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  • Gewalt – Schicksal der Retter? Studie zur Gewalt gegen Mitarbeiter der Notaufnahme. Ausmaß, Zusammenhänge, Lösungsansätze

Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 07.2023
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Abb.: 57
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Im Rahmen der Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers gehört es zu dessen Aufgaben, Gefahren zu erfassen und geeignete Maßnahmen zu deren Vermeidung zu treffen. In den Medien oft thematisiert scheint Gewalt in Notaufnahmen eine nicht zu unterschätzende Rolle zu spielen. Mit Blick auf die erwähnte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist es verwunderlich, dass zur Quantifizierung von Gewalt in Notaufnahmen kaum verlässliche Daten vorhanden sind. Die vorliegende Studie beleuchtet zunächst Hintergründe zur Entstehung von Gewalt und stellt diese im Kontext Notaufnahme dar. Anschließend erfolgt die Darstellung, Auswertung und der Vergleich einer achtwöchig retrospektiven und einer achtwöchig prospektiven Erfassung von Gewalt mittels Fragebögen. Als Ergebnis wird eine mögliche standardisierte Vorgehensweise zum Umgang mit Gewalt entlang ihrer Eskalationsstufen aufgezeigt

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.1.2 Aggressionstheorien: Wenn es darum geht, Aggression in Hinblick auf ihre Ursache zu beschreiben, stößt man auf unterschiedliche Überzeugungen und daraus abgeleiteter Erklärungs-Konstrukte. Dennoch ist es wichtig der Ursache auf den Grund zu gehen, um effektiv die Auswirkungen – nämlich Gewalt als eskalierte Aggression – unter Kontrolle zu bringen. Instinkt- oder Triebtheorien: Sigmund Freud z. B. vertrat die Überzeugung, dass sich Aggressivität beim Menschen auf einen biologisch festgelegten Trieb zurückführen lässt. In seinem dualistischen Modell beschrieb er den Todestrieb Destrudo als Antriebskraft des Thanatos und dessen Gegenspieler den Lebenstrieb Eros. Während der Todestrieb darauf gerichtet ist, das Lebendige zum Tode zu führen, reguliert Gegenspieler Eros seine Wirkung, indem er ihn gegen Dinge in der Lebenswelt richtet. Ein Ausleben dieser Aggressionen wird jedoch durch die Über-Ich-Instanz gehemmt, welche durch kulturelle Zwänge geprägt wird und unser inneres Gewissen darstellt. Die Unterdrückung des vorhandenen Triebes erzeugt eine Spannung, die es zu kanalisieren gilt. Dies kann z. B. durch Sublimierung, Verschiebung, Hemmung oder Projektion geschehen (vgl. Stangl o. J. a). Auch Alfred Adler beschrieb Aggression als triebbedingt. Anders als Freud, der das Lustprinzip Libido als Ursprung des Aggressionsinstinkts sah, war Adler der Überzeugung, dass dieser Kampftrieb zentrales Element individuell-dynamischer Prozesse sei. Angst wäre eine mögliche Folge der Unterdrückung dieses Triebes. Kanalisierungsmöglichkeiten hätte der Mensch z. B. durch Sport. Nach kultureller Transformation könne jedoch auch altruistisches Verhalten oder Hilfsbereitschaft resultieren. Später sah Adler Aggression nicht mehr als rein biologischen Trieb, sondern als eine Tendenz zur Konfliktbewältigung, welche bewusste und unbewusste Anteile haben kann. Damit war sie instrumentell oder reaktiv angelegt (vgl. Stangl o. J. a). Ein weiterer Vertreter der Auffassung, Aggression sei triebbedingt, war Konrad Lorenz, der diesen Instinkt im Dienste der Arterhaltung als nützlich betrachtete. Es handele sich hierbei um einen Kampftrieb bei Tier und Mensch. Aggressive Energien würden aufgebaut und durch einen Stimulus zur Entladung gebracht. Es wäre nötig, der sich aufstauenden Energie rechtzeitig Entladungsmöglichkeit zu geben. Als eine Art ritualisierten Ersatzkampf sah er z. B. den Sport als geeignete Möglichkeit dafür (vgl. sw-cremer o. J.). Frustrations-Aggressions-Theorie: Bei der Frustrations-Aggressionstheorie von John S. Dollard und seinen Mitarbeitern spielte ein möglicherweise vorhandener Aggressionstrieb keine Rolle. Die Grundannahme seiner Theorie ist, dass erlebte Frustration die Ursache für Aggression ist. Demnach werden durch Frustrationserlebnisse hervorgerufene Erregungszustände durch aggressives Verhalten abgebaut und es wird Erleichterung empfunden. Lernprozesse sorgen dafür, dass bei Eintritt einer ähnlichen Situation die aggressive Reaktion wiederholt wird, um Erleichterung zu empfinden. Experimente haben jedoch ergeben, dass der Erregungsabbau auch durch andere Reaktionen wie Lachen oder Gespräche erfolgen kann. Der Umgang mit Frustration und damit die Disposition zu verstärkt aggressivem Verhalten lässt