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Soziologie


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 140
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Heute sind Debatten über Homosexualität in fast aller Munde sei es über das Outing Prominenter, ein Adoptionsrecht für Schwule und Lesben oder die Öffnung der Ehe für schwule Paare. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dies über Jahrhunderte anders war: Homosexualität wurde verschwiegen, tabuisiert, bestraft und verfolgt. Schwule Partnerschaften konnten sich aufgrund offener und subtiler Stigmatisierungen kaum bilden. Sie sind als eine noch junge Beziehungsform der modernen Zeit zu verstehen. Schwule Männer sehnen sich heute in ihrer Mehrheit nach einer festen Partnerschaft. Dieser Wunsch spiegelt sich jedoch nicht in der Anzahl stabiler Paarbeziehungen wider. Die spezifische Situation schwuler Paare ist bisher nur wenig thematisiert und erforscht. Dabei ist das Thema von individueller und gesellschaftlicher Relevanz. Eine Liebesbeziehung zweier Männer steht vor einer besonderen Aufgabe. Als Voraussetzung für eine Partnerschaft muss sich das schwul entwickelnde Individuum im Coming out zunächst zu sich selbst finden. In einer Partnerschaft kann dann die jeweils erlangte Selbstakzeptanz in unterschiedlicher Weise ausgeprägt und Hintergrund von Konflikten sein. Schwule Paare sind mit spezifischen Fragen konfrontiert: Wie kann die (flexible?) Geschlechtsrolle schwuler Männer aufeinander abgestimmt werden? Welches ‘dritte Element’ verbindet die Partner miteinander? Wie ist Sexualität in und außerhalb der Partnerschaft zu leben? Ein besonderer Punkt schwuler Partnerschaften ist, dass kaum allgemein anerkannte Regeln des Zusammenseins existieren. Vieles ist zu kommunizieren und individuell auszuhandeln. Dies auch vor dem Hintergrund, dass es an Modellen und Vorbildern mangelt. Der Autor Dirk Wagner untersucht in seiner Studie die Situation schwuler Paare weswegen diese sich ggf. vorzeitig trennen oder was zu einem weiteren Gelingen beitragen kann. Auch Besonderheiten in Biografien schwuler Männer werden aufgezeigt und die Auswirkungen von HIV und AIDS erörtert. Für diese Untersuchung wurden neben der Sichtung von Fachliteratur insbesondere zwei Experteninterviews mit Paarberatern schwuler Männer geführt und ausgewertet. Dabei ist ein kenntnisreich bearbeitetes Buch entstanden, welches interessante und weiterführende Gesichtspunkte aufzeigt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Zur Erforschung von Partnerschaften schwuler Männer: In diesem Kapitel werden Grundlagen für den weiteren Verlauf der Untersuchung vorgestellt und diskutiert. Es erfolgt eine Definition relevanter Begriffe, es werden Probleme bei der Repräsentativität von Studien erörtert und eine Übersicht zur Homosexuellenforschung mit Relevanz zur Partnerschafsthematik wird skizziert. 2.1, Begriffsklärung: Was ist eine schwule Paarbeziehung?: Bevor eine Definition des Begriffs ‘schwule Paarbeziehung’ vorgenommen werden kann, ist im ersten Schritt zu erörtern, wann eher die Bezeichnung ‘schwul’ und wann eher ‘homosexuell’ verwendet wird. 2.1.1, Definition: Schwul oder homosexuell: Als homosexuell werden Personen bezeichnet, deren sexuelle Phantasien oder Verhaltensweisen sich überwiegend auf das eigene Geschlecht richten (vgl. u.a. Rauchfleisch, 1994, S.37 ff. Isay, 1993, S. 19). Wie geht man aber damit um, dass sexuelles Verhalten und Selbstdefinition in der Realität keineswegs übereinstimmen müssen? Ein sich in einer Situation homosexuell verhaltender Mann könnte sich als bisexuell definieren. Er könnte es auch anders als Ergänzung seiner ansonsten praktizierten Heterosexualität verstehen oder auf besondere äußere Umstände (Gefängnis, Militär, Alkohol) verweisen. Nach Biechele habe man sich in jeder empirischen Untersuchung zu entscheiden, ob man das homosexuelle Sexualverhalten oder die homosexuelle Selbstdefinition als Kriterium gelten lasse. Die dem Verhalten nach definierte Gruppe sei regelmäßig größer, weil eine beachtliche Anzahl gleichgeschlechtlichen Sex praktizierender Männer sich keine homosexuelle Identität zuschreibe (Biechele, 