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Pädagogik & Soziales
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Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Gesellschaft befindet sich im ständigen Wandel in vielen ihrer Bereiche und es scheint, als ob die Geschwindigkeit, mit welcher dieser Wandel vonstattengeht, stetig zunimmt. Die verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche Wirtschaft, Politik und Bildung spezialisieren sich, werden autonom und kapseln sich durch ihre Selbstreferentialität von anderen Teilsystemen ab. Das stimmte nun alles nicht bedenklich, könnte von dieser Entwicklung nicht auch eine Bedrohung für die Gesellschaft und das Individuum ausgehen. Diese Verselbstständigung der Systeme und das Ende der Meta-Erzählungen bedeuten auch einen Verlust von Orientierungsmöglichkeiten und Sicherheit - was heute noch verbindlich ist, kann morgen schon anders sein. Mehr denn je kommt es bei dieser gesellschaftlichen Entwicklung auf den Einzelnen und nicht auf bestimmte Menschengruppen an. Arbeitslosigkeit trifft den Einzelnen und nicht mehr eine bestimmte Klasse oder Schicht. Von sozialen Klassen und Schichten wird kaum noch gesprochen, man spricht - mit Ausnahmen natürlich - heute von Milieus und Konsumstilen. Durch die gesellschaftliche Überforderung auf Grund des raschen Wandels erscheint es hilfreich und notwendig, dem Individuum Kompetenzen an die Hand zu geben, mit denen es diesem Druck standhalten und konstruktiv mit dem Moment der Freiheit umgehen kann.
Textprobe: Kapitel 6, Die Bedeutung der Erlebnispädagogik für die Entwicklung Sozialer Kompetenz: In der Erlebnispädagogik dienen als Anreize die klassischen Elemente sportlicher Freizeitgestaltung, wie Kanufahrt, Klettern, Bergtouren, Wanderungen, Survival-touren, Segeln etc.. Doch anders als z.B. in der Tourismus- und Freizeitbranche dienen diese Unternehmungen nicht bloß der Unterhaltung. Erlebnispädagogik will verändern. Allgemein kann gesagt werden, dass der Anreiz Veränderungsprozesse bei den Teilnehmern bewirken will. Auch hier gilt, dass nicht im voraus gesagt werden kann, welche Veränderungen durch die dargebotenen Anreize bewirkt werden können. Bauer & Nickolai (1989) machen auf den Unterschied zwischen Erlebnispädagogik und abenteuerorientierter Aktivitäten aufmerksam: Erlebnis- oder Abenteuerorientierte Aktivitäten hingegen stellen den spektakulären bzw. den bekannteren Bereich der Erlebnispädagogik dar und werden fälschlicherweise, wie hier gezeigt werden sollte – oft dem erlebnispädagogischen Ansatz sogar gleichgestellt. Wiederum auf HAHNS Erlebnisgebäude verweisend repräsentieren sie den Baustein der Expedition , reichen über den Alltag hinaus und rücken die Aspekte des Risikos, des Wagnisses, der Grenzüberschreitung in den Vordergrund (S. 31). Interessant ist jedoch, dass neben den festgelegten und organisierten Anreize das erlebnispädagogische Lernmilieu von weitaus mehr Anreizen bewohnt ist. Die Gruppe lässt bspw. durch die unkontrollierbare Gruppendynamik genug Situationen entstehen, mit denen sich das Individuum auseinandersetzen muß. An dieser Stelle bedarf es der Reflexion, welche wiederum als Anreiz von Veränderung betrachtet werden kann. So kann der rekursive Kreislauf von Anreiz, Erlebnis, Reflexion und Anschluss eine strukturelle Koppelung zwischen Erlebtem und kognitiv Konstruiertem bedeuten ein subjektiv in sich operational geschlossener Denkprozess. Innerhalb des erlebnispädagogischen Rahmens, der festgestellt ist durch gemeinsame Aktivitäten, das Vorhanden- und Zuhandensein des Pädagogen, das soziale Miteinander der Gruppe, der Einzel- und Gruppenreflexion, finden Veränderungen aufgrund der jeweiligen Strukturdeterminiertheit statt. Der Rahmen ist nicht zu vernachlässigen und die damit einhergehende Begrenzung bzw. Grenze ist in 2-facher Hinsicht wichtig. Zum einen bzgl. des abgesteckten Territoriums und zum anderen bzgl. einer für