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Soziologie

Elisabeth Mandl

Reisesucht: Die Zukunft des Reisens in Zeiten virtueller Mobilität

ISBN: 978-3-8428-8674-2

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Arbeitsweg von rund eineinhalb Millionen Deutschen beträgt mehr als 50 Kilometer. Bis zu zweieinhalb Stunden Fahrzeit täglich sind laut Bundesagentur für Arbeit für Pendler zumutbar. Auch Geschäftsreisende befinden sich stets auf dem Weg, auf dem Sprung, auf der Durchreise. Mit der Eisenbahn, dem Schiff, dem Automobil und dem Flugzeug wurden Transportmittel konstruiert, deren technische Beschleunigung sowie infrastrukturelle Vernetzung dem Menschen viele Möglichkeiten geben, Distanzen zu überwinden und sich im physischen Raum fortzubewegen. Telekommunikationsmittel wie das Telefon und das Internet ermöglichen es zudem, virtuell an den entferntesten Orten präsent zu sein. Das Verkehrs- und das Kommunikationssystem machen sich die modernen Nomaden zunutze, wenn sie auf dem Weg zum Geschäftstermin den Globus umrunden. Sie alle, die auf dem täglichen Weg ins Büro einen Check-in Schalter oder Ländergrenzen passieren und für einen vielversprechenden Job ihre gewohnte Umgebung häufig wechseln, werden unter der Metapher der modernen Nomaden gefasst. Sie reisen in den modernsten Verkehrsmitteln um die Welt: heute Frankfurt, morgen New York, übermorgen Shanghai und am Wochenende wieder zurück. Immer mit dabei sind Kommunikationsmittel wie Laptop und Smartphone, um Mobilität auf allen Ebenen zu garantieren. Sie sind die modernen Nomaden im Rausch der Mobilität. Ihre Sucht nach ständiger physischer und virtueller Präsenz – ihre Reisesucht – wird Gegenstand dieses Buches sein. In der medienwissenschaftlichen Untersuchung wird ein Umriss des Nomadischen in seinen vielfältigen Facetten gezeichnet, um den flüchtigen Eindruck eines Begriffs zu schärfen, der sich jeder Definition entzieht. Dies gelingt durch Gegensatzpaare und somit der Abgrenzung vom Außen, vom Sesshaften. Auch wird die Beziehung der dem Nomaden immanenten Mobilitätssysteme zueinander analysiert – der Zusammenhang zwischen Verkehr und Kommunikation. Die grundlegende Fragestellung ist dabei, warum der moderne Nomade weiterhin physisch mobil bleibt und sich nicht mit seinem Rechner auf der heimischen Couch ins Virtuelle zurückzieht. Was führt dazu, dass sich die Reisesucht nicht ersetzen lässt? Als das ausbleibende Moment des Virtuellen werden die Spaltung des Raums und des Körpers, vor allem aber die Haptik und die Aura, die Einmaligkeit voraussetzt, herausgearbeitet. Der virtuelle Raum stellt eine Erweiterung, ein Medium des physischen dar. Der Unersetzbarkeit der physischen Mobilität wird die These vom menschlichen Bedürfnis nach ‚Medienlosigkeit? zugrundegelegt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Das Physische und das Virtuelle: 4.1, Die Mobilität ist tot, es lebe die Telekommunikation! : Nachdem im vorherigen Teil das Nomadische äußerlich von seinem Anderem – dem Sesshaften, abgegrenzt wurde, gilt es nun das Innere des Nomadischen zu untersuchen. Es fußt sowohl auf dem System Verkehr und damit der physischen Mobilität sowie dem System der Informations- und Kommunikationstechnologien, also der virtuellen Mobilität. Wie verhalten sich diese beiden Systeme zueinander? In welchem Wechselverhältnis stehen sie und wie können sie trotz etwaiger Differenzen ein Ganzes, im Sinne der Nomadenmetapher erzeugen? 