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Gesellschaft / Kultur

Georg Christoph Heilingsetzer

Verortung und Identität: Wer bin ich ohne Heimat?

ISBN: 978-3-95425-356-2

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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 03.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 180
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die vorliegende Untersuchung stellt den Versuch dar, die diagnostizierbare babylonische Sprachverwirrung um die elastischen und polyvalenten Begriffe Heimat und Identität ein wenig aufzulösen und auf deren synonymen Gebrauch einzugehen. Der lange Zeit verpönte und totgesagte Begriff Heimat feiert heute eine unerwartete Wiederauferstehung, doch manchmal vermag er nach wie vor zu provozieren. Heimat wurde in den letzten Jahrzehnten immer mehr zum Wirtschaftsfaktor und auf diesem Weg nicht selten durch kitschige Phantasmagorien entstellt die Regionalkultur erlebt in den Zeiten der Globalisierung paradoxerweise einen neuen Aufschwung. Auch der Begriff Identität ist in aller Munde, manche warnen vor dem Verlust von Identität, andere diskutieren über die Abschaffung des Begriffes. Tabuisierung oder Abschaffung einzelner Begriffe erscheinen aber nur dann sinnvoll, wenn es bessere Alternativen gibt. Das Anliegen der Studie ist nicht allgemeingültige Bedeutungskonkretisierungen oder gar endgültige Definitionen der zur Diskussion stehenden Begriffe zu liefern, sondern vielmehr zur Illumination bestimmter Aspekte und Schnittpunkte beizutragen und auf Probleme und Gefahren hinzuweisen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.4, Wie ein Begriff in das schmutzige Fahrwasser der Nationalideologie geriet - Wie soll man heute mit ‘Heimat’ umgehen?: So verdienstvoll die Arbeit der Institute der frühen Heimatbewegungen, durch die vieles, was vielleicht dem Vergessen anheim gefallen wäre, bewertet werden mag, ihre politische Stoßrichtung, die durch die Idyllisierung und Verherrlichung der Heimat begünstigt wurde, wird als fatal beurteilt: Einerseits wurden im Inneren gegenüber der Arbeiterbewegung, die Demokratieforderungen stellte, Aggressionen geschürt, andererseits wurden die Ressentiments gegenüber dem Feind, der die ‘deutsche Idylle’ von außen bedrohte gestärkt (vgl. von Krockow 1989: 124). Mit dem ersten Weltkrieg wurde, wie oben erwähnt, die frühe, lokal geprägte Heimatbewegung nachhaltig geschwächt. Der Heimatgedanke ist dennoch nicht untergegangen, im Gegenteil man setzte wohl größere Hoffnungen denn je in die Heimat, wobei nach 1918 die nationale Ausrichtung einen starken Aufschwung erlebte (Bausinger 1980: 15). Viktor von Geramb (1884-1958), der Gründer des Grazer Instituts für Volkskunde (1949) verleiht dem Geist dieser Zeit durch Worte Ausdruck: ‘Es liegt ein Trost in diesem Heimatgedanken. Ein großer Trost für uns alle, denen es vom Schicksal aufgesetzt worden ist, in einer Zeit der größten Umwälzung und der schwersten Not unseres Volkes zu leben […] jener unleugbare Zug nach der Heimat und jene wunderbare Heilkraft der Heimat [müssen] ein Licht sein, das in der Finsternis leuchtet wie ein trauter Weihnachtsstern. Denn es ist das einzig Bejahende, das heute aus dem Meere der Verneinungen hervorragt, wie eine rettende Insel, wie ein Fels der guten Hoffnung’ (Geramb 1919: 122). Die romantisierende Diktion lässt Heimat als Hoffnungsschimmer am Horizont erscheinen, sie soll die Verlierer des ersten Weltkrieges, Deutschland und Österreich aus der tiefen Depression herausführen und kurieren. In der Zwischenkriegszeit, vor allem aber mit Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland in den 30er Jahren wurde der nationalistische Impetus von Heimat und Heimatgefühl verstärkt, während ein autonomes lokales Leben mehr und mehr unterbunden wurde. Applegate (1990: 18) merkt an: ‘In the writings of the Nazi ideologues of the 1930s Heimat became simply one more term among many that revolved around the central themes of race, blood, and German destiny’. Damit