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  • Schriftliche Erzählungen in Deutsch als Erst-, Zweit- und Fremdsprache im Vergleich: Eine empirische Studie zur Entwicklung der narrativen Fähigkeiten von Jugendlichen unter Berücksichtigung des Spracherwerbs

Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 07.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 108
Abb.: 44
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Buch stellt eine umfangreiche empirische Studie zur Entwicklung der narrativen Fähigkeiten von Jugendlichen unterschiedlichen sprachlichen Hintergrunds und Bildungsniveaus anhand einer vergleichenden Analyse der schriftlichen Erzählungen in bildgebundener Textproduktion dar. Die Studie ist im Bereich der Zweitspracherwerbsforschung angesiedelt und hat starke Aussagekraft, da diese 140 Erzählungen von Erst-, Zweit- und Fremdsprachenlernern, die anhand einer Bildergeschichte als Erzählstimulus erhoben wurden, umfasst. Die Erzählungen werden auf verschiedene Aspekte hin analysiert und in Hinblick auf Produktionsergebnisse und Voraussetzungen verglichen. Besondere Berücksichtigung finden dabei Analyseaspekte wie Untersuchungen zur Textlänge, zum Aufbau von Erzählungen, zur Analyse der affektiven Markierungen, der Strukturtypen, Analysen zu Erzählformen, Erzählverhalten und -perspektive sowie Erzähltempus und Referenzen auf Aktanten. Die Analysen schließen detaillierte sprachliche Interpretationen ein und werden mit anschaulichen Beispielen illustriert. Das Buch ist für die Bereiche Spracherwerbs- und Sprachlehrforschung, Sprach- und Literaturdidaktik und Deutsch als Zweit- und Fremdsprache von Interesse.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 6, Erzähltheoretische Grundlagen: 6.1, Strukturmodelle in der Erzählforschung: Der Gedanke, dass Erzähltexte strukturelle Regelmäßigkeiten aufweisen und man sich bei einer Erzählung an ein Regelsystem zu halten hat, ist sehr alt. Erste Zeugnisse der Auseinandersetzung mit dem Aufbau und der sprachlichen Gestaltung der narrativen Texte finden sich bereits in Lehrbüchern der antiken Redetheoretiker wie Aristoteles, Cicero und Quintilianus (vgl. Bitter Bättig 1999: 19). In deren Schriften wird die Erzählung allerdings im Zusammenhang mit der Gerichtsrede betrachtet. Dementsprechend gilt die Erzählung als ein konstruktives Element der forensischen Rede. Durch die Erzählung wird angestrebt, einen Sachverhalt so darzustellen, dass der Richter durch die gedankliche Klarheit, die sich in der Kürze der Erzählung ausdrückt, und die Glaubwürdigkeit der Darstellung von ihrer Richtigkeit überzeugt wird. Der dargestellte Sachverhalt wird dabei in die Teile Anfang, Mitte und Schluss gegliedert. Gegenstand des Anfangs können Ort, Zeit, Umstände, Thema, Streitsache und Personen sein. Die Vorgeschichte der Handlung interessiert nicht und wird demzufolge nicht versprachlicht (vgl. Lausberg 1960: 171). Die Mitte der Erzählung wird durch die Aufteilung der Gesamthandlung in viele sukzessive Teilhandlungen realisiert. Der Schluss muss den Ausgang der Handlung umfassen, insofern er für die richterliche Entscheidung noch von Interesse ist. Um zu überzeugen, muss der Redner seinen Text dementsprechend versprachlichen, indem er bestimmte sprachliche Mittel verwendet: Die Detaillierung des Gesamtgegenstandes, den Gebrauch des Präsens, den Gebrauch