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Pädagogik & Soziales

Heike-Rebecca Stähler

Generation Porno: Jugend zwischen Pornographie und Sexualität

ISBN: 978-3-95425-604-4

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 180
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Eine erschreckend große Anzahl von Jugendlichen unterscheidet nicht zwischen der Welt der Pornos und der normalen Welt. Sie beziehen einen wesentlichen Teil ihrer Bildung aus der Boulevardpresse, von Pornorappern und aus Sexfilmen. Das Interesse an Pornographie an sich ist normal und zu jeder Zeit zu beobachten. Allerdings findet heutzutage in zunehmendem Maße keine Filterung mehr statt. Die Jugendlichen leben in Familien, in denen nicht über die Thematik gesprochen wird und die Bilder als etwas Irreales eingeordnet werden. Viele Jugendliche küssen sich nicht mehr, weil im Porno nicht geküsst wird. Sie verhüten nicht, weil im Porno nicht verhütet wird. Pornos bilden für sie Wirklichkeiten ab - in besonders eindrucksvoller Weise dann, wenn es sich um Realaufnahmen handelt. Diese Studie beschreibt sehr eindrücklich und lebensnah den Umgang mit Pornographie und Sexualität von Jugendlichen, die in schwierigen sozialen Verhältnissen aufwachsen und der bildungsfernen Schicht zuzuordnen sind. Dazu hat die Autorin Jugendliche aus sozialen Brennpunkten verschiedener deutscher Städte im Alter von 11 bis 21 besucht, ihren Alltag begleitet und eine Vielzahl an Gesprächen mit ihnen geführt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 1.1, Forschungsfeld und Problemstellung: Wie verarbeiten Kinder ihren Medienkonsum? Wie setzten sie sich mit diesem auseinander? Inwiefern steht der Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit den alltäglichen Interaktionserfahrungen in der Familie? Und welche Bedeutung gewinnen die Medien insbesondere für die Entwicklung und Sozialisation von Kindern und Jugendlichen? Gerade eine Gesellschaft, die wie die unsere über keinen öffentlichen, sondern lediglich über einen medialen Diskurs zur Sexualität verfügt, kann es sich nicht leisten, diesen Diskurs wissenschaftlich zu ignorieren. Sexualität ist eine der wichtigsten Triebfedern für das Verhalten, nicht nur im ‘privaten’ Rahmen. Diesen Zusammenhang öffentlich und wissenschaftlich nicht zur Kenntnis zu nehmen heißt, Sexualität zum Privileg weniger zu machen, die sie zur Machtausübung benutzen. Deswegen halte ich es wie H. Montgomery Hyde, der bereits Anfang der 60er Jahre seine Untersuchung zur Geschichte der Pornographie damit legitimierte, dass eine Untersuchung dieses Gegenstandes Ergebnisse liefere, die über die Pornographie im engeren Sinn hinausweisen: ‘Such a survey can be abundantly justified on sociological grounds, since pornography, however crude and unsophisticated in content, may provide an invaluable guide to the social habits and costums of the age which has produced it.’ (Hyde 1964, S.29) Wissenschaftlich seriöse Untersuchungen über die Wirkung von Pornographierezeption gibt es praktisch noch keine, schon gar nicht, was die sexuellen Stimuli betrifft, von der Wirkung auf Kinder und Jugendliche ganz zu schweigen (Faulstich 1994). Es gibt nur zwei nennenswerte Untersuchungen, die bezüglich derselben Ausgangsthese zu diametralen Ergebnissen kamen. Zum einen eine dänische Studie aus dem Jahre 1970, die eine Verminderung der sexuellen Strafdelikte in Zusammenhang mit Pornographiekonsum verzeichnete (Kutschinsky) und dagegen eine Studie aus Amerika, die 1986 behauptete, dass insbesondere langfristiger Konsum schädlich sei und einen Zusammenhang von Pornographie und Gewalt unterstellte (Attorney General's Commission). Ertel stellt in einer Studie über die Langzeitwirkung von Pornographiekonsum auf die allgemeine sexuelle Aktivität fest, dass intensiver Konsum erstmal zu einer höheren Orgasmusfähigkeit führt, sich ab einem gewissen Punkt aber wegen der Gewöhnung wieder verringert. Es kommt allerdings insgesamt zu einer Erhöhung der sexuellen Aktivität. Daraus schließt er, dass auch schon gelegentlicher Konsum zu einem gelösteren, offeneren Umgang mit Sexualität und zu harmonischeren Beziehungen führt. Eine Pornospirale, die von erotischen Darstellungen in maßlose Pornographie umschlägt, hält er gar für abwegig: ‘Durch Pornographiekonsum werden keine Reinszenierungsversuche ausgelöst, und es gibt [...] keine erkennbare Tendenz zur Initiierung von paraphilem Verhalten, sexueller Gewalt oder sexuellem Zwang, falls nicht bereits eine Prädisposition hierzu bestand. [...] Ebenfalls kommt es zu keinen generellen negativen Auswirkungen auf sexuelle Skripts, Partnerschaft und sexuelles Partnerbild. (...) Es gab keine Hinweise für die Stichhaltigkeit der wichtigsten Argumente gegen die Pornographie, daß [!] sie bei zahlreichen (männlichen) Konsumenten unweigerlich zu manifester Gewalt und zur Brutalisierung ihres Sexualverhaltens gegenüber Frauen führt und damit unter anderem die Wahrscheinlichkeit von Vergewaltigung oder sadistischen Praktiken erheblich erhöht.’ (Ertel 1990, S.475) Daten zur Nutzung pornographischer Medienangebote stammen in der Regel von Erwachsenen- oder Studentenstichproben. Allerdings können diese Ergebnisse kaum miteinander verglichen werden, da sie, sowohl von Seiten der Forscher, als auch von Seiten der Befragten, von unterschiedlichen Begriffsdefinitionen für ‘Pornographie’ ausgehen (vgl. Bryant / Brown, 1989). Die meisten Untersuchungen mit Erwachsenen wurden zur Nutzung audiovisueller Angebote (pornographische Filme) gemacht. Die Daten des General Social Survey von 1973 bis 2002 in den USA zeigen, dass zwischen 20 und 30 Prozent der Befragten mindestens einen pornographischen Film innerhalb des letzten Jahres gesehen haben (Buzzell 2005). Ertel kam 1990 in Deutschland im Rahmen einer Befragung von fast 10.000 Personen zu ähnlichen Ergebnissen: Etwa ein Drittel der Bevölkerung sah mindestens einmal im Monat einen Pornofilm. Die durchschnittliche Nutzungshäufigkeit von Pornofilmen lag bei rund 24 Mal im Jahr (Ertel 1990, S.68). Zu den intensiven und regelmäßigen Nutzern zählten in der Mehrheit Männer. Auch die Nutzung von Erotik bzw. Pornographie im Internet ist überwiegend ‘Männersache’. Hierzu liegen allerdings kaum aktuelle Daten vor. Der ‘Online Reichweiten Monitor 2003’ zählte etwa 18 Prozent der Internetnutzer, die Erotikangebote zumindest selten oder gelegentlich aufsuchten (AGIREV 2003). TNS Emnid geht von etwa einem Drittel der Nutzer aus, die regelmäßig Sex- und Erotiksites besuchen (vgl. TNS Interactive/eMind@emnid 2002, S.28). Angesichts der kontinuierlichen Zunahme der Internetnutzung von Kindern und Jugendlichen stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß diese Altersgruppe mit pornographischen Angeboten konfrontiert wird, bzw. inwieweit sie solche Angebote gezielt aufsucht. Laut JIM-Studie 2005 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2005) ist in 98 Prozent der Haushalte, in denen Jugendliche zwischen zwölf und 19 Jahren aufwachsen, mindestens ein Computer vorhanden. 89 Prozent der Haushalte verfügen über einen Internetzugang. 86 Prozent der Jugendlichen haben Online-Erfahrung, davon geben wiederum 70 Prozent an, täglich oder mehrmals pro Woche online zu sein. Etwa ein Drittel der jugendlichen Internetnutzer zwischen zwölf und 19 Jahren hatten laut eigener Aussage schon einmal Kontakt mit pornographischen, rechtsradikalen oder gewalthaltigen Seiten, wobei junge Männer sich deutlich von jungen Frauen unterscheiden. Dass Kinder und Jugendliche gewollt oder ungewollt in Kontakt mit pornographischen Darstellungen im Netz kommen, zeigen auch aktuelle Studien aus den USA, aus Australien und aus Taiwan: Eine qualitative Online-Befragung mit regelmäßigen Internetnutzern im Alter zwischen 14 und 17 Jahren in den USA (n = 40) zeigt, dass die Jugendlichen am häufigsten unabsichtlich (z.B. durch Links in E-Mails oder irreführende URLs) auf pornographische Inhalte stoßen (Cameron et al., 2005). Diese wurden vor allem von den jungen Frauen negativ (z.B. ‘abstoßend’) beurteilt, während junge Männer sich häufiger positiv äußerten. Die meisten Jugendlichen gaben an, dass ihre Eltern über diese ‘Erfahrungen’ nicht Bescheid wüssten. Stahl und Fritz (2002) fanden heraus, dass 20 Prozent der 213 von ihnen befragten amerikanischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen bereits mindestens einmal eine pornographische Seite im Internet besucht haben. Dabei überwog der Anteil an männlichen und älteren Jugendlichen sowie denjenigen mit längerer Interneterfahrung. In einer repräsentativen Telefonumfrage (n = 1.501) unter amerikanischen Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 17 Jahren (‘Youth Internet Safety Survey’) fanden Ybarra und Mitchell (2005) heraus, dass acht Prozent pornographische Onlineangebote gezielt aufsuchten. Weitere sieben Prozent sagten aus, Pornographie in anderen Medien zu nutzen. Auch hier handelte es sich eher um ältere (ab 14 Jahren) und männliche Jugendliche mit größerer Interneterfahrung. Ein Viertel der Jugendlichen hatte ungewollten Kontakt mit sexuellen Inhalten (Mitchell / Finkelhor / Wolak 2003). Die Mehrzahl