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Pädagogik & Soziales

Christine Töltsch

Aggression und Gewalt: Unterschiede bei Mädchen und Jungen?

ISBN: 978-3-8428-8065-8

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 120
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

‘Jugendgewalt’ ist ein Thema, das in regelmäßigen Abständen medienwirksam in Szene gesetzt wird. Bislang standen meist männliche Gewalttäter im Mittelpunkt der Diskussionen. Neu in der Debatte ist nun, dass Jugendgewalt zunehmend auch als Mädchengewalt thematisiert wird. Parallel zu der Zunahme weiblicher Gewaltkriminalität, wie sie die Kriminalitätsstatistiken nachweisen, mehren sich Schilderungen von Pädagogen und Pädagoginnen aus der Praxis, die sich in ihrer Arbeit vermehrt mit gewalttätigen Mädchen konfrontiert sehen. Sie schilderten verschiedene Fälle aus dem Schulalltag, die das Bild der ‘friedfertigen Frau’ nachhaltig in Frage stellen. Die Palette an gewaltförmigen Handlungen zog sich von Intrigen und Mobbing über verbale Anfeindungen bis hin zu brutalen körperlichen Schlägereien. Mit ihren Ausführungen strebten die anwesenden Pädagogen vor allem nach Aufklärung eines Ausschnitts mädchenspezifischer Realität, damit Mädchengewalt nicht länger tabuisiert oder ignoriert wird. Dieses Buch beleuchtet die geschlechtsspezifischen Aspekte der Gewalt und Aggression unter Mädchen und Jungen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Soziale Determinanten und ihr Einfluss auf die Entwicklung gewaltförmigen Verhaltens: Die Lebenswelt eines Menschen ist, wie bereits erwähnt, gesellschaftlich durchdrungen. Gesellschaftliche Strukturen beeinflussen seine Gestaltungs- und Interaktionsmöglichkeiten. In diesem Kapitel werden die Bereiche der Familie, der Schule, der Medien und der Gleichaltrigengruppe unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung für beide Geschlechter und im Hinblick auf Gewalt näher beleuchtet. Dabei werden die Sozialisationsinstanzen gesondert behandelt, sie müssen jedoch als sich wechselseitig beeinflussend und ineinander verwoben gesehen werden. 4.1, Gewalterfahrung in erster Instanz - die Familie: Bestimmte Problemkonstellationen können nur bezwungen werden, wenn auch die sozialen Ressourcen maßgeblich zur Bewältigung beitragen. Essenziell ist dabei die Unterstützung durch wichtige Bezugspersonen. Gewalttätiges Verhalten Jugendlicher wird vielfach auf die Einflüsse des Elternhauses zurückgeführt. Die Dynamik der Familiensituation und das Verhältnis zu Eltern und Erziehungsberechtigten ist … auch für Jugendliche immer noch sehr entscheidend. Diese familiären Beziehungen vermitteln im Kern die Erfahrung, im unmittelbaren Umfeld emotional angenommen und akzeptiert oder aber abgelehnt und nicht unterstützt zu werden. Über die Familie können individuelle Problemlagen abgepuffert oder aber auch verstärkt werden. (PFEIFFER, WETZELS, ENZMANN 1999, S. 4) Als Risikofaktoren gelten dabei vor allem ein wechselhafter, vernachlässigender oder indifferenter Erziehungsstil, autoritäre Eltern-Kind-Beziehungen wie auch machtbetonte Formen sozialer Kontrolle (LÖSEL 1993 OLWEUS 1996). Im Allgemeinen besteht die Vorstellung, dass unzureichende Unterstützung in der Familie, als Ausdruck mangelnder sozialer Kontrolle und Unverbindlichkeit in den sozialen Beziehungen, die Wahrscheinlichkeit für abweichendes Verhalten erhöht (OLWEUS 1996). Doch ist es gerade bei der Erklärung gewaltbereiten Verhaltens