allen verbindlichen Regelmäßigkeit. Innerhalb des Rahmens sollte jedoch genug Raum für das Ablaufen selbstorganisierter Lernprozesse gelassen werden. Walter Fürst (1992) betont, dass jede E-Gruppe (Erlebnisgruppe) einen Rahmen braucht, der es gewährleistet die Grundbedingungen des Konzepts praktisch umzusetzen und persönlichkeitsbildend wirksam werden zu lassen (S. 95). Zweck und Funktion des Rahmens sind s.E.: Die Begrenzung des Territoriums. Die inhaltliche Gestaltung des erlebnispädagogischen Territoriums. Die Festlegung des Verantwortungs- und Handlungsraums der Gruppe. Der Rahmen als Orientierung für das Leitungsteam (Vgl. a.a.O., S. 95-96). Systemtheoretisch könnte man hier mit Willke (1993) argumentieren, der Sinn von Grenze liegt in der Begrenzung von Sinn (S.63). Der Rahmen wirkt komplexitätsreduzierend, woraus eine Handlungssicherheit für alle Beteiligten, sowohl für die Leiter als auch die Teilnehmer, erfolgen kann. Außerdem braucht jedes Individuum, unbeschadet des Prinzips der Selbstorganisation, ein gewisses Maß an strukturellen Vorgaben und Richtlinien. Seymour (1984) drückt es folgendermaßen aus: Menschliche Individuen wachsen nicht einfach, wenn man sie ungehindert lässt. Neben einer liebevollen Umgebung bedürfen sie der Stimulation und Unterweisung. Die Annahme einer latenten Struktur, die sich ohne äußere Einflüsse entfalten kann, ist unhaltbar...Wachstum meint somit nicht, daß alles schon wie in einem Samenkorn angelegt war. Vielmehr ist es das Ergebnis der vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Umwelt und Individuum, wobei es eine unzulässige Vereinfachung wäre, hierbei nur eine Seite zu betrachten (S. 32). Nach der Transaktionsanalyse besitzt jedes Individuum ein Bedürfnis den Strukturhunger zu stillen, damit eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung von statten gehen kann (Vgl. Harris, 1995, S. 138). Der Anreiz, welchen die Erlebnispädagogik anbietet, soll in seiner Struktur festgelegt sein und die Konfrontation damit soll selbstorganisierte Prozesse des Lernens anregen. Durch ständiges Perturbieren kann die Struktur des Individuums irritiert werden und es kann ein Lernprozess in Gang gesetzt werden, in welchem das Individuum reagiert. Wie es reagieren wird, das können Außenstehende, wenn überhaupt, nur erahnen und m.E. ist es nicht zwangsläufig wahrscheinlich, dass das perturbierende Individuum seine eigenen intra- und interpsychischen Reaktionen vorhersehen kann. Direktiv kann nicht eingegriffen werden, da intrapsychische, autopoietische Prozesse in ihrer Organisation autonom und rückbezüglich sind und auf einen vorhergehenden Zustand ankoppeln. Für das soziale Lernen ist dies höchst spannend, da wir es mit vielen komplexen sozialen, im Laufe der Ontogenese gewachsenen, strukturdeterminierten Persönlichkeiten zu tun haben, die innerhalb des erlebnispädagogischen Lernfeldes die Möglichkeit erhalten für sich in täglicher Konfrontation und in Auseinandersetzung mit ihrer jeweiligen Struktur wechselseitige Perturbationen zu bilden, wobei das Durchleben von Grenzerlebnissen keine unerhebliche Rolle spielt. Erlebnispädagogik bzw. die Beschaffenheit des erlebnispädagogischen Rahmens dient als Anreiz für die Teilnehmer Soziale Kompetenz gemäß ihrer Strukturdeterminiertheit zu entwickeln. Die Reflexion als unverzichtbarer Bestandteil dient dabei als Hilfe der Eingliederung in die bereits vorhandene biographische Struktur. Denn nur was anschlußfähig (Siebert, 1999, S. 87) ist, wird tatsächlich gelernt. Brischar & Saur (1996) betonen diesbezüglich die Notwendigkeit der professionellen Durchführung einer biographischen Selbstreflexion des erlebnispädagogischen Leiters, da das Erlebnis in der Sprache bzw. in der Kommunikation mit anderen hervorgebracht wird, das Verhältnis zur pädagogischen Maßnahme verarbeitet und der Anschluß vorbereitet werden kann. Der Teilnehmer soll nicht nur erleben, er soll das Erlebte gemäß