wurde der Begriff immer mehr von einem lokalen oder regionalen Bezugsrahmen abgelöst und mit dem Gemeinschaftlichen, der ‘Volksgemeinschaft’ assoziiert. Der Königsberger Philosoph Kurt Stavenhagen (1885-1951) etwa schwelgt über den Sinn der Heimat: ‘Es ist eine Folgerung der ‘Logik des Herzens’, für die auch äußerlich zu wirken, deren Leben man innerlich teilt’ (1939: 80). Heimat erhielt die Bedeutung eines ‘Miteinander’ und ‘Füreinander’, es erforderte vom Einzelnen, dass er sich dem Gemeinwohl und den Zielen der Gemeinschaft bedingungslos unterordnete. Im Zweiten Weltkrieg wurde Heimat schließlich in besonderer Weise beschworen, in einem immer heftigeren Ausmaß, je näher die unabwendbare Katastrophe rückte, man denke an die bekannten Ausdrücke ‘Front und Heimat’, ‘Heimaturlaub’ oder ‘Grüße der Heimat’ (vgl. von Krockov: 126). Die ‘Blut und Boden’-Ideologien brachten den Begriff nachhaltig in Misskredit. ‘Ein Buch über Heimat zu schreiben, ist eine ziemlich schwierige Angelegenheit. Uns kam sofort die Nazizeit mit ihrer Blut- und Bodenideologie in den Sinn […]’ bemerken Pieper und Haderer als ‘Vorabnotiz’ ihres Buches ‘Traumschiff Heimat - Ein neues deutsches Abenteuer’ noch im Jahre 1991. Nach dem zweiten Weltkrieg wusste man offenbar lange - in Österreich noch mehr als in Deutschland - mit dem Begriff nichts anzufangen und vermochte nicht, ihm eine neue, entstaubte Bedeutung zu geben, die eine umfassende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einzuschließen gehabt hätte. Stattdessen wurde das Bild der Heimat, wie etwa in den eine Idylle konstruierenden Heimatfilmen der 1950er und 1960er Jahre, weiterhin verklärt. Erst später begann man sich kritischer mit dem Heimatbild auseinanderzusetzen, wofür wiederum der Film ein dokumentarisches Beispiel ist. Die Deutschen und die Österreicher haben sich wahrscheinlich aber noch nicht endgültig von den verschiedensten Assoziationen zu Heimat gelöst, die der Rückblick auf die Geschichte wachruft. Der Psychoanalytiker Paul Parin merkt ein wenig überkritisch an (1996: 13): ‘Allzuleicht sind wir geneigt, ‘Heimat’ als etwas spezifisch Deutsches, als ein rückständiges, sentimentales und mit Ressentiments beladenes Phänomen zu betrachten: Heimatverbände, Heimatvolksgruppen, Heimatvereine und -chöre, und dergleichen. Diese alle enthalten eine Perversion von Heimat […]’. Der Heimatbegriff ist durch die Pervertierung des Heimatgedankens vor und in der Zeit des Nationalsozialismus für die Deutschen und Österreicher nicht mehr ausschließlich positiv belegt, es werden oft totalitäre Assoziationen einer obrigkeitsstaatlichen Bevormundung hervorgerufen (vgl. Bandion 2001: 16). Man würde sich daher, insbesondere was die Jugend anbelangt, eine große Skepsis gegenüber dem Begriff erwarten, worin wir allerdings nicht bestätigt zu werden scheinen: Das Wort ‘Heimat’ rangierte in einem Wettbewerb nach dem Motto ‘Deutschland sucht das Superwort’, in welchem der deutsche Sprachrat dazu aufforderte, das schönste deutsche Wort zu küren, zur Halbzeit in der Hitliste der Wörter auf dem zweiten Platz, hinter ‘Liebe’ aber noch vor dem Wort ‘Glück’. Dies ist doch einigermaßen überraschend.

Über den Autor

Geboren 1977 in Linz, Oberösterreich MMag. phil., Klinischer und Gesundheitspsychologe. Studium der Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie (mit Fächerkombination aus Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft) sowie der Psychologie in Wien. Arbeitet im extramuralen sozialpsychiatrischen Bereich sowie als freier Autor, Fotograf und Filmemacher (Zuletzt: Affenshow , Dokumentarfilm zu Linz09). Mitarbeiter des Projekts MenschenLeben der Österreichischen Mediathek (Aufzeichnungen von Biographien). Veröffentlichungen zu Psychologie-, Geschichts-, und Reisethemen u.a. im Geschichtsmagazin Damals , in der Frankfurter Allgemeinen , der Süddeutschen Zeitung , der Welt , der Presse , der Wiener Zeitung und im Standard . Lebt in Wien und am Irrsee (OÖ).

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