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Pädagogik & Soziales

Daniel Krausz

Jugendwerkhöfe in der DDR

Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 04.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 120
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Jugendwerkhöfe (JWH) waren Einrichtungen der staatlichen Jugendhilfe der DDR. Als Spezialheime im System der Jugendhilfe dienten sie vor allem der Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR. Unter der Prämisse der Form- und Planbarkeit des Menschen sollte im JWH, nach dem Modell der Erziehungs- und Arbeitskolonie für Kinder, des sowjetischen Pädagogen Anton Semjonowitsch Makarenko, der neue Mensch erschaffen werden. Ein Hauptaugenmerk wurde dabei auf die Entwicklung der Jugend zu sozialistischen Persönlichkeiten, mittels politisch-ideologischer, Kollektiv- und Arbeitserziehung, gerichtet. Jugendwerkhöfe waren zwar keine Strafvollzugsanstalten, dennoch war der Alltag im JWH straff organisiert und durch militärischem Drill, tägliche Appelle sowie einem ausgeklügelten System aus Lob und Strafe gekennzeichnet. Die Erziehung im Kollektiv stand im Vordergrund und ließ deshalb nur wenig Raum für die individuelle Entwicklung der Jugendlichen. Die Einweisung in einen JWH erfolgte zumeist auf Anordnung der Jugendhilfe, nach einer Beschwerde über den Jugendlichen durch die Eltern oder Lehrer. Neben triftigen Gründen, wie Körperverletzung, Eigentumsdelikte und Sachbeschädigung, reichten in einigen Fällen auch nichtige Gründe wie Unangepaßtheit, Renitenz oder Rebellion gegenüber den gesellschaftlich und staatlich verordneten Normen der DDR aus, um einen Jugendlichen in einen JWH einzuweisen. Im Rückblick handelte es sich um eine z. T. rechtswidrige Einweisungspraxis, die ohne Verfahren vonstatten ging. Insgesamt zielte die Jugendhilfe, zu deren System die Jugendwerkhöfe gehörten, auf die rechtzeitige korrigierende Einflussnahme bei Anzeichen der sozialen Fehlentwicklung von Kindern und Jugendlichen sowie die vorbeugende Bekämpfung der Jugendkriminalität, die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Minderjährigen sowie die Fürsorge für elternlose Kinder- und Jugendliche ab. Die Jugendhilfe war dem Ministerium für Volksbildung (MfV) unterstellt, welches ab 1963 von Margot Honecker, der Ministerin für Volksbildung, bis 1990 geführt wurde. In der DDR gab es im Zeitraum von 1945 bis 1990 zwischen 27 und 34 Jugendwerkhöfe, in denen Tausende von Jugendlichen eingewiesen wurden. Eine Besonderheit im System der Spezialheime der Jugendhilfe der DDR war der einzig geschlossene JWH Torgau. Als strafvollzugsähnliche Disziplinierungseinrichtung war Torgau ein Symbol für einen inhumanen Umgang mit sozial auffälligen Jugendlichen und wurde zum Synonym für Angst, Drill und Strafe. Der JWH Torgau war eine Art sozialistisches Boot Camp der DDR für unangepaßte, verhaltensauffällige und straffällig gewordene DDR-Teenager. Die folgende Studie widmet sich diesem heiklen und lange unbeachteten Tabuthema Jugendwerkhof. Dabei konzentriert sie sich nicht nur allein auf die Darstellung der Jugendwerkhöfe, sondern beschreibt auch die Ursachen, die zur Einweisung in einen JWH der DDR führen konnten. Als Fallbeispiel erfolgt eine genaue Analyse des GJWH Torgau.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5.4, Die Einweisungsgründe krimineller Jugendlicher und die Einweisungspraxis der Jugendwerkhöfe: Zu den Einweisungsgründen in einen Jugendwerkhof der DDR heißt es in einem Bericht aus dem Jahre 1973: ‘Der Anlaß für die Einweisung in einen Jugendwerkhof ist in jedem Fall die Verletzung der öffentlichen Ordnung durch die Jugendlichen. Sie zeigt sich in: Arbeits- und Berufsschulbummelei Herumtreiberei – Landstreicherei undiszipliniertes und rowdyhaftes Verhalten sexuelle Auffälligkeiten schwere und leichte kriminelle Delikte: Diebstähle, unbefugte Kfz-Benutzung, Körperverletzung, Bandenbildung, Passvergehen, Sittlichkeitsdelikte, Unterschlagungen, Urkundenfälschungen, Staatsverleumdung.’ Ergänzt werden die Einweisungsgründe noch durch ‘Alkoholmißbrauch’ und ‘übermäßigen Nikotingenuß’ (oft vom 12. Lebensjahr an). Weiter heißt es, dass die Einweisungsgründe ‘Ausdruck einer langjährigen Fehlentwicklung der Jugendlichen’ seien, welche hauptsächlich durch die Situation in der Familie verursacht würden, die durch ‘Instabilität, gleichgültiges oder ablehnendes Verhalten gegenüber den Kindern’ sowie ‘Asozialität’ gekennzeichnet sei. Eingewiesen würden aber auch Jugendliche, ‘an deren äußeren Bedingungen keine dieser Anzeichen erkennbar sind’. Diese Jugendlichen kämen vielmehr aus Familien, die ‘oft auf falsche Erziehungsmethoden – Verwöhnung oder Mangel an liebevoller Zuwendung’ setzten. Für die ‘Fehlentwicklung’ Jugendlicher, die in ein Jugendwerkhof der DDR eingewiesen wurden, seien ‘in den meisten Fällen’ aber auch die anderen Erziehungsträger, wie Schule, Betrieb, Organisation und Heime verantwortlich, ‘da sie ihre Aufgaben nicht allseitig wahrgenommen und voll erfüllt’ hätten. An einer anderen Stelle heißt es ergänzend, dass eine Einweisung in einen Jugendwerkhof der DDR notwendig wird, ‘wenn ausgeprägte Fehlverhaltensweisen Jugendlicher trotz intensiver erzieherischer Einflußnahme der Schule, des Betriebes und gesellschaftlicher Kräfte sowie trotz Unterstützung der Erziehungsarbeit der Eltern nicht wirkungsvoll korrigiert werden konnten und eine positive Persönlichkeitsentwicklung dieser Jugendlichen unter den bisherigen Erziehungs- und Lebensbedingungen nicht gewährleistet ist’. Bei einem Teil dieser Jugendlichen sei ‘die soziale Verwahrlosung als Ergebnis einer langjährigen Fehlentwicklung’ besonders stark ausgeprägt und äußere sich z.B. in der Zugehörigkeit ‘negativer Gruppierungen’ und ‘übermäßigem Alkoholgenuß’. Außerdem sei ein Teil dieser Jugendlichen bereits wegen kleinerer ‘Gesetzesübertretungen’ sowie ‘kriminellen Handlungen’ vorbestraft. Diese Behauptung wird in Interviews von ehemaligen Insassen und Erziehern von Jugendwerkhöfen bestätigt. So erinnert sich ein ehemaliger Erzieher aus dem Jugendwerkhof Drehna, in der Nähe von Cottbus, an Folgendes: ‘Die Hauptgründe, möchte ich vielleicht festhalten, eben Schulbummelei, Arbeitsbummelei (…) Diebstahlshandlungen vom einfachen Ladenhausdiebstahl bis zum Entwenden von Kfz (…).’ Neben Diebstahl bei den Jungen war laut einem Erzieher bei den Mädchen vor allem Prostitution ein Haupteinweisungsgrund. ‘(…) 70 % war Verwahrlosung, Rumtreiberei, auf den Strich gehen und so was, schon zur damaligen Zeit. 70 Prozent unserer Mädchen kamen aus Leipzig und Berlin (…) Leipzig, Berlin und Rostock galten ja immer als die drei Zentren der Prostitution.’ Ein ehemaliger Insasse erinnert sich an seine Einweisungsgründe: ‘(…) na ja, Scheiße jebaut, geklaut. Mopeds, da ham’ wa unten im Keller eingebrochen, Konserven geklaut und verkooft (…)’ Bei einem anderen Jugendlichen heißt es dazu: ‘ (…) bin abjehaun von zu Hause, hab Mumpitz jeklaut, na ja, und 4 Einbrüche jemacht (…)’. Laut Verena Zimmermann betraf die Einweisung in einen Jugendwerkhof der DDR vor allem Jugendliche, ‘die durch sozial abweichendes Verhalten auffielen oder straffällig geworden waren und deren Familien oft zu den am wenigsten integrierten Gesellschaftsmitgliedern gehörten’. Diese Jugendlichen traf ‘die