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Sozialwissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 11.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 68
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Ambulante sozialpädagogische Angebote für junge Straffällige sind 1990 als sogenannte Neue Ambulante Maßnahmen (NAM) in das Jugendgerichtsgesetz aufgenommen worden. Sie sind das Resultat, gemeinsam von Politik, Wissenschaft und Praxis getragener Bemühungen, effizienter auf Jugendkriminalität zu reagieren. Im Vordergrund stand dabei die Suche nach Alternativen zu den überwiegend repressiven traditionellen jugendgerichtlichen Sanktionen. Durch die NAM sollten deshalb einerseits die Möglichkeiten für mehr informelle Erledigungen (Diversion) geschaffen werden und andererseits, im formellen Bereich, Alternativen zu den stationären Sanktionen gefunden werden. Auf diese Weise sollten auch dem wiederholt straffällig gewordenen jungen Menschen noch Perspektiven und Chancen gegeben werden, anstatt ihm diese endgültig zu verbauen. Im Gegensatz zu den freizeitentziehenden Sanktionen sollen die ambulanten sozialpädagogischen Maßnahmen somit die konkreten Lebenssituationen der straffällig gewordenen jungen Menschen fokussieren und bedarfsgerecht Unterstützungsleistungen anbieten. Auf der Grundlage individueller Diagnose sollen sozialpädagogische Förderangebote bereitgestellt werden. Demzufolge orientiert sich die Arbeit der NAM an dem Leitsatz Betreuen statt Einsperren .

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.3, Die NAM im Spannungsfeld von Jugendhilfe und Justiz: Dadurch, dass sozialpädagogische Angebote für straffällig gewordene Jugendliche einen strafrechtlichen Bezugsrahmen aufweisen, wurde von unterschiedlichen Seiten auf die Gefahr hingewiesen, dass sozialpädagogische Arbeit, welche sich in diesem Spannungsfeld bewegt, ins ‘Souterrain der Justiz’ verwiesen wird. Eine vorliegende Straftat kann zwar den Anstoß geben bzw. der Indikator sein, allerdings richtet sich die Frage nach der Legitimation, der Grundidee und der genauen Durchführung von Jugendhilfeleistungen letztlich ausschließlich nach jugendhilferechtlichen Kriterien. Hierbei werden, nicht zuletzt zum Wohl des betroffenen Jugendlichen, große Herausforderungen an kooperative Strukturen in Bezug auf das Zusammenwirken von Jugendhilfe und Justiz gestellt. 2.3.1, ‘Spannungen’: Der im JGG verankerte Erziehungsgedanke zielt zwar einerseits auf eine Begrenzung staatlicher Sanktionen ab, andererseits verfolgt er dabei aber weiterhin das strafrechtliche Leitbild. Dadurch, dass die NAM hauptsächlich den Erziehungsmaßregeln zugeordnet sind, wird deutlich, dass bei der Anordnung der Maßnahmen durch den Jugendrichter eine gewisse Erziehungsbedürftigkeit des jungen Menschen festgestellt werden muss. Allerdings wurden vom Gesetzgeber sowie von der Wissenschaft keine Kriterien, bis auf die unscharfe Vorgabe, dass es ‘eines sorgfältigen Eingehens auf die individual- und sozialstrukturellen Gegebenheiten bezüglich des Beschuldigten und seiner Lebensbedingungen bedarf’ (Eisenberg 1993, S. 137), für die Feststellung einer solchen Bedürftigkeit festgelegt. Schon gar nicht liegen empirisch fundierte Kriterien vor, die zwischen strafrechtlich relevanter Auffälligkeitsform, der sozialen Situation und der durchzuführenden Maßnahme unterscheiden. Ob und inwieweit Bedarf an einer strafrechtlichen Intervention besteht, wird in der jugendgerichtlichen Praxis in der Regel nach strafrechtlichen Kriterien festgestellt. Dabei wird in erster Linie die Art und Schwere des Delikts sowie die Häufigkeit bisheriger Straftaten berücksichtigt. Außerdem