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Soziologie

Elke Schallmey

Der Arbeitsmarkt im Freien Fall des Shareholder Value: Die Handelsware Mensch

ISBN: 978-3-8428-9736-6

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

‘Dies ist ein guter Tag für die Arbeitslosen in Deutschland’. Mit diesem Satz verkündete der ehemalige VW-Manager Peter Hartz die historische Wende in der deutschen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik im französischen Dom in Berlin. Bewusst wurde eine prunkvolle Kulisse für die Präsentation der IV. Stufe der sogenannten Hartz-Reform, die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe (Hartz IV), gewählt. Die Hartz-IV-Reform löste eine beispiellose Klageflut in der Geschichte der BRD vor den deutschen Sozialgerichten aus, die bis heute als unvereinbar mit dem Grundgesetz der BRD empfunden wird. Deutschland sollte wettbewerbsfähig gemacht werden für den globalisierten Arbeitsmarkt, um mit Wirtschaftsgiganten, wie den USA, China sowie dem Rest der außereuropäischen westlichen Welt, die keine oder nur wenige Sozialstandards haben, konkurrieren zu können, so die Begründung der Politiker. Dass es sich in Wahrheit um eine grundlegende Änderung der Sozial- und Wirtschaftspolitik handelt, die weder die Arbeitslosigkeit senkt, noch das Leben der Menschen verbessert, wurde den Bürgern in diesem Land weitestgehend verschwiegen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5, Die Arbeitsmarktreform der Regierung Schröder: 5.1, Shareholder Value - das Schröder-Blair-Papier: Es ist ersichtlich geworden, dass ein Paradigmenwechsel in der deutschen Politik bereits mit dem Ende des Bretton-Wood-Systems stattgefunden hat. Die sogenannten Reagonomics, als neuer Begriff für neoklassische Thesen, wurden zunächst in der CDU/CSU und vor allen Dingen in der FDP populär. Nunmehr entsprach es dem wirtschaftspolitischen Mainstream dieser Parteien, ihre Stimme nicht mehr für einen Wohlfahrtsstaat zu erheben. Die Vertreter der sozialdemokratischen Partei sowie Gewerkschaften wurden zu Getriebenen der sogenannten christlichen Parteien (CDU/CSU) und der Freien Demokraten (FDP). Die Mitglieder des Sachverständigenrates der BRD bereiteten durch ihre Jahresgutachten bereits in den 70iger Jahren Schritt für Schritt den Nährboden für eine neoklassisch-wirtschaftsliberale Politik. Mit der Regierungsübernahme durch eine Rot/Grüne Koalition unter Führung von Bundeskanzler Schröder kam es zum Bruch mit den bisher vertretenen sozialdemokratischen Werten. In dem im Juni 1999 verfassten Schröder-Blair-Papier heißt es u.a.: ‘In der Vergangenheit haben Sozialdemokraten oft den Eindruck erweckt, Wachstum und eine hohe Beschäftigungsquote ließen sich durch eine erfolgreiche Steuerung der Nachfrage allein erreichen. Moderne Sozialdemokraten erkennen an, dass eine angebotsorientierte Politik eine zentrale und komplementäre Rolle zu spielen hat. Weiter heißt es in diesem Papier, dass sich soziale Gerechtigkeit nicht an der Höhe der öffentlichen Ausgaben messen ließe. Der wirkliche Test für die Gesellschaft würde darin bestehen, wie effizient diese Ausgaben genutzt werden und inwieweit sie die Menschen in die Lage versetzen, sich selbst zu helfen. Die Ansicht, dass der Staat schädliches Marktversagen korrigieren müsse, wurde verworfen, weil dies allzu oft zur überproportionalen Ausweitung von Verwaltung und Bürokratie führen würde. Nunmehr wurde von Pflichten, statt von Rechten gesprochen. Angeblich wurde die Arbeit mit zu hohen Kosten belastet usw. Ganz im Sinne der ‘Rationalen Erwartungen’ der Neoklassiker, sprach man von einem wirklichen Test für die Gesellschaft, wie effizient diese Ausgaben genutzt werden und inwieweit sie die Menschen in die Lage versetzen, sich selbst zu helfen. Dieses Papier liest sich wie ein Dokument aus dem Leben des englischen Schriftstellers Charles Dickens (1812 - 1870), dessen Vater die große