1996, S. 14). In der Literatur, den Medien oder im Alltag werden homosexuelle Männer auch als Schwule oder schwule Männer bezeichnet. Eine Begriffswahl, die ursprünglich abwertend zu verstehen war und auch heute noch bei manchen homo- wie heterosexuellen Menschen Unbehagen auslösen dürfte. Sie wurde von schulen Männern gezielt zur Selbstbeschreibung verwendet, um Diskriminierungen entgegenzutreten. Die Begriffe schwul und lesbisch ‘werden vor allem von denjenigen verwendet, die sich bewusst zu ihrer schwulen und lesbischen Identität und Lebensweise bekennen und den vielfältigen gesellschaftlichen Diskriminierungen damit ein trotziges ‘Dennoch’ entgegenhalten (Rauchfleisch, 1994, S. 9). In Bezugnahme auf Donovan definiert Biechele, dass schwul eher die soziale Identität und homosexuell eher das Sexualverhalten beschreibt (Biechele, 1996, S. 19). Folgt man Rauchfleisch und Biechele, dann habe das Wort schwul einen politischen Hintergrund mit emanzipatorischem Anspruch und kennzeichne einen bewusst akzeptierenden Lebensstil hinsichtlich der sexuellen Orientierung. Wenn der Begriff homosexuell eher auf das Sexualverhalten zu beziehen wäre, dann stellte sich die Frage, wie Männer zu bezeichnen wären, die ihre sexuelle Identität akzeptierten, sich aber eher verdeckt hielten und keinen emanzipatorischen An-spruch verfolgten. Unter homosexueller Identität ist zu verstehen, dass sich ein Mann als homosexuell definiert und dies auch in Zusammenhang mit inneren Bildern, Gefühlen und seinem Selbstverständnis setzt. Die Diskussion macht deutlich, dass eine unmissverständliche, unumstrittene Begriffswahl schwierig ist. Ich habe mich in der Formulierung des Titels dieses Buches für den emanzipatorischen Begriff schwul entschieden. Formulierungen wie ‘gleich-geschlechtlich orientiert’, die aus Gründen der Abwechslung zwar auftauchen, er-schienen kompliziert und letztlich auch verklemmt. Eine eindeutige begriffliche Unterteilung zwischen schwul und homosexuell ist nicht an jeder Stelle möglich. 2.1.2, Definition: Paarbeziehung: Auch in Erörterungen zur Definition einer Paarbeziehung spiegelt sich die Diskussion Selbstdefinition vs. Verhalten wieder. Darüber hinaus wird der Aspekt der Dauer unterschiedlich bewertet. Der Sexualforscher G. Schmidt legt in einer Studie für die Bezeichnung ‘feste Beziehung’ die Selbstdefinition der Befragten zu Grunde. ‘Für uns ist eine Beziehung das, was die Befragten als solche benennen, und zwar unabhängig von der Dauer und dem Familienstand’ (Schmidt, 2003, S. 2). Eine solche Definition könnte aber in einer Studie zur Folge haben, dass bspw. ein 30 Jahre zusammenlebendes Paar mit einem sich erst seit ein paar Wochen kennenden Paar gleichgesetzt werden. Pingel/Trautvetter lehnen es in ihrer Studie ab, allein die Selbstdefinition als Kriterium gelten zu lassen. Sie kritisieren, dass dabei ‘alle möglichen Probanden’ anzutreffen wären. ‘Die bloße Selbsteinschätzung lässt keine Rückschlüsse auf das übliche partnerschaftliche Verhalten zu’ (Pingel/Trautvetter, 1987, S. 34). Dauer ist für sie kein Indiz für Glück, ‘dennoch ist der Aspekt der Dauer wichtig, weil ohne zeitliche Erstreckung keine Regelbildung erfolgt, der Wandel einer Beziehung nicht erprobt, Frustrationstoleranz nicht entwickelt werden kann etc’ (S. 35). Der Aspekt der Dauer spielt möglicherweise gerade bei schwulen Männern eine besondere Rolle. Die Psychologin Drexler beobachtet in ihrer Beratungsarbeit eine Tendenz schwuler Männer, schnell von ‘fester Freundschaft’ zu reden, diese aber auch schnell wieder zu kündigen (Drexler, 2005, S. 185). Bei Richtigkeit dieser Annehme könnte besonders in Erhebungen über Schwule das Risiko bestehen, etwas als Beziehung zu bezeichnen, was bei näherer Betrachtung ein kurzzeitiges Abenteuer darstellt. Den Aspekt der Dauer schwuler Beziehungen gewichtet Isay nach drei Kategorien: Die langfristige Beziehung, die ein Jahr oder länger besteht. Die kurzfristige Beziehung, die sich von zwei bis drei Nächten bis zu einem Jahr erstrecken kann und die anonyme sexuelle Begegnung (Isay, 1993, S. 92). Gensler diskutiert den Qualitätsaspekt einer Beziehung unter Bezugnahme auf verschiedene