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Psychologie


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 12.2017
AuflagenNr.: 1
Seiten: 68
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Ein Blick in die Statistiken aus dem Erhebungsjahr 2015 zeigt, dass nahezu jeder vierte männliche (22,0%) und jede dritte weibliche (33,3%) Erwachsene zwischen 18 und 79 Jahren zumindest zeitweise an mindestens einer psychischen Erkrankung leidet. Darauf basierend gehen konservative Schätzungen davon aus, dass ca. 3.000.000 Kinder in diesem Jahr mit mindestens einem psychisch kranken Elternteil in einem Haushalt zusammengelebt haben. Diese zeigten in Relation zur Vergleichsgruppe, in der Eltern nicht psychisch erkrankt waren, ein signifikant erhöhtes Auftreten von Entwicklungsrisiken auf. Das liegt u. a. daran, dass die Qualität der Eltern-Kind-Interaktion im Sinne einer entwicklungsförderlichen Beziehung signifikant reduziert sein kann. Eine psychische Erkrankung, die sich besonders stark auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirkt, ist die Borderlinepersönlichkeitsstörung, kurz BPS. Der Fokus dieser Veröffentlichung liegt daher auf diesem Krankheitsbild und einer Untersuchung seiner möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes. Dabei wird eine psychologische sowie sozialpädagogische Sichtweise eingenommen, um auf dieser Grundlage die Termini Kindheit, Lebensweltorientierung, Entwicklungsrisiken sowie die BPS zu definieren. Darauf aufbauend werden Risikofaktoren und Entwicklungsrisiken bei elterlichen psychischen Erkrankungen im Allgemeinen sowie einer mütterlichen BPS im Speziellen erläutert. Schlussendlich werden sozialpädagogische Handlungsmöglichkeiten im Sinne der Entwicklung des Kindes dargelegt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5 Einfluss von Borderline auf die Kindheit Kinder von psychisch kranken Eltern im Allgemeinen sowie von Müttern mit einer BPS im Speziellen können zahlreichen Risikofaktoren ausgesetzt sein, die in ihrer Lebenswelt von hoher Relevanz sind. Generell ist festzuhalten, dass Einschränkungen der seelischen Gesundheit von Müttern meist schwerwiegender wirken als bei Vätern. Das ist damit zu begründen, dass Mütter nach wie vor primär für die Versorgung der Kinder und die Haushaltsführung zuständig sind. Somit gehören diese Kinder zu einer Hochrisikogruppe. Nichtsdestotrotz beschreiben die Betroffenen das Verhältnis zu ihren Eltern als relativ positiv. Die folgenden lebensweltlich relevanten Risikofaktoren werden i.B. in Krisenzeiten relevant. 5.1 Relevante Risikofaktoren in der kindlichen Lebenswelt bei psychischen Erkrankungen der Eltern im Allgemeinen Für Kinder wirkt eine mögliche innerfamiliäre Tabuisierung überaus belastend. So dürfen sie nicht mit Außenstehenden über die psychische Erkrankung und ihre Auswirkungen kommunizieren. Dies wird entweder offen kommuniziert oder implizit dem Kind vermittelt. Deswegen wird die Erkrankung häufig zu einem geteilten Familiengeheimnis. Das beeinflusst in der Folge das Familienklima tiefgehend, ohne dass die Ursache Außenstehenden bekannt wird. Über die Krankheit zu sprechen erscheint betroffenen Kindern häufig nichtsdestotrotz wie eine Art der Treulosigkeit gegenüber ihren Eltern. Ich habe heute immer noch das Gefühl, meine Mutter zu verraten, wenn ich anderen Leuten von meiner damaligen Situation erzähle. Deswegen ist es möglich, dass selbst Gesprächsangebote, auch von entfernteren Familienmitgliedern, nicht angenommen werden. Betroffene Kinder empfinden zumeist eine Isolation, da sie häufig nicht wissen, an wen sie sich vertrauensvoll wenden können. Folglich bleiben mannigfaltige Ängste und Sorgen, aber auch die Wut auf den erkrankten Elternteil, unthematisiert und belasten die Lebenswelt des Kindes. Einen weiteren Risikofaktor stellt die Desorientierung dar. Kinder nehmen zwar