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Pädagogik & Soziales

Christian Hering

Neue Musik als Thema in der Schule

ISBN: 978-3-95934-589-7

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 05.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der früheste Punkt in der Musikgeschichte, den wir heute mit einem Terminus technicus benennen, welcher seine Neuheit betont, ist die Zeit der Ars nova. Die Musik der Ars nova wurde im 14. Jahrhundert hauptsächlich von französischen Komponisten wie Guillaume de Machaut oder Philippe de Vitry komponiert. Die kompositorischen Neuerungen vollzogen sich vornehmlich in der Gattung der Motette. Jedoch bezieht sich das Wort nova primär nicht auf die neu klingenden Kompositionen, sondern auf die neue Notationsweise, die diese Musik besser fixieren und neue musikalische Ideen hervorbringen konnte. In diesem Sinne ist Ars nova als musikwissenschaftlicher Fachbegriff auch 1904 von Johannes Wolf geprägt worden. Er fasst ihn genauso wie seine Hauptquelle, einen Phillippe de Vitry zugeschrieben Text, als Bezeichnung für die neue Notationspraxis im 14. Jahrhundert auf. Erst später entwickelt sich der Begriff unter dem Einfluss Hugo Riemanns zu einem Epochenbegriff, der die Musik des 14. Jahrhunderts benennt. An dieser Begriffgeschichte ist zu sehen, wie sich aus der Beschreibung eines musiktheoretischen Sachverhalts durch Musikschriften späterer Zeit ein Epochen und Stile benennender Begriff entwickeln kann.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Bedingungen und Voraussetzungen: Die Bedingungen und Voraussetzungen sind bei jeglichem Unterrichtsthema enorm vielfältig. Für die schulische Vermittlung Neuer Musik gehören natürlich auch die in den beiden vorangegangenen Kapiteln erörterten Punkte dazu. Aber für die Vermittlung Neuer Musik ist ein besonderer Aspekt zu beachten, der bei einer Darstellung der Klassik oder des Hip-Hop nicht in gleichem Maße eine Rolle spielt: Die soziale Isolation beschreibt einen Zustand innerhalb der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, der zu einem wesentlichen Merkmale der neuen Musik wurde . Michael Custodis sagt damit, dass Neue Musik bis auf geringe Ausnahmen keinen wesentlichen Teil im Musikleben der Gesellschaft einnimmt. Durch die mediale Verbreitung gilt dies beispielsweise nicht für Hip-Hop-Musik und auch nicht für die durch das Konzertwesen und künstlerische Ausbildung im Hochschulbereich in der Gesellschaft verankerte Musik der Klassik und Romantik. Zunächst scheint der Dissonanzreichtum Neuer Musik der Grund für ihre gesellschaftliche Randposition zu sein. Dahlhaus weist jedoch darauf hin, dass es nicht um die Quantität des Dissonanzgrades geht, sondern um den Zusammenhang, in dem die Dissonanz steht: Emanzipierte Dissonanzen […] stehen für sich: Die Fortsetzung ist restlos offen . Die Schwierigkeiten, die Hörer mit Neuer Musik haben können, liegen also im Grunde an einem fehlenden Bezugssystem, in das die gehörte Neue Musik eingepasst werden kann. Beim Hörer ist durch die in seinem Leben gemachten Hörerfahrungen ein Musikbild und ein entsprechendes Bezugssystem geprägt worden, das ihn unbewusst veranlasst, davon auszugehen, dass sich jede Musik in grundlegenden Parametern nicht von der bisher erfahrenen unterscheidet. Dieses durch Erfahrungen zustande gekommene Bild des Phänomens Musik (das sich natürlich fortwährend ändert) wird von Klaus-Ernst Behne als musikalisches Konzept bezeichnet. Je nachdem, inwieweit ein Musikstück dem musikalischen Konzept entspricht bzw. welchen Stellenwert es darin einnimmt, kann durch dieses Stück Unverständnis, Neugier, aber auch Abneigung beim Hörer entstehen. Nun folgen die Musik des allgemeinen Konzertwesens und die medial stark verbreitete Popularmusik im Großteil der tonalen Harmonik, die damit ein wesentlicher Bestandteil des in der Gesellschaft üblichen musikalischen Konzepts ist. Dass Neue Musik nicht Teil des musikalischen Konzepts des Hörers ist, liegt daran, dass dort für Neue Musik kein ähnlich starkes Bezugssystems wie das der Tonalität