seiner Struktur verarbeiten können, um somit seine Struktur zu erweitern. Ängste, Kompetenzen, Wahrnehmungsmuster können u.a. mit Hilfe des NLP bewusst gemacht und verändert werden. Reflexion ist Vorbedingung für Anschluss und somit unerlässlich (Vgl. Brischar & Saur, 1996, S. 119). Der erlebnispädagogische Rahmen, der sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt und in der sowohl begleitenden als auch anschließenden Reflexion manifestiert, ist durch die biographische Struktur des Pädagogen geprägt. Kösel (1995) spricht diesbezüglich von Morphembildung (S. 233), über deren biographische Bestimmtheit sich der Pädagoge im Klaren sein muss, um nicht an Authentizität einbüßen zu müssen und um professionell und subjektadäquat handeln zu können. In Anlehnung an Brischars & Saurs (1996) zirkuläres Modell des Anreiz, Erlebnis, Reflexion und Anschluß. Wird in der vorliegenden Arbeit vorwiegend auf die Momente der Reflexion und des Anreizes eingegangen werden als wesentliche Ausdifferenzierungen der Erlebnispädagogik. 6.1.2, Anreiz - Vertrauen & Zutrauen: Betrachtet man den Menschen und seine Bewusstseins- und Lernprozesse als autopoietisch organisiert und selbstreferentiell, gilt es, um Veränderungsprozesse anzuregen, die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Denn Lernprozesse laufen innerhalb einer operationalen Geschlossenheit (Kapitel 3.1.3) von außen kann lediglich eine motivierende Lernumgebung bereitgestellt werden. Spätestens seit Entdeckung des Pygmalion-Effektes ist offensichtlich, dass wenig Zutrauen bzw. Vorurteile sich prägend auf die Verhaltensweise der eingeschätzten Person auswirken können (Vgl. Siebert, 1999, S. 4), ähnlich einer selbsterfüllenden-Prophezeiung (Vgl. Watzlawick, 1983, S. 57), indem die Probanden tatsächlich das Verhalten an den Tag legen, welches man insgeheim von ihnen erwartet. In der Klientenzentrierten Therapie nach Rogers hat man sich das Element des Vertrauens nutzbar gemacht, um positive Entwicklungsprozesse beim Klienten in Gang zu setzen. Dort verbirgt sich Vertrauen hinter dem Element der Akzeptanz der Gefühlswelt und Wirklichkeitsauffassung des Klienten und äußert sich in der nicht-wertenden und respektierenden Begegnung sowie dem Vertrauen in die strukturdeterminierten Entwicklungsmöglichkeiten und Ressourcen des Menschen. Hierbei ist auch ein Moment der Phänomenologie, nämlich die unvoreingenommene Herangehensweise durch Ausschalten von Vorwissen und Vorurteilen, m.E. durchaus angebracht und einer vertrauensvollen Basis förderlich. Je nach Zielgruppe ist die Dosierung von Vertrauen bedenklich, aber auf jedenfall notwendig. Nickolai & Bauer (1989): Kürzlich war eine Sozialarbeiterin mit einem Insassen zuhause gewesen, für den dies der allererste Ausgang war. Aufgrund ihrer schon vieljährigen Erfahrungen war sie überzeugt, ihn für etwa 15 Minuten mit seiner Freundin alleine lassen zu können, als er diese Bitte äußerte. Er kam nicht nur nicht zurück, sondern entführte seine Freundin gegen ihren Willen. Ein solches Vorkommnis macht deutlich welch ungeheures Wagnis bei jedem Vertrauenserweis gegenüber unseren Jugendlichen besteht, das, wenn es misslingt, dem, der dieses Wagnis eingegangen ist, große Probleme, den Spott der Kollegen, im Extremfall auch disziplinarische Konsequenzen bereitet (S. 89-90). Bollnow (1984) beschreibt dieses Verhältnis m.E. sehr treffend, wenn er betont, dass der Vertrauende sich selbst aufs Spiel setzt und sich demjenigen in die Hände begibt, dem er vertraut. Er bezeichnet dieses erzieherische Wagnis jedoch als von einem höchsten sittlichen Verantwortungsgefühl getragen. Nach Bollnows (1984) Definition bedeutet Vertrauen: Vertrauen heißt immer wieder: sich rückhaltlos an etwas ausliefern, was nicht beweisbar und nicht erzwingbar ist, weil es von dem grundsätzlich nicht voraussehbaren Willen eines anderen Menschen abhängt (S. 145).
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