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Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 06.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 112
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Sozialpädagogik zu Beginn des 21. Jahrhunderts könnte wahrscheinlich genauso gut auch Sozialpädagogik am Mitte/ Ende des 20. Jahrhunderts heißen. Es hat sich bei den meisten Sozialpädagogen nämlich fast gar nichts geändert. Immer noch beherrscht die, mit der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre ins Leben gerufene, Lebensweltorientierung (oder auch das mütterliche Prinzip ) die Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. Konstituierend für das Prinzip der Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit ist die Verabschiedung von der traditionellen Unterscheidung Norm und Abweichung, welche ihren Grund in der zunehmenden Auflösung von Normalitätsstandards in unserer heutigen Gesellschaft hat. Als Konsequenz ergibt sich daraus, dass sich das doppelte Mandat der Sozialen Arbeit von Hilfe und Kontrolle immer mehr in Richtung Hilfe bei gleichzeitigem Schwinden der Kontrolle verlagert (vgl. Kleve 2003). Die kinder- und jugendrechtliche Entsprechung des Wandels kann man dann 1991 in der Ablösung des eingriffs- und ordnungsrechtlichen geprägten Jugendwohlfahrtsgesetzes durch das durch seinen Dienstleistungscharakter gekennzeichnete SGB VIII sehen (vgl. Tischner 2003). Lebensweltorientierung bedeutet hierbei das Einlassen auf die eigensinnigen Erfahrungen der AdressatInnen Sozialer Arbeit Lebensweltorientierung wirkt damit normalisierenden, disziplinierenden, stigmatisierenden und pathologisierenden Tendenzen der gesellschaftlichen Funktion Sozialer Arbeit entgegen (Kleve 2003).

Leseprobe

Textprobe: Kapitel III. 2.3, Die Praxis des Anti-Aggressivitäts-Trainings und die Konfrontation: Beim Anti-Aggressivitäts-Training soll den Trainings-Teilnehmern innerhalb von sechs Monaten das Curriculum nahegebracht werden. Die Sitzungen finden ca. in zwei drei- bis fünfstündigen Sitzungen in der Woche mit den Wiederholungstätern statt. Ergänzt werden diese Zusammenkünfte durch intensive Einzelgespräche, sowie durch Sport- und Freizeitaktivitäten. Das Training sollte nach Möglichkeit außerhalb der Anstaltsmauern stattfinden, um es nicht unter dem Gesichtspunkt der künstlichen Welt der Vollzugsanstalt erscheinen zu lassen. In Hameln gab es dafür einen Pavillon, der außerhalb der Sicherheitszone lag, aber immer noch innerhalb der Anstaltsmauern. So wird nach den Sitzungen die Anstalt mit den Teilnehmern auch verlassen, die Vollzugslockerungen erhalten haben. Mit diesen soll dann die Sitzung nachbereitet oder ausklingen gelassen werden. Für die Teilnehmer ohne Lockerungen findet diese Phase innerhalb des Pavillons statt. Weidner spricht hierbei davon, dass während eines Ausganges keine Sicherheitsbedenken gerechtfertigt sind, da Gewalt, trotz aller Straftaten, nur einen minimalen Teil des Alltagslebens ausmacht und da kein Gewalttäter so gleichgültig ist, dass er während eines Ausganges mit Justizmitarbeitern eine Straftat oder Gewalttat begeht. Das Sicherheitsbedürfnis als eigenständige Schutzqualität bleibt damit unangetastet (Weidner 2001a: 140). Während des Trainings werden die Teilnehmer direkt mit eingebunden. Die Antagonisten – Positive Peer Culture: Das Anti-Aggressivitäts-Training orientiert sich hierbei am Begriff antagonistisch. Die Trainer und die Nicht-Professionellen, die sie auch unterstützen, sind die Antagonisten, also Widersacher. Sie spielen die friedfertigen Gegenspieler zu den gewalttätigen