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  • Legasthenie und sozialpädagogische Handlungsmöglichkeiten: Der Stellenwert der Sozialpädagogik im Konflikt zwischen Familie und Schule

Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 09.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 108
Abb.: 7
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Legasthenie / Lese-Rechtschreib-Schwäche…! Wo immer diese Begriffe auftauchen, entsteht Ratlosigkeit, Hilflosigkeit und eine Fülle von Vorurteilen gegenüber dem betroffenen Kind und seiner Familie. Stigmatisierung, psychische und physische Folgen gehören zu den vielfältigen Nebeneffekten, die mit dieser Thematik einhergehen. Der Gegenstand dieses Buches ist aus persönlicher Erfahrung im Umgang mit dem Phänomen Legasthenie entstanden und letztendlich aus den daraus resultierenden Fragen: Was genau ist Legasthenie? Wann wird sie zum Problem? Wie gehe ich als Sozialpädagoge mit diesem Thema um? Stößt die Sozialpädagogik hier an ihre Grenzen, oder kann sie professionelle Hilfe leisten, ohne über spezielles Wissen oder Fachkompetenzen zu diesem Thema zu verfügen? Dieses Buch gibt Aufschluss darüber, dass die Hilfsangebote für Betroffene ebenso komplex gestaltet werden müssen, wie sich das Problem selbst darstellt, und weiterhin wie wichtig eine interprofessionelle Vernetzung auf diesem Gebiet sein kann.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Ursachen: Als Ursachen werden hier die drei umfangreichsten Beschreibungen aufgegriffen, die sich in der Literatur wiederholt finden lassen. Zum einen wird davon ausgegangen, dass es einen bestimmten Prozess des Schriftspracherwerbs gibt, der fehlerhaft oder verzögert sein kann. Des Weiteren gibt es Faktoren, die in der Umwelt oder im Kind selber zu finden sind, und zum anderen können wichtige Teilfunktionen gestört sein, die zum Erlernen der Schriftsprache notwendige Voraussetzung sind. Diese drei Ursachenerklärungen werden im Folgenden dargestellt. 3.1, Der Weg des Schriftspracherwerbs: Für das Erlernen der Schriftsprache ist es wichtig zu wissen, wie der Buchstabenfolge ein Sinn entnommen wird (idealtypischer Weg des Kindes zum Schriftspracherwerb). Dieser Prozess wird von jedem Kind unterschiedlich angegangen, er dient aber zum allgemeinen Verständnis der Probleme eines Legasthenikers. Die erste Phase bildet die präliteral-symbolische Phase. Ein zentrales Element ist die Bildanschauung, wofür eine hohe Abstraktionsfähigkeit benötigt wird. Ein dreidimensionaler Gegenstand muss auf einer zweidimensionalen Bildfläche gesehen und erkannt werden. Der Gegenstand bleibt vorerst symbolisch (präliteral) und bildet ein Bindeglied zur literarischen Tätigkeit. In dieser Phase ist das Erkennen von Gegenständen auf Abbildungen, das Malen, Nachbauen usw. förderlich für das spätere Schreiben. Die zweite Phase nennt sich logographemische Phase. Hier geht es um die Unterscheidung von graphischem Material. Das Kind verbindet Buchstaben und Sprache und bildet eine Strategie aus, die es als Leseanfänger verwendet. Es merkt sich Teile von Wörtern (z. B. die Wortlänge oder besonders auffällige Buchstaben) und kann sie stückweise wieder erkennen oder erraten. In dieser Phase entsteht zudem die Wortbewusstheit. Klipcera und Gasteiger-Klipcera haben diesen Begriff geprägt. Das heißt, dass Wörter als Elemente der Sprache anerkannt und als Gegenstände betrachtet werden, die bestimmte Merkmale aufweisen. Es erfolgen erste schriftliche Versuche (Schreiben des eigenen Namens), wobei noch Buchstaben vertauscht oder weggelassen werden. Eine Orientierung am Sprechen findet nicht statt. Die dritte Phase bildet die alphabetische Phase. Das Kind vollzieht eine lautsprachliche Analyse und untersucht die Aneinanderreihung von Teilen in Wörtern und die Verschriftung der Lautfolge. Neue und unbekannte Wörter können jetzt entziffert werden, eine Zuordnung von Zeichen zu Lauten (Zeichen für ‚a’ entspricht dem Laut ‚a’) ist möglich. Das Kind liest Buchstabe für Buchstabe, macht aber noch viele Schreibfehler (zum Beispiel ‚Toa’ statt ‚Tor’). Es folgt die vierte Phase, die orthographische Phase. Jetzt kommt es zur Loslösung von der Lautsprache. Das Kind hat eine innerliche Repräsentation der Buchstabenfolge angelegt und kann komplexe Wortmerkmale erkennen (Silbenübergänge usw.). Es geht von der Verschriftlichung zum Schreiben über, kann Regeln (Groß- und Kleinschreibung usw.) anwenden und hat eine Menge von sicheren Wörtern im Grundwortschatz. Zu diesem Zeitpunkt ist das Kind etwa acht oder neun Jahre alt (Besuch der dritten oder vierten Klasse). Die fünfte und letzte Phase nennt sich integrativ-automatisierte Phase. Das Kind entwirft keine neuen Vorgehensweisen, sondern verfestigt seine orthographische Strategie und automatisiert seine Schrift. Mit Durchlaufen dieser fünf Phasen sollte der Schriftspracherwerb abgeschlossen sein. Der Übergang von der einen zur anderen Phase ist nicht eindeutig zu benennen. Meistens ist er fließend. Probleme entstehen, wenn Kinder die Schriftsprache