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Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2011
AuflagenNr.: 1
Seiten: 90
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In den letzten Jahrzehnten vollzog sich ein gesellschaftlicher Transformationsprozess, der von einigen Autoren unter dem Begriff der Individualisierung subsumiert wird. Traditionelle Vorgabemuster und standardisierte Lebensläufe lösten sich zunehmend auf, und machten Platz für selbst gewählte und eigens konstruierte Biographien. Dabei scheinen Begriffe wie Selbstbestimmung und Autonomie die ersterbenswerten Ideale unserer modernen Gesellschaft zu markieren. Gleichzeitig bedingt jedoch das Recht auf Freiheit die Pflicht zur Eigenverantwortung, woraus sich nicht selten eine ambivalente Sehnsucht nach Sicherheit und Halt – ein menschliches Grundbedürfnis – ergibt. Insbesondere Personen, die durch die Exklusionsmechanismen unserer Gesellschaft stärker betroffen sind (z.B. alte, pflegebedürftige, kranke, behinderte Menschen), scheinen in der Gefahr zu stehen in immer größer werdende Abhängigkeiten zu geraten. Die vorliegende Studie reflektiert die Lebenssituation von Menschen mit einer (geistigen) Behinderung. Ausgehend von der (historischen) Betrachtung sich wandelnder Menschenbilder und gesellschaftlicher Reaktionsmuster, wird die grundsätzliche Korrelation zwischen Individuum und Gesellschaft verdeutlicht und in der Auseinandersetzung mit den aktuellen gesellschaftlichen und sozialpolitischen Themen weiter qualifiziert. Kernstück bildet die Auseinandersetzung mit der Anerkennungstheorie von A. Honneth und die Frage der Anwendbarkeit auf den hier beschriebenen Personenkreis. Unter Rückbezug auf den fachlichen Diskurs in der Behindertenhilfe bzw. Geistigbehindertenpädagogik wird dabei die grundsätzliche Anwendbarkeit nachvollzogen. Das Ergebnis dieses Vorgehens bildet die Entwicklung eines eigenen Reflexionsmodells, welches als Verstehens- bzw. Interpretationsansatz der Lebenswelt von Menschen mit einer Behinderung genutzt werden kann. Des weiteren werden hieraus ethische Ableitungen für das professionelle Handeln getroffen und in einen methodischen Handlungsvorschlag (einer möglichen Vorgehensweise) überführt. Dennoch: Ausgangspunkt und Ziel von Unterstützungsleistungen (professioneller oder nicht-professioneller) muss immer der Adressat sein. Nur in der Rückkoppelung und Bewertung durch die Person gelingt ein Zugang zur subjektiven Lebenswelt. Zwar können Hilfsinstrumente, wie das vorgeschlagene Reflexionsmodell, Orientierungspunkt für ein Verständnis der vorliegenden Lebenssituation, oder der Entwurf eines methodischen Handelungsvorschlags, Grundlage einer geplanten Unterstützungsleistung sein, jedoch wäre es eine Utopie davon auszugehen, damit das menschliche Sein vollständig erschließen zu können. Die Unterstützung von Anderen ist kein objektivierbarer Zustand, der anhand von rationalen Effektivitätskriterien zu bemessen ist, sondern ein solidarischer Akt der Annahme der Individualität des Gegenübers und der Mitverantwortlichkeit bei der Realisierung persönlicher Lebensziele, professionell als auch nicht-professionell.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.2, Korrelationen zwischen Anerkennung und Identität: Der Mensch als soziales Wesen ist in seiner Evolution auf Interaktion und Kommunikation hin angelegt. Er bedarf der kontinuierlichen Reflexion im Sinne äußerer Wahrnehmungen, Bewertungen, Zuschreibungen und Handlungserwartungen, um diese wiederum für das eigene Selbst und die daraus erwachsenen Anforderungen interpretieren zu können. In diesem Prozess fließen sowohl individuelle, eigene und spontane Anteile, als auch gesellschaftliche Bestimmungen und Vorhaben zusammen. Das Bewusstsein um das Selbst entsteht als kommunikativer Prozess und ist somit nie ein a priori Vorgegebenes. HABERMAS beschreibt dies wie folgt: ‘[es] bildet sich vielmehr über die symbolisch vermittelte Beziehung zu einem Interaktionspartner auf dem Weg von Außen nach Innen. Insofern besitzt es einen intersubjektiven Kern’. Es wäre jedoch einseitig konnotiert, die individuelle Biographie bzw. deren Konstruktion als reinen gesellschaftlichen bzw. lebensgeschichtlichen Adaptionsprozess zu bezeichnen, innerhalb dessen sich der Mensch zunehmend verschiedene Erwartungen und Anforderungen aneignet (oder dies zumindest versucht). Vielmehr ist es ein ‘doppelter Prozess der Interiorisierung