Teilnehmern. Die nicht-professionellen können dabei Tutoren, also Ex-Gewalttäter sein, die das Training schon hinter sich haben oder ‚gemeindenahe’ Ehrenamtliche, sowie Personen, die sich intensiv mit dem Thema Gewalt auseinandersetzen, wie z.B. Kampfsportler (vgl. Schanzenbächer 2003: 61 u. Weidner 2001a: 138). Diese Einbindung ist in dreierlei Sicht wertvoll. Die Antagonisten sind ein Gegenpol zu der Gewaltverherrlichung in der Subkultur und bilden durch ihre ethischen Vorstellungen von sozialem Zusammenleben eine Positive Peer Culture. Diese ist jedoch in einem kleineren Rahmen als in Glen Mills. Außerdem ist es sehr nützlich, dass die Teilnehmer des Trainings durch die verschiedenen individuellen Biographien und Charaktere sehen, dass auch alternative Handlungsstrategien existieren. Der dritte Nutzen besteht darin, dass die Nicht-Professionellen immer eine zahlenmäßig gleichstarke und solidarische Mitarbeitergruppe während der Sitzungen (Weidner 2001a: 139) sichern. Somit ist immer gewährleistet, dass sie gegenüber den Gewalttätern die Oberhand behalten. Das Curriculum zum Abbau der Gewaltbereitschaft: Das Training lässt sich in vier Trainingsphasen unterteilen. Diese sind die Integrationsphase, die Konfrontationsphase, die Gewaltverringerungsphase sowie die Nachbetreuungsphase. In der Integrationsphase wird dem Teilnehmer verdeutlicht, wie die Primärmotivation, also der Aggressions-Abbau, und die Sekundärmotivation, also das Verlangen nach Vollzugslockerungen, zu definieren ist. Dann wird den Teilnehmern verdeutlicht, dass die Sekundärmotivation aus Sicht der Insassen zwar verständlich ist, aber nicht zum Aggressivitätsabbau beiträgt. Es ist der Traineranspruch, dass eine Veränderung des Verhaltens, aus Sicht des Teilnehmers, gewollt ist. Dies ist zugleich die Aufnahmebedingung (vgl. ebd.: 143). Der Teilnehmer wird über die Vorgehensweise im Training aufgeklärt. Damit sind dem Teilnehmer schon von vornherein die Provokationstests und die Konfrontationen bekannt. Vor allem weiß er auch selber, dass er immer über den Zeitpunkt im Training bestimmt, bei dem er für die Auseinandersetzungen bereit ist. Das heißt der Teilnehmer gibt die Interventionsberechtigung, wann der Trainer mit ihm empathisch, konfrontativ, kritisch oder provokativ umgeht. Hierbei sei auch angemerkt, dass keine Zwangsbehandlung aufgrund des Verlangens nach Vollzugslockerungen stattfindet und Nicht-Teilnehmern keine Nachteile entstehen dürfen. Somit ist die wirklich freiwillige Teilnahme und Einwilligung zur Konfrontation gesichert (vgl. ebd.). In dieser Phase werden außerdem Gewaltschilderungen aus der Biographie des Teilnehmers thematisiert. Dies können u. a. Kindheitserlebnisse mit gewalttätigen Eltern oder schmerzhafte Heimaufenthalte sein oder auch Krankenhausaufenthalte nach Schlägereien mit Gleichaltrigen. Außerdem folgen noch Gespräche über Hobbies, Familie, Vollzugserfahrungen und Zukunftsträume. Diese Gespräche oder auch die kleine Münze der persönlichen Begegnung muss nicht mal rückfallverhütend orientiert sein (vgl. Weidner 2001a: 169). Mit Hilfe dieser Schilderungen und dem aktuellen Vollzugsverhalten des Teilnehmers werden Provokationssituationen herausgefiltert, die zu Gewalthandlungen geführt haben. Man isoliert also durch Verhaltensanalyse die Aggressivitätsprobleme des Teilnehmers. Darauf schließt dann die Konfrontationsphase an, bei der die vorher erzielten Ergebnisse in Provokationstests umgewandelt werden. Mit diesen wird dann der Teilnehmer solange gekränkt, bis er am liebsten alles kaputt machen möchte (Teilnehmer Hans-Joachim zitiert ebd.: 144). Dies