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Gesellschaft / Kultur


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Produktart: Buch
Verlag: disserta Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 160
Abb.: 15
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In Wiens Integrationskindergärten arbeiten neben PsychologInnen, SonderkindergartenpädagogInnen, SonderhortpädagogInnen und SprachheilpädagogInnen auch pädiatrische PhysiotherapeutInnen der MA 10. Die pädiatrische Physiotherapie wird - wie auch die allgemeine Physiotherapie - klar der Medizin zugeordnet. Wirft man jedoch einen Blick auf das alltägliche Arbeiten der pädiatrischen PhysiotherapeutInnen, scheinen mehrere Überschneidungen mit der Heilpädagogik hinsichtlich des Gegenstands- und Aufgabenbereiches gegeben. Auch die Auseinandersetzung mit sowohl heilpädagogischer als auch pädiatrisch-physiotherapeutischer Fachliteratur zeigt die teilweise durchlässigen Grenzen und die Überschneidungen zwischen Heilpädagogik und pädiatrischer Physiotherapie. Vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrung und der theoretischen Auseinandersetzung mit diesem Thema entwickelte sich die Fragestellung, die dieser Studie zugrunde liegt: Wie erleben PhysiotherapeutInnen der MA 10, Fachbereich mobile Entwicklungsförderung, ihr Handeln im Spannungsfeld zwischen Heilpädagogik und Medizin? Hierfür wurden Physiotherapeutinnen der MA 10 befragt (halbstandardisiertes Interview, Struktur-Lege-Technik), wobei die Auswertung der gewonnenen Daten (qualitative Inhaltsanalyse) zeigt, dass die befragten Physiotherapeutinnen das Spannungsfeld zwischen Heilpädagogik und Medizin an ihrer Arbeitsstelle nicht bewusst erleben und dementsprechend unreflektiert agieren. Zudem zeigte sich, dass sich die befragten Physiotherapeutinnen durch die medizinische Ausbildung für ihre spezielle Arbeit nicht ausreichend ausgebildet fühlen. Sie versuchen, fehlende Kenntnisse durch ihre Erfahrungen im privaten Bereich auszugleichen. Aus diesen zentralen Ergebnissen kann man schließen, dass die Kinder, die in einem Integrationskindergarten der Stadt Wien untergebracht sind, nicht optimal betreut werden. Das unreflektierte und damit unprofessionelle Agieren der befragten Physiotherapeutinnen zeigt den großen Handlungsbedarf hinsichtlich der Aus- und Fortbildung der pädiatrischen Physiotherapeutinnen. Sowohl in der Grundausbildung zur/zum PhysiotherapeutIn, als auch in Fortbildungen zur pädiatrischen Physiotherapie sollte auf heilpädagogische Inhalte und Kompetenzen eingegangen werden.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.2, Das Praxisverständnis der Physiotherapie in der Pädiatrie: Bei der pädiatrischen Physiotherapie stehen - wie auch bei den anderen Bereichen der Physiotherapie - der Mensch und seine Bewegung im Mittelpunkt. Durch die starke Verbindung der pädiatrischen Physiotherapie zur medizinischen Kinderheilkunde rückt der Blick auf den gesamten Menschen jedoch verstärkt ins Zentrum. Wenzel (1999, X) merkt hierzu an: ‘Unter den konservativen medizinischen Fächern ist die Kinderheilkunde das einzige Fachgebiet, welches noch den ganzen Menschen als Einheit versteht.’ Die Individualität der jungen PatientInnen muss von den PhysiotherapeutInnen erkannt und respektiert werden. Aber nicht nur die PatientInnen selbst, auch das familiäre und soziale Umfeld muss stärker miteinbezogen werden als in der physiotherapeutischen Betreuung erwachsener PatientInnen (Hartmannsgruber 1999, 74). PhysiotherapeutInnen, die in der Pädiatrie tätig sind, begegnen in ihrer täglichen Praxis Säuglingen, Kindern und Jugendlichen mit den verschiedensten Krankheiten, Verletzungen, Behinderungen oder Dysfunktionen (a.a.O.). Es kann sich hierbei sowohl um kurzzeitige, vorübergehende Störungen sowie um langfristige, dauerhafte und unheilbare Probleme handeln. Die Beeinträchtigungen können leicht, schwerwiegend oder auch lebensbedrohlich sein, sie können sich im Laufe der Zeit stetig verbessern, verschlechtern oder gleich bleiben. Weiters können sie sowohl angeboren als auch erworben sein (Mohay 1999b, 2). Außerdem zeigt sich in der Kinderphysiotherapiepraxis in den letzten Jahren eine eindeutige Trendwende: Kinderphysiotherapie beschäftigt sich nicht nur mehr mit medizinisch definierten körperlichen Behinderungen oder Krankheiten - auch Kinder mit Entwicklungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, Haltungsschwächen und/oder Wahrnehmungsstörungen sind Teil des physiotherapeutischen Alltags (o.A. 2005, 5). Ungeachtet der Dauer der Störung, Krankheit oder Behinderung zeigen sich - wie schon zu Beginn dieses Kapitels beschrieben - immer auch Auswirkungen auf die ‚normale‘ Entwicklung des Kindes. Aber auch die familiäre Situation und die weitere Umwelt des Kindes haben einen großen Einfluss auf die Therapie und ihren Erfolg (Burns und Higgins 1999, 68). Eine weitere Herausforderung in der Zukunft scheint die Prävention zu sein: Laut Meinung der KinderphysiotherapeutInnen schenkt man bei den postnatalen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen der Prävention zu wenig Beachtung: ‘Der Mutter-Kind-Pass ist nur darauf ausgelegt, ob ein Kind einen Entwicklungsschritt erreicht hat oder nicht …. Die Qualität der Bewegung etc. wird dabei nicht beachtet’, bedauert Kinderphysiotherapeutin Hutterer-Köppl (zit. nach o.A. 2005, 5). Doch wie auch in der Physiotherapie mit Erwachsenen fehlen zu einem großen Teil das Bewusstsein und vor allem die finanziellen Mittel für präventive Maßnahmen (Havelka 2007, 8). Hier zeigt sich erneut, dass es kaum einen anderen Bereich der Physiotherapie gibt, der so komplex und weit reichend ist, wie jener der Kinderphysiotherapie. Allein durch das Miteinbeziehen von Eltern, Großeltern oder Geschwistern und von Kindergarten/Schule greift sie weit in andere Lebensbereiche ein, als nur durch die unmittelbare Behandlung. Claudia Küng, Leiterin der Fachgruppe Kinderphysiotherapie von Physio Austria, sagt: ‘Kinderphysiotherapeutin zu sein ist eine Herausforderung. Nicht jeder ist dafür geeignet’ (Küng, zit. nach Havelka 2007, 6). Nicht nur Fachkenntnisse sind erforderlich - auch ein fundiertes Wissen über die Entwicklung nicht behinderter und gesunder Kinder und sowohl Einsetzungsvermögen als auch ein Gespür für Familien- und Gruppendynamik sind wichtig (Mohay 1999a, 1). Die pädiatrische Physiotherapie zeichnet sich in ihrer Praxis im Gegensatz zur Physiotherapie mit Erwachsenen somit speziell dadurch aus, dass die Beeinflussung durch das familiäre und soziale Umfeld der Kinder in der Therapie berücksichtigt wird. Der in Kapitel 3.2 beschriebene physiotherapeutische Prozess behält auch für die pädiatrische Physiotherapie seine Gültigkeit. Allerdings wird der Prozess erweitert: Eine kindspezifische Untersuchung, die auch den Entwicklungszustand, die Kommunikationsfähigkeiten, intellektuelle Fähigkeiten, soziokulturelle Aspekte und umweltspezifische