der Exteriorität und der Exteriorisierung der Interiorität’. Es entsteht ein wechselseitiger Vorgang, in dem auch das Subjekt Einfluss auf vorhandene Gegebenheiten (institutionalisierte Symbole) nimmt und gesellschaftliche Veränderungsprozesse initiiert. Damit ist das Problem des Strebens des Individuums nach Selbstbestimmung unter gleichzeitig repressiven, gesellschaftlichen Determinanten ein für den Identitätsbildungsprozess konstitutives. Dies bedeutet, dass sich die persönliche Identität im Wechselspiel zwischen dem Erleben der Einzigartigkeit (und deren soziale Anerkennung) und der Anpassung bzw. individuelle Anerkennung von kollektiven Merkmalen der Gemeinschaft herausbildet. Damit wird ein Prozess beschrieben, ‘in dem sich ein Subjekt positiv – akzeptierend, gutheißend – auf andere bezieht und in seinem Agieren von jenen wiederum – in wertschätzender Weise – als Individuum bestätigt wird’. Die Identität bildet somit den Versuch des Menschen ab, die eigenen Persönlichkeitsanteile in reflexiver Weise innerhalb standardisierter gesellschaftlicher Vorgabemuster zu bewahren. Damit ist das Erleben von Autonomie zwangsläufig mit der Erfahrung von Heteronomie verbunden. Fremdbestimmung, Unterdrückung, Entrechtung oder Deprivation gehören somit zur bewussten Erlebenswelt des Menschen. Gelingt dieser individuelle Balanceakt, so kann der Vorgang als gelungen betrachtet werden. Eine einseitige Fixierung auf bestimmte Merkmalsaspekte (individuell oder sozial) dagegen führt unwillkürlich zur Verkümmerung der anderen Seite. Exemplarisch lässt sich dies an der Situation von hospitalisierten Menschen mit einer Behinderung darstellen. Insbesondere die Auswirkungen von totalen Institutionen bzw. Orten der Fremdbestimmung auf die darin lebenden Menschen, und die damit verbundene Unterdrückung jedweder Individualität durch Normierung und Standardisierung, sind ausführlich erforscht und dargelegt worden. Wie bereits erläutert, wollen wir der Subjektivität einen besonderen Stellenwert beimessen und damit neben der sogenannten objektiven Erlebniswelt auch dem persönlichen Empfinden Raum geben. Denn ‘wann [und durch was/wen sich] ein Mensch sich in seiner personalen Identität missachtet oder anerkannt fühlt, hängt stark von der Interpretation und dem Erleben der Betroffenen ab’. Damit wird deutlich, dass im Rahmen des Wahrnehmungsprozesses individuelle Bewertungsfaktoren für die Situationsbeschreibung relevant werden, die nur von der jeweiligen Person und dem spezifischen Kontext aus gedeutet werden können. Folgt man nun der These, dass ‘die menschlichen Subjekte ihre Identität der Erfahrung einer intersubjektiven Anerkennung verdanken’, so wäre einerseits nach den relevanten Kontexten für die Anerkennung und anderseits nach deren individuelle Interpretationsmuster zu fragen. Denn erst wenn die objektiv vorherrschenden Bedingungen und Möglichkeiten auch subjektiv als relevant (positiv/negativ) empfunden werden, kann von Anerkennung oder Missachtung gesprochen werden. Doch auch an dieser Stelle ist Vorsicht geboten, da eine Überbewertung subjektiver Faktoren einen Blick auf scheinbar strukturelle Missstände verschleiern könnte. Als ein Beispiel könnten hierfür die regelmäßig hohen Zufriedenheitswerte in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe angeführt werden. Die persönliche Entscheidung resultiert oft aus der Einordnung und Verarbeitung des sozial Erfahrenen. Bleibt der Erfahrungshintergrund unhinterfragt oder bestehen keine Alternativen des Vergleichs, so bildet sich ein verzerrtes Bild der Realität ab. Unabdingbar erscheinen deshalb die soziale Interaktion und Kommunikation des Menschen bzw. die daraus resultierenden gesellschaftlichen Teilhabe- und Vergleichsmöglichkeiten.

Über den Autor

Sandro Ferdani, Jahrgang 1976, ist 6-facher Familienvater und lebt in Asperg bei Stuttgart. Nach dem Diplom im Bereich Sozialpädagogik (2000) schloss er das Studium der Diakoniewissenschaft im Jahr 2011 erfolgreich ab. Seit über 10 Jahren ist er im Bereich Behindertenhilfe in verschiedenen Stabs- und Leitungsfunktionen tätig. Diese Erfahrung ist Ausgangspunkt für die Reflexion der Lebenssituation von Menschen mit einer Behinderung. In der vorliegenden Studie wird diese aufgegriffen und in der Auseinandersetzung mit der Anerkennungstheorie von A. Honneth in einen theoretischen Bezugsrahmen gesetzt und weiterentwickelt.

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