nicht schnell genug erlernen und unter den Druck geraten, dass sie vorankommen müssen. Häufig entwickeln sie dann eine Strategie, die auf Dauer nicht funktioniert (es wird beispielsweise kein Verständnis für die Lesesynthese entwickelt). Das hat zur Folge, dass Kinder auswendig lernen und die Buchstaben weder Sinn noch Funktion für sie ergeben. Für das Kind ist dieser Prozess sehr anstrengend. Probleme in den einzelnen Phasen rufen unterschiedliche Schriftsprachprobleme hervor. Um von ihren Schwierigkeiten abzulenken, entwickeln die Kinder Ersatzstrategien, die ihnen über eine gewisse Zeit weiterhelfen. Irgendwann führen diese jedoch auf den falschen Weg, und es kommt zu Fehlerhäufungen in der Schriftsprache, die das Kind nicht aus eigener Kraft überwinden kann. 3.2, Interaktionelle Faktoren: Diese Faktoren finden sich in sämtlichen sozialen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Prozessen wieder. Verschiedene Faktoren wirken bei der Entstehung einer Legasthenie komplex zusammen. Soziale Faktoren beeinflussen maßgeblich die kognitiven und motivationalen Lernvoraussetzungen. Die Schichtzugehörigkeit, die Verfügbarkeit materieller Ressourcen und die Schulbildung der Eltern bilden die Rahmenbedingungen für das Kind. Etwa zwei Drittel der Legastheniker mit durchschnittlicher Intelligenz stammen aus sozial benachteiligten Familien (niedriger Sozialstatus, beschränkte Wohnverhältnisse, wenig Bücher und geringes Interesse der Eltern an der Schullaufbahn ihrer Kinder). Fehlt es an Fördermöglichkeiten in der Familie, kann eine Legasthenie entstehen. Jedes fünfte Kind ist ausländischer Herkunft und nicht ausreichend oder gar nicht mit der deutschen Sprache vertraut. Weiterhin wichtig sind stabile Eltern-Kind-Beziehungen, emotionale Unterstützung und die Geschwisterbeziehungen. Ein Kontakt zwischen den Eltern des Kindes und der Schule ist stets vorteilhaft. Diese sozialen Faktoren lösen nicht zwangsläufig eine Legasthenie aus, können sie jedoch begünstigen. Unter psychischen / emotionalen Faktoren wird die psychische und emotionale Konstitution des Kindes zusammengefasst. Das Kind kann von Anfang an unter Anpassungsschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten leiden, es hat möglicherweise motorische Unruhe und Probleme bei der Konzentration. Diese Faktoren können gleichermaßen Folgen einer Legasthenie sein, bilden aber auch mögliche Ursachen für eine solche. Weiterhin werden allgemeine schulische Faktoren bezeichnet. Der Unterricht wird heute nicht jedem Kind gerecht (zu große Klassen). Die Ausbildung von Lehrern ist zu wenig pädagogisch–psychologisch ausgerichtet, und es gibt wenig Zeitressourcen und ein straffes Unterrichtskontingent, das es einzuhalten gilt. Von allen Kindern – gleichwohl ihrer Individualität – wird der gleiche Lernfortschritt erwartet. Auch die Lehrer-Schüler-Interaktion hat großen Einfluss auf die Motivation und das Selbstvertrauen des Schülers. Biologische / organische Faktoren können eine anlagebedingte Leistungsschwäche mit sich bringen. Damit ist zum Beispiel die Vererbung von Anlagen gemeint, die ein erhöhtes Legasthenie-Risiko mit sich bringen. Solche Faktoren können unter anderem hirnorganische Schädigungen oder genetische Einflüsse (defekte Chromosomen, die die Gene für das Erlernen des Lesens und Schreibens enthalten) sein. Weiter kann die visuelle, sprachliche und akustische Informationsverarbeitung im Zentralen Nervensystem angegriffen oder beschädigt sein. Auch Lebenswelt und Fernsehen stellen in der heutigen Zeit Faktoren dar, die eine Legasthenie begünstigen können. Durch die Pluralisierung der Lebenswelten, die zunehmende Individualisierung und Vergesellschaftung gibt es immer weniger Spielmöglichkeiten. Traditionen gehen verloren, Freizeit wird häufig mit Aktivitäten verplant oder ist langweilig und wird vor dem Fernseher oder Computer verbracht. Übermäßiger Fernsehkonsum beeinträchtigt die Motorik, die Seh- und Hörfähigkeit, das emotionale und soziale Verhalten und die Wahrnehmungsentwicklung. Alle umschriebenen Faktoren sind nicht isoliert zu betrachten, sondern spielen eine gemeinsame Rolle. Legasthenie ist also eine strukturelle Lernstörung, die von verschiedenen Wirkungsgrößen verursacht wird.

Über den Autor

Christin Riegel wurde 1980 in Haselünne geboren. Ihr Studium der Erziehungswissenschaften an der Universität in Vechta schloss die Autorin im Jahre 2006 mit dem Diplom erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin umfassende praktische Erfahrungen in der Heimerziehung (Vechta), der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen (Vechta) und im Bereich der Sozialpädagogischen Familienhilfe (Vechta). Fasziniert von der systemischen Denkweise mit ihren umfassenden Methoden und Ansätzen, arbeitet die Autorin auch heute noch in der Familienhilfe und ist im Rahmen des ambulanten Dienstes in mehreren Landkreisen unterwegs, um Familien aufzusuchen und in ihren Kontexten individuell und systemisch zu beraten.

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