der die Anwesenheit ausdrückenden Ortsadverbien, die Anrede an die in der Erzählung vorkommenden Personen, die direkte Rede der in der Erzählung vorkommenden Personen untereinander (ebd.: 402). Ludwig (1984: 19) hat in seinen Beiträgen zur Geschichte des Schulaufsatzes gezeigt, dass die Schulerzählung ihren Ursprung in der antiken Rhetorik hat. Die für die forensische Rede bestimmten stilistischen Vorgaben von Kürze, Klarheit, Anschaulichkeit und Glaubwürdigkeit zur Versprachlichung der narrativen Texte haben laut Ludwig (ebd.: 20) das Erzählen im schulischen Rahmen bis in das 19. Jahrhundert beeinflusst. Im 19. Jahrhundert wurden Erzählungen zur Förderung der Allgemeinbildung dann erstmals ohne Einbindung in die forensische Rede vertextet. Naumann (1874: 26, zitiert in Bitter Bättig) sieht folgende Anforderungen an den Aufbau von Erzählungen: 1. die Einleitung (Vorangehendes). 2. den Vorgang selbst- 3. die Exposition (Angabe der Person, des Schauplatzes und der Zeit): a) Entwicklung der Handlung: entferntere und nähere Ursachen, Beweggründe (Motive). b) das Faktum selbst (Entscheidung, Spitze der Handlung oder Katastrophe). 4. den Ausgang (Abnahme und Ende der Handlung, Folgen, Resultate). Es ist ersichtlich, dass die Anforderungen in Bezug auf den Aufbau von Erzählungen im Unterschied zu den antiken differenzierter geworden sind und zwar hinsichtlich der Hinführung auf die Komplikation. Neu ist auch, dass die Vorgeschichte ihren Platz in der Erzählung hat und dass der Ausgang der Handlung ohne jegliche Einschränkung von Interesse ist (vgl. Bitter Bättig 1999: 21). Auf die Wichtigkeit der Vorstellung, dass neben den Strukturelementen das Regelsystem bei der Vertextung einer Rede eine große Bedeutung hat, weist bereits Quintilianus hin (vgl. 1972: 449ff.). Für Quintilianus (ebd.: 457) bestand die Funktion einer Erzählung vor allem darin, dass der Adressat der forensischen Rede einen Sachverhalt kennen lernt und bewogen wird, dessen Darstellung durch den Redner zuzustimmen. Dies geschieht nicht zuletzt durch den in der Rede enthaltenen Appell an sein Gefühl. Dieser Aspekt der ‘Emotionalisierung’ der dargestellten Sachverhalte von Quintilianus (ebd.: 461) spielt eine zentrale Rolle auch in der gegenwärtigen erzähltheoretischen Forschung. Neben der rhetorischen Tradition beschäftigt sich der literaturwissenschaftliche Strukturalismus mit der Narrativik. Auch die Linguistik und Psychologie befassen sich seit einiger Zeit mit der Entwicklung der narrativen Strukturmodelle. Im 20. Jahrhundert wurden Erzählungen zum Untersuchungsgegenstand verschiedener Forschungsansätze: strukturell, kognitiv und dialogorientiert. Der Strukturalismus des 20. Jahrhunderts widmet sich besonders einfachen Erzählungen wie dem Märchen, der Fabel und dem Mythos. Propp (1972) entwickelt die Grundlage zur neueren Betrachtungsweise der Struktur von Erzähltexten am Beispiel der Analyse der russischen Zaubermärchen. Er untersucht die Erzähltexte darauf hin, nach welchen spezifischen Prinzipien sie die dargebotenen Stoffe strukturieren. Die gleiche Frage u.a., allerdings unabhängig von Propp, stellt auch Lévi-Strauss in seiner Schrift ‘The Structural Study of Myth’ (1955). In Bremonds ‘Morphologie des französischen Märchens’ (1970: 247ff.) und Todorovs Analysen der Novellen des ‘Decamerone’ (1969) handelt es sich um eine ‘Grammatik’ narrativer Texte. Dieser Gedanke wird später von van Dijk (1980) und von den Autoren der ‘story grammars’ aufgegriffen. Sie versuchen ebenfalls eine Modellierung der Struktur narrativer Texte im Sinne einer ‘Erzählgrammatik’. Der strukturalistische Ansatz von Labov hat einen sehr großen Beitrag zur Erzählforschung geleistet. Labov und seine Mitarbeiter gehen von der temporalen Organisation einer Erzählung aus und entwickelten Ende der 60er Jahre ein Strukturmodell mit strukturellen Merkmalen für die Beschreibung von Erzählungen (vgl. Labov/Waletzky 1978: 67). Sie untersuchten alltägliche Erzählungen persönlicher Erfahrung, indem sie den Probanden einen sprachlichen Stimulus in Form einer Frage nach einer gefährlichen Situation gaben. Sie entwickelten im Verlauf ihrer Untersuchungen eine Reihe von Interviewtechniken, mittels deren der Sprecher tief in die Ereignisse seiner Vergangenheit hineingezogen wird, die von ihm wieder erzählt oder sogar wieder erlebt werden. Labov/Waletzky (ebd.: 63) analysieren Erzählungen hinsichtlich folgender Aspekte: Gesamtstruktur, Arten der Evaluation und wie diese in der Erzählstruktur verankert sind, Syntax der narrativen Teilsätze (narrative clauses), syntaktische Komplexität und schließlich die Verwendung von komplexen syntaktischen Strukturen im Bereich der Evaluation und ihre Entwicklung im fortgeschrittenen Alter. Die Struktureinheiten definieren sich also anhand der Textoberfläche von alltäglichen Erzählungen. Die Autoren gliedern eine Alltagserzählung in folgende Struktureinheiten (vgl. ebd.: 67): Abstrakt, Orientierung, Handlungskomplikation, Evaluation, Auflösung und Koda. Eine Erzählung kann durchaus mit einem oder mehreren Sätzen beginnen, die die ganze Geschichte zusammenfassen und ihren Kern wiedergeben. Dies nennen Labov/Waletzky (ebd.) den Abstrakt. In der Orientierung werden Personen, Ort, Zeit und das Geschehen eingeführt. Sie entwirft den Vorstellungsraum, in dem sich das Geschehen abspielt. Die Komplikation enthält das besondere Ereignis, um dessentwillen erzählt wird. An seiner ‘reportability’ entscheidet sich die Wirkung der Erzählung. Die Evaluation ist neben dem zentralen narrativen Teilsatz das wichtigste Element und hat einen bewertenden Charakter. Die erzählende Person bettet in ihre Erzählung ihre persönlichen Erfahrungen und ihre Meinung ein, indem sie Mittel benutzt, die den Kern der Erzählung zum Ausdruck bringen (ebd.: 70). Durch verschiedene Pointen wird zum Ausdruck gebracht, warum die Erzählung erzählt wird und welche Wirkung der Erzähler mit ihr erreichen will, ‘mit anderen Worten, warum die Ereignisse der Erzählung wert sind, erzählt zu werden’ (ebd.: 74). Die Auflösung ergibt sich aus der Implikation und stellt das Resultat des dargestellten Ereignisses und seine Konsequenzen für die handelnden Personen dar. Die Koda schließt die Erzählung ab. Die Verbindung zur Gegenwart wird wiederhergestellt. Laut Labov/Waletzky (1973: 124) kann sich die Auflösung mit der Evaluation verflechten und die Koda wird oft nicht versprachlicht. Der strukturalistische Ansatz von Labov/Waletzky ist die Grundlage vieler empirischer Untersuchungen und gilt als ein klassisches Werk in der linguistischen Erzähltextanalyse. Ab Mitte der 70er Jahre wurden die Untersuchungen zur Erzähltextanalyse durch die Forschungsansätze aus der kognitiven Psychologie