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  • Gesammelte Aufsätze 7: Märchennacherzählungen, zur Literatur und zu realitätsfremden Erscheinungen

Wissenschaft


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Produktart: Buch
Verlag: Igel Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2020
AuflagenNr.: 1
Seiten: 344
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In diesem Band, der die Sammlung der Aufsätze von Heino Gehrts abschließt, werden zunächst seine Versuche vorgestellt, Märchen typengerecht nachzuerzählen. In diesem Sinne stellen sie eine Praxisprobe dar, ob sich die Ergebnisse seiner Forschertätigkeit in einen typengerechten Ablauf von Märchen einfügen lassen, was sich durchaus bestätigt. Es werden zudem Aufsätze zur Literatur vorgestellt und es erfolgt eine Untersuchung zu einem Gebiet, das in nicht wenigen Märchen und sehr vielen Sagen eine vielfältige Darstellungsweise findet: dem Spuk. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf wirklich stattgefundenem Spuk, wobei sich in den beiden herangezogenen Fällen – einmal beim Mädchen von Orlach und weiter in den merkwürdigen Begebenheiten, denen Frau Kornitzky ausgesetzt war – zeigt, dass personengebundener Spuk neben anderen Gründen auch eine sehr individuelle Veranlassung hat. Meist liegt diese für die Person selbst wie für deren Umgebung im Verborgenen und hat die Dimension von erlebter Existenzgefährdung an sich selbst oder an nahestehenden Personen.