Faktoren miteinbezieht, steht am Anfang jeder Behandlung. Teil dieser Analyse ist auch die Beobachtung der familiären Situation (Burns und Higgins 1999, 70f). Bei der physiotherapeutischen Behandlung von Erwachsenen geht es im Wesentlichen darum, bereits vorhanden gewesene Fähigkeiten nach Unfällen, Krankheiten, Verletzungen etc. wiederzuerlangen. Bei der Physiotherapie mit Kindern müssen jedoch viele Fähigkeiten oft überhaupt erst erlernt werden - und das unter besonderen Voraussetzungen. Dieser Umstand bedarf sowohl eines anderen Zugangs als auch grundlegend anderer Behandlungsstrategien (Havelka 2007, 7). Wolf (2005) erläutert hierzu die Wichtigkeit des Spielens in der Therapie. Sie definiert Spielen sowohl als ‘die Betätigungsform der Kindheit’ (a.a.O., Herv. i. O.) sowie als ‘das wichtigste Mittel …, das wir zur Verfügung haben, um Kinder in der Therapie zu erreichen’ (a.a.O.). Auch der Blick in die Praxis einer/eines KinderphysiotherapeutIn macht die Bedeutung des Spieles in der physiotherapeutischen Behandlung von Kindern deutlich: Die Wände sind farbenfroh bemalt, Spielsachen und Musikinstrumente stapeln sich in den Regalen (o.A. 2005, 4). Doch nicht nur die kleinen PatientInnen selbst müssen von den PhysiotherapeutInnen mittels Spielens angeregt, motiviert und angesprochen werden: Auch die Kommunikation und Zusammenarbeit mit den Eltern bzw. Betreuungspersonen spielen eine entscheidende Rolle. Stimmt die Kommunikation zwischen Eltern und behandelnder/behandelndem TherapeutIn nicht, reagieren auch die Kinder darauf, die Therapiesituation wird erschwert und gesteckte Ziele nur schwer erreicht (a.a.O.). Eines der bekanntesten Konzepte, mit denen in der pädiatrischen Physiotherapie gearbeitet wird, ist das bereits erwähnte Bobath-Konzept, das von Karel und Berta Bobath seit den 1940er Jahren in London entwickelt wurde. Der Neurologe und Psychiater und die Physiotherapeutin beschäftigten sich intensiv mit der physiotherapeutischen Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit neurologischen Defiziten (Hartmannsgruber 1999, 77f). In den 1950er und 60er Jahren wurde das Konzept auch auf die Ergotherapie und die Logopädie ausgeweitet. Grundlegend für die Behandlung nach dem Bobath-Konzept ist das Anerkennen des Zusammenhangs von sensomotorischen, kognitiven, psychosozialen und auch sozio-emotionalen Anteilen - und auch ihre Integration in die physiotherapeutische Behandlung (a.a.O., 78). Karel und Berta Bobath gingen von der Annahme aus, dass Kinder in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt lernen, ihren Platz zu behaupten und zu sichern (a.a.O., 82). Hartmannsgruber (1999) schreibt hierzu: ‘Durch Erkennen von Fähigkeiten und Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit seinem Umfeld lernt das Kind sich selbst kennen. Erfolge stärken das Selbstvertrauen im eigenen Handeln. Das Selbstvertrauen wiederum hat großen Einfluß auf die Selbständigkeit, d.h. auf die Autonomieentwicklung des Kindes’ (a.a.O., 82).

Über den Autor

Priska Wikus wurde 1981 in Wien geboren. Nach der Ausbildung zur Physiotherapeutin am AKH Wien und der Arbeit in einem Integrationskindergarten schloss die Autorin 2011 ihr Studium der Bildungswissenschaften an der Universität Wien ab. Hierbei legte sie ihren Schwerpunkt auf die Integrativ- und Heilpädagogik. Diese Kombination spiegelt sich auch in der Thematik des vorliegenden Buches wider.

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