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  • Bindungstheorie und Heimerziehung: Erkenntnisse aus der Bindungsforschung und ihre Bedeutung für die alltägliche Praxis in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe

Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 07.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Obwohl die Bindungstheorie, welche sich mit den psychischen Auswirkungen früher Beziehungserfahrungen auf die Persönlichkeitsentwicklung des Individuums auseinandersetzt, ihre wissenschaftlichen Wurzeln im Heimerziehungskontext begründet hat, ist eine angemessene Einbeziehung der Erkenntnisse aus der Bindungsforschung in die Heimpädagogik bisher großteils ausgeblieben. Gerade in Bezug auf die Problematiken der Bindungspräsentation bei Kindern und Jugendlichen, die in Heimen leben, erscheint sie jedoch viele geeignete Ansätze zu bieten, diesen durch Verständnis, Wissen und damit einhergehenden Handlungsmöglichkeiten entgegen wirken zu können. Aufgrund dessen wird in diesem Buch der gängige Alltag zeitgemäßer Einrichtungen der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland auf den Prüfstand gestellt. Untersucht werden sie hinsichtlich der gegebenen Strukturen, welche die Entwicklung von Bindung nach den Erkenntnissen der Bindungsforschung negativ beeinflussen können sowie damit einhergehender Problematiken für die Gestaltung der Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen. Anhand einer Einzelfallstudie, in welcher eine Jugendliche aus dem stationären Setting befragt wird, werden Bedeutung und Relevanz der Ergebnisse aus der Bindungsforschung im Kontext des Praxisalltags bewertet. Dies soll dazu führen, die Bindungsbedürfnisse der Betroffenen besser nachvollziehen sowie dadurch sinnvolle Thesen und Handlungsansätze für die Anwendung der Erkenntnisse aus der Bindungsforschung in die Praxis ableiten zu können.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4, Der Praxisalltag in der Heimerziehung – bindungshemmende Strukturen und typische Problematiken: Die eine Heimerziehungsform gibt es wie oben erwähnt, schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Neben den bekannten, klassischen Zentralheimen existieren heute die verschiedensten Wohnformen. Darunter zählen zum Beispiel Außenwohngruppen, therapeutische Wohngruppen, heilpädagogische Wohngruppen, Verselbstständigungsgruppen, Pflegenester, sowie das betreute Wohnen. Jede einzelne dieser und weiterer Wohnformen unterscheiden sich bei näherer Betrachtung in vielfältiger Weise. Zugleich lässt sich aber auch eine Unsumme an Gemeinsamkeiten wiederfinden, auf welche sich der folgende Abschnitt zu konzentrieren versucht. Bezieht man sich an dieser Stelle lediglich auf die bisher vorgestellten wissenschaftlichen Erkenntnisse, so lassen sich bereits einige typische Problematiken im Praxisalltag der Heimerziehung ableiten. Auf der einen Seite wären da die Kinder und Jugendlichen, welche mit erhöhter Wahrscheinlichkeit psychopathologisch belastet sind, Verhaltensauffälligkeiten, sowie zudem problematische Bindungsrepräsentationen aufweisen. Mit der Unterbringung an sich fügen sich noch weitere belastende Situationen ihrem Lebenslauf hinzu. Exemplarisch genannt sei hier die Trennung vom bisherigen Umfeld, sowohl familiär, als auch gegebenenfalls geografisch und damit verbunden vom weiteren Sozial- und Schulumfeld. Diese Trennungen können sich schwer belastend auf den Betroffenen auswirken. Zudem steht das Kind oder auch der Jugendliche vor der Herausforderung, sich in seinem neuen Umfeld zu integrieren. Dies bedeutet nicht nur, sich mit den neuen Rahmenbedingungen und Strukturen der Einrichtung und der Betreuer ab-, sowie zurechtzufinden, sondern auch seine Position unter den Bewohnern zu finden, einzunehmen und stetig zu verteidigen. Erschwerend bei der Aufnahme in eine Einrichtung ist es zudem, dass es recht häufig keine Vorbereitungszeit für die Bewohner gibt. Sie erfahren erst wenige Stunden bis Tage vorher von der neuen Situation, haben weder Zeit sich angemessen von den ihnen wichtigen Familienmitgliedern und Freunden zu verabschieden, noch sich allmählich auf die ihnen bevorstehende, einschneidende Veränderung einstellen zu können. Nicht selten führt dies zu einer anfänglich ablehnenden Haltung gegenüber dem ‘neuen Zuhause’. Frustrationserlebnisse seitens der Betreuer, welche eine hilfreiche Beziehung anbieten, eingeschlossen. ‘Eine bindungstheoretische Betrachtung kann damit das bekannte ‘Hilfeparadox’ erklären, wonach