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Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 152
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Begriff Case Management ist derzeit allgegenwärtig und bestimmt in gleichem Maße die sozialpolitische Rhetorik vom Umbau des Sozialstaats, wie auch die wissenschaftlichen Diskurse innerhalb der Sozialen Arbeit bzw. Sozialpädagogik. Dabei hält die bereits in den 1970er Jahren in den USA entwickelte Methode des Case Management zwar bereits seit einigen Jahren auch in Deutschland zunehmend Einzug in die Interventionsstrategien der Sozialen Arbeit und in das Gesundheitswesen, die Diskussion um Einführung, Finanzierung und Wirkung des Ansatzes aber ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Insbesondere im Rahmen der aktuellen Diskussion um die Neu- bzw. Umstrukturierung des Sozial- und Gesundheitssystems wird der Ansatz als eine Art Allheilmittel zur Lösung system-immanenter Probleme propagiert. Angesichts der stetig steigenden Kosten sollen die sozialen Sicherungssysteme durch den gezielt gesteuerten Einsatz der vorhandenen materiellen, finanziellen und persönlichen Ressourcen bei gleich bleibender Qualität für die betroffenen Bevölkerungsgruppen effizienter und kostengünstiger arbeiten. Die vorliegende Arbeit versucht, den Case Management-Ansatz nicht auf ein bestimmtes Anwendungsfeld einzugrenzen oder auf einen bestimmten Aspekt einzuengen. Vielmehr wird versucht, das Konzept ‚im Ganzen’ zu besprechen. Dabei soll insbesondere der sehr abstrakt und theoretisch gehaltenen Hypothese nachgegangen werden, inwieweit dieser vor allem auch zur Kostensenkung im Sozialbereich eingeführte Ansatz einer ‚manageriellen Vernunft’ zum Durchbruch verhilft, beziehungsweise als Ausdruck einer Durchsetzung ebendieser angesehen werden kann. Der Begriff der manageriellen Vernunft wird dabei im Zuge der Arbeit entwickelt und dient als Wortschöpfung vor allem dazu, eine zunehmende Etablierung managerieller Wirksamkeitsvorstellungen innerhalb der Denk- und Handlungsansätze der Sozialen Arbeit zu beschreiben. Schließlich soll der Erfolg und die zunehmende Präsenz des Case Management mit Hilfe der Theoriebausteine des französischen Soziologen Pierre Bourdieu daraufhin untersucht werden, ob es nicht auch in eine großflächigere Verschiebung hin zu einem ökonomisch-neoliberalen Verständnis der sozialen Welt eingeordnet werden kann. Dieser Hypothese zufolge wäre die Importierung der Methode somit nicht nur geographisch - durch eine Übertragung vom US-amerikanischen Sozial- und Gesundheitswesen auf das Bundesrepublikanische - kritisch zu betrachten, sondern vor allem auch philosophisch, da der Ansatz einem dem sozialen Sektor fremden Feld- und Rationalitätsverständnis entspringt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel, FELD, HABITUS UND KAPITAL, ODER: ZUR DIALEKTIK VON MENTALEN UND SOZIALEN STRUKTUREN: Ehe nun das Konzept des Case Management - in seiner Entstehung, seiner Verortung wie seiner Folgen - auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen aufgezeigt wird, sind zunächst Bourdieus Modelle und Theoriebausteine zu erörtern, mit deren Hilfe der Blick vor allem auf die impliziten Wirkungen und Folgen von Case Management geschärft werden soll. Dies stellt sich vor allem deshalb als keineswegs leichtes Unterfangen dar, da Bourdieu - wie oben bereits aufgezeigt - die eigenen Theorieansätze im Sinne eines ‘methodologischen Pragmatismus’ durch seine Forschungsergebnisse immer wieder modifizierte und weiterentwickelte. Seine begrifflich-theoretischen Konzepte bilden somit keine homogene Theorie, die der Realität übergestülpt wird, sondern sie sind Werkzeuge, um die permanent stattfindenden sozialen Auseinandersetzungen des Alltags analysieren und (wieder) sichtbar machen zu können. Folglich erscheint es angemessener in Bezug auf Bourdieus Werk nicht von einer ausgearbeiteten