besonders wichtig, dass kausale und korrelative Schlüsse deutlich voneinander getrennt werden. Eine Vielzahl von Forschern geht davon aus, dass Gewalterfahrungen in der Familie eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Entwicklung gewaltbereiten Verhaltens spielen. STEINMETZ (1977) spricht vom ‘Cycle of Violence’ und zielt damit auf die Tatsache ab, dass Gewalttäter (hier wird nicht auf das Geschlecht eingegangen) häufig selbst Opfer elterlicher Gewalt gewesen sind (LÖSEL 1993 HURRELMANN 1997). So stellt HEITMEYER (1995) fest, dass Jugendliche, die in ihrer Kindheit Gewalt ausgesetzt waren, in höherem Maße Gewalt befürworteten. Ferner wiesen Jugendliche, die in der Kindheit Opfer von Gewalt waren, deutlich höhere Viktimisierungsraten und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit eigener Gewalttätigkeit auf. Dennoch, nicht alle Kinder, die geschlagen wurden, wenden später selbst Gewalt an. Aber die, die Gewalt anwenden, waren auffällig oft selbst Opfer elterlicher Gewalt in ihrer Kindheit. Dabei hat sich gezeigt, dass sie Gewalt, die unter den Eltern angewandt wurde entweder beobachteten und sich als Kinder nicht dagegen zur Wehr setzen konnten und/oder, dass sie selbst misshandelt wurden. Demnach hat elterliche Gewalt gegen Kinder dann besonders problematische Effekte, wenn sie in eine Familiensituation eingebettet ist, in der die Eltern auch untereinander ihre Konflikte gewaltförmig austragen. Sie geben so den Kindern ein negatives Modell des Umgangs mit Streitigkeiten (WETZELS 1997). Partnergewalt reduziert die Fähigkeiten von Eltern, einfühlsam und vor allem auch konsistent auf die Bedürfnisse von Kindern einzugehen und diese adäquat zu erziehen. Nach MANSEL und HURRELMANN (1998) spielt die Inkonsistenz elterlichen Erziehungsverhaltens, das heißt dessen Nichtvorhersagbarkeit und Nichtbeeinflussbarkeit, eine wichtige Rolle für die Entstehung von Gewaltbereitschaft auf Seiten der Jugendlichen. Inkonsistenz ist für Jugendliche in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Problem. Sie führt einerseits zur Unklarheit über Regeln. Andererseits bedeutet Inkonsistenz auch Kontrollverlust. Im Zusammenhang mit physischer Gewaltanwendung durch Eltern impliziert dies die diffuse Bedrohung, unvorhersehbarerweise Zielscheibe elterlicher Gewalt werden zu können. Ein die Kinder emotional vernachlässigendes Erziehungsverhalten, bei dem das familiäre Zusammenleben ohne Verbindlichkeiten und Greifbarkeiten abläuft und das bei Kindern das Gefühl von Lieblosigkeit und Desinteresse erzeugt, kann in der Folge auch Aggressionen als ‘Notrufe’ begünstigen. Diese Art der Erziehung ist genauso wenig geeignet wie ein autoritärer Erziehungsstil, um zur Entwicklung von Selbstvertrauen, Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen beizutragen. Ein partnerschaftlich-demokratischer Erziehungsstil, der im Wesentlichen auf der gegenseitigen Achtung und Anerkennung beruht, sich dem Kinde verpflichtet fühlt und in dem ein gegenseitiger, offener Abstimmungs- und Aushandlungsprozess stattfindet, kann vor abweichenden und ausweichenden Bewältigungsmechanismen wie Aggressivität, Selbstaggressivität und Depressivität schützen (HURRELMANN 1994 OLWEUS 1996). In diesen Erklärungen wird davon ausgegangen, dass Gewalterfahrungen in der Familie neben anderen Faktoren zur Bereitschaft führen selbst Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung anzuwenden. Durch die Anwendung von Gewalt in