4.1.1, Die Substitutionsthese: Bei Stau auf der Autobahn empfehlen wir, auf den Data Highway auszuweichen , lautete ein Werbespruch der Deutschen Telekom. Die Idee dahinter: Wo Fahrzeuge zu Immobilien oder Sitzgelegenheiten degradiert werden, hat das System Verkehr und damit die physische Fortbewegung ausgedient. Wenn die ganze Welt mobil sein möchte, kollabiert die Reisesucht und alle warten in der Schlange am Check-in-Schalter oder eben im Stau auf der Autobahn. Die physische Mobilität durch die virtuelle zumindest teilweise zu ersetzen, ist eine Hoffnung, die sich in der Substitutionsthese beschreibt. Das Extrem dieser These bilden der von Paul Virilio prognostizierte Rasende Stillstand sowie das Konzept der virtuellen Stadt Telepolis von Florian Rötzer. Die wichtigsten ihrer später zu diskutierenden Gedanken sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. 4.1.1.1, Virilios Rasender Stillstand: Die zentrale Idee Virilios apokalyptisch anmutender Theorie vom Rasenden Stillstand, die im Großteil seiner Literatur auftaucht, ist die Tendenz des Stillstehens, die in naher Zukunft zum Zustand einer definitiven und ultimativen Sesshaftigkeit führen wird. Seine zentrale These umfasst das Ersetzen der Mobilität im Raum durch das Bewegungsvermögen auf der Stelle. Dies führe zur Reise ohne Reise, Fortbewegung ohne Fortbewegung, zum Passagier ohne Passage. Nach der ersten städtischen Sesshaftmachung der neolithischen Revolution und den Transportmitteln der europäischen Moderne, in denen der Mensch nur noch sitzt, sieht Virilio die häusliche Telepräsenz als letztes statisches Vehikel an, dass das Ziel der Zivilisation, den endgültigen Stillstand, bewirkt. Im Zuge dessen sei das Trajekt, als zurückgelegte Strecke zwischen Subjekt und Objekt, in Vergessenheit geraten. Es gelte, keinen Weg mehr zurückzulegen, da der zuerst mobile, dann automobile und nun motile Mensch über den Bildschirm sehen, hören und sogar handeln könne. Jener kokonisiere sich vor ihm, seiner allumfassenden Prothese: Die Auslöschung des unmittelbar Gegenwärtigen setzt damit notwendig die Beseitigung der Mobilität des Fernsehzuschauers im Raum zugunsten einer schlichten Motilität (=Beweglichkeit) auf der Stelle voraus, die weniger einen Präsenten als einen Patienten isoliert: er wird von der aktiven sinnlichen Erfahrung des ihn umgebenden Raums endgültig abgeschottet und stattdessen allein auf die wiederkehrenden Bildwelten verwiesen, anders gesagt: er verfällt der Trägheit seines Körpers, dem interaktiven corps à corps. Den Übergang vom physischen zum virtuellen Raum sieht Virilio als eine Ablösung und als eine mediale Zäsur. Er wirft damit die Frage auf, bis wann sich der Mensch tatsächlich noch bewegen wird. 4.1.1.2, Rötzers Telepolis: Florian Rötzer vertritt ebenfalls die Auffassung, dass der virtuelle Raum den physischen ablöst. Für ihn symbolisiert sich dieser Prozess nicht durch einen Stillstand, sondern durch die Stadt der Zukunft, die Telepolis, in der virtuelle Körper etwas gestalten, sich bewegen und handeln wie in der realen Umgebung. Der physische Körper allein reiche nicht mehr aus. Der Mensch müsse folglich lernen, sich zu erweitern, seine Haut, seine Sinne, seine Gliedmaßen über den Globus auszudehnen und an zwei Orten gleichzeitig zu sein , seinen Körper also vollständig durch Prothesen zu stützen und sich in einen Cyborg zu verwandeln. Dass das Haus nicht mehr verlassen werden muss, sei das zentrale Charakteristikum des neuen Mediums der Telekommunikation. Der Ersatz des realen Raums, der virtuelle Raum, lokalisiert sich Rötzer zufolge nicht mehr geographisch sondern vielmehr im Ortlosen, er löst sich von einer bestimmten räumlichen Verankerung und schließlich auch von der physischen Präsenz der Körper. Der Nomade würde laut dieser beiden Theorien wieder wie nach dem Neolithikum sesshaft sein, allerdings