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Sozialwissenschaften


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Produktart: Buch
Verlag: Bachelor + Master Publishing
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 36
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Religiöser Pluralismus in Europa ist eine Erscheinung nicht erst der letzten Jahrzehnte, sondern der letzten Jahrhunderte. Seit dem Frühen Mittelalter befinden sich die monotheistischen Religionen Christentum und Islam in Konflikten, die von Eroberung, Am 29.11.2009 wurde die Minarettinitiative von Volk und Ständen deutlich angenommen. Die BV wurde daraufhin um Art. 72 Abs. 3 ergänzt, der den Bau neuer Minarette untersagt. Nach der Abstimmung wurde die im Vorfeld geführte kontroverse Diskussion weiterverfolgt. Debattiert wird darüber, ob die Initiative zur Abstimmung hätte zugelassen werden dürfen, welche Bedeutung und Auswirkungen die Annahme haben wird und ob das Verbot im Rahmen der verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Bestimmungen überhaupt umsetzbar ist. Für die Baugesuchsteller bleibt vorerst nur der Weg durch die Instanzen bis zum Bundesgericht. Anschliessend wäre eine Klageeinreichung beim EGMR möglich. Da bis zur Entscheidungsfindung mehrere Jahre verstreichen könnten, formulierten die Rechtsprofessoren Jörg Paul Müller und Daniel Thürer im Dezember 2009 bereits einen Verfassungstext, der Art. 15 BV ergänzen und Art. 72 Abs. 3 BV ersetzen soll. Den Grund für das unverzügliche Handeln sehen Müller/Thürer in der Verletzung der Religionsfreiheit und der Diskriminierung von Muslimen durch den neuen Verfassungsartikel, der im Widerspruch zu BV und EMRK stünde. Mittels einer neuen Initiative zugunsten ihres sogenannten Toleranzartikels könne das Ansehen der Schweiz im In- und Ausland wieder gesteigert und Schaden abgewandt werden. In der vorliegenden Studie werden der Inhalt und die möglichen Auswirkungen der von Müller und Thürer vorgeschlagenen Aufnahme eines Toleranzartikels in die Bundesverfassung im Austausch für das Minarettverbot in Art. 72 Abs. 3 BV analysiert. Dabei werden zunächst der unmittelbare Auslöser für den Vorschlag (die Minarettabstimmung) und die gesetzliche Ausprägung der Religions- und Diskriminierungsfreiheit in der Schweiz vor dem Hintergrund offizieller Neutralität und Toleranz kurz geschildert. Daraufhin werden die einzelnen Elemente des Artikeltextes mithilfe der juristischen Auslegungsmethoden kritisch analysiert. Es wird untersucht, in welchen Konstellationen die im Toleranzartikel genannten Elemente, wie rituelle Kleidung, Symbole, Kundgebungen und Bauwerke, in der Praxis auftreten und Diskussionsbedarf hervorrufen können und wie bislang damit umgegangen wurde. Es folgen Überlegungen zur Durchsetzbarkeit des geltenden Minarettverbots auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten und den möglichen Folgen, zum Minderheitenschutz und zum Wesen der Demokratie. Abschließend findet eine gesamthafte Beurteilung der Sinnhaftigkeit des Toleranzartikels aus juristischer und nichtjuristischer Sicht statt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.3., Inhalt und Auslegung des Toleranzartikels: Der Artikeltext des von MÜLLER/THÜRER vorgeschlagenen Toleranzartikels lautet: ‘Die Religionsgemeinschaften nehmen in ihrer Darstellung im öffentlichen Raum, etwa mit Gebäuden, Aufrufen, Kleidervorschriften für ihre Mitglieder oder Symbolen, auf einander und auf das Empfinden und das Wohl der übrigen Bevölkerung Rücksicht. Sie vermeiden ein bedrängendes Auftreten und tragen zu einem von Toleranz getragenen Zusammenleben bei. Sie fügen sich in ihrem Wirken in die Anforderungen einer demokratischen Gesellschaft ein und respektieren die Menschenrechte aller.’ Er soll als Absatz 5 dem Art. 15 BV angehängt werden. Vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrungen mit religiösen Kriegen, die schliesslich vielfach in verbriefte Toleranz mündeten, trägt der Vorschlag dem Gedanken Rechnung, dass ein friedliches Zusammenleben verschiedener Religionsgemeinschaften nur bei gegenseitigem Respekt und Toleranz möglich ist. Die Gefahr der Eskalation wäre laut MÜLLER/THÜRER angesichts der heutigen Waffenvorräte zu gross. Der Vorschlag weist gemäss Kommentar von MÜLLER/THÜRER drei Dimensionen auf: der erste Absatz widmet sich dem allgemeinverträglichen Auftreten der Religionsgemeinschaften. Der erste Teil des zweiten Satzes bezieht sich auf religiös bedingte Aktivitäten wie z.B. aggressives Missionieren, die Geltendmachung von Machtansprüchen und das Tragen von angsteinflössender Kleidung. Der letzte Teil zielt auf die innere Haltung der Angehörigen der Religionsgemeinschaften ab. Die Aufrechterhaltung einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft sollte das Ziel von allen Bürgern sein. Hier nehmen MÜLLER/THÜRER auf die indirekte Drittwirkung von Grundrechten gemäss Art. 