Leseprobe

Textprobe: PALLAS HERMETICA. Eine Deutung des Falles Kornitzky Der Fall Kornitzky, seit ich ihn vor einigen Jahren in dem Buche Spuk von Fanny Moser fand, hat mich immer wieder fasziniert. Hier lag ein Musterbeispiel vor für den absurden Spuk, der aus einer fremden Welt sinnlos in die Welt dessen hereinzuspielen scheint, der ihn erlebt, und dieser Eindruck der Sinnlosigkeit wird noch dadurch verstärkt, daß die Vorfälle dieser Sequenz als wohldefinierte Einzelereignisse im hellsten Licht wacher Tage und eines wachen Verstandes dastehen. Nichts ist halb um die Ecke, nichts halb im Dämmern, wohin es noch wer weiß wie weit reichen mag, sondern jeder Vorfall tritt begrenzt und ge­staltet in den übersichtlichen Raum. Trotzdem war ich überzeugt, daß der Sinn dessen, was geschah, nicht über AW – so nenne ich im Folgenden gemäß dem Geburtsnamen die Person, die ihn erlebte – nicht über sie hin, sondern gerade auf sie zu spielte, und auf diesen Sinn war ich um so gespannter, als sie selbst die Überzeugung ausdrückte, daß diese Dinge gar nichts mit ihr zu tun hatten. Was geschah, war absurd, so weit hatte sie recht, und doch mußte ein Sinn für sie da sein, denn sonst, meinte ich, wäre ihr so Außerordentliches nicht begegnet. Von Anfang an war mir einiges an der Geschichte aufgefallen, und zwar gerade manches, das von Frau Moser unbefragt geblieben war ich hätte darum gern meinerseits noch einmal gefragt, aber meine Fragen wären mir in jenem Stadium selber läppisch vorgekommen, und die Energie, die sie hervorgetrieben hätte, wäre vermutlich dem Bereich dessen entsprungen, das ich jetzt als be­langlos ansehe: dem Bereich des Wunderbaren. Das Wunderbare will ich daher von vornherein hier abtun: es vollzieht sich immer, wenn der Sinn es erfor­dert und gewisse uns noch unbekannte psychophysische Bedingungen erfüllt sind. Zu den Bedingungen gehören vielleicht zum Beispiel die Punkte 8a und b der Nachträge. Mir geht es aber heute, nachdem ich mich ausgewundert habe, nur noch um den Sinn, und es wundert mich nicht mehr, wenn er erscheint. - Ich habe also keine Fragen gestellt und natürlich auch nichts von Dritten in Erfahrung gebracht. Meine Deutung ruht ausschließlich auf dem von Frau Moser mitgeteilten Material. Es wäre mir zudem auch lieber – sollte meine Deutung irrig sein –, auf Grund des geringsten als auf dem Boden eines erweiterten Tatsachenmaterials geirrt zu haben, da das Eindringen in intime Bereiche, wenn es zu Fehlschlüssen führt, eher verzeihlich ist, wenn es nur gedruckte Unterlagen, als wenn es auch persönliche Mitteilungen benutzt. Denn daß ich in solche Schichten eindringen muß, die gewöhnlich verborgen liegen und verborgen gehalten werden, liegt auf der Hand: läge der Sinn auf der Oberfläche, so hätte AW ihn längst erfaßt. Das Verfahren, das ich einschlage, hätte ich mit solcher Zuversichtlichkeit nicht anzuwenden vermocht, wie ich es jetzt trotz des in Rechnung gestellten völligen Abirrens immerhin tue, wenn ich nicht kürzlich mit einem wohlbezeugten Spukfall bekannt geworden wäre, der schon über ein Jahrhundert zurückliegt, aber seinen Sinn selber verrät, – wenigstens macht er eine Aussage darüber – und die anfängliche Absurdität weicht am Ende klaren Verhältnissen und Begebenheiten. Warum dann aber anfänglich absurd? - Um etwas mehr von dem Spuk zu verstehen, als er selber verstand, versuchte ich, Einzelheiten symbolisch zu verstehen, und ward durch einige Funde belohnt. Heute nun, zu­nächst ganz ohne Absicht, geriet ich dahin, AWs Fall ebenso zu betrachten. Dabei ward ich manche wichtige Züge überhaupt erst gewahr. Unter anderem fiel es mir auf, daß so viel vom Reinemachen die Rede ist sogar eine Reinemache­frau tritt in diesem sonst personenarmen Drama auf, sogar an einem entschei­denden Punkt. Es kam mir vor, als bemühe sich hier jemand, etwas wegzuwischen was nicht wegzuwischen war, vielleicht, weil es nur in der Einbildung etwas wegzuwischen gab. Ungesucht stellte sich das Bild der Lady Macbeth ein, aber ohne daß das vermeintliche Blut dabei ins Gewicht fiel, und später dachte ich an den Schlüssel aus dem Blaubartmärchen, wo die Frau poliert und poliert und den geheimnisvollen Fleck nicht weg bekommt. Bei AW gibt es am Schluß geradezu eine Überschwemmung, und sie gebraucht Eimer und Wischtuch. AW hatte keine Aufregungen und Sorgen, schreibt sie. Wenn meine Vermutung richtig ist, dann sind ihr die Sorgen, die sie hatte oder hätte habe können, in dieser Weise abgenommen worden. Eine Spannung aber, die immerhin bestand, glaube ich ihrem Bericht entnehmen zu können. Es ist zunächst nur eine Spannung im Raum: sie war in Berlin, ihr Verlobter in Schweden. Das ist in der Brautzeit eine Spannung die Entfernung der Liebenden voneinander ist ja in Dichtung und Wirklichkeit ein Motiv, das zu den außerordentlichsten Entladungen führen kann. Zu lieben ist vielleicht für manchen der normale Zustand, von dem Gegenstand der Liebe durch weite Räume getrennt zu sein, ist ohne Zweifel ein unnormaler Zustand. Ist dieser Zustand einmal gegeben, so erscheint mir dann als das Normale – bei aller frischfrohen Tagesarbeit – trotzdem eine gewisse Einsamkeit, die durchaus nicht elegisch zu sein braucht, aber doch dadurch gekennzeichnet oder sogar bewirkt wird, daß in der Einsamkeit das entfernte geliebte Wesen am meisten sich annähert. AW aber hatte damals oft Besuch, und hier sehe ich Spannungen erwachsen, die schon viel verwirrender sein können als die bloße Entferntheit des Verlobten. Bender weist in seiner kleinen, in Bremen erschienenen Schrift über die Parapsychologie auf das Vorkommen sexueller Spannungen in Spukhäusern hin. We­nigstens bei einem der von Frau Moser beigebrachten Fälle hatte ich den Eindruck, daß sexuelle Zusammenhänge verhehlt wurden vielleicht hat auch die famose notte Jollers eine ähnliche rivelazione herbeigeführt. Bekannt ist, daß das Wort Hysterie , dessen Begriff ursprünglich viel weitere, auch Bereiche des Okkulten mit deckte, von dem griechischen Wort für Uterus abgeleitet ist. In dem alten Spukfall, den ich neulich untersucht habe, glaubte ich für die zeitliche Gliederung der einzelnen Vorfälle ebenfalls eine uterine Basis annehmen zu dürfen. War aber AW in irgendeiner Gestalt sexuell gespannt, dann dürften die Spukphänomene als Entäußerungen (Exteriorisationen) dieser Konflikte angesprochen werden, wenn sie dem Sinne nach in diesen Erlebnisbereich hineinfallen. Die Ohrfeige ist ein ganz normales Phänomen beim Spuk. Sie hat auch dort sicherlich wie anderswo verschiedenerlei Bedeutung. Unter anderem erscheint sie mir als ein Eröffnungsphänomen: Aufgepaßt! jetzt geschieht etwas … mit Dir! . AW selber gebraucht das Wort Auftakt und bezieht sie dadurch auf die ganze Sequenz sie bezieht sie auch – genötigt – auf sich selber, nimmt sie aber in dieser Hinsicht wieder aus der Sequenz, die sie sonst gar nicht angehe, heraus. Da die Ohrfeige, die AW erhielt, aber doch wirklich ein Teil des Spukes ist, läßt sie vermuten, daß auch alles übrige sich auf AW bezog. Warum erscheint es ihr eigentlich glaubhaft, daß sie sich auf sie bezog? Nur weil sie sie bezog , oder hatte sie für diese Einräumung noch einen anderen Grund? Das müßte dann einer sein, dem gemäß sie ihr gebührte? Besteht ein Zusammenhang mit dem Buch, bei dessen Lektüre sie geohrfeigt wurde? Ich kenne es nicht AW selbst müßte entscheiden, ob zwischen dem Buch, so wie sie es las, und der Thematik des Spukes ein Zusammenhang bestand. Jedenfalls besteht einer zwischen dem Ort, an dem sie die Ohrfeige erhielt, und dem Konfliktbereich: es war das Bett. In gleicher Funktion erscheinen noch die Badewanne und die Couch, bei beiden ist sie, wie sich noch erweisen wird, präziser und zugespitzter ausgeführt.