der Familie wird der Aufbau von Vertrauen in die Beziehungspersonen grundlegend gestört. Die aggressivste Konstellation fördern Eltern, die ihre Kinder zur Durchsetzung gegenüber anderen mittels Gewalt auffordern und dieses Verhalten dadurch legitimieren, dass sie das Opfer für die ihm zugefügte Gewalt verantwortlich machen. Häufig haben Eltern hochaggressiver Kinder, bewusst oder unbewusst, feindseliges Verhalten und Gewalt als legitimes Mittel zur Konfliktlösung gefördert. Nicht nur das aktive Anstiften zu Gewalt, sondern auch das Ignorieren von Gewalt seitens der Eltern wirkt gewaltfördernd. Dies kann ebenso in Familien vorkommen, die selbst kaum aggressive Strukturen aufweisen (NOLTING 1999). Mittels einer repräsentativen Schülerbefragung von PFEIFFER et al. (1999) konnten die Annahmen bestätigt werden, dass Menschen, die als Kind massiv mit elterlicher Gewalt konfrontiert waren, in ihrem Vertrauen in andere Menschen erschüttert und von daher im Schnitt in höherem Maße geneigt sind, die Verhaltensweisen anderer als ihnen gegenüber feindselig gesonnen zu interpretieren. Ferner würde ihre Konfliktlösungskompetenz geringer entwickelt sein, was vor allem auf das Fehlen geeigneter Vorbilder zurückzuführen sei. Dies trage dazu bei, dass Kinder, die durch elterliche Gewalt beeinträchtigt sind, mit höherer Wahrscheinlichkeit in Konflikte geraten bzw. diese durch ihre Interpretation von Situationen erzeugen. Zusätzlich gehen die Autoren davon aus, dass auch die Einstellungen der Kinder eher gewaltbefürwortend sind, insbesondere dann, wenn die Eltern Gewalt nicht nur vorleben, sondern zusätzlich personengerichtetes Gewalthandeln Jugendlicher legitimieren bzw. nicht ablehnen. Auch ZIEHLKE (1993) weist unter Rückgriff auf verschiedene empirische Sekundäranalysen darauf hin, dass inhaftierte Jungen besonders häufig von ihrem gestörten, distanzierten oder nicht vorhandenen Verhältnis zum Vater berichteten, der für sie dennoch auch zentrale Bezugsperson ist. Männliche Jugendliche erleben nicht selten ein paradoxes Erziehungsverhalten ihrer Väter. Gewalttätigkeit bezieht sich aber nicht nur auf das Bestrafungsverhalten, vielmehr stellt sich häufig eine Grundform der Interaktion dar und ist oft Ausdruck von Hilflosigkeit oder Ärger. Dabei erleben die Jungen die besonderen Paradoxien männlicher Existenz: Noch während der Vater ‘Zucht und Ordnung’ verlangt, randaliert er meist selbst. Nicht selten wird präventiv zugeschlagen. (ZIEHLKE 1993, S. 75f.) Die Mehrzahl der Untersuchungen innerfamiliärer Gewalt behandelt vorrangig den Bereich des physisch aggressiven Verhaltens. Nichtsdestotrotz sollte der Blick auch auf verbale und indirektere Formen der Gewalt gerichtet werden, da diese nicht weniger wirkungsvoll sind. ‘Es scheint in der Tat so zu sein, dass mehr noch als selbst harte und häufige körperliche Züchtigung verbal aggressives Erziehungsverhalten die kindliche Bereitschaft zu physisch-aggressivem Verhalten steigert’ (HINSCH, HOFFMANN, UEBERSCHÄR, WITTMANN 1998, S. 56). Beleidigungen, Erniedrigungen, Nicht-Beachtung und Demütigungen werden häufig als schlimmer empfunden als körperliche Gewalt. Auch HEYNE (1993) merkt an, dass ‘Worte schlimmer verletzen [können] als körperliche Misshandlung. Worte können tiefer und nachhaltiger entwürdigen als physischer Schmerz. Worte zielen, wenn sie als Waffe eingesetzt werden, in das Zentrum der Persönlichkeit’ (S. 93).

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