geschieht in der Regel bei dem ‚Heißen Stuhl’, bei dem die auslösenden Reize nach Morenos psychodramatischen Rollenspiel wiederholt werden, um den Betroffenen karthatisch das Durchleben emotional aufgeladener Situationen zu ermöglichen (ebd.). Anschließend werden die Gewaltrechtfertigungen des Teilnehmers solange hinterfragt, bis er deren Sinn hinterfragt und die realen Tatfolgen eingesteht. Dieses Eingeständnis steht dann in krassem Widerspruch zu den anfangs verharmlosenden und opferverachtenden Bildern. Damit ist dann der Grundstein für das Einbeziehen der Opferperspektive gelegt, bei der die Neutralisierungstechniken des Teilnehmers abgebaut und Empathie aufgebaut werden soll. In der dritten Phase, der Gewaltverringerungsphase, wird dann auf eine kognitive Verschiebung der Werte der Teilnehmer gezielt. Friedfertigkeit soll hierbei als ein Zeichen von Stärke und Souveränität begriffen werden und nicht wie bisher als Schwäche und Feigheit. Damit diese Theorie nicht nur ein Gedankenkonstrukt bleibt, wird von den Teilnehmern auch verlangt, dass sie sich praktisch im Vollzug für schwächere Insassen einsetzen und mit ihren Eltern und Freunden über ihre reale Tatschuld sprechen und damit aktiv von der verharmlosenden Legendenbildung abrücken (ebd.). Hier soll vor allem eine Veränderung des moralischen Bewusstseins stattfinden (vgl. a. o.: 17). In der letzten Phase findet dann noch eine Nachbetreuung statt, in dem den Teilnehmern z.B. ein Tutorenstatus angeboten wird. Durch diesen können sie weiterhin an den Sitzungen teilnehmen, wenn sie gewillt sind über ihren Wandel zu einem friedfertigen Verhalten zu sprechen (Weidner 2001a: 144) und wenn sie außerdem dazu bereit sind, die Rolle des hinterfragenden und konfrontierenden Antagonisten zu übernehmen. Dadurch lernen die Ex-Teilnehmer in ihre zukünftige nichtkriminelle Rolle hineinzuwachsen und werden selber das Ziel des Wandels, den sie selber bei anderen anstreben. Diese Vier Phasen, die eher gesprächstherapeutisch orientiert sind, werden durch sporttherapeutische Maßnahmen ergänzt. Dies sind z.B. die ‚Asiatischen Bewegungskünste’, die zur Stärkung der Selbstbeherrschung beitragen, wie z. B. Meditation- und Entspannungsübungen. Somit wird dem Gewalttäter eine weitere Alternative geboten, sein Erregungspotential abzubauen. Der Heiße Stuhl: Der ‚Heiße Stuhl’ findet wie bereits oben ausgeführt während der Konfrontationsphase im Training statt und ist in den Medien sowie der Wissenschaft das wohl am meisten rezitierte, gelobte und kritisierte Element Konfrontativer Pädagogik. Wohl auch, weil er vermeintlich einfach zu verstehen und darzustellen, sowie prägnant und direkt in der Ausführung ist. Jedoch wird seine Bedeutung im Training oft überbewertet und andere Elemente (sowie im Training, als auch neben der konfrontativen Methode in der Pädagogik) werden vernachlässigt. Bei Weidners ‚Heißem Stuhl’ im Rahmen des Antagonisten-Trainings geht es nicht mehr darum, dem Klienten wie bei Perls ‚hot seat’ ein sachliches und ruhiges Feedback zu geben. Sondern hier wird konfrontiert, provoziert und attackiert, um den Gewalttäter zum Nachdenken zu bringen. Der Teilnehmer muss dabei regelmäßig während der Trainingsphase auf den Stuhl. Dabei wird er von den anderen Teilnehmern und den Trainern eingekreist und an seinen empfindsamen Stellen attackiert. Er wird in seiner physischen und psychischen Nähe bedrängt. Dies geht bis an die Schmerzgrenze. Gewaltrechtfertigungen werden hierbei massiv in Frage gestellt und es wird bis hin zu einer Einfühlung in das Opfer hin gearbeitet. Der Täter soll die Perspektive des