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  • „Wie kann ein Mann ein Ding lieben, das ihm zum Trotze auch denken will?“ Lessing – ‚Wegbereiter‘ weiblicher Emanzipation?

Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 100
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die vorliegende Studie untersucht anhand von Gotthold Ephraim Lessings bürgerlichen Trauerspielen ‘Miß Sara Sampson‘ und ‘Emilia Galotti‘, ob die in seinen Werken dargestellten Weiblichkeitsentwürfe im Einklang mit dem allgemeingültigen Geschlechterverständnis des 18. Jahrhunderts stehen oder ob Lessing eine modernere Auffassung bezüglich der Rolle der Frau eingenommen hat. In diesem Zusammenhang wird auch der Frage nachgegangen, ob Lessing als Sympathisant bzw. Fürsprecher einer Aufwertung der weiblichen Sphäre bzw. einer partiellen Loslösung vom traditionell vorherrschenden Frauenbild des 18. Jahrhunderts begriffen werden kann. Berechtigung erfährt diese Untersuchung vor dem Hintergrund von Lessings Einordnung als ‘Dramatiker der Aufklärung‘, der sich jenen vernunftorientierten Maximen verpflichtet fühlte, die - im Sinne gegenwärtig geführter Debatten - ‘den Menschen’ in den Vordergrund stellte und nicht dessen Geschlechtszugehörigkeit.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Die Familie im 18. Jahrhundert: 2.1, Die Struktur der Familie in Frühaufklärung und Empfindsamkeit: Im 18. Jahrhundert ließ sich ein steigendes Interesse am innerfamiliären und privat-menschlichen Bereich beobachten, das die bis dato obligaten Themen dramatischer Gestaltung zurückdrängte. Gründe hierfür lagen v.a. in dem verstärkten Einfluss, der dem Bürger im geistigen Leben zukam. Da er durch die starren Ständeschranken vom gesellschaftlich-öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen war, blieb ihm nur der innerfamiliäre, häuslich-private Kreis der Familie, durch den er höchste Erfüllung zu erlangen suchte. Die Familie bildete den Kern des Privatbereiches der bürgerlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts und der Bürger begriff sich im Wesentlichen als Privatmann und Familienoberhaupt. In dieser Phase der Aufklärung wurde die Familie als ‘eine rational […], streng geordnete Gemeinschaft [verstanden E.Tr.], deren Sinn darin lag, den Mitgliedern sittlichen und materiellen Halt im Leben zu geben.’ Die Familie sicherte die Existenz der einzelnen Familienmitglieder und diese wiederum hatten ihre Interessen, die keineswegs auch ihre persönlichen Interessen sein mussten, der Familie unterzuordnen. Das Verbundenheitsgefühl innerhalb der Familie basierte in der frühen Periode der Aufklärung auf dem Bewusstsein, den gleichen sittlich sanktionierten Familieninteressen verpflichtet zu sein. Das Leben der bürgerlichen Familie unterlag ergo einer rationalen, durch ihre Existenzerfordernisse bedingten Ordnung, die sich durch ein bestimmtes sittliches Wertesystem ausdrückte. Dieses sittliche Wertesystem ließ sich wiederum in zwei Klassen unterteilen: Auf der einen Seite in die Werte der bürgerlichen Moral, die den Einzelnen an die existenzwichtigen Interessen der Familie banden und für jedes Familienmitglied, unabhängig von dessen Stellung innerhalb der Familie, galten (existenzwichtige Interessen waren beispielsweise ökonomische Sicherheit und sittliche Stabilität der Familie). Auf der anderen Seite in diejenigen Tugenden, die sich aus der Stellung der Familienmitglieder zueinander und aus ihrer besonderen Funktion im häuslichen Gefüge ableiteten. Dementsprechend ergaben sich für jedes Familienmitglied, abhängig von seiner Stellung im Familienverbund, andere Pflichten, die jedoch alle auf das Gleiche fokussieren: Die absolute Unterordnung jedes Einzelnen unter die gesamt familialen Interessen. Aus diesem Grund konnte es keine wirklichen Kontroversen innerhalb der Familie geben. Kam es dennoch zu einem Interessenkonflikt zwischen dem eigenen Wohl und dem der Familienmitglieder, führte ‘der antizipierte oder auch tatsächliche Übergriff auf das Wohl der anderen zu massiven Schuldgefühlen.’ Eine Untersuchung der Soziologie der Familie der Aufklärung expliziert deren patriarchalische Organisationsstruktur. Der Hausvater genoss überall, wo er in Erscheinung trat, absolute Autorität. Er allein repräsentierte die Familie, was von seinen Angehörigen grundsätzlich nicht in Frage gestellt wurde. Die Ehefrau oder Hausmutter war sich der Pflicht der völligen Unterordnung unter den Gatten bewusst. Die Kinder stellten die prinzipielle Berechtigung der hausväterlichen Gewalt ebenso wenig in Frage und auch sittlich verworfenes Verhalten berechtigte die Familienangehörigen nicht, sich über die väterliche Moral hinwegzusetzen. Die Autorität innerhalb der Familie war nach Alter und Geschlecht abgestuft, sodass die Tochter das schwächste Glied bildete. Eine Illustration der häuslichen Pflichten, die jedem Familienmitglied aus seiner Rolle im Gefüge der bürgerlich-patriarchalischen Familie zukamen, musste zunächst von der Person des Hausvaters ausgehen. Dieser lenkte und ordnete die häuslichen Angelegenheiten im Sinne der durch die bürgerliche Moral sittlich sanktionierten Familieninteressen. Die Ausübung hausväterlicher Verfügungsgewalt war für ihn sittliche Pflicht und dementsprechend definierte sich sein Verhältnis zu den Angehörigen: Gefühle hatten hinter die Erfüllung der hausväterlichen Tugenden zurückzutreten, welche v.a. durch Strenge, Entschlossenheit, Unnachgiebigkeit und Wachsamkeit charakterisiert waren. Sinngemäß ließe sich ergo zwischen einem hausväterlichen Erzieher, einem Aufsichts- und einem Richteramt differenzieren. Dass sich der Hausvater vor allem anderen als Sachverwalter einer den Bestand der Familie sichernden sittlichen Ordnung verstand, offenbart sich anhand der Selbstverständlichkeit und Strenge, mit der er Verletzungen der sittlichen Norm bestrafte. Ein Nichtahnden von Regelverletzungen jeglicher Art wäre im Sinne der bürgerlich-rationalistischen Moral als sträfliche Schwäche ausgelegt worden. Es würde überdies den Fortbestand der Familie unmittelbar gefährden und hätte im schlimmsten Fall den materiellen und sittlichen Zerfall der Familie zur Folge. Genauso wie für den Hausvater aus der Struktur der bürgerlichen Familie spezielle Rechte und Pflichten resultierten, ließen sich auch für die Hausmutter und die Kinder bestimmte moralische Verbindlichkeiten herleiten. Die Kinder waren zwar beiden Elternteilen zu Gehorsam und Ehrfurcht verpflichtet, allerdings in erster Linie der väterlichen Gewalt, der auch die Zuteilung bestimmter Pflichten oblag. Johann Bernard Basedow spricht in diesem Zusammenhang von der ‘Herrschaft des Ehemannes’, der die ‘Oberaufsicht […] auf die Erziehung der Kinder’ innehat. Die Pflichten der Kinder bestimmten sich zunächst im Hinblick auf die väterliche Autorität: Solange sie sich innerhalb der familieninternen Struktur befanden, wurde von ihnen absoluter Gehorsam verlangt, und sie waren auf das Wohlwollen des Vaters angewiesen. Eigenständigkeit der Kinder war vom Hausvater unter keinen Umständen tolerierbar, denn jene hätte eine Loslösung von der häuslichen Ordnung bedeutet und die Bedrohung der sittlichen Ordnung impliziert. Die Forderung nach absoluter Rechenschaft der Kinder musste als Teil der unbedingten Gehorsamspflicht verstanden werden, welche sich auf Obliegenheiten innerhalb der Familie sowie auf außerfamiliäre Angelegenheiten bezog. Die Gehorsamspflicht äußerte sich am strengsten bei der Wahl des Ehemannes bzw. der Ehefrau. Gerade bei dieser Frage hatten sich die Kinder vollständig der väterlichen Autorität zu unterwerfen, ohne dass ihre eigenen Wünsche berücksichtigt wurden. Eine Widersetzung gegenüber der Gehorsamspflicht wurde streng bestraft. Die bürgerliche Moral war bei der Forderung nach kindlichem Gehorsam v.a. durch Härte, Strenge und Unnachgiebigkeit gekennzeichnet, da ihr Sinn grundsätzlich darin begründet lag, die Kinder in die von der Familie repräsentierte sittliche Ordnung einzugliedern. Insgesamt sicherten die so genannten ‚häuslichen Tugenden‘ von Hausvater, Hausmutter und Kindern die Autorität des Hausvaters über seine Angehörigen und verschafften ihm die Grundlage dafür, in seinem Haus den Anforderungen bürgerlicher Sittsamkeit zu entsprechen. Von der vorangehend explizierten Familienstruktur, deren Ordnung sich durch strenge Gemeinschaft und unnachgiebige Prinzipien konstituierte, wird nun auf die Struktur der Familie während der empfindsamen Phase eingegangen. Es sei hier zunächst angemerkt, dass die in der Forschung oftmals geäußerte Theorie von einer synchronen Abfolge der familiären Wertesysteme negiert werden muss. Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass das neue Wertesystem der Empfindsamkeit das vorhergehende System schlicht +ersetzte. Die neuen empfindsamen Werte flossen vielmehr in das bestehende System ein, was zu einem Konglomerat der unterschiedlichen Wertesysteme führte. Innerhalb der Familie wurden einzelne Verhaltensnormen durch ‚empfindsame’ Werte ersetzt, die Grundstruktur der Familie, die durch patriarchalische Autorität des Vaters gekennzeichnet war, blieb allerdings bestehen. Eine genauere Betrachtung lässt erkennen, dass die soziologische Struktur der Familie zwar äußerlich unverändert blieb, jedoch partielle Veränderungen in der internen Familienstruktur einsetzten. Diese Neuerungen wurden v.a. anhand der veränderten Auffassung des empfindsamen Hausvaters und seinen hausväterlichen Pflichten evident. Die Familie wurde nicht mehr in erster Linie als sittliche Gemeinschaft aufgefasst, für deren Ordnung und Zusammenhalt allein der Hausvater verantwortlich war, vielmehr verstanden sich die Familienmitglieder als ‘eine in wechselseitiger Zuneigung korrelierte Gemeinschaft einander zugehöriger Menschen.’ Die Struktur der Familie wurde durch Gefühlsbindungen, nicht mehr durch die unbedingte Einhaltung der sittlichen Ordnung bestimmt, was jedoch nicht mit dem völligen Verfall sittlicher Prinzipien gleichzusetzen war. Der Hausvater machte von seiner Funktion als richtender Instanz weniger Gebrauch, da sich strenge richterliche Gewalt und sensitive Gefühlskultur als zueinander inkompatibel erwiesen. An die Stelle von Strenge, Entschlossenheit und Unbeugsamkeit traten Werte wie Güte, Nachsicht und Mitgefühl. Dies offenbarte sich auch bei der Erziehung der Kinder zur Sittlichkeit, denn in diesem Bereich verdrängten Gefühl, Milde und Sanftmut die bürgerliche Strenge. Aus der Verinnerlichung der o.g. empfindsamen Werte resultierte partiell ein neues Bild des Hausvaters, in dem von den eingangs erwähnten bürgerlich-rationalistischen Prinzipien das der absoluten Autorität als Signum einer äußerlich unveränderten patriarchalischen Familienstruktur bestehen blieb. Diese absolute Autorität war jedoch nicht mehr durch physische, sondern durch psychologische Gewaltausübung gekennzeichnet. Der sich durch direkte Verbote, Züchtigung etc. charakterisierende offene Zwang wurde nicht im eigentlichen Sinne abgeschafft, sondern erfuhr eine subtilere psychologische Ausprägung. Diese Ausprägung artikulierte sich beispielsweise ‘im nie versiegenden Tränenstrom der Empfindsamkeit’ oder in der Bereitschaft zur bedingungslosen Aussöhnung. Diese verschaffte dem Verzeihenden, dessen Vergebung in Bezug auf das Objekt unverdient erschien, eine Überlegenheit, die ihm ‘jenen unmenschlichen, gottgleichen Status’ verlieh. Die sich neu konstituierende sensitive Gefühlskultur innerhalb der Familie hatte zur Folge, dass das Verhältnis der Kinder zu ihrem Vater nicht mehr ausschließlich durch die Gehorsamspflicht definiert war, sondern ebenso durch innige Zuneigung. Dieser Gefühlsanspruch, der die Beziehungen der Kinder zu den Eltern veränderte, beinhaltete jedoch gleichzeitig auch eine Gefährdung, denn ‘er bemächtigt[e E.Tr.] sich mit gleicher Stärke der außerfamiliären Beziehungen zwischen den Geschlechtern und verschafft [e E.Tr.] diesen eine Legitimation, die in Konflikt geraten [konnte E.Tr.] mit der traditionellen Ordnung der Familie.’ Ich bin bereits darauf eingegangen, dass die eigenen Interessen der Familienmitglieder zu Gunsten des Familienverbundes zurückgestellt wurden. Setzten sich die Kinder dennoch über die väterliche Autorität und damit über die gesamtfamilialen Interessen hinweg, war für die Väter in der empfindsamen Phase eine voraussetzungslose Vergebung ihrer Kinder durchaus denkbar. Die familiensoziologisch begründete objektive und uneingeschränkte Gehorsamspflicht der Kinder verlor damit ihren unbedingten Charakter, denn in gleichem Maße, in dem das empfindsame Gefühlleben das Familienleben prägte, und die Verpflichtung zu objektiv familialen Interessen ablöste, wurde kindlicher Ungehorsam entschuldigt bzw. gerechtfertigt. Dass diese Art der bedingungslosen Verzeihung nicht zwangsläufig aus reinem Altruismus heraus resultierte, sondern ebenso eigennützige Gründe haben konnte, wurde im Zuge meiner Ausführungen über die psychologische Gewaltausübung bereits thematisiert.

Über den Autor

Elena Tresnak wurde 1979 in Lübeck geboren. Ihr Studium der Literatur- und Sprachwissenschaften sowie Pädagogik an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel schloss sie 2007 mit einer Studie zum Thema Weiblichkeitsentwürfe in Gotthold Ephraim Lessings bürgerlichen Trauerspielen erfolgreich ab. Fasziniert vom Thema weiblicher Emanzipation in der Literatur promovierte sie 2010 mit einer Untersuchung zu Fontanes Frauenfiguren. Elena Tresnak lebt und arbeitet heute als freiberufliche Lektorin und Autorin in Kiel.

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