Theorie, sondern vielmehr von mehreren nebeneinander stehenden, aber auch aufeinander aufbauenden Theoriebausteinen zu sprechen. Wie bereits mehrfach angesprochen, ist Bourdieu bei all seinen Modellen daran gelegen, eine Verschmelzung von Subjektivismus und Objektivismus, von Mikro- und Makroebene zu erreichen. Dabei erweisen sich die Feld-, die Habitus-, sowie die Kapitaltheorie als die wichtigsten Modelle. Im Sinne von Idealtypen liegt die Aufgabe dieser Modelle weniger darin, die Wirklichkeit möglichst genau nachzubilden, vielmehr handelt es sich um gedankliche Sinnbilder, die zwar nicht so in der Wirklichkeit vorzufinden sind, mittels derer sich aber nun die Wirklichkeit daraufhin untersuchen lässt, ‘inwieweit sie sich einem solchen Modell annähert oder nicht’. Die Modelle gewinnen ihre Erklärungskraft vor allem durch ihren wechselseitigen Bezug aufeinander, der die Verschmelzung der verschiedenen Ebenen noch einmal hervorhebt. Grundlegend stellt sich für Bourdieu der soziale Raum als aufgeteilt in drei Strukturebenen dar. Auf der einen Seite wirken die Kräfte der objektiv-materialen Bedingungen, die im Sinne von Lebensbedingungen die einzelnen sozialen Akteure beeinflussen. Auf der anderen Seite bildet sich der Raum der Lebensstile heraus, die Ebene der Praxis, in der die sozialen Akteure miteinander auf spezifische Weise interagieren. Diese polare Aufteilung - beruhend auf dem Antagonismus von Subjektivismus und Objektivismus - unterläuft Bourdieu nun durch die Einführung einer dritten Strukturebene: des Habitus. Da er vor allem aufgrund seiner ethnologischen Studien an der kabylischen Gesellschaft davon ausging, dass soziales Handeln eben nicht nach expliziten (logischen) Regeln arrangiert ist, wie es der Strukturalismus annahm, stellte er sich die Frage: ‘Wie können Verhaltensweisen geregelt sein, ohne dass ihnen eine Befolgung von Regeln zugrunde liegt?’ Der Mensch handelt zwar nicht nach expliziten gesellschaftlichen Gesetzen und Zwängen, und doch erweisen sich die gesellschaftlichen Strukturen als überaus stabil und träge. Dieses Scharnier zwischen den objektiven gesellschaftlichen Strukturen und der sozialen Praxis bildet für Bourdieu der Habitus. Er selbst beschreibt den Habitus in einer für seine Schreibweise typischen Formulierung als ‘Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken’. Die gesellschaftlichen Strukturen bilden sich nach Bourdieu folglich im sozialen Akteur ab, entwickeln eine Art Dispositionssystem, das im Folgenden nun das Handeln dieses sozialen Akteurs beeinflusst. Auf diese Weise werden die gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnisse durch die Praxis der sozialen Akteure ständig reproduziert. Der Begriff des Habitus ermöglicht es Bourdieu, auf der einen Seite die handelnden sozialen Akteure nicht mehr nur als strukturalistische Träger der Struktur zu erfassen, auf der anderen Seite gelingt es ihm somit aber auch, nicht wieder dem Individualismus zu verfallen. Die gesellschaftlichen Strukturen schreiben sich in den einzelnen sozialen Akteur ein, so dass dieser in den spezifischen Situationen genau weiß, wie er sich zu verhalten hat, oder genauer: weiß, ‚was sich gehört’. Indem auf diese Weise in der Praxis die vom Habitus vermittelten objektiven Strukturen durch die Handelnden repräsentiert und zugleich reproduziert werden, gelingt es Bourdieu nach dem doppelten Prinzip ‘der Interiorisierung der Exteriorität und der Exteriorisierung der Interiorität’ die Gesellschaftsstrukturen in das Individuum selbst hineinzuholen sowie dadurch die Gesellschaftsstrukturen an die sozialen Akteure rückzubinden. Die gesellschaftlichen Strukturen finden so Eingang in die Lebenswelt der sozialen Akteure. Als ‘eine Art psychosomatisches Gedächtnis’ werden im Habitus die gesellschaftlichen Strukturen abgespeichert, und somit internalisiert. Der Mensch ist somit von Geburt an gesellschaftlich geprägt. Im