Über den Autor

Heino Gehrts gehört zu den bedeutendsten Märchen-, Mythen- und Sagenforschern der jüngsten Vergangenheit. Er war ein fundierter Kenner dieser Spezialgebiete, die er einerseits wissenschaftlich analysierte und aufbereitete, andererseits aber auch mit den unterschiedlichsten – auch wissenschaftsfernen – Forschungsgebieten verknüpfte. In den Schriften zur Märchen-, Mythen- und Sagenforschung wird sein Werk seit 2014 im Igel Verlag neu aufbereitet und gebündelt. Eberhard Bauer, Jahrgang 1944, Studium der Geschichte, Philosophie und Psychologie in Tübingen und Freiburg, ist Diplompsychologe. Er war Assistent bei Prof. Hans Bender (1907-1991), dem Gründer des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V. (IGPP) in Freiburg i. Br. Und ist Vorstandsmitglied dieses Instituts. Zu seinen Forschungsinteressen gehören das Gesamtgebiet der Parapsychologie und interdisziplinären Anomalistik sowie die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte von Spiritismus, Okkultismus und paranormalen Phänomenen vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, dazu zahlreiche Veröffentlichungen. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie (zusammen mit W. v. Lucadou) und 2. Vorsitzender der Wissenschaftlichen Gesellschaft zur Förderung der Parapsychologie e. V. (WGFP). Der Herausgeber Heiko Fritz, Autor zahlreicher Bücher und kleinerer Publikationen, ist Philosoph, dessen Untersuchungen immer wieder das Gebiet der Märchenforschung streifen. Auch in seinem zuletzt abgeschlossenen Projekt, das er auf der Website www.ist-die-welt-zu-retten.de veröffentlicht hat, kommt das zum Ausdruck.

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