Familie aufgrund der höheren Lebenshaltungskosten in der britischen Hauptstadt im 19. Jh. Nicht mehr ernähren konnte und in das ‘Schuldgefängnis’ von London kam. Seine Erfahrungen in dieser Lagerhalle inspirierten ihn zu einigen Passagen in David Copperfield oder Oliver Twist, in dem Dickens die gesellschaftlichen Missstände der damaligen Zeit anprangerte. Die Armen und Kranken erscheinen als Aussätzige in einer Welt der Stärkeren und gesellschaftlich Höhergestellten. Dies lässt uns irgendwie an die heutigen politischen Verhältnisse erinnern, deren Tendenzen stark in diese Richtung gehen. Tony Blair, der aus gutbürgerlichen Kreisen kam und ausgerechnet Gerhard Schröder, ein Unterschichtenkind, dem der deutsche Sozialstaat (in seiner Hochphase) eine Chance gab, sprachen nun davon, dass Sozialleistungen gekürzt und Zahlungen für Ältere beschnitten werden müssen. Die Geschichten des englischen Literaten Dickens dürften ihnen bekannt sein. Der Inhalt dieser Geschichten war es, dass solche gesellschaftspolitischen Verhältnisse niemals mehr die Politik und damit das Leben der Menschen beherrschen sollten. Unter dem Damoklesschwert von Schuld und Sühne wurden Leistungskürzungen in Deutschland unter einer sozialdemokratischen und ‘Grünen’ Partei, gerechtfertigt. Der damalige Arbeitsminister Clement (SPD) listete im Jahr 2005, nach Inkrafttreten der ‘Reform’, in einem von ihm verfassten Report unter dem Titel ‘Vorrang für die Anständigen: Gegen Missbrauch, ‘Abzocke’ und ‘Selbstbedienung im Sozialstaat’, Beispiele für Missbrauch auf und schildert Gegenmaßnahmen. Sinngemäß: ‘Arbeitslose sind Parasiten’. Immerhin: eine Abgeordnete der Grünen (Dückert) hatte sich dagegen verwahrt und diese ungeheuerlichen Thesen an die Öffentlichkeit gebracht (Financial Times: 17.10.2005 - Grünen Politikerin, attackiert Clement-Broschüre). Sie bezeichnete diese Thesen als ‘Steilvorlage für eine billige Hetze gegen Leistungsbezieher’. In der Broschüre ist von ‘Parasiten’ und ‘Abzocke’ im Sozialstaat die Rede. ‘Wer essen will, muss arbeiten’ wurde durch den ehemaligen Sozialminister Müntefering über die Medien verkündet. Ein Spruch, der Leitgedanke der Stalinverfassung war. Im Übrigen eine altbiblische Bemerkung, die gerne von fundamentalistischen religiösen Gruppen belegt ist und mit unseren Grundwerten unvereinbar sein sollte. 5.2, Die Hartz-Kommission: Bevor ein ‘Statistikskandal” im Februar 2002 des Bundesrechnungshofes zum Anlass für eine Reform der Bundesanstalt für Arbeit genommen wurde, wurde die Entsolidarisierung der Gesellschaft durch den Bundeskanzler der Rot/Grünen Regierung (1998 bis 2005) mit folgenden Bemerkungen über Arbeitslose eingeleitet: ‘Es gibt kein Recht auf Faulheit in dieser Gesellschaft’ und ‘wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen.’ Mit diesen Aussprüchen wollte er künftige Reformen in Gesellschaft und Politik mehrheitsfähig machen. Allerdings fand und findet das Sozialversicherungssystem damals wie heute, in der Bevölkerung eine hohe Zustimmung, wie Untersuchungen zeigten. Es wurde als richtig angesehen, dass der Staat in der Verantwortung für die Absicherung des Lebensunterhalts im Falle der Arbeitslosigkeit gesehen wurde. Die Mehrheit der Bevölkerung reagierte eher befremdet auf die o.g. Aussprüche von Schröder und wendete sich zu diesem Zeitpunkt bereits innerlich von der SPD ab. Nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurden ca. 16 Millionen Menschen aus der ehemaligen DDR in die BRD und damit in die Sozialversicherungssysteme eingegliedert. Das Arbeitslosengeld verlor zunehmend an Bedeutung damit auch die Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. In der ehemaligen DDR gab es offiziell keine Arbeitslosigkeit und damit auch keine Arbeitslosenunterstützung. Ehemalige Bürger der DDR, die von heute auf morgen als gesamtdeutsche Politiker in etablierten Parteien auftraten, konnten nur wenig Verständnis