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Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 12.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 108
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Vaterrolle ist durch den Bedeutungsverlust des Patriarchats in der modernen Massengesellschaft einem starken Wandel ausgesetzt. Frei gewordene Autoritätsräume mussten und müssen weiterhin neu besetzt oder umdefiniert werden. Als Symptome für diesen Zustand gelten u. a. der gesellschaftliche Geschlechterkampf, fehlende Väter in Familien, Sozialisationsprobleme von Jugendlichen vor allem bei Jungen und eine Überfeminisierung bzw. ein Mangel männlicher Identifikationsfiguren besonders an Grundschulen und Kindergärten. Dieser Zustand wird oft als vaterlose Gesellschaft bezeichnet, ein vom großen deutschen Vordenker Alexander Mitscherlich populär gemachter Begriff. Dieses Buch verknüpft historische, sozialpsychologische, philosophische, pädagogische und psychoanalytische Quellen zu einer umfassenden Darstellung der Vaterfunktion in Familie und Gesellschaft. Es werden die Konsequenzen eines Mangels an Vaterfiguren aufgezeigt und untersucht, inwiefern soziale Väter eine Ersatzfunktion erfüllen können und müssen. Während der Recherche wurde deutlich, wie dürftig im Vergleich zur Frauenforschung die Datenlage im Bereich der Männer- und Väterforschung ist.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5, Die Gegenwartsdiskussion über die ‘vaterlose Gesellschaft’: Seit ungefähr Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts, ist eine neue Diskussion um die ‘vaterlose Gesellschaft’ entbrannt, in der sich ein inhaltlicher Wandel vollzogen hat. Es geht nun nicht mehr um rein theoretische Abhandlungen sozialphilosophischer oder -psychologischer Natur, die die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Zusammenbruch patriarchaler Herrschaftsstrukturen intellektuell aufarbeiten, sondern um das konkrete Fehlen des Vaters in der Familie und der Männer im Erziehungswesen überhaupt. Was führte zu dieser Entwicklung? 5.1, Der Aufstand gegen die Väter: Neben der schon beschriebenen allmählichen Entleerung der traditionellen väterlichen Autorität, der als unterschwellig wirksamer gesellschaftlicher Prozess unaufhörlich im Hintergrund ablief, muss die antiautoritäre Bewegung am Ende der 1960er Jahre als Ausgangspunkt der heutigen Väterdebatte angesehen werden. Die Studentenbewegung in Deutschland hatte ihren Ursprung in einer Rebellion gegen ‘Väter’ in doppelter Ausprägung, d.h. sowohl im leiblichen Sinne, als auch abstrakt im Sinne von ‘Vater Staat’. Den eigenen Familienvätern wurden insbesondere die Verstrickungen mit dem Dritten Reich angelastet. Sicherlich hatten diese Anklagen ihre berechtigte Grundlage in einem häufig festgestellten Mangel an nicht geleisteter Sühne und einer zunehmenden Offenlegung von Kollaborationen der Väter mit dem NS-Regime und der bruchlosen Karrierefortsetzung einiger Altnazis, z.B. Richter, in den demokratischen Strukturen der neuen Bundesrepublik. Andererseits wurden damit sämtliche Väter unter Vernachlässigung der Neutralen oder Oppositionellen und unter Aussparung weiblicher Unterstützung und Begeisterung für den ‘Führer’ (BDM, Mutterkreuz, -kult) in Sippenhaft genommen. Für diese Betrachtungsweise einseitiger männlicher Schuld spielen unterschiedliche Faktoren eine Rolle. Wie schon bei Paul Federn deutlich wurde, sahen Intellektuelle des linken Spektrums, woraus auch die Studentenbewegung hervorging, die Wurzel für autoritäre Herrschaft in den durch das Patriarchat geschaffenen Machtverhältnissen, die sich von der Familie ausgehend in die Gesellschaft fortpflanzten. Da der Mann das Oberhaupt mit sämtlicher Verantwortung, dem sich Frau und Kinder unterordnen hatte, darstellte, stand nun auch seine Alleinverantwortung für die Nazigräuel fest. Der ‘deutsche Mann’ hatte in kurzer Zeit zwei Weltkriege angezettelt und beinahe die Weltherrschaft an sich gerissen. Durch die ‘reeducation’-Maßnahmen wollten die alliierten Siegermächte zukünftigen deutschen Totalitarismus ein für alle Mal unterbinden. Die Amerikaner erkannten in einer Studie über das deutsche Familienleben den deutschen Vater als Urheber allen Obrigkeitsstaatsdenkens: ‘He is omnipotent, omniscient, and omnipresent, as far as this is possible for a human being. He is the source of all authority… . (…) The father serves also as a model for his children. He is a Vorbild (an ideal) for them to follow. (…) The German father lays so much stress upon respect for his authority that he actually may sacrifice