vorhanden ist. Die Vielfalt an Kompositionsweisen innerhalb der Neuen Musik hat verhindert, dass sich ein grundlegendes Prinzip für ein solches Bezugssystem hat etabliert können. Die enorme Vielzahl von Erklärungen und Analysen, die zum Verständnis der Neuen Musik verfasst worden sind, sollen eben dazu verhelfen, Neue Musik ohne ein vorhandenes Bezugssystem in das musikalische Konzept des Hörers einzugliedern. Inwieweit dies pädagogisch sinnvoll ist, wird weiter unten noch näher betrachtet. Da beim Unterrichtsthema Neue Musik im Regelfall nur Musiklehrer und Schüler beteiligt sind, muss nun näher untersucht werden, welche speziellen Voraussetzungen bei Lehrern und Schülern für die Vermittlung Neuer Musik zu beachten sind. 3.2, Schülerperspektive: Im Gegensatz zum Verhältnis der Musiklehrer zur Neuen Musik hat sich die Musikpädagogik und -psychologie zwischen 1970 und 1980 ausführlich mit dem Verhältnis zwischen Schüler und Neuer Musik beschäftigt. Die Begründung dafür ist zum einen die damals aufkommende größere Bedeutung Neuer Musik für den Musikunterricht zum anderen sollte im Zuge der Bildungsreform der Unterrichtsinhalt am Schüler orientiert werden. Die Untersuchungen sind hauptsächlich empirisch durchgeführt worden, um die wissenschaftliche Belegkraft zu stützen. 3.2.1, Neue Musik im Urteil der Schüler: Die frühesten Ergebnisse zur Stellung der Neuen Musik im musikalischen Konzept von Schülern sind einer Studie von Peter Brömse und Eberhard Kötter zu entnehmen. Dort wird ein breites Spektrum der Musik von Schlager über Neue Musik bis hin zu folkloristischer Musik im Urteil junger Menschen untersucht. Neue Musik steht also nicht im Zentrum der Studie. Für den Bereich der Neuen Musik sind Kompositionen der Elektronischen Musik und der musique concrète ausgewählt worden. Die Schüler beschreiben in der Untersuchung die Musik anhand von vorgegeben Eigenschaftspaaren wie alt-neu oder warm-kalt und wie stark sie einem vorgegebenen Stereotyp wie Schrecken oder Weltraummusik entspricht. In der Interpretation der Ergebnisse stellen Brömse und Kötter fest, dass die Beispiele elektronischer Musik […] in der Einstufung der Schüler vorwiegend mit ‚negativen’ Eigenschaftsbezeichnungen belegt werden. Dies wird u.a. auf die Benennung der Attribute unverständlich und merkwürdig zurückgeführt. Dieses Ergebnis ist allerdings kritisch zu hinterfragen. Denn neben Attributen wie merkwürdig wird z.B. Stockhausens Gesang der Jünglinge auch überdurchschnittlich häufig als farbig bezeichnet. Abgesehen davon ist zu kritisieren, dass in der Studie alle Attribute nur entweder als positiv oder negativ interpretiert werden. Der Schüler, der das Stück merkwürdig findet, meint dies unter Umständen gar nicht negativ, sondern nur wörtlich. Hinter dieser Äußerung kann sich Neugier oder Interesse verstecken. Die Ergebnisse dieser Studie können also nicht sinnvoll als einheitlich negative Meinung von Schülern gegenüber Neuer Musik interpretiert werden, sondern nur als Bestätigung, dass Neue Musik nicht zum musikalischen Konzept der Schüler gehört. Hans Günther Bastian stellt in einer von 1977 bis 1978 durchgeführten Studie das Urteil 11-jähriger Schüler in das Zentrum seiner Untersuchung. Mit weitaus differenzierteren Methoden untersucht er, welche Einstellungen die Versuchspersonen gegenüber Neuer Musik haben und wie sich diese durch das Unterrichten Neuer Musik ändern. Dabei legt Bastians Studie Wert auf eine weitgehende Differenzierung der soziokulturellen Unterschiede und differenziert nach Schichtzugehörigkeit, Schultyp, musikalischen Hintergründen und Aktivitäten etc. Im Bereich der Urteilsbildung zeigt sich, dass ähnliche Urteile wie bei Brömse/Kötter (z.B. fremdartig ) bei allen Schülern zu finden sind. Gleichzeitig weist Bastian aber auch ein außerordentlich heterogenes Urteilsverhalten innerhalb der Stichprobe 11-jähriger nach. Wie in der Kritik zur ersten Studie geäußert, zeigt dieses Ergebnis, dass Neue Musik zwar nicht im musikalischen Konzept der Schüler vorhanden ist, aber deswegen nicht auf ein eindeutig negatives Urteil geschlossen werden kann. Dies ist besonders wichtig, wenn man die vermeintlich negative Einstellung Jugendlicher gegenüber Neuer Musik als Desinteresse deutet. Bastian zeigt nämlich, dass – unabhängig vom Urteil über Neue Musik – die Versuchsgruppe Neue Musik als Unterrichtsgegenstand tendenziell eher befürwortet als ablehnt. 