Opfers in sich aufsaugen und die genaue Beschreibung der Gewaltfolgen nicht nur für das Opfer selbst, sondern insbesondere auch für das familiale Umfeld oder auch für Tatzeugen erhalten (Heilemann 2001: 59). Dafür spricht entweder das Opfer selbst über die Folgen und die Qualen oder es werden über Bild- und Tonträger die ‚Leidenswege’ dessen dargestellt. Dabei liegt es bei dem Opfer in wie weit und ob es überhaupt mit eingebunden wird. Es kann genau so gut der Rechtsanwalt (Nebenkläger) des Opfers mit beiwohnen, um den Sachstand zu schildern. Auch Familienmitglieder sind eine denkbare Variante. Heilemann formuliert die Lebenszufriedenheit von Gewaltopfern in diesem Zusammenhang wie folgt (ebd.: 60): Sie hängt offensichtlich in starker Weise vom Erleben der eigenen ‚Mitschuld’, von der Gerechtigkeitswahrnehmung bezüglich des Strafmaßes und der Art der Strafverbüßung und von der Orientierung des Opfers über die jetzigen Absichten des inhaftierten Täters ab . Weidner formuliert diese oben genannten Ansprüche im Training folgendermaßen (Weidner 2001a: 157): 1. das Kränkungsniveau der Gewalttäter ist anzuheben. 2. das Einfühlungsvermögen ist zu steigern, um eine Gewalthemmung. aufzubauen bzw. um die Fähigkeit zu entwickeln, den Provokateur besser analysieren zu können, anstatt sofort auf ihn zu reagieren. Dies bringt die Täter all zu oft dazu, in eine gewisse Hilflosigkeit und Ratlosigkeit zu verfallen. Sie kehren von der Leugnung, sich in ihre Opfer nicht hinein denken zu können, ab und ihnen wird oft schlecht und sie müssen weinen. Das Opfer wird nicht mehr abgewertet und auch nicht mehr beschuldigt (vgl. Heilemann 2001: 60). Sie sind in dieser ersten Phase oft froh, überhaupt teilnehmen zu dürfen an diesem Training und versprechen sich davon neue Verhaltensweisen und Zukunftschancen. Es kommt natürlich auch zu Wutausbrüchen und Aggressionen gegenüber den Trainern. Diese Effekte müssen professionell erkannt werden und auch sehr konsequent und eng kontrolliert werden. In einer späteren Phase des Anti-Gewalt-Trainings wird diese bisher beschriebene Situation des Heißen Stuhls durch eine weitere Konfrontationssequenz ergänzt. Diese ist dazu da, dem Täter bewusst zu machen, dass er in ihn provozierenden Situationen souverän bleibt. Verbunden ist dies dann mit einem gewissen Stolz auf Seiten des Klienten, der ihm zeigt, dass er für solche primitiven Konfrontationen nicht empfänglich ist. Man könnte denken, dass dies genau so manipulativ ist, wie in Glen Mills, aber hierbei sein angemerkt und zu bedenken, dass hier Konfrontation eben nicht 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche stattfindet und nur eine Ergänzung zu anderen Methoden in der Pädagogik ist. Somit bleibt also genug Raum für die Identitätsfindung des Teilnehmenden und für die freie Entfaltung der individuellen Persönlichkeit. Dauerdrucksituationen und psychische Belastungen in dem Ausmaß, wie sie in Glen Mills vorhanden sind, sind bei dem Anti-Aggressivitäts-Training nicht erkennbar. Die konfrontativen, kontrollierenden amerikanischen Wurzeln sind nicht zu leugnen und spielen eine sehr wichtige Rolle, aber auch die europäisch-abendländisch christlichen Werte der deutschen Jugendhilfe, wie die unantastbare Menschenwürde und vor allem das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, sind hier deutlich erkennbar. Gerade diese Verbindung ( Grenzziehung mit Herz ), dieser auf den ersten Blick unvereinbaren Werte, ist es, die diesen Ansatz einer Konfrontativen Pädagogik so interessant und auch erfolgreich macht.

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