ganze Härte des Systems der erzieherischen Bemühungen und zwangsweisen Eingriffe’. Mit dem Ziel der Umerziehung sollten schließlich bestimmte Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale der Jugendlichen ‘im gesellschaftlich erwünschten Sinne’ ‘umdisponiert’ werden. Die Einweisung Jugendlicher in ein Jugendwerkhof der DDR erfolgte unterdessen auf Grund einer Entscheidung der Jugendhilfe oder eines Gerichtsurteils über ein zentrales Aufnahmeheim in Eilenburg bei Leipzig (später auch Berlin) und ab dem 1.9.1964 zusätzlich über die Zentralstelle für Spezialheime der Jugendhilfe, die als zentrales Organ des Ministeriums für Volksbildung alle Aufnahmen und Einweisungen organisierte und kontrollierte. In einem Bericht heißt es dazu: ‘Die Einweisung in die Jugendwerkhöfe erfolgt durch Beschluß der Jugendhilfeausschüsse der Räte der Kreise (Städte, Stadtbezirke) auf der Grundlage des Familiengesetzbuches § 50 und der Jugendhilfeverordnung § 23’. Wie schon unter Punkt 4. erwähnt, waren die Organe der Jugendhilfe befugt, Jugendliche auch ohne die Zustimmung der Eltern in einen Jugendwerkhof der DDR einzuweisen. In der Jugendhilfeverordnung heißt es hierzu: ‘Die Heimerziehung für Kinder und Jugendliche kann angeordnet werden: zur Unterstützung von Eltern, die Schwierigkeiten bei der Erziehung ihrer Kinder haben, zu deren Überwindung andere Maßnahmen wirkungslos geblieben sind – zur Sicherung der Persönlichkeitsentwicklung Minderjähriger, wenn deren Erziehung und Entwicklung oder Gesundheit unter Verantwortung der Eltern gefährdet sind und die Einflußnahme unter den Bedingungen des weiteren Verbleibens in der eigenen Familie keinen ausreichenden Erfolg gewährleistet’. Meist erfolgte die Einweisung eines Jugendlichen in einen Jugendwerkhof auch auf Bitten der Eltern oder Lehrer, die mit dem Jugendlichen nicht mehr zurechtkamen. Dazu ein ehemaliger Erzieher: ‘Eltern oder andere Anverwandte oder Lehrer wendeten sich ans Referat Jugendhilfe und sagten: Dieser Junge wird immer komplizierter. Die Jugendhilfe setzt die Jugendberatungskommission ein, das sind ehrenamtliche Kräfte im Wohnbezirk, die solchen Eltern helfen sollten bei der Erziehung ihrer Kinder, die kapitulieren und raten dem Referat Jugendhilfe Heimunterbringung. (…) In Leipzig in der Einweisungsstelle wurde dann entschieden, in welchen Jugendwerkhof er kam (…)’. Laut Sandra Kaczymarek führte jedoch nicht die so genannte Schwererziehbarkeit von Jugendlichen zur Einweisung in ein Jugendwerkhof, sondern die ‘subjektive Sichtweise der Jugendhilfeorgane sowie der Mangel an alternativen Lösungsstrategien’. Vor allem Unangepasstheit und das Abweichen von gesellschaftlichen Normen, die sich strikt an den ‘Errungenschaften des Sozialismus’ richteten, konnten laut Verena Zimmermann zur Einweisung der Betroffenen in ein Spezialheim, also in einen Jugendwerkhof der Jugendhilfe, führen. Besonders gefährdet waren hierbei die so genannten Randgruppen, wie zum Beispiel Obdachlose, Punks oder Prostituierte, die allesamt nicht in das Bild einer homogenen sozialistischen Gesellschaft passten. Für diese und andere Gruppen war der Jugendwerkhof daher ein adäquater Ort zur Disziplinierung und Umerziehung.

Über den Autor

Der Autor wurde 1981 in Berlin geboren und hat nach dem Abitur von Oktober 2002 bis Mai 2009 an der FU-Berlin Geschichte und an der Uni-Potsdam Germanistik studiert. Während seines Studiums hat er sich intensiv mit den Strukturen von Herrschaft und Alltag im SED-Staat auseinandergesetzt. Thematische Schwerpunkte seiner Forschung sind die Gesellschafts- und Sozialgeschichte der DDR.

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