35 BV Bezug. MÜLLER/THÜRER fordern im ersten Satz ihres Artikels zur Rücksichtnahme bei der Darstellung von Gebäuden, Aufrufen und Kleidervorschriften im öffentlichen Raum auf. Das Errichten von Gotteshäusern, seien es Kirchen, Moscheen, Tempel oder Synagogen, Aufrufe zum Gottesdienst mittels Kirchenglocken oder Muezzin, das Tragen religiös bedingter Kleidung wie Kopftuch, Priestersoutane, oder Burka oder des Kreuzsymbols gehören zur Kultusfreiheit (Art. 15 Abs. 2 BV und Art. 9 Abs. 1 EMRK). Auch Prozessionen, Gebete oder rituelle Handlungen sind Ausdruck davon. In BV 15 manifestiert sich vor allem eine Abwehrfunktion dem Staat gegenüber, der die Ausübung des religiösen Glaubens dulden und ungerechtfertigte Eingriffe zu unterlassen hat. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit verpflichtet den Staat nur beschränkt dazu, dem Einzelnen durch aktives Tun die Ausübung dieser Freiheiten zu ermöglichen oder zu erleichtern. Ein solcher Anspruch auf staatliche Leistungen könnte bestehen, wenn polizeilicher Schutz für eine zulässige Religionsausübung erforderlich wäre oder die Durchführung einer Kultushandlung einen gesteigerten Gemeingebrauch öffentlichen Grundes voraussetzt. Vorrangig schützt die Glaubens- und Gewissensfreiheit vor staatlichem Zwang, einer bestimmten Glaubensge-meinschaft anzugehören oder nicht anzugehören, sie verpflichtet den Staat darüber hinaus zu religiöser und konfessioneller Neutralität. Dieses Gebot wurde vom Bundesgericht im Fall einer zum Islam konvertierten, in einer öffentlichen Schule tätigen Genfer Primarlehrerin gegenüber der Religionsfreiheit stärker gewichtet. Begründet wurde dies mit dem geringen Alter der Schüler sowie der engen Beziehung der Schüler zur Lehrperson in einer Primarschule. Der Entscheid wurde vom EGMR bestätigt, mit der Begründung, dass das Kopftuch ein deutliches Zeichen der Geschlechterungleichheit ist. Für Schülerinnen gilt dieses Verbot nicht. In ihrem Kommentar schreiben MÜLLER/THÜRER, dass mit Rücksichtnahme gemeint ist, es solle sich jeder wohlfühlen können. Der Begriff Rücksichtnahme drückt aus, sich bei der Durchsetzung seiner Interessen zurückzunehmen und sich in die Position des anderen hineinzuversetzen, es suggeriert also den Verzicht auf etwas zum Wohle der anderen. Nach allgemeinem Verständnis wäre eher Rücksichtnahme einer Minderheit gegenüber einer Mehrheit zu erwarten, vor allem wenn die Mehrheit die Rituale einer schon seit Jahrhunderten gelebten Tradition pflegt. Demnach müssten sich Muslime oder Angehörige anderer Religionsgemeinschaften bzw. Nichtgläubige gegenüber Christen zurücknehmen. Das Tragen von religiöser Kleidung oder Symbolen in der Öffentlichkeit kann bei Angehörigen anderer Glaubensrichtungen oder Atheisten zwar Missfallen auslösen, solange die religiös gekleidete Person aber keine hoheitlichen Handlungen vornimmt, also z.B. an einer öffentlichen Schule unterrichtet, gibt es für die Betrachter bislang keine Handhabe dagegen. Vor allem bei Angehörigen der Mehrheitsreligion ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine Gruppe vollverschleierter Frauen oder in der Öffentlichkeit betende Muslime beängstigend wirken können. Diejenigen, die sich gestört fühlen, könnten die Religiösen zwar auffordern, Rücksicht auf die anderen zu nehmen, den Anspruch durchsetzen könnte aber nur der Staat in Form einer Grundrechtseinschränkung unter den Vorausset-zungen von Art. 36 BV. Mit dem ersten Teil des zweiten Satzes ihres Vorschlags ‘Sie vermeiden ein bedrängendes Auftreten’ sind gemäss MÜLLER/THÜRER aggressives Missionieren, die Kundgabe eigener religiöser Riten oder Machtansprüche im öffentlichen Raum, das Tragen von potentiell angsteinflössender Kleidung und das Errichten von imposanten und demonstrativen, über den religiösen Zweck hinausgehenden Bauwerken gemeint. Hier benennen MÜLLER/THÜRER einige der in der Diskussion zum Islam dominierenden Aspekte, also Minarette, Burkas, Indoktrinierung, Macht- und Herrschaftsansprüche. Das Bauen von Gebetshäusern, Missionieren und Verschleie-rung sind aber gerade Ausdruck der Kultusfreiheit. Eine Bestrafung wegen aufdringlichen Missionierens, sogenanntem Proselytismus, wurde vom EGMR als zulässig betrachtet, wenn sie darauf abzielt, die Rechte der anderen zu wahren und wenn sie verhältnismässig ist. Das Tragen eines Kopftuchs im öffentlichen Raum wurde vom Bundesgericht als Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses gewertet, das zu keiner Diskriminierung führen darf, es sei denn, es käme darin unter Berücksichtigung der konkreten Umstände eine Haltung zum Ausdruck, die mit den grundlegenden rechtsstaatlichen und demokratischen Wertvorstellungen der Schweiz im Widerspruch stünde. Zum Tragen von Burkas oder Niqabs gibt es noch keine einschlägige Rechtsprechung, da in der Schweiz noch keine akuten Probleme damit auftraten.

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