Sinne einer ‘Sozialtopologie’ schreiben sich schließlich gerade diejenigen sozialen Strukturen in den Habitus des sozialen Akteurs ein, die den sozialen Raum strukturieren, in dem dieser sich befindet, d.h. vor allem die Strukturen, in denen er lebt, die Lebensbedingungen, sowie seine Position innerhalb dieser Strukturen. Der Habitus kann so als ‘Resultat eines standortspezifischen nichtintentionalen Sozialisationsprozesses’ beschrieben werden, bei dem neben den allgemeinen Lebensbedingungen auch Sozialisation, Bildung und Erziehung eine entscheidende Rolle spielen. Dabei kann die Genese des Habitus auf drei Wegen erfolgen: Zum einen durch das unmerkliche Vertrautwerden mit einer Kultur, das sich durch bloße Beobachtung von und allmähliche Beteiligung an kulturellen Praktiken unbewusst einstellt, zum anderen durch Praktiken der Unterweisung und Überlieferung, die auf eine direkte Weitergabe kulturellen Wissens abzielen und schließlich durch so genannte strukturale Übungen, bei denen - häufig unentdeckt - eine Verleiblichung der symbolischen Ordnung betrieben wird. Indem Bourdieu den Habitus nicht auf mentale Schemata reduziert, sondern - und dies ausdrücklich - auch körperliche und ästhetische Muster integriert, verwirft er auch den cartesianischen Dualismus von Körper und Geist.. Vor allem diese im Sinne einer ‘stillen Pädagogik’ vermittelten körperlichen und ästhetischen Grundstrukturen, wie Körperhaltung (Hexis), Mimik, Sprachgewohnheiten, Geschmack etc. tragen entscheidend zu einer Reproduktion der sozialen Strukturen (und damit auch der Herrschaftsverhältnisse) bei. Dass gerade der Geschmack als Ausdruck der sozialen Verhältnisse betrachtet werden kann, belegte Bourdieu durch seine wohl einflussreichste Studie ‘Die feinen Unterschiede’, in der er durch zahlreiche empirische Befunde die Schicht- und Klassenabhängigkeit von Geschmacksurteilen nachwies. Indem der Habitus durch die aktive Präsenz früherer Erfahrungen im Organismus je spezifische Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata ausbildet, ist er ausschlaggebend dafür, dass die einzelnen Individuen die Welt unter einer bestimmten Perspektive wahrnehmen, dieses Wahrgenommene auf spezifische Weise deuten und daraus ihre Handlungen ableiten. Die sozialen Akteure werden so einen bestimmten Lebensstil an den Tag legen, bestimmte Geschmackskriterien bemühen, die allerdings ihrer Position im sozialen Raum entsprechen. Aufgrund der Tatsache dass sich der Habitus als Abbild eines spezifischen Ortes innerhalb der Sozialstruktur entwickelt, wird sich dieser vor allem in ihm bekannten Regionen wohl fühlen und so die Reproduktion der sozialen Welt bewirken. ‘[U]nd wenn der Habitus ein Verhältnis zu einer sozialen Welt eingeht, deren Produkt er ist, dann bewegt er sich wie ein Fisch im Wasser und die Welt erscheint ihm selbstverständlich.’ Diese Verknüpfung der sozialen und der mentalen Strukturen kann so als Geheimnis der Stabilität der sozialen Ordnung angesehen werden. Die einzelnen sozialen Akteure entscheiden sich folglich nicht bewusst und nach Abwägung rationaler Gründe für die Reproduktion der gesellschaftlichen Strukturen, sondern diese drückt sich vielmehr auf einer ‘präreflexiven Ebene der Leiblichkeit’ aus, als praktischer Sinn, der oftmals mit der Sicherheit eines sozialen Instinkts operiert.

Über den Autor

Michael Schrauth, Jahrgang 1980, lebt und arbeitet derzeit in München. Nach seinem Studium der Pädagogik, Soziologie und Philosophie an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg sammelte der Autor umfassende praktische Erfahrungen im Bereich der Beratung von hilfs- und/oder pflegebedürftigen Menschen. Mit dem Themenfeld `Case- und Care-Management im Gesundheitswesen' beschäftigt sich der Autor bereits seit einigen Jahren sehr intensiv, sowohl auf theoretischer als auch auf praktischer Ebene.

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