nur körperlich. Geistig und im Netz wäre er weiterhin mobil. Da Literatur immer im Kontext ihrer Entstehung gelesen werden sollte, ist es offensichtlich, dass der Forschungsstand - Thema Mobilität – gegenwärtig vor allem seit der Verbreitung des Internets fortgeschrittener ist als in den 1980er bzw. 1990er Jahren. Dennoch tauchen Vorstellungen, die die Substitutionsthese unterstützen, immer wieder auf. Wenn der moderne Nomade von überall aus arbeiten kann, warum tut er es dann nicht von zuhause, verzichtet auf physische Mobilität und wird im Virtuellen sesshaft? Im folgenden Kapitel soll dieser Frage nachgegangen werden. Gleichzeitig soll widerlegt werden, dass sich Medien gegenseitig ersetzen und dem Menschen die Tendenz zur endgültigen Sesshaftigkeit immanent ist. 4.1.2, Die Komplementaritätsthese: Aus logistischer und ökologischer Sicht ist der Gedanke, den Verkehr auf den Straßen zu reduzieren und in den Cyberspace zu verlagern, durchaus rationaler und logisch nachvollziehbar. Die Verteilung der Arbeit vom Büro an die Menschen in den einzelnen Wohnungen würde zur Vermeidung überflüssiger Mobilität führen und findet im Phänomen der Telearbeit schon teilweise Anwendung. Doch die totale Demobilisierung der Arbeits- und Lebenswelt gestaltet sich, wie im Folgenden belegt wird, als problematisch. Es ist zum jetzigen Stand der Forschung klar, dass die Substitutionsthese nicht zutrifft. Im Gegenteil, es wird sogar mehr physische Mobilität durch virtuelle geschaffen. Aus den Untersuchungsergebnissen des Instituts für Mobilitätsforschung zu den Auswirkungen der virtuellen auf die physische Mobilität geht hervor, dass Wegeentlastung für den einen Bereich (z.B. der Arbeit) zu einer vermehrten Wegebelastung anderer Bereiche (z.B. der Freizeit) führt. Durch die immer entfernungsintensivere Freizeitgestaltung des Menschen, erweitere sich sein Bewegungsraum so sehr, dass damit die Verkehrsreduktion, die durch das Prinzip der Telearbeit erreicht wird, kompensiert wird. Das Phänomen, dass jede technische Ressourceneinsparung bisher durch vermehrte Aktivität der Menschen wieder aufgezehrt wurde, beschreibt sich im sogenannten Rebound-Effekt. Als Beispiel soll hier die menschliche Kommunikation dienen, deren vollständige Virtualisierung nicht gelingen kann. Das Internet bringt zwar eigene Kommunikationsräume hervor und schafft neue soziale Räume, allerdings sind soziale Beziehungen [...] in der Regel physikalisch räumlich rückgebundene Beziehungen” . Die Kommunikation in den virtuellen Raum zu verlagern, reduziert folglich nicht den physischen Verkehr. Vielmehr führen die neuen Möglichkeiten der Telekommunikation dazu, dass Beziehungen über weite Distanzen gepflegt werden können und sich der Radius der Geschäfte sowie der privaten Kontakte erweitert. Neue und weiter entfernt liegende Kontakte führen zu häufigeren und längeren Flugreisen, also erhöhter physischer Mobilität. Auch andersherum ist eher eine Mobilitätsschaffung als eine Mobilitätsreduzierung erkennbar: Bei physischem Unterwegssein und damit verbundener Abwesenheit vom Wohnort wird sich dem System der Telekommunikation bedient, um Beziehungen in der Heimat aufrechtzuerhalten. Statt vom Paradigma des virtuellen Raumes oder der VR (virtual reality), in der alle Arbeit nur virtuell geschieht und der physikalische Raum überflüssig wird, kann demnach eher vom erweiterten Raum, der AR (augmented reality) gesprochen werden. Durch die Erweiterung des Raumes mit zusätzlichen Informationen wird der Mensch bei der Arbeit im physikalischen Raum unterstützt. Die Szenarien von Virilio und Rötzer, bei denen der Cyborg auf seinem Sitz durch den