Autoren, wonach unter Qualität zu verstehen sei, wie die Partner ihre Beziehung hinsichtlich Zufriedenheit, Glück und Erfolg einschätzen. Als Messinstrumente gelten bei ihr Kommunikation, Wahrnehmung der Partner und Erwartungshaltung. Qualität und Stabilität sind da-nach nicht identisch, korrelieren aber miteinander (Gensler, 2004, S. 8 f.). McWhirter/Mattison haben in ihrer Studie ‘Männerpaare’ neben Selbstdefinition (sich als Paar verstehen) und Dauer (mindestens ein Jahr) noch die sexuelle Identität (zwei schwule Männer) und das zusammen wohnen (im selben Haus) als Kriterien verwendet. Als Grund dafür geben sie an, dass homosexuelle und heterosexuelle Beziehungen vergleichbar sein sollen. Getrennt lebende Männer werden darin nicht berücksichtigt (McWhirter/Mattison, 1986, S. 9 ff.). Was ist das Besondere an einer Paarbeziehung, in Abgrenzung etwa zu einer freundschaftlichen Zweierkonstellation? Nach McWhirter/Mattison wollen zwei Männer beim Kennenlernen zu Beginn einer Liebesbeziehung ‘mehr voneinander erfahren und sich mehr von dem Wohlgefühl verschaffen, das dabei entsteht’ (McWhirter/Mattison, 1986, S. 9). Für Gensler, die sich auf Asendoph und Banse bezieht, ‘erklärt sich eine Liebesbeziehung einerseits durch die Sexualität eines Paares und andererseits durch eine stärkere Abhängigkeit und Bindung der Partner untereinander’ (Gensler, 2004, S. 7). Nach Rauchfleisch ist in einer dauerhaften Beziehung neben dem körperlich-sexuellen und dem emotionalen Aspekt besonders auch die Präsentation als Paar in der Öffentlichkeit relevant (Rauchfleisch, 1994, S. 98). Nach Drexler bedeutet in Partnerschaft zu leben: ‘Nicht mehr auf jemand Besseren zu warten und über Auseinandersetzung und Anerkennung einen gemeinsamen Weg zu finden. Partnerschaft bedeutet Bindung und somit in gewisser Weise Unfreiheit’ (Drexler, 2005, S. 185). In dieser Studie wird überwiegend der Begriffe Paarbeziehung gebraucht, die Wort-wahl Partnerschaft oder auch Zweierbeziehung sind synonym zu verstehen. Der Verfasser definiert schwule Paarbeziehung wie folgt: Beide Partner bekennen sich zu ihrer sexuellen Identität und verstehen sich als Paar. Die Dauer ist mit einzubeziehen, wenn von einer stabilen oder langfristigen Paarbeziehung die Rede ist. Dabei erscheint ein Jahr als sinnvoll. Der Aspekt gemeinsames Wohnen ist für die Nähe und Verbindlichkeit einer Partnerschaft relevant, für die Definition erscheint er nicht ausschlaggebend. Es ist davon auszugehen, dass in einer Liebesbeziehung Interesse am Partner, praktizierte Sexualität sowie eine stärkere emotionale Bindung eine Bedeutung haben. Für sich heimlich treffende Partner (bspw. weil ein Partner noch gebunden ist oder sich nicht öffentlich zeigen will) fällt der Begriff Paarbeziehung schwer. Eine heimliche Beziehung mag sich auf verschiedenen Ebenen zwar intensiv gestalten, der wichtige Aspekt der Öffentlichkeit ist aber nicht erfüllt und die gemeinsame Definition als Paar wahrscheinlich ebenso nicht. Gegenstand dieser Studie sind freiwillige Bindungen oder zumindest Bindungswünsche erwachsener Partner. An finanzielle Interessen gekoppelte Freier-Stricher-Verhältnisse fallen nicht in die Kategorie der definierten Paarbeziehung. Auch Pädophilie ist nicht Gegenstand dieser Studie. Dies wird hier erwähnt, weil es bei Diskussionen zur Homosexualität immer wieder zur Vermischungen dieser Begriffe kommt.

Über den Autor

Dirk Wagner wurde 1966 in Kassel geboren und lebt seit 1989 in Berlin. Studiert hat er an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin und Jahre später noch nebenberuflich in einem Aufbaustudium an der Universität Kassel. Der Autor ist Diplom-Sozialpädagoge, Sozialtherapeut und Mediator. Er hat u.a. als Streetworker gearbeitet und Coming out-Gruppen geleitet. Heute arbeitet er überwiegend mit Paaren und Familien sowie als freier Dozent, z.B. leitet er Seminare für schwule und heterosexuelle Singles. Die spezifische Situation schwuler Partnerschaften und damit verbundene Umgangsweisen sind für ihn von besonderem Interesse. Der Autor hat Fachtexte zu verschiedenen psycho-sozialen Themen veröffentlicht.

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