dieser Kontakte entstand beim Surfen, etwa ein Viertel kam über E-Mails zustande. Über 40 Prozent der Jugendlichen berichteten von negativen emotionalen Reaktionen (z.B. Empörung, Stress), weniger als die Hälfte der Jugendlichen sprach mit anderen Personen (Freunde, Eltern) über diese Erfahrung. In einer repräsentativen Umfrage des Australian Institute berichteten 73 Prozent der 16- bis 17-jährigen männlichen und elf Prozent der weiblichen Jugendlichen, schon einmal Pornovideos (‘X-rated videos’) gesehen zu haben. Zufällig bzw. unabsichtlich im Internet auf pornographische Inhalte gestoßen sind 84 Prozent der Jungen und 60 Prozent der Mädchen. Gezielt im Internet aufgesucht haben solche Seiten 38 Prozent der männlichen und zwei Prozent der weiblichen Befragten (Flood / Hamilton 2003). Von 2.001 Jugendlichen in Taiwan im Alter zwischen 14 und 18 Jahren berichteten 38 Prozent, im letzten Jahr mindestens einmal eine pornographische Website aufgesucht zu haben (Lo / Wei 2005). Die Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche nach eigenen Aussagen zu einem geringeren Teil absichtlich, häufiger jedoch ungewollt mit pornographischen Angeboten im Internet in Kontakt kommen. Dabei sind die Möglichkeiten, wie sie im Internet an pornographische Inhalte gelangen können vielfältig, angefangen bei ‘normalen’ Websites mit und ohne Zugangsbeschränkung, über Links in E-Mails, über chatrooms und Instantmessages, durch Usenet-Newsgroups bis hin zum filesharing unter den Jugendlichen. Wie sich diese ‘Zugangsmöglichkeiten’ empirisch verteilen, ist mangels entsprechender Differenzierungen in den vorhandenen Untersuchungen bislang jedoch unklar. Ebenso wenig weiß man bis jetzt darüber, in welchem Ausmaß die jugendlichen Nutzer mit welchen konkreten Inhalten in Kontakt kommen. Auch hierzu gibt es bislang nur oberflächliche Differenzierungen, die meist nur zwischen ‘einfacher’ und ‘harter’ Pornographie unterscheiden. Schließlich ist weitgehend unbekannt, welche (emotionalen) Reaktionen auf Seiten der Kinder und Jugendlichen ausgelöst werden, wenn sie im Netz auf Pornographie stoßen bzw. diese gezielt aufsuchen. Vor rund neun Jahren fing es mit der Einführung des schnellen Internetzugangs und der Flatrates an, die den Zugriff auf fast alle Inhalte des WorldWideWeb in Sekundenschnelle möglich machen. Die Teenager machten sich rasch mit den neuen Technologien vertraut und so hatten Heranwachsende zum ersten Mal in der Geschichte Zugang zu Pornographie, gratis und unbegrenzt. Durch den nahezu ungehinderten Zugang zum Internet ist den Jugendlichen heute so gut wie nichts mehr fremd und sämtliche Spielarten von Sexualität und Pornographie sind ihnen geläufig. Teenager berichten freizügig von ihren Erfahrungen mit Pornos und sprechen über ihr Sexualverhalten ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Heute nimmt man an, dass beinahe jeder dritte Elfjährige bereits einen Pornofilm gesehen hat. Diese Arbeit will die ‘Generation Porno’ kennen lernen und ergründet eine Welt, die Jugendliche zuweilen geheim halten und die Erwachsenen häufig fremd ist. Von Analverkehr bis Gangbang, den Teenies ist - zumindest in der Theorie - nichts fremd. Die Dokumentation zeichnet sehr persönliche Porträts von Jugendlichen, die intime Einblicke in ihre Welt geben und erzählen, welche Pornos besonders angesagt sind und warum sie für ihren Alltag so wichtig sind. Dabei fallen auch emotionale Hüllen. Fest steht, dass Pornographie für 14-jährige mittlerweile schon zur Banalität geworden ist. Erregung und ‘Hypersexualisierung’, zuweilen aber auch Abscheu und Desillusionierung, kommen zum Ausdruck, wenn Jugendliche über Pornographie sprechen. Sind Jugendliche heute so ‘oversexed, frühreif oder gar pornographisiert’ (Esser 2007, S.13) wie es manche Medien ihnen nachsagen? Wie schwer wiegt technisches Know-how im Vergleich zur emotionalen Kompetenz? Pauschale Antworten gibt es darauf ebenso wenig, wie es ‘die Jugend’ als homogene Gruppe gibt.

Über den Autor

Heike-Rebecca Stähler wurde 1980 in Neuwied geboren. Ihr Studium der Soziologie, Psychologie und Pädagogik an der Universität Trier schloss die Autorin im Jahre 2009 mit dem akademischen Grad der Magistra Artium erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin umfassende praktische Erfahrungen in der Jugendarbeit. Heute arbeitet sie als Psychologin und Coach an Schulen sowie in ihrer eigenen Praxis. Die Einsichten in die Welt der Jugendlichen motivierten sie, sich der Thematik des vorliegenden Buches zu widmen.

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