virtuellen Raum reist, wird durch das Bildnis vom modernen Nomaden, der am Flughafen oder jedem anderen beliebigen Ort seine E-Mails über sein Smartphone abruft und sich damit sowohl dem Verkehrs- als auch dem Kommunikationssystem bedient, ersetzt. Die virtuelle Mobilität ist somit nicht als Konkurrenzsystem, sondern als Erweiterung der menschlichen Bewegung und ihrer Möglichkeiten zu sehen. Die Präsenz im physischen Raum wird genauso wenig ersetzt, wie ein neues Medium ein älteres nicht verdrängt. Der virtuelle Raum verändert lediglich die bestehende Aufgabenverteilung. Die Systeme Verkehr und Kommunikation profitieren also voneinander, sie bedingen, erweitern und schaffen sich gegenseitig. Dass sie eng miteinander verzahnt sind, wird schon im Hinblick auf ihre Entstehung deutlich. So beschreibt Virilio, wie die Erfindung jedes Verkehrsmittel an ein Kommunikationsmittel gekoppelt war, beispielsweise die Kutsche an den Brief, die Eisenbahn an den Telegraphen, das Auto an das Radio und das Flugzeug an den Funk. Ihre Systeme weisen viele Ähnlichkeiten auf: Beide bilden Netzwerke aus, verbinden Verstreutes, um es zu vereinheitlichen und überwinden den Raum. Dies alles findet sich in der hier als zutreffend herausgearbeiteten Komplementaritätsthese wider. Die Hauptthesen von Virilio und Rötzer scheinen folglich überholt zu sein. Wie die Systeme gegenwärtig zusammenhängen, wurde beschrieben, doch warum gelingt es der virtuellen Mobilität nicht, die physische zu ersetzen und in einem Stillstand zu resultieren? Still steht der Nomade beim Warten oder im Stau zwar, aber eben ungern. Bremsen empfindet er als Beschneidung seiner Selbstbestimmung. So beschreibt Holert: Warten ist etwas, für das man sich schämen muss, weil es als Zeichen von Trägheit oder niederem Status angesehen und bewertet wird, als Symptom der Zurückweisung und Signal für den Ausschluss. So bedeutet das englische Wort break zugleich Pause und brechen. Die erzwungene Pause scheint mit der eigenen Zeit zu brechen, wird sie doch oft als verschwendete Zeit angesehen. Der Drang nach Fluktuation, nach zielloser Bewegung im glatten Raum, das im Gegensatz zu Virilios Stillstand und Verlust des Trajekts steht, wurde dem Nomadischen in Kapitel 3.1 als wichtiges Charakteristikum zugeschrieben, doch lässt sich die Begründung hier zusätzlich auf eine Metaebene bringen. Als These sei vorausgesetzt, dass dem Menschen ein tiefes Bedürfnis nach Realität, nach Nicht-Virtualität innewohnt. Im Folgenden soll nach dem Grund für dieses Empfinden gesucht werden: Was hat der physische Raum zu bieten, was erzeugt die physische Präsenz, was virtuell nicht simuliert werden kann? Was ist das ausbleibende Moment? Diesen Fragen wird mithilfe von Gegensatzpaaren auf den Grund gegangen, um herauszubekommen, wie es sich mit Raum und Zeit, dem Körper und den menschlichen Sinnen im physischen und wie im virtuellen Raum verhält?

Über den Autor

Elisabeth Mandl, B.A., wurde 1988 in Potsdam geboren. Ihr Studium der Europäischen Medienwissenschaft an der Universität Potsdam schloss die Autorin im Jahre 2011 mit dem akademischen Grad des Bachelor of Arts erfolgreich ab. Im Studium setzte sie ihren Forschungsschwerpunkt auf Reisen und das, was mit dem Reisenden in Raum und Zeit geschieht. Aber nicht nur theoretisch widmete sich die Autorin diesem Thema. Fasziniert von fremden Kulturen und Sprachen, ist Elisabeth Mandl immer wieder in der ganzen Welt unterwegs. Sie ist derzeit hauptsächlich journalistisch tätig und möchte ihren Fokus auf Tourismus und Reisen weiter ausbauen. Und: Eventuell irgendwann sesshaft werden.

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