mit zunehmendem Alter und Einsichtsfähigkeit das abweichende Verhalten ihrer Eltern wahr, können dies aber aufgrund fehlender Krankheitsaufklärung weder verstehen noch entsprechend in bestehende kognitive Strukturen einordnen. Nicht selten verängstigen oder verwirren bestimmte krankheitsbedingte Verhaltensweisen die betroffenen Kinder. Für mich war das Konfuse das Schlimme, dass ich nicht wusste was los war. […] Ich hätte mir Informationen gewünscht, dieses drüber reden also das meine Mutter gesagt hätte: Hör mal, das ist so und so. Schlussendlich folgen häufig Schuldgefühle. So können Kinder glauben, sie seien selbst an der Erkrankung des Elternteils schuld, z.B. durch kindstypische Verhaltensweisen wie toben oder bockig sein. Besonders eklatant ist das in der Phase des magischen Denkens der Kinder. Dort besteht der Glaube, dass Gedanken direkt zu Taten werden könnten. Diese direkte Schuldzuweisung kann von unaufgeklärten Angehörigen oder von den Eltern selbst verstärkt werden. Auch der Aspekt der Stigmatisierung ist zu nennen. Durch das relativ hohe Unwissen der Bevölkerung in diesem Bereich kann es bei Bekanntwerden einer seelischen Erkrankung zu einem merklichen Maß an Ablehnung, sozialer Ausgrenzung oder auch zu grenzüberschreitendem Interesse gegenüber dem betroffenen Elternteil oder dem Kind selbst kommen. Zahlreiche Studien zeigen, dass die elterliche Erziehungskompetenz bei der Gruppe von Eltern mit seelischen Erkrankungen im Vergleich zu psychisch gesunden Eltern im Mittel reduziert ist. Insbesondere die Bereiche der Grenzziehung sowie der Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse stellen für die betroffenen Eltern Herausforderungen dar. Eine mögliche Folge ist, dass Kinder, die von objektiven Beobachtern als unauffällig charakterisiert werden, von den Eltern als auffällig und schwierig – sogar als psychisch krank – angesehen werden. Dem folgt nicht selten eine dysfunktionale Eltern-Kind-Interaktion. Diese äußert sich z.B. durch eine geringe elterliche Sensitivität gegenüber dem Säugling, sodass dieser unter- oder überstimuliert wird. Im mittleren Kindesalter zeigen psychisch kranke Eltern im Vergleich tendenziell weniger Interesse, in Form von weniger bestärkenden Äußerungen. Ebenso ist ein wechselhafter Erziehungsstil möglich. Außerdem sind Eltern bei beginnender Adoleszenz eines Kindes überdurchschnittlich häufig überfordert. Entsprechend erhalten die Kinder keine Unterstützung bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben. Deswegen steigt das Risiko für Vernachlässigung auf 57%, für körperliche und seelische Misshandlung auf 62% und für sexuellen Missbrauch auf 33%. Diese Werte sind im Vergleich zu den Risiken für Kinder von Eltern ohne psychische Erkrankung um das Zwei- bis Fünffache erhöht. Bei elterlichen psychischen Erkrankungen steigt außerdem die Wahrscheinlichkeit für familiärere Disharmonie. Dementsprechend kommen elterliche Streitigkeiten nicht nur häufiger vor, sondern sind auch intensiver und länger. Das wird von betroffenen Kindern als belastend wahrgenommen. Hintergrund ist, dass sich Partner negativer wahrnehmen und negativere Interaktionen miteinander führen. Entsprechend ist die Scheidungsrate mit hochstrittigen Trennungen und damit einhergehend zersplitterte Familienstrukturen höher als bei Vergleichspaaren ohne psychische Erkrankung. Darauf basiert zumeist der nächste bedeutsame Risikofaktor: der Loyalitätskonflikt. Bei diesem geraten Kinder in die Rolle eines Bündnispartners, verbunden mit der impliziten oder expliziten Erwartung, sich für einen Elternteil zu entscheiden. Entsprechend ist es wahrscheinlicher, dass zuverlässige und vertrauensvolle Beziehungen zu Vätern in Phasen von Trennung und Scheidung mindestens zeitweise wegfallen können. Diese können aber eine wichtige ausgleichende Funktion haben, da sie u.a. als kompetente Rollenmodelle