beeinflusst. Im Zentrum der Untersuchungen stehen die Verstehensprozesse von Geschichten. Diese werden als kausale oder finale Abfolgen von Ereignissen verstanden, die aufeinander bezogen sind. Es wurden zahlreiche sprachpsychologische Experimente durchgeführt, mit deren Hilfe von der Art der Wiedergabe auf eine schemaartige Repräsentation der Struktur von Geschichten im Gedächtnis geschlossen werden kann (vgl. Bitter Bättig 1999: 25). Ausgehend von Chomskys generativer Transformationsgrammatik (1973) und von Bartletts Schema-Theorie (1932) formuliert der Kognitionspsychologe Rumelhart (1975: 211ff.) eine ‘Geschichtengrammatik’. Diese wird von ihm als ein schematisches Modell für die Repräsentation von Geschichten im Gedächtnis verstanden. Laut der ‘Geschichtengrammatik’ von Rumelhart (vgl. ebd.) verfügt der Sprachbenutzer zur Erzeugung von Geschichten über ein Regelsystem, das analog zu dem der Transformationsgrammatik gebildet wird. Dementsprechend müsse die ‘Wohlgeformtheit’ von Geschichten ebenso abbildbar sein wie diejenige von Sätzen. Im Gegensatz zum linearen Labov-Waletzky-Schema sind ‘story grammas’ von Rumelhart hierarchisch strukturiert. Die Konstituenten seines Modells formuliert Rumelhart in Form grammatischer ‘Regeln’ (Story ? Setting + Episode, Episode ? Event + Reaction usw.). Das Modell der Geschichtengrammatik wurde von Rumelhart in seinem Aufsatz ‘Notes on a Scheme for Stories’ (1975) dargelegt und von amerikanischen Wissenschaftlern weiterentwickelt. Es findet Verwendung in Analysen zum Verstehen, Behalten und Zusammenfassen von Erzähltexten. Quasthoff (1980: 88, 1985: 214) untersuchte konversationelle Erzählungen, d.h. Erzählungen, die im Rahmen von Alltagsgesprächen versprachlicht wurden. Anhand der konversationellen Erzählungen entwickelte sie eine Relationsstruktur, die ‘deutlich machen soll, wie Inhalte einer komplexen Textbedeutung nach funktionalen Prinzipien hierarchisch geordnet werden können.’ (Quasthoff 1980: 105). Dem Relationsmodell von Quasthoff liegt eine ‘Gegensatzrelation’ zwischen dem ‘Plan’ eines Agenten, der durch den normalen Ablauf der Ereignisse gegeben ist, und dem ‘Planbruch’ bzw. einem unerwarteten Ereignis zugrunde. Dementsprechend spricht die Autorin von Relationen. Als zentrales Merkmal der konversationellen Erzählungen gilt die ‘Ungewöhnlichkeit’ des erzählten Geschehens. Im Unterschied zu den früheren Modellen richtet Quasthoff (1980: 105) ihr Augenmerk weniger auf die Prozesse des Verstehens, als vielmehr auf solche der Produktion von Texten.

Über den Autor

Natalia Lemdche, M.A. wurde 1976 in Smolensk (Russland) geboren und studierte deutsche und russische Philologie auf Lehramt an der Pädagogischen Universität Smolensk, wonach sie mehrere Jahre als Deutsch- und Russischlehrerin an Mittelschulen in Smolensk unterrichtete. Anschließend studierte sie Deutsch als Zweitsprache und dessen Didaktik, deutsche Sprachwissenschaft und Schulpädagogik (M.A.) sowie Erziehungswissenschaften (B.A.) mit der Vertiefungsrichtung Pädagogik der Kindheit und Jugend an der Universität Augsburg. Gegenwärtig arbeitet sie an ihrem Dissertationsvorhaben und ist als Sprachfachkraft in einer Kindertagesstätte tätig. Ihre Schwerpunkte sind Mehrsprachigkeit, Spracherwerb und sprachliche Bildung, Sprachbeobachtung und –förderung.

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