diejenigen, die ‘objektiv’ Hilfe am meisten nötig haben, psychisch am wenigsten in der Lage sind, ein Hilfeangebot auch zu nutzen’. Bewohner selbst unterliegen Fluktuationen. Dabei kommt es nicht selten zu einem freiwilligen, als auch notwendigen Wechsel der Einrichtung, einer Rückkehr in die familiäre Häuslichkeit oder auch mit Erreichen der Volljährigkeit und vorausgesetzten Selbstständigkeit der Bezug der ersten eigenen Wohnung. Dies führt mitunter zu einer Förderung der Instabilität der Gruppen, welche der Heimerziehung angehörig sind. Die immer wiederkehrenden Wechsel und damit verbundene Abschiede und Neuaufnahmen stellen dabei eine besondere emotionale Herausforderung für die Bewohner dar. Haben sie sich an ihre Mitbewohner gewohnt, eventuell sogar enge Freundschaften schließen können, so müssen sie dennoch mit einem absehbaren Abschied rechnen. Nicht selten ist dieser mit einer räumlichen Distanz verbunden, welche es den Bewohnern zudem erschwert, den Kontakt weiter aufrecht zu erhalten. Der frei gewordene Wohnplatz in der Einrichtung wird in der Regel binnen kürzester Zeit neu vergeben. Die Bewohner müssen sich immer wieder auf neue Persönlichkeiten in ihrem vorübergehenden Zuhause einstellen, ihre Hierarchie neu ordnen und ihre eigene Stellung in dieser festigen. Gegebenenfalls können sie die Neuzugänge nutzen und neue freundschaftliche Beziehungen eingehen. Doch auch diese werden sich dem Alltag des Kommen und Gehens in der Heimerziehung nicht entziehen können. Dies führt dazu, dass die in der Heimerziehung gemachten Bindungserfahrungen unter den Bewohnern oft als nicht dauerhaft, unzuverlässig und austauschbar erlebt werden. Auf der anderen Seite sind die Mitarbeiter zu nennen. Diese bekommen meist ein vorbestimmtes Kontingent an ‘Bezugskindern’ zugeordnet, um welche sie sich im besonderen Maße bemühen sollen. Dies beinhaltet zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Mitarbeiter des Jugendamts, die Elternarbeit, als auch die Gesprächsführung mit dem Bezugskind, wenn Besonderheiten im Alltag dies erfordern. Problematisch ist hier, dass die Zuordnung der Bezugskinder seltener auf Grundlage der persönlichen Beziehung, als vielmehr auf ein rotierendes System der Entlassungen und Neuaufnahmen von Bewohnern beruht. Da die Bewohner sich ihre ‘Bezugsbetreuer’ jedoch selbst wählen und diese bei einem von ihnen persönlich empfundenem Bedarf kontaktieren, kommt es zudem öfters zu einer Art von Belagerung der beliebteren Erzieher, und einer Abweisung der Zuwendung gegenüber der weniger beliebten Erzieher. Dies kann dem entsprechend zu einer Überforderung des einen Mitarbeiters und zu einem ‘aus der Verantwortung ziehen’ des anderen Mitarbeiters führen. Maßgebend ist hier die Dynamik der Mitarbeiter als Team. Einen weiteren und gewichtigen Punkt in der Beziehung zwischen den Bewohnern und Mitarbeitern ist, dass die Heimerziehung professionelle Erziehung in einer Einrichtung ist. Sie dient seitens der Mitarbeiter also nicht dem Selbstzweck, sondern als Einnahmequelle für deren Lebensunterhalt. Folglich unterliegt auch die Arbeit in einem Heim den typischen Karriereverläufen aus anderen Berufsbereichen. Es kommt regelmäßig zu Erzieherfluktuationen, teilweise zu Unterbesetzungen oder auch schlicht zu einem Feierabend für den Mitarbeiter. Die Erreichbarkeit des Erziehers durch den Bewohner ist folglich durch starke Einschränkungen geprägt. ‘Das Verhältnis zwischen den betroffenen Adressaten der Heimerziehung und deren Betreuern ist kein freiwilliges, auf emotionaler Zuneigung basierendes Zusammenspiel, sondern ein Zweckbündnis, das sich von familiärer Erziehung in vielfältiger Weise unterscheidet.’1 Diese Tatsache kann bei Missverstehen auf beiden Seiten zu einer ungünstigen Verteilung von Nähe und Distanz führen, welche auf Dauer vielfältige und einschneidende negative Auswirkungen hervorrufen kann. Eine Vermeidungsstrategie seitens der Bewohner könnte es hier sein, sich erst gar nicht auf eine engere Bindung mit Mitbewohnern und Betreuern einzulassen. Können sich die Bewohner so doch das Risiko eines schmerzhaften Trennungserlebnisses von vornherein ersparen. Zusammenfassend kann an dieser Stelle gesagt werden, dass die Beziehung zwischen den Bewohnern und den Mitarbeitern maßgebend für die Qualität und Sinnhaftigkeit der Jugendhilfemaßnahme und gleichzeitig durch vielfältige Einschränkungen gekennzeichnet ist, welche sich im Praxisalltag der Heimerziehung häufig bemerkbar machen.

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