wird bei bestimmten jugendtypischen Vergehen die sanktionslose Einstellung des Verfahrens als sachgerecht angesehen, da die durch die Straftat erfolgte Konfrontation mit Polizei und Staatsanwaltschaft für die meisten Jugendlichen eine ausreichende Bestrafung darstellt (vgl. Drewniak 1996, S. 23/24). Während also ‘in der justitiellen Sichtweise sozialpädagogischer Aufgaben ‚Erziehung‘ als funktionales Äquivalent zur Strafe erscheint, hat die Jugendhilfe die im KJHG definierten Aufgaben wahrzunehmen. Nicht die Straffälligkeit als solche, sondern vielmehr die Lebensschwierigkeiten der Jugendlichen - die sich in Straftaten unter Umständen widerspiegeln können - sind der eigentliche Aufgabenbereich für die Jugendhilfe’ (Drewniak 1996, S. 24). Somit kann und darf Hilfe zur Erziehung nach § 27 Abs. 1 des KJHG nur dann erfolgen, ‘wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist’ (KJHG 04.12.2011, § 27). Dementsprechend steht bei der Überprüfung, ob für den jugendlichen Straftäter Jugendhilfeleistungen infrage kommen, die vorhandene Lebenslage und nicht die Straffälligkeit des jungen Menschen im Blickpunkt. Die wesentliche Aufgabe der Jugendhilfe ist die richtige Bewertung des gegenwärtigen Integrations- und Hilfebedarfs des Jugendlichen und gegebenenfalls das Bereitstellen von angemessenen Unterstützungsangeboten. Dabei soll sich die Bedarfsermittlung bei jedem Einzelfall nach der Normalsituation von Sozialisation ausrichten, wobei ein Anspruch auf Hilfe dann besteht, wenn für den Jugendlichen bestimmte Bedingungen nicht existieren, welche für einen Großteil junger Menschen vorhanden sind. Des Weiteren ist in § 52 des KJHG festgelegt, dass die Jugendhilfe frühzeitig prüfen muss, ob für den jungen Menschen Hilfeleistungen der Jugendhilfe infrage kommen. Hierbei ist es wichtig festzuhalten, dass die Einschätzung ob eine Jugendhilfeleistung pädagogisch geeignet und erforderlich ist, eine sozialpädagogische Frage und keine juristische ist. Gerichte sind somit weder berechtigt noch in der Lage festzustellen, ob und inwieweit Bedingungen für eine Jugendhilfeleistung vorhanden sind. Falls bei dem Jugendlichen kein erkennbarer Hilfebedarf vorliegt, sind von Seiten der Jugendhilfe auch keine erzieherischen Maßnahmen nötig. Allerdings sollte darauf hingewiesen werden, dass das Verhalten einer Person mehr durch ihre soziale Situation als durch strafrechtliche Reaktionen beeinflusst wird. Das heißt, dass Maßnahmen der Jugendhilfe bereits dann als erfolgreich gelten, wenn der sozialen Desintegration entgegengewirkt werden konnte. Weitere Straftaten des jungen Menschen sind somit nicht automatisch mit der Erfolglosigkeit und dem Versagen der Jugendhilfe gleichzusetzen. Das von der Justiz in vielen Fällen trotzdem zu immer härteren Strafen gegriffen wird, ist nach Ansicht vieler Experten Ausdruck von Hilflosigkeit, mangelndem Wissen über die Beweggründe sowie den Verlauf von Jugendkriminalität und nicht zuletzt die Tatsache, dass über die erzieherische Wirksamkeit von freizeiterziehenden Strafen falsche Vorstellungen bestehen. Dementsprechend besteht ‘das Hauptproblem bei der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Justiz … darin, daß diese zum einen durch unterschiedliche Sozialisationen, Ausbildungen und Berufsrollen sowie zum anderen durch divergierende gesetzliche Rahmenbedingungen gekennzeichnet ist, die sehr verschiedene Sichtweisen hinsichtlich Notwendigkeiten, Inhalten und Niveaus von Sanktionen einbringen lassen und Reibungen geradezu erzwingen: nicht zuletzt im Hinblick auf die anvisierte Zielgruppe der NAM’ (Drewniak 1996, S. 25).

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