukturfonds. Insbesondere in ländlichen Regionen nutzen MVZs die Möglichkeit zur Gründung von Zweigpraxen, womit sie auf den demografischen Wandel und den Ärztemangel reagieren (vgl. KBV, 2012). Mit dem Ziel der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in Schladen wurde die Ärztegemeinschaft Schladen (ÄGS) als GbR gegründet. In dem Filialpraxenmodell praktizieren sechs Fachärzte sowie drei Hausärzte in einem umgebauten Gebäude, welches zuvor als Supermarkt diente. Nach einem festgelegten Stundenplan halten die Ärzte eine Zweigsprechstunde im Umfang von insgesamt 50 Wochenstunden ab, die sie auch selbst mit der KV abrechnen. Gemeinsame Ausgaben, wie beispielsweise Miete oder Personal, werden geteilt. Insbesondere die Möglichkeit, für eine beliebige Anzahl an Wochenstunden zu praktizieren und dabei kein finanzielles Risiko auf sich nehmen zu müssen, bietet jungen Ärzten einen erleichterten Berufseinstieg. Da das Management und die Geschäftsführung hauptamtlich übernommen werden, können sich die Ärzte auf ihre medizinische Tätigkeit konzentrieren. Finanziell unterstützt wurde das Projekt durch einen Investor, die Gemeinde Schladen-Werla sowie durch EU-Fördermittel. Eine Physiotherapie- und Logopädiepraxis, ein Hörgeräteakustiker sowie eine Apotheke befinden sich ebenfalls in dem Gebäude (vgl. IfA, 2015). 3.1.4 Gründung von lokalen Gesundheitszentren Die Sicherstellung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung wird häufig mit dem Vorhandensein wohnortnaher Grundversorgungsangebote gleichgesetzt. Wie im vorherigen Kapitel gezeigt, ist diese Sicherstellung gerade in ländlichen Regionen mit geringer Besiedlungsdichte und fortschreitenden Schrumpfungsprozessen gefährdet. Deshalb sind Zentralisierungstendenzen unterschiedlichster Art zu beobachten, die sich in der Regel jedoch auf den ambulanten Bereich beschränken (vgl. SVR, 2014, S. 586). Bei der Erläuterung werden die Modelle nach Initiierung und Finanzierung unterschieden. Dabei soll mit Projekten begonnen werden, die durch Hausärzte bzw. Gemeinden initiiert und auch finanziert werden. Das Arzt- und Apothekenzentrum in Schaafheim (SCHAAZ) ist ein solches Modell, welches die (ambulante) Versorgung unter einem Dach an einem zentralen Ort bündelt. In dieser Praxisgemeinschaft haben sich sechs Hausärzte aus drei Gemeinschaftspraxen zusammengeschlossen, um Synergieeffekte (gegenseitige Vertretung, flexible Arbeitszeiten) nutzen zu können. Dabei ermöglichten die Gemeinde Schaafheim und ein privater Investor den Bau eines Gesundheitszentrums in zentraler Ortslage, dessen Praxisräume gemeinsam von den Hausärzten gemietet werden. Das Besondere am SCHAAZ ist, dass Apotheke, Physiotherapie und auch Liaison-Sprechstunden mit Fachärzten das Angebot für Patienten im ländlichen Raum erweitern. Im Rahmen einer qualitativen Evaluation des Projektes konnte festgestellt werden, dass die erweiterten Ressourcen (Räume, Personal) eine strukturiertere und effizientere Organisation der Arbeitsprozesse ermöglichen und dass es die Hausärzte entlastet, Verantwortung für Entscheidungen mit Kollegen teilen und vermehrt Aufgaben an qualifizierte MFA delegieren zu können (vgl. Ulrich et al., 2012, S. 490 ff.). Ein ähnliches Konzept, jedoch dezentral ausgerichtet, wurde im hessischen Werra-Meißner-Kreis verwirklicht. Im Gesundheitszentrum Gelsertal haben sich sechs Hausärzte aus drei Gemeinschaftspraxen als überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft zusammengeschlossen. Durch die Übernahme von weiteren freiwerdenden Arztsitzen und deren Besetzung mit (zurzeit zwei) angestellten Ärzten wird die Patientenversorgung an insgesamt drei Standorten gesichert. Besonderheiten sind die Liason-Sprechstunde mit Fachärzten, die IT-Vernetzung nicht nur untereinander sondern auch mit dem regionalen Krankenhaus sowie die Gründung eines eigenen Pflegedienstes, welcher im regelmäßigen Austausch mit den Hausärzten steht. Dadurch ist die ambulante hausärztliche Versorgung eng mit der ambulanten pflegerischen Versorgung verknüpft. Nicht zuletzt dafür erhielt das Gesundheitszentrum Gelsteratal im Jahr 2012 den Innovationspreis Die innovative Arztpraxis (vgl. IfA, 2015). Nun wird auf Modelle eingegangen, die auch durch Hausärzte bzw. Gemeinden initiiert wurden, allerdings durch die Kassenärztlichen Vereinigungen finanziell unterstützt wurden. Ein solches Projekt der KV ist die regiopraxis KVBW Hausärzte am Spritzenhaus in Baisersbronn (Baden-Württemberg). In diesem Gesundheitszentrum können sieben Hausärzte tätig werden, deren Leistungen durch Physiotherapeuten und Orthopäden ergänzt werden. Neben den Praxen sind im neuen Gebäudekomplex, der durch einen Privatinvestor finanziert wurde, auch eine Apotheke, ein AOK-Kundencenter sowie ein Sanitätshaus integriert. Dieser Zusammenschluss von unterschiedlichen Playern im Gesundheitswesen ermöglicht neue Kooperationsstrukturen. Die KV unterstützt die Tätigkeit in diesem Gesundheitszentrum durch eine Einmalzahlung von 25.000 € pro Arzt und einen Zuschuss für die Praxisgemeinschaft von insgesamt 3.000 € je Quartal (vgl. IfA, 2015).

Über den Autor

Daniel Böhm, M.A., wurde 1988 in Torgau geboren. Sein Studium der Gesundheitsökonomie an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein schloss er im Jahr 2013 erfolgreich ab. Durch seine Tätigkeit im rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium sammelte der Autor bereits während des Studiums umfassende praktische Erfahrungen im Gesundheitswesen. Sein berufsbegleitendes Masterstudium im Bereich Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen beendete er im Jahr 2017. Heute arbeitet der Autor in leitender Tätigkeit im Krankenhausbereich und gilt als anerkannter Experte für sektorenübergreifende Gesundheitsversorgung auf dem Land.

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