sich hiernach als Ergebnis eines individuellen Lern- und Sozialisationsprozesses verstehen (vgl. Stangl o. J. b). Lernpsychologische Ansätze: Neben den Instinkt- oder Triebtheorien und der Frustrations-Aggressions-Theorie gibt es lernpsychologische Ansätze. Hier wird davon ausgegangen, dass Aggressionen ähnlich wie andere Verhaltensweisen erlernt werden. Dabei wird zwischen Konditionieren, Lernen am Modell und Lernen durch Erfolg unterschieden. Die klassische Konditionierung kann Basis affektiver Reaktionen wie Wut oder Ärger sein und so die Bildung negativer Einstellungen begünstigen. So kann schon die Erwähnung einer Situation, die man mit negativen Erfahrungen verbindet, einen Affekt auslösen. Auch das Beobachten von Personen und die Übernahme der erkannten Umgangsformen kann zur Entstehung aggressiver Verhaltensweisen führen. Hier spricht man von Lernen am Modell. Vor allem bei ungefestigten Persönlichkeiten besteht die Gefahr, dass sie vorgelebtes aggressives Verhalten als nützlich für die Lösung von Problemen erkennen und es deshalb zum eigenen Verhaltensmuster machen. Hat man Verhaltensweisen als erfolgreich erlebt, wiederholt man sie bei ähnlichen Gelegenheiten. Dies ist das Prinzip beim Lernen am Erfolg (vgl. Selg 2000). 2.1.3 Neurobiologische Betrachtung: Mit zunehmendem medizinisch-technischem Fortschritt und sich daraus ergebenden neuen Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns veränderte sich die Sichtweise auf die Entstehung von Aggression und Gewalt. Neurobiologisches Wissen verdrängte, ergänzte bzw. berichtigte vorhandene Triebtheorien (vgl. Bauer 2013: 29). Welche Vorgänge im menschlichen Körper begleiten die Entstehung von aggressivem Verhalten? Aggressionsauslösenden Input erhält der Körper über seine Sinne. Die Reaktion – der Output – erfolgt über Mimik, Stimme und/oder Bewegungsapparat. Dazwischen – quasi in der Blackbox – erfolgt die Transformation, wie sie sehr vereinfacht in Abb. 2 dargestellt ist: Bei Eingang eines Stimulus – z. B. Schmerz – werden im Gehirn die Mandelkerne oder auch Angstzentrum und die Insulae oder Ekelzentren aktiviert. In Abhängigkeit des Ausmaßes des Stimulus aktivieren diese wiederum den Hypothalamus als Stresszentrum und das vegetative Erregungszentrum im Hirnstamm. Bei Reptilien wäre dadurch sofort eine aggressive Reaktion ausgelöst. Beim Menschen jedoch wird diese Reaktion durch eine zwischengeschaltete Region, dem präfrontalen Cortex, reguliert. Hier sind Informationen darüber gespeichert, was für Konsequenzen sich aus bestimmten aggressiven Handlungen ergeben und welche Gefühle beim Adressat dieser Handlungen ausgelöst werden könnten. Es erfolgt eine Abschätzung darüber, inwieweit der eigenen Person oder der Umwelt Schaden zugefügt wird, wenn die aggressive Energie direkt nach außen weitergeleitet würde. In einem sekundenschnellen automatisierten Aushandlungsprozess zwischen präfrontalem Cortex, Angst- und Ekelzentrum, Hypothalamus sowie Hirnstamm wird die Stärke der Reaktion reguliert. Dabei wirkt der präfrontale Cortex mäßigend und die anderen Regionen fördernd. Die Integration im Rahmen dieses Aushandlungsprozesses und somit die eigentliche Regulation des Output findet im Cingulären Cortex statt, welcher auch maßgeblich an der Bildung des Selbstgefühls beteiligt ist. Wichtig ist: nur während die betroffene Person über eine Reaktion nachdenkt, kann der mäßigende Effekt des präfrontalen Cortex zum Tragen kommen. Ist die Entscheidung gefallen, hat dieser keine regulierende Wirkung mehr (vgl. Bauer 2013: 53 ff.).

Über den Autor

Steffen Gräber M.A. wurde 1968 in Wolfen geboren. Nach dem Schulabschluss erlernte er als Zerspanungsfacharbeiter zunächst einen handwerklichen Beruf auf dem Gebiet der Metallbearbeitung. 1987 begann er – ohne Ausbildung in diesem Bereich – in einem Pflegeheim zu arbeiten. 1990 wechselte der Autor ins Krankenhaus, wo er eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger absolvierte. Nach jahrelangem Einsatz in den unterschiedlichen Fachrichtungen dieses Hauses wechselte Steffen Gräber 1999 in die Notaufnahme, wo er über 20 Jahre lang tätig war. Nebenberuflich schloss er 2017 ein Pflegemanagement-Studium mit dem Bachelor ab. 2019 folgte neben dem Fachpfleger für Notfallpflege der Master in Organisations- und Personalmanagement im Gesundheitswesen. Die jahrelange Tätigkeit in der Notaufnahme (davon mehrere Jahre als pflegerische Leitung) brachte zahlreiche Gewalterfahrungen mit sich, die der Autor schließlich zur vorliegenden Analyse veranlasste.

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