3.2.2, Veränderbarkeit von Schülerurteilen: Da die Bedingungen und Voraussetzungen auf Seiten des musikalischen Konzepts der Schüler nicht grundsätzlich gegen Neue Musik im Unterricht sprechen, muss also umso eher im Unterricht versucht werden, Unsicherheiten und das Gefühl der Fremdartigkeit ihr gegenüber abzubauen. Hierbei stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich für den Unterricht ergeben müssen. Ihre Beantwortung steht im Zentrum einer zwischen 1971 und 1973 von Hans-Christian Schmidt durchgeführten Studie. Mögliche Einflüsse auf das Urteil Jugendlicher gegenüber Neuer Musik werden empirisch untersucht. Dabei kommt Schmidt zu dem Ergebnis, dass das Urteil über Neue Musik umso positiver ausfällt, je größer die Bildung im allgemeinmusikalischen Bereich sowie das Sachwissen über Neue Musik ist. Als Konsequenz fordert Schmidt für den Musikunterricht deswegen, stärker gründliche[] Musikkenntnisse zu vermitteln als vermehrt Neue Musik zu unterrichten. Wenn Kompositionen Neuer Musik unterrichtet werden, soll der Lehrer dem Schüler werkbezogene und kulturhistorische Informationen anbieten, die in Diskussionen zu einem positiveren Bild der Neuen Musik führen sollen. Auch Bastians Studie kommt zu dem Ergebnis, dass mehr Informationen Einstellungen und Urteile Jugendlicher […] in positiver Richtung beeinflussen. Doch weist er auch nach, dass aufgrund der Heterogenität der Schülerschaft und der Vielfältigkeit der Neuen Musik die Unterrichtsmethodik nicht nur auf kognitive Arbeitsphasen beschränkt sein darf. Gerade bei Schülern mit eher negativer Einstellung erlangt man über experimentelles Musizieren einen affektiven, besser geeigneten Zugang zur Neuen Musik. Auch wenn die Erkenntnisse der genannten Studien bemerkenswerte Ergebnisse hervorgebracht haben, muss doch ein grundlegendes Problem aller dieser Untersuchungen benannt werden. Aufgrund der empirischen Methode werden Urteile in die Kategorien positiv und negativ unterteilt. Der Musikunterricht soll nun die positiv genannten Urteile gegenüber der Neuen Musik verstärken. Mit dieser These wird vorausgesetzt, dass bestimmte Urteile über Neue Musik eher richtig sind als andere. Aber Neue Musik ist wie jedes andere Kunstwerk kein Objekt, das durch genügend Vorwissen endgültig verstanden werden kann. Ein Schild im Straßenverkehr hat eine Bedeutung, die für den Betrachter gleich bleibt, sobald er sie gelernt hat. Bei musikalischen Kunstwerken wie Neuer Musik wird der Hörer aber aufgefordert, das Gehörte immer wieder neu in Beziehung zu seinem musikalischen Konzept zu setzen. Da dieses durch unterschiedliche Erfahrungen geprägt wird, können sich Urteile über Neue Musik innerhalb eines gewissen Zeitraums ändern. Selbstverständlich ändert auch Fachwissen das Urteil über Neue Musik, aber sie erschließt sich auch Hörern mit niedrigem Wissenstand. Dementsprechend kann es auch kein einziges als richtig geltendes Urteil über Neue Musik geben. Auch ein vermeintlich negatives Urteil über Neue Musik bei Schülern kann also durchaus akzeptabel sein. Dies heißt aber nicht, dass das Unterrichten Neuer Musik überflüssig ist oder eine Beliebigkeit bei Schülerurteilen fördert. Bei Neuer Musik im Musikunterricht muss es darum gehen, ihr einen Platz im musikalischen Konzept der Jugendlichen einzuräumen, der es ihnen ermöglicht, sich auf diese Musik einzulassen und mit ihr umzugehen. Welches persönliche Urteil sich über Neue Musik ergibt, ist weniger wichtig, als den Schüler in die Lage zu versetzen, seine eigene Meinung sowohl sachlich als auch emotional zu begründen und gegebenenfalls zu revidieren sowie andere Ansichten zu akzeptieren und womöglich auch nachzuvollziehen.

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