für die Arbeitslosen-versicherung aufbringen. In der DDR herrschte Arbeitspflicht, (ein paritätisches Sozialversicherungssystem, wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleich viel einzahlten, um die Risiken der Arbeitnehmer abzusichern, gibt es in einer kommunistischen Planwirtschaft nicht - auch nicht in einer freien Marktwirtschaft). In mehreren Stufen wurden Verkürzungen der Anspruchszeiten auf Arbeitslosengeld sowie Einschränkungen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe ab 1998 vorgenommen. Durch diese Verkürzungen der Bezugsdauer bei Arbeitslosengeld und Verringerung der Leistungsberechtigten für Arbeitslosenhilfe nahm die Zahl der Sozialhilfeempfänger, deren Hilfsbedürftigkeit auf Arbeitslosigkeit beruhte, immer mehr zu. Die Haushaltsbelastungen der Kommunen waren zugunsten des Bundesetats erdrückend. Die Sozialhilfe verlor zunehmend ihren Charakter der Hilfe in individuellen Ausnahmesituationen und wurde zu einer allgemeinen Grundsicherung. Eilig wurde im Februar 2002 die Kommission: ‘Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt’ unter Leitung des ehemaligen Vorstandsmitglieds der Volkswagen AG, Dr. Peter Hartz, ins Leben gerufen die, auch als ‘Hartz-Kommission’ bekannt geworden. Die Kommission nahm am 6. März 2002 ihre Arbeit auf. Von der Rot/Grünen Bundesregierung hatte sie den Auftrag erhalten, die Bundesanstalt für Arbeit zu einer modernen Dienstleistungseinrichtung umzubauen. Von nun ab wurden in der Öffentlichkeit ausschließlich die Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmervertreter herabgewürdigt. Ihre Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen wurden umgekehrt zugunsten der Arbeitgebervertreter: ‘Ohne unpopuläre Maßnahmen ist das Problem der Arbeitslosigkeit nicht zu lösen. Wer den Arbeitsmarkt in Deutschland wirklich wieder in Schwung bringen will, muss auch das Arbeitsrecht entschlacken und die gesetzlichen Rahmenbedingungen vor allem für die mittelständischen Unternehmen verbessern.’ (vgl. Hundt 2002). Die Kommission tagte sechs Monate und legte am 16. August 2002 ihren Bericht zur Reform des deutschen Arbeitsmarktes vor. Der Bericht enthielt Maßnahmen zur Reform der Bundesanstalt für Arbeit, sowie Ansätze zur Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. Desweiteren wurde die Deregulierung der Zeitarbeit vorgeschlagen, die seit Jahren umstritten war und von den Arbeitnehmervertretern im Namen ihrer Mitglieder sowie dem Großteil der arbeitsfähigen Bevölkerung abgelehnt wurde. Zeitarbeit, bzw. das Verleihen von arbeitsfähigen Menschen wird nach wie vor als Ausbeutung und Ausgrenzung gesehen und löst damals Angst und Schrecken aus. Nach den Ratschlägen der Kommission besteht eine Verpflichtung, jede Arbeit anzunehmen. Deutschland wurde im Rahmen dieser Kommissionsarbeit europaweit als gefesselter Riese am Boden bezeichnet, weil die Tarifpartner mit Hilfe der Politik ein dichtes Netz von Regulierungen gewoben hätten. Der Kommissionsleiter Dr. Peter Hartz erklärte am 29. April 2002: ‘ … dass ein entscheidendes Ergebnis der Kommissionsarbeit die Rückführung der Arbeitslosigkeit auf das volkswirtschaftliche Niveau der Vollbeschäftigung sein müsse’.64 Nunmehr wollte Hartz nicht nur moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt schaffen, sondern darüber hinaus auch Vorschläge zur Erreichung von Vollbeschäftigung erarbeiten. Um die gesteckten Ziele der Kommission zu erreichen beschlossen die Kommissionsmitglieder am 22. März 2002, dass eine Vielzahl von Experten und Benchmarking eingebunden wurden. In Deutschland sowie in den europäischen Nachbarländern wurden nach Erfolgsbeispielen gesucht (Peter Hartz wird in ganz Europa fündig FAZ 16.08.2002). Von der Bertelsmannstiftung wurden Reisen in verschiedene Länder organisiert.

Über den Autor

Elke Schallmey, Bachelor of Arts, ist in Wiesbaden geboren.

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