fungieren und die Lebenswelt des Kinders eher nachvollziehen können. Es ist aber ebenso möglich, dass der Vater ebenso psychisch erkrankt ist oder durch die Beziehung mit der Mutter merkliche psychische Problemstellungen entwickelt hat. In diesem Fall kann zeitweilige Wegfall der intensiven Beziehung in der Tendenz positiv wirken. Dabei ist aber stets zu bedenken, dass sich ein Kind i.a.R. Kontakt zu beiden Elternteilen wünscht. Auch ist in diesem Kontext die Parentifizierung zu nennen – insbesondere bei älteren Kindern. Dieser Terminus beschreibt eine Art Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind, wobei die Eltern dem Kind eine nicht kindgerechte und vor allem überfordernde ‚Eltern-Rolle‘ zuweisen. Das kann einerseits durch den gesunden Elternteil passieren, welcher seine unerfüllten Wunschvorstellungen auf das Kind überträgt. So kann aus einer möglichen Ressource ein Risikofaktor werden. Allerdings kann Partentifizierung auch dann eintreten, wenn sich der Zustand des erkrankten Elternteils verschlechtert. Mit meiner Mutter war das so, dass sie die ganze Last mit mir besprochen hat und ich war noch ein Kind. Sie hat ganz viel immer auf mich abgewälzt. Es war einfach immer und bedrückend und dunkel. Schlussendlich ist in diesem Kontext der Klinikaufenhalt des erkrankten Elternteils zu nennen. Für Kinder kann dies eine einschneidende Erfahrung sein, die mit einem Verlustgefühl verbunden ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Klinikaufenhalt gegen den Willen des Elternteils erfolgt oder der Einweisung Suiziddrohungen oder Suizidversuche vorausgehen. Betroffene Kinder berichten von Gefühlen der Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit sowie Verzweiflung. Gerade für jüngere Kinder geht dieses Ereignis zudem mit einer signifikanten Veränderung des familiären Tagesablaufs einher. Der Klinikaufenhalt, ob nun gewollt oder nicht, ist zumeist aber das Resultat eines längeren, stetig schlechter werdenden Krankheitsverlaufs, der auch dem Kind nicht verborgen geblieben ist. Insofern sind gerade bei älteren Kindern auch Situationen möglich, bei denen ein solches Ereignis in Ambivalenz zwischen Erleichterung und Empörung steht. Nach dem Klinikaufenhalt findet bei betroffenen Kindern eine starke Orientierung an den Bedürfnissen des erkrankten Elternteils statt. Dies äußert sich in einem Klima der Vorsicht, Rücksichtnahme und Schonung. Dem liegt eine Lebenswelt zugrunde, die geprägt ist von der Angst vor einem Krankheitsrückfall. Dieses Gefühl geht oft einher mit einer Verpflichtung gegenüber dem erkrankten Elternteil und somit mit der bereits beschriebenen Parentifizierung.

Über den Autor

Tobias Düsterdick erblickte im Jahre 1987 im malerischen Leipzig das Licht der Welt. Nach seinem Abitur und Zivildienst verschlug es ihn nach Jena, um dort Pädagogik/Erziehungswissenschaft und Psychologie zu studieren. Nach einem Auslandssemester in Finnland beendete er im Jahr 2011 seinen Bachelor. Danach zog es den Autor nach Dresden, um dort den Master of Childhood Research and Education – Kindheitsforschung, Beratung und Bildung zu absolvieren. Bereits in seinem Studium war er sehr interessiert an den Schnittstellen der Sozialen Arbeit und Psychologie bzw. Psychotherapie. Dieser Prämisse folgend begann er im Jahr 2016 eine Ausbildung zum Kinder- und Jugendpsychotherapeuten mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie. Er absolvierte dabei stetig Weiterbildungen im Bereich Systemische Beratung und Therapie. Unmittelbar nach seinem Studium arbeitete der Autor an einer Dresdner Schule, wo er zahlreiche SchülerInnen traf, deren Eltern psychisch erkrankt waren. Seine Motivation war dabei, diese jungen Menschen präventiv sowie intervenierend zu unterstützen. Daraus erwuchs die Motivation für die vorliegende Arbeit.

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