other familial values in order to maintain it” (zit. n. Lenzen, S. 235). Wollte man diese Strukturen aufbrechen, musste mit der Schwächung des Vaters im Gegenzug eine Stärkung von Müttern und Kindern einhergehen. Wie in wohl keiner anderen vom 2. Weltkrieg betroffenen Nation wandelte sich das männliche Image ins fast ausschließlich Negative. Man(n) hatte den Krieg angefangen (= Schuld), man(n) hatte unendliche Gräueltaten begangen (= Verantwortung), man(n) hatte den Krieg verloren, war gefallen oder kam als Krüppel zurück (= Versager). Das millionenfache Fehlen von Männern in der Nachkriegszeit durch Kriegsgefangenschaft und Tod beschleunigte die deutsche vaterlose Gesellschaft zusätzlich. ‘Fast alle deutschen Männer verließen wegen des Militärdienstes ihre Familien. Viele kehrten nie zurück.’ (Radebold, S. 31) Ungefähr 25% aller Kinder der Kriegs- und Nachkriegszeit wuchsen in Deutschland ohne Vater auf (vgl. Franz 2004b, S. 22). Zwar waren auch andere in den Krieg verwickelten Staaten von dem Problem betroffen, aber in quantitativ geringerem Ausmaß und vor allem mit dem moralischen Vorteil der Sieger und Nazibezwinger. Deutschland nahm also eine historische Sonderstellung ein, die im Vergleich zur übrigen westlichen Welt, deren gesellschaftlichen Entwicklungen ansonsten weitgehend parallel verlaufen, zu einer besonders starken Ablehnung der ‘Väter’ prädestinierte. ‘Ihre Väter – wenn überhaupt zurückgekehrt – blieben, Geschlagene und Verlierer’ – in deutlichem Gegensatz zu den erlebten Soldaten der Siegermächte.’ (Radebold, S. 98) Auch die deutschen Kriegsheimkehrer waren nicht in der Lage, für Ausgleich zu sorgen. Viele zogen sich durch die Kriegserlebnisse traumatisiert aus dem Familienleben zurück, sodass selbst Kinder der Nachkriegsgeneration mit einem zurückgekehrten Vater quasi ‘vaterlos’ aufwuchsen. Radebold nennt sie die ‘lebenslänglich innerlich abwesenden Väter’ (S. 117), die vom Krieg geprägt nie wieder einen echten Zugang zum sozialen zivilen Leben fanden und sich völlig abkapselten. Sie waren für ihre Kinder seelisch nicht erreichbar, waren unfähig eine gefühlsmäßige Bindung zu ihnen aufzubauen, zogen sich in Refugien, z.B. Garten oder Werkstatt, zurück und erfüllten, teilweise völlig verstummt, ihre Pflicht der Familie gegenüber durch Geldverdienen. Die Beziehung zu ihren Kindern gestaltete sich fast ausschließlich über die Mutter. Radebold stellte in Psychoanalysen fest, dass derart vaterlose Kinder, es nicht schaffen, ein prägnantes Bild von ihren Vätern zu entwerfen, es bleibt ein Leben lang unlebendig, nicht plastisch und fremd (vgl. S. 117ff). Im gleichen Ausmaß wie der Respekt vor den Vätern in der Nachkriegszeit sank, stieg das Ansehen der Mütter. Ihre Verantwortung für die Erziehung der Kinder war durch die Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz im Zuge der Industrialisierung ohnehin aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung historisch kontinuierlich gewachsen. Jetzt stand einer teils gerechtfertigten, teils übertriebenen Idealisierung nichts mehr im Wege. Sie war aus der Verantwortung für das Dritte Reich herausgenommen, baute als Trümmerfrau Deutschland wieder auf und erzog oft als alleinerziehende Mutter den Nachwuchs. Nahezu die gesamte pädagogische Ratgeberliteratur der 1960er Jahre richtete sich ausschließlich an die Mütter. Väter kamen entweder nur verstohlen in einem Nebensatz vor oder wurden gleich als ungeschickte familiäre Störenfriede entlarvt (vgl. Lenzen S. 237f). So bereiteten patriarchalisches Erbe, Schuld, Entnazifizierungspropaganda und die gewachsene Bedeutung der Frauen den Boden für die Abrechnung der 68er-Generation mit ihren Vätern.

Über den Autor

Axel Sichler wurde 1963 in Versmold in Westfalen geboren. Nach seiner Ausbildung zum Krankenpfleger und mehrjähriger Berufserfahrung studierte er Erziehungswissenschaft an der Universität Osnabrück. Durch ein Radioportrait wurde er auf die Schriften von dem deutschen Arzt und Sozialpsychologen Alexander Mitscherlich (1908-1982) aufmerksam, dessen analytische Prägnanz und treffsicheren Prognosen über gesellschaftliche Entwicklungen ihn beeindruckten. Während seines Studiums wurde ihm die weibliche Dominanz in den Erziehungswissenschaften besonders im Primarbereich des Lehramtes persönlich vor Augen geführt. Schließlich gab ihm die öffentliche Diskussion über die Überfeminisierung in Kindergärten und Grundschulen den Impuls, die Hintergründe, Ursachen und Konsequenzen dieser